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Schwarze Madonna
,Wir haben einen Maulwurf im Garten. Hol‘ den Spaten und erschlag‘ das Vieh, bevor der ganze Rasen draufgeht‘. Sie beherrscht ihre Stimme in allen Tonlagen, besonders in den fordernden. Blümel murmelt ein undeutliches Naja, blickt seine junge Frau an, nickt, steht vom Küchentisch auf und schlurft nach draußen, um im Schuppen nach dem Spaten zu suchen. Was auch immer zu tun ist, was auch immer von ihm verlangt wird, was auch immer von ihm gefordert wird – Blümel tut und macht, stillt Verlangen, kommt Forderungen nach. In den wenigen Stunden, die er für sich beanspruchen kann, sitzt er vom Frühjahr bis zum Herbst vor dem Geräteschuppen, trinkt sein Bier und sieht den Wolken zu, wie sie langsam ihre Formation verändern, wie aus gewaltigen weißen Luftschiffen kugelige Drachen werden, die sich unmerklich im scheinbar endlosen Blau des Himmels auflösen. Das Auflösen, das nicht mehr existieren, gefällt Blümel dabei am besten. Schwupps und weg. Die Auflösung als Nebenprodukt des Daseins. So ging’s ihm auch mit den zurückliegenden Berufsjahren. Die Rente hat sich für Blümel als wenig segensreich entpuppt. Von der Frau wird er quer durch Haus und Garten dirigiert, zu den Nachbarn hat man den Kontakt abgebrochen und im Wirtshaus entstehen immer wieder nebulose kleine Geschichten über Blümels Frau, die, ausführlich am Stammtisch kommentiert, anschließend im ganzen Dorf die Runde machen. Blümel versucht diese Geschichten, die ihm von besoffenen Briefträgern und redseligen Zeitungsjungen zugetragen werden, zu verdrängen, will Ruhe haben vor dem Gerede und wartet letztendlich auf etwas, das er sich selbst nicht erklären kann. Vielleicht darauf, dass irgendwas den Geist aufgibt, oder in der nächsten Zeit etwas passiert, für das es sich lohnt, weiter in dieser Weise aufs Sterben zu warten.
Als er den Schuppen aufsperrt, den Spaten herausholt, die lehmbraunen Erdhügel auf der Rasenoberfläche betrachtet und dann seinen Blick in Richtung der Berghänge schweifen lässt, ist es ihm, als ob sein Warten exakt an diesem Vormittag ein mögliches Ende haben könnte . Blauer Himmel, eine Luft, die zum Anbeißen nach Frühling riecht, ein Maulwurf, der sich durch den Untergrund schaufelt und der ihm grundsätzlich egal ist und seine Frau, die hinter einem der Fenster steht und Blümel wahrscheinlich wie immer mit grundsätzlichem Ekel beobachtet. Seine Bühne, seine Kulisse, er ein automatisierter Komparse in ihrem Spiel. In Anbetracht der Tatsache, dass er jetzt auch momentan nicht weiß, wie er den Maulwurf erwischen könnte, wie der Tag enden würde und auf welche Art und Weise die Geschichten über seine Frau der Wahrheit entsprechen, lehnt er den Spaten gegen die Schuppenwand und holt sich schnaufend eine Flasche Bier aus einer der Kisten, die sich im kühlen, unterkellerten Teil des Schuppens stapeln. Keine Flugzeuge am Himmel, keine Traktoren mit rumpelnden Anhängern, kein Gekreische von Motorsägen aus dem nahen Wald. Die Stille fast absolut, fast heilig, die Flasche fast leer. Mit geschlossenen Augen sitzt Blümel da und denkt nach.
Wie viele solcher Jahre würden noch folgen? Wie viele Geschichten würden noch erzählt werden, würde er sich noch anhören müssen? Wie viel von all dem verträgt ein Mensch wie Blümel? Bierbauch, Tränensäcke, Halbglatze und Füße, die bei jedem Wetter in schwarzen, verschrammten Gummistiefeln stecken. Alte Fotoalben stapeln sich haufenweise hinter verschlossenen Schranktüren, die Bilder verblichen, abgegriffen, eingerissen. Die Mutter, seine Brüder, der Vater im Sonntagsanzug, Blümel als Knabe, die selbstgebastelte Steinschleuder in den Händen haltend. Hinter den Fotoalben liegen die Hochglanzmagazine griffbereit, stumpf die Farben schon. Melissa, Marylin, Lydia, ihre Ärsche, Titten, Beine, kaum mehr erkennbar, seitenweise zusammengeklebt . All die Dinge, die Blümels Geschichte erzählen. Es ist eine einfache, unspektakuläre Geschichte bis zu dem Zeitpunkt, als er diese junge Frau trifft. Eine Bar in der entfernten Stadt, Straßen voller Regen und Kastanien, die im Sog kalter Windböen auf Autodächer trommeln. Ein leerer Barhocker neben dem seinen, zu viel Geld zu locker in der Jackentasche, zu lange ohne Frau. Noch nie eine Frau. Er danach zu besoffen, zu glücklich, alles zu weit gediehen. Kein Zurück für Blümel. Ein Haus schon da, die Geschäfte am Laufen, das ganze Dorf steht als Spalier vorm Kirchenportal, jeder ein Kiebitz. Ein Fest der Schadenfreude. Der Blümel hat eine gefunden! Und was für eine noch dazu! Eine Nacht, zwei, drei Nächte alles machbar, alles wird durchgespielt. Alles scheint möglich, scheint die große Liebe zu sein. Dann erste Zurückweisungen, erste Beschimpfungen, viele Demütigungen danach. Blümel beobachtet die Wolken am Himmel, liebt weiter, versucht seine Fehler zu finden, kauft Blumen, schenkt Ringe, bettelt um jede weitere Nacht mit ihr. Irgendwann tauchen erste Gerüchte auf, stellt Blümel das Klappbett im Geräteschuppen auf und bunkert kistenweise Bier im Keller. Dann ziehen die ersten kugeligen Drachen über den Himmel und je länger Blümel hinsieht, umso wirklicher kommen sie ihm vor.
Der Vormittag gedeiht. Blümel öffnet eine zweite Flasche Bier, setzt sie an die Lippen und säuft sie in zwei drei großen Zügen aus. Es ist wärmer geworden im Garten. Bei den Maulwurfshügeln tut sich nichts. Armes blindes Vieh, leck‘ mich am Arsch, denkt Blümel. Dann greift er sich den Spaten und stapft schwitzend über die Maulwurfshügel zum Haus. Im Flur liegen ihre schwarzen Sandaletten von gestern Abend, ihr kurzer Mantel, flüchtig über einen Garderobehaken geworfen. Blümel zieht eine Spur lehmbrauner Erdkrümel bis zur Küche. Dort steht die junge Frau, ein volles Glas Rotwein in der Hand, das Gesicht schmal vor Hass, als Blümel im Türrahmen auftaucht. Ich muss dann los, sagt sie, Termine in der Stadt. Es wird später werden. Sie nippt am Glas, ihre Stimme ist leise, blanker Hohn liegt darin. Ihr Blick fixiert ihn, stellt den Bauer in ihm bloß. Naja, sagt Blümel und dehnt dabei jede Silbe so gut er kann, so spät wird es nicht werden. Dann rammt er ihr ansatzlos den Spatenstiel in den Unterleib. Sie kippt grunzend vornüber, das Rotweinglas zerschellt klirrend am Fliesenboden. Sie versucht röchelnd und nach Luft ringend hochzukommen, schafft es bis zur Kante der Abdeckplatte. Alles geht sehr schnell. Kein Schrei, kein Laut, gar nichts. Die Klinge des Spatens gräbt sich mit hässlichem Knirschen in ihre Schädeldecke, graue feste Hirnmasse tritt aus. Dann trennt ein von Blümel blitzartig und wuchtig geführter Hieb den Kopf vom Körper seiner Frau. Der Küchenboden, die Anrichte, alles ist versaut. Naja, denkt Blümel. Er stellt den Spaten mit der Klinge voran ins Abwaschbecken, dreht den Wasserhahn auf, entfernt das Blut, Hirnreste, Knochenstücke, wäscht sich die Hände, die behaarten Arme und entfernt die paar blutigen Knochensplitter, die sich in seinem blauen Overall verfangen haben. Er wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht und versucht, nicht auf die Glasscherben am Boden zu treten. Die Küchenuhr tickt.
Blümel verlässt das Haus. Über dem Wald zieht ein Mäusebussard stille Kreise. Blümel stellt den Spaten im Geräteschuppen an seinen Platz zurück, trägt das Klappbett in den Keller und holt sich bei dieser Gelegenheit noch drei Flaschen Bier mit nach oben. Blümel ordnet seine Welt. Er stellt den alten CD-Player im Schuppen an, legt eine Scheibe von Bata Ilic ins Deck, drückt auf die Play- Taste, öffnet die erste Flasche, setzt sich ins Gras und lehnt seinen Rücken an den Stamm des Nussbaumes. Die Nacht lag im Schimmer des goldenen Mondes, am Fluss, da brannten die Laternen, summt Blümel mit. Der Mittagshimmel spannt ein makelloses Blau über das Land, über seine Berge und Wälder und über jene, die Termine gehabt hätten. Bei den Maulwurfshügeln tut sich was. Die schwarze Schnauze des Tieres taucht zwischen den Grasbüscheln auf, schiebt angestrengt lehmbraune Erdklumpen nach oben. Es ist nie zu spät, das Glück kommt und geht, schwarze Madonna, summt Blümel und nuckelt an der Bierflasche. Keine Drachen mehr am Himmel.