Mitglied
- Beitritt
- 13.09.2007
- Beiträge
- 302
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 5
Schwarz
Er muss hier weg, so schnell wie möglich!
Vieles hat er schon erlebt, aber das...
Zahnprothesen zwischen Erbrochenem aus dem Klo fischen – an so was gewöhnt man sich. Tod in den verschiedensten Variationen – daran nicht. Auf seinem Rücken stapeln sich die Leichen, immer schwerer.
Tote neben Patienten, die zurück ins Krankenhaus gekommen waren, aus Angst vor ihrem eigenen unmittelbar bevorstehenden Sterben. Tod im 4-Bett-Zimmer, den die Mitpatienten dem Arzt meldeten.
Tod im Schlaf, beim Essen, während des Waschens, beim Herausheben aus dem Bett. Erschlaffenden Körpern schnarrt das Leben wie ein Furz aus der Lunge, dann des Todes Stille.
Angehörige, die ihm heulend in die Arme fallen. Warum immer ihm?
„Ja“, versichert er, an ihrer Trauer würgend, „ganz friedlich, nicht gelitten, wir haben alles getan.“ Wussten sie, dass er log?
Das Mädchen, das seine tote Mutter suchte. Zitternd, knochenbleich, hilflos wie er.
Die Tote, welche im Sterbezimmer wieder zum Leben erwachte. Sie hatten ihre Chronisch obstruktive Lungenkrankheit übersehen. So hatte die 4l Sauerstoffdusche zur Kohlendioxidnarkose geführt. Die Auferstandene freute sich nicht über den Plastikkranz neben ihrem Bett, zog sich schimpfend an und entließ sich selbst.
Er musste da weg, so schnell wie möglich, weg vom Chaos der Allgemeinstation. Hier, auf Intensiv, gibt es von allem mehr: mehr Personal, Struktur, Anspruch; Leid.
Der Bursche, noch keine zwanzig, der direkt nach der Transplantation ein Rezidiv entwickelte, hatte nun die Wahl, an diesem zu sterben oder mit der neuen Therapie durchzustarten. Dann kann ihn der Krebs nicht mehr erwischen, denn er stirbt an den Folgen der Chemo, da er sich vom vorigen Zyklus noch gar nicht erholen konnte. Fuck.
Das Leben ist kein Wunschkonzert. Jeden kann es treffen und es muss jemanden geben, der sich das ganze Fremdleid reinzieht. Sein Job, seit Jahren, 25 liegen hinter ihm, mindestens noch 20 vor ihm. Bisher hat er alles geschluckt, ohne zu jammern, aber das...
Heute Morgen ist er noch im Meer geschwommen. Sonne getankt, die ganze Woche.
„In der IT-Branche tätig.“, hat er gesagt, wenn jemand gefragt hat und „Ja, bei Apple.“
Keinen Bock auf: „Ich könnte das nicht. Toll!“
Nein, nicht im Urlaub. Abschalten. Sport, Party, Sex – das pralle Leben. Mit aufgeladenen Batterien zurück zur Nachtschicht.
Übergabe: „Herr Obermeier, erschrick nicht, er ist jetzt schwarz, negerschwarz, dunkler als ich es bin.“, sagte Malia.
„Hm, hm“, hatte er geantwortet und gedacht: 'Übertreibt mal wieder'.
Jetzt steht er an seinem Bett, glaubt nicht, was er sieht. Herr Obermeier ist schwarz, nicht pathologisch, sondern wie Malia, noch dunkler als sie. Kurze schwarze Locken kleben vereinzelt an seinem schweißnassen Kopf, die Haare wachsen langsam nach. Dunkel waren sie schon vorher, aber gelockt? Der rechte Fuß schaut unter der Bettdecke hervor. Er beleuchtet ihn mit der Taschenlampe: schwarz bis auf die Fußsohle, die ist hellbraun. Der Patient zieht den Fuß zurück, versteckt ihn unter der Decke.
Leise verlässt er das Zimmer, muss hier weg, so schnell wie möglich.
Herr Obermeier klingelt, er geht wieder hinein:
„Schönen guten Abend, was brauchen Sie? Schlaftablette oder lieber ein Tavörchen?“
'Tavor, könnte ich jetzt auch brauchen', denkt er sich. 'Mein seelischer Mülleimer ist voll, übervoll. Da passen keine 20 Jahre mehr rein. Irgendwie muss ich ihn leeren, nur wie?'