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Schwarz und Weiß
Früher konnte ich Schreibstile nicht besonders gut unterscheiden. Heute kann ich es anhand von wenigen Sätzen. Früher konnte ich die Anwesenheit der meisten Menschen genießen – heute ertrage ich sie kaum noch. Früher war alles anders. Doch daran störe ich mich nicht; es ist wie es ist.
Ich laufe durch die Straßen und schaue auf alles in schwarz und weiß. Alles was ich sehe, erscheint wie eine Szene in einem Schwarz-Weiß-Film. Doch es tauchen keine Männer in Anzügen, mit Hüten und Knarren auf, wie in alten Edgar-Wallace-Filmen. Nichts Außergewöhnliches passiert.
Ich steige die Treppen hinauf – meine Treppen.
Tapp. Tapp. Tapp.
Mir zittert die Hand. Nur der Whiskey stellt sie ruhig. Mir blutet das Herz. Nur meine Bücher heilen es.
Mit dem Glas Whiskey in der Hand stolpere ich in meine Bibliothek, nehme das erstbeste Buch und lasse mich in meinen Sessel fallen. Ich klappe die Seiten auf, lese ein paar Zeilen und nippe an ihnen wie an einem Getränk.
Doch etwas ist anders, nicht wie früher, lässt mich verzweifeln, macht mich verrückt.
Wut überkommt mich. Ich zerreiße die Seiten, schreie wie ein wildes Biest, schlage wild um mich, werfe es in die Ecke. Ich bin wahnsinnig geworden und der Wahnsinn steht mir gut!
Das bereits leere Glas werfe ich an die Wand. Ich brauche mehr Bücher aus den Regalen! Eins nach dem andern nehme ich mir, doch keines kann mich zufriedenstellen.
Wie ein Drogensüchtiger bin ich auf der Suche nach dem ersten, großartigen Rausch. Ich brauche Zeilen, die mich an eine Zeit erinnern, in der die Welt noch bunt war, so wie früher.
Ich eile hinaus, muss zu einer Buchhandlung. Es ist Nacht, doch wen stört das schon?
Die Tür der Buchhandlung ist zu. Ach was, ich schlage die Scheibe ein!
Es geht mir besser. Ein Kinderbuch erfreut mich, macht mich wieder zum Kind. Hockend sitze ich da und bin glücklich.
Astrid Lindgren schaut auf mich herab, zu meinem erhobenen Kopf mit dem begeisterten Gesicht. Sie streichelt mir das Haar, beugt sich zu mir hinunter, nimmt mich in den Arm und sagt mir, dass alles gut werden wird. Ich glaube ihr.
Meine Aufmerksamkeit zerstreut sich. Ich entdecke etwas auf dem Fußboden. Oh, Ein interessanter Staubfusel! Ich krabble hin.
Schiller und Goethe krabbeln neben mir. Goethe streckt mir die Zunge raus und Schiller zeigt mir ´nen Vogel. Ich drücke ihnen gegenüber meine Bewunderung aus. Sie sagen, es sei nicht der Rede wert.
Weiter oben im Bücherregal blinzeln mich zwei Bücher in schwarz und weiß an.
Ich quengle, komm da nicht ran, bin doch wieder ein Kind!
Gereizt stoße ich mit voller Kraft mit dem Kopf an den Schrank. Die Bücher fallen runter, mir vor die Füße.
Kant und Nietzsche betreten den Raum. Sie sind edel gekleidet und wirken wie zu erwarten weltmännisch. Schnell schließen wir Freundschaft – bin kein Kind mehr. Wir sitzen im Kreis im Schneidersitz und rauchen Pfeife. Ich stelle Immanuel und Friedrich – wir duzen uns – alle wichtigen Fragen, die ich schon immer mal wissen wollte. Ja, die die ganze Menschheit wissen will. Plötzlich schüttelt Nietzsche den Kopf und Kant schaut verschämt zur Seite.
Ich höre Geräusche. Schritte auf der Straße. Die Tür der Buchhandlung blitzt mich an.
Die Männer in schwarz und weiß mit den Anzügen, Hüten und Knarren kommen.
Früher … Früher kämen sie, um mich zu holen.
Heute kommen sie, um mich zu erlösen.