Schwarz wie die Nacht
Sie kam immer auf dem Bahnsteig II an und fuhr auf dem Bahnsteig I weg. Sie verhielt sich stets unauffällig, wenn ich sie nicht hätte beschatten müssen, wäre sie mir kaum aufgefallen. Sie ist eine wunderschöne Frau, doch sie hat etwas Unscheinbares an sich, mir ihrem langen, schwarzen Haar, so schwarz wie die Nacht. Und jetzt ist sie meine Freundin. Wie kam ich nur in diese Situation? Ich hätte liebend gern eine Frau wie sie zur Freundin, aber nicht unter diesen Umständen.
Ich bin als verdeckter Ermittler tätig und muss Luna Leonas Bande vor einem grossen Raub beschatten, um Beweise zu sammeln. Aus diesem Grund habe ich mich mit ihr angefreundet und bin dann mit der Zeit zu ihrem Freund geworden. Ich fand es anfangs sehr spannend, doch nun beginne ich echte Gefühle für Luna zu entwickeln. Ich mag sie von Tag zu Tag mehr und sie hat es nicht verdient, eingesperrt zu werden.
Wir vertrauen uns immer wie besser und eines Tages erzählt sie mir, dass sie mit ihrer Bande einen grossen Coup plant. Ich habe ihr erzählt, ich sei ein Kleinkrimineller und deshalb will sie mich nun auch in die Pläne einbinden. Von dieser Geste bin ich sehr berührt, ihr Vertrauen zu mir ist gewaltig. Ich fühle mich schlecht wenn ich sie weiterhin anlüge. Beim Gedanken, sie eines Tages festzunehmen, zieht sich mir der Magen zusammen und ich kriege kaum mehr Luft. Bei der Polizei kann ich niemandem davon erzählen und auch nicht der Frau, die ich liebe. Ich war noch nie so hin und her gerissen. Ich nehme mir einige Tage frei und verbringe sie mit Luna, was irgendwie ironisch ist, denn das wäre auch mein Job.
In mir wächst der Entschluss, ihr die Wahrheit zu sagen. Aber wie wird sie es auffassen? Ich sehe die beiden Möglichkeiten, entweder erschiesst sie mich auf der Stelle, oder sie akzeptiert mich so wie ich bin und wir brennen nach dem grossen Raub zusammen durch. Ich verbringe einen ganzen Tag alleine im Bett und zerbreche mir den Kopf darüber. Immer wieder frage ich mich, ob das Ganze noch gut kommen kann. Da ich der Meinung bin, Liebe kennt keine Grenzen, will ich ihr bei einer guten Gelegenheit die ganze Wahrheit beichten. Ich suche mir einen wolkenlosen Herbsttag aus, an dem wir ein Picknick im Wald machen. Mein Herz pocht, ich habe Angst vor ihrer Antwort, aber tief in mir, unter all meinen Erinnerungen liegt die Hoffnung begraben, und sie schimmert hell hindurch.
Ihre Augen werden wässrig und sie beginnt zu weinen. Sie rennt davon und ich ihr hinterher. Plötzlich hält sie an, kehrt um und rennt mir entgegen. Sie brüllt mich an und schlägt mich. Währenddessen weint sie immer noch. Die Hoffnung in mir verliert länger je mehr ihren Schimmer, bis ich sie nicht mehr sehen kann. Alles Reden bringt nichts mehr, wir trennen uns. Sie hat mich weder umgebracht, noch reiten wir gemeinsam in den Sonnenuntergang. Doch sie will mich nie wieder sehen. Mir erscheint das schlimmer als der Tod, denn ein Leben ohne sie ist unvorstellbar. Der Gedanke daran lässt mich schwindlig werden. Ich setze mich auf den Boden um mich zu beruhigen.
In mir breitet sich langsam die Angst aus. Was ist, wenn sie Angst kriegt, weil sie nicht ins Gefängnis will und mir etwas antut? Ich habe ständig das Gefühl, verfolgt zu werden. Immer wenn mich jemand anschaut, läuft mir ein Schauer über den Rücken. Haben sich etwa alle Menschen gegen mich verschworen? Es ist unerträglich und darum verlasse ich mein Haus so selten es geht. Ich werde wütend auf Luna. Wieso will sie mir etwas antun, obwohl sie mich doch liebt. Wie bringt sie das nur übers Herz? Ich habe nur noch eine Chance zu überleben, ich muss in die Offensive gehen. Ich muss sie so schnell wie möglich hinter Gitter bringen. Dann habe ich sowohl meinen Job als auch mein Leben gerettet. Den vierten Anruf nahm sie endlich entgegen. Sie fand meine Idee gut, uns zu treffen um nochmals miteinander zu reden. Wir treffen uns noch heute Abend.
Ich habe meine Handschellen und auch einen Revolver dabei, beides nicht sichtbar auf den ersten Blick. Sie wartet am vereinbarten Treffpunkt und sieht mich nicht kommen. Ich habe es eigentlich anders geplant, aber diese Gelegenheit lasse ich mir nicht entgehen. Ich überrasche sie von hinten und habe sie im Nu unter Kontrolle. Die Handschellen sind angelegt, bevor sie überhaupt versteht, was hier vor sich geht. Ich bin überglücklich, alles wird gut. Luna hinter Gitter, ich kriege eine Beförderung und das Leben geht weiter. Ich sehe im Augenwinkel nur einen Schatten und bevor ich mich umdrehen kann, sind bereits zwei starke Männer dabei, mich zu überrumpeln. Ich kann mich nicht wehren, ich war noch mit Luna beschäftigt und in Gedanken bei einer sorglosen Zukunft. Sie drücken mich fest gegen den Boden, es bohren sich kleine Steine in mein Gesicht und ich glaube, dass ich blute. Mein Gesicht brennt vor Schmerz. Es kommt ein kleiner Lieferwagen mit getönten Scheiben angefahren und kurz darauf liege ich darin am Boden. Die bulligen Männer steigen bei mir hinten ein und nachdem sich Luna befreit hat steigt sie nach vorne zum Fahrer. Mir dämmert, was mir bevorsteht.
Ich bin noch nicht bereit, zu sterben, doch ich nehme an, ich habe es verdient, habe ich doch die Frau, die ich liebe, verraten. Es wäre zu schön gewesen, wenn alles aufgegangen wäre. Während der Fahrt male ich mir aus, wie sie mich umbringen werden. Es gibt so viele Möglichkeiten. Erschiessen sie mich einfach nur? Ich denke nicht, das hätten sie ja sofort tun können. Möglicherweise wollen sie mich noch in ein Fass stopfen und dann in einem See versenken. Oder sie wollen mich lebendig im Wald begraben. Ich werde unruhig und ich spüre wie die Adern in meinem brennenden Gesicht pochen. Das Adrenalin überdeckt den Schmerz, doch mir ist bewusst, sobald es nachlässt wird der Schmerz unerträglich. Blut tropft auf den dreckigen Boden des Lieferwagens. Zum Glück muss ich den danach nicht putzen. Zugegeben, ein schwacher Trost.
Wir sind von der Hauptstrasse abgebogen, nehme ich an. Wir fahren viele Kurven und sind auf einer sehr holprigen Unterlage. Sie bringen mich wohl an einen ganz abgelegenen Ort. Mein Hemd ist durchnässt von Schweiss und Blut. Der Schmerz zeigt sich nun in seiner vollen Stärke und ich gehe davon aus, dass mein linkes Handgelenk gebrochen ist. So wie ich da am Boden liege, ist es kaum mehr auszuhalten, der schnelle Tod scheint mittlerweile eine Überlegung wert zu sein. Wir verlangsamen die Fahrt und halten an. Die Männer lachen und Luna sagt kein Wort. Sie ziehen mich zu zweit raus und dabei schleift mein Gesicht über den Boden des Lieferwagens. Der Schmutz gräbt sich in meine Wunden und ein Teil landet in meinem Mund. Ich habe schon Besseres gegessen. Sie bringen mich in eine alte Lagerhalle, sieht ziemlich verlassen aus. Schreien erscheint mir hoffnungslos, trotzdem wage ich einen Versuch. Sofort kriege ich einen Schlag in die Magengrube. Ich dachte, die Schmerzobergrenze sei erreicht, doch damit verschiebt sie sich nochmals nach oben. Das Unmögliche wird wahr, ich schwitze noch mehr als zuvor und mir wird langsam übel. Ich kotze dem Mann zu meiner Linken über die Hosen. Der andere lacht lauf auf, doch vom Angekotzten fange ich mir weitere Schläge ein, was die Situation auch nicht entschärft.
Nachdem sich mein Magen entleert hat, packen sie mich wieder an den Schultern und tragen mich in das Lagerhaus. Drinnen werde ich an einen Stuhl gebunden. Ich kann mich kaum bewegen und stinke nach Schweiss und Erbrochenem. Zweifelsfrei hatte ich schon bessere Momente im Leben. Ich kann meine Gedanken kaum mehr fassen, in meinem Kopf herrscht Chaos. Mein Tod steht fest, das spüre ich. Doch in meinen Gedanken zieht nicht wie im Film mein Leben an mir vorbei. Ich sehe nur Luna, die Frau die ich liebe. Sie hat eine Zange in der Hand. Es dauert einige Sekunden, bis ich es verstehe. Ich will es gar nicht verstehen. Ich werde einen langsamen und qualvollen Tod sterben, Luna wird mich zu Tode foltern. Sie kommt näher und ich winsle um Verzeihung. Ich bitte sie, mich gehen zu lassen. Ich hätte genug gelitten, doch nicht mal ich selbst kaufe mir das ab. Meine Schmerzen erscheinen mir angesichts der bevorstehenden Folter harmlos. Ich fange an zu weinen. Mit schlotternden Lippen bringe ich ein "Ich liebe dich" heraus. Die Worte scheinen sie zu berühren. Sie liebe mich doch auch, sagt sie. Aber ich hätte sie betrogen, und das war falsch. Sie verschwindet für 5 Minuten.
Ich schliesse meine Augen und bemerkte deshalb Lunas Anwesenheit nicht. Sie tritt mit der Zange in der Hand zu mir heran und meine Muskeln spannend sich an. Ich zittere am ganzen Körper. Eine Mischung aus Tränen, Schweiss und Blut läuft in meinem Mund zusammen und es schmeckt besser als erwartet. Jedenfalls besser als der Geschmack von Erbrochenem. Sie tritt hinter mich und ich weine noch stärker als zuvor. Dann erst begreife ich, was gerade eben passiert ist. Sie hat meine Fesseln abgemacht. Sie sagt, ich soll gehen, ich soll davonlaufen, ohne mich umzudrehen. Ich überlegen nicht lange. In mir wächst Hoffnung und ich weiss nicht, wann ich zuletzt so glücklich war, einfach nur zu leben. Energie durchströmt mich, ich stehe auf und laufe davon, wie sie es gesagt hat. Nach 10 Schritten höre ich einen Schuss und bevor ich reagieren kann, spüre ich wie die Kugel in meine rechte Wade eindringt. Ich sinke zu Boden und die neugewonnen Kräfte verlassen mich schlagartig. Ich blute stark und mein ganzes Bein pocht. Luna tritt wieder näher an mich heran und schaut auf mich herab. Ich muss erbärmlich aussehen. Sie hält mir die Pistole an den Kopf und sagt: "Fick dich, du scheiss Bulle!"