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Schwartze Weihnacht
Diese Serie ist eine Koproduktion von SAN und mir
Der 20-jährige Lockenkopf, Markus Schwartz, seines Zeichens Zivildienstleistender in einem heruntergekommenen Seniorenheim, rieb sich entnervt seine Stirn, denn ein sirenengleiches Geheul bahnte sich soeben seinen Weg von den Haarsinneszellen im Ohr bis in die Assoziationsfelder seiner Gehirnrinde. „Halts Maul, Sophia!“, war sein fast schon unbewusst ablaufender Antwortschrei. Der leicht gereizte Unterton in seiner Stimme bezeugte den allgemeinen Weihnachtsstress im Hause Schwartz.
Sophia, seine 6 Monate alte Schwester hatte gerade mit enthusiastischem Engagement ihren Laufstall vollgekackt. Der selbst verursachte Zustand mochte ihr dann aber nicht behagen und so teilte sie ihren Unmut den Außenstehenden mit.
„Wo ist denn Mama schon wieder hin?“, rief Markus empört. Seine andere Schwester Liselotte, 17 Jahre alt, attraktivstes Mädchen an ihrer Schule und heimliches Masturbationsobjekt vieler Jungen, nahm das als Anlass, in seine Richtung zu brüllen. „Was weiß ich denn. Halt die Schnauze, ich telefonier grade!“
Markus drückte Sophia ein kleines Stofftier gegen die Wange, wobei er den Laut „Gutzigutzigu“ von sich gab, in der Hoffnung sie damit zu beruhigen. Sein gut gemeinter Versuch blieb aber erfolglos. Unter dem erneuten Aufheulen seiner Schwester versuchte er, den Dreck mit einem Wischtuch zumindest grob zu beseitigen.
Zum erneuten Tobsuchtsanfall des Babys gesellte sich nun auch noch das Röhren des Staubsaugers. Margarete Schwartz, die Oma, von allen nur „Nervbolzen“ genannt, verbrachte ihren Lebensabend nicht wie gewöhnliche alte Leute im Seniorenheim, sondern im Hause ihres Sohnes und seiner Familie, wo sie allen mit ihrem Putzfimmel auf den Geist ging.
„Bleib bloß vom Weihnachtsbaum weg, Nervbolzen, der kippt doch so leicht!“, gesellte sich das Schreien von Opa Adolf Schwartz dazu. Dieser hatte bereits sein drittes Glas Glühwein in der Hand, wankte unsicher durch das Wohnzimmer und überlegte sich gerade, wen er als Ersten anschnauzen sollte.
„Wo sind Thomas und Gertrude?“, fragte er statt dessen und stützte sich sicherheitshalber auf die Klinke der Wohnzimmertür.
Liselotte kam gerade die Treppe vom 1. Stock herunter.
„Bestimmt besorgen die noch auf den letzten Drücker Geschenke.“
Mit dem Handy an ihrem rechten Ohr ging sie in die Küche, um ihren Diätplan mit den Weihnachtsplätzchen zu unterlaufen.
Wenige Minuten später kam auch Markus die Treppe runter, sein Pullover war mit braunorangen Flecken übersäht.
„Das blöde Baby! Hoffentlich kommt Mama bald heim!“, fluchte er.
„An der Front lagen wir im Blut unserer Kameraden und gerochen haben wir nichts außer Pulver und Verwesung. Da hat sich auch niemand zu beschweren getraut, du Memme!“, entgegnete Opa Schwartz aufgebracht. Er war Veteran des 2.Weltkriegs und nahm seinem Enkelsohn übel, dass dieser sich erfolgreich vor dem Militärdienst gedrückt hatte. Der war aber nicht auf den Mund gefallen.
„Ja, ja. Damals hättet ihr euch wahrscheinlich über so ein bisschen Babykacke gefreut. Wär ne schöne Abwechslung zu dem Konservenfraß gewesen, was?“
Er ging an seinem übellaunigen Großvater vorbei ins Bad, um sich zu waschen.
Liselotte plapperte in der Küche gerade eifrig in ihr Handy, als ihr großer Bruder eintrat und sie in den Arm kniff.
„Na, mit wem telefonierst du denn schon wieder, Schlampe?“
Schlampe, oder viel mehr Lieselotte, ignorierte ihren großen Bruder und trat den Rückzug ins Wohnzimmer an.
Opa Schwartz hatte sich dort bereits auf die Couch gepflanzt. Die Oma stellte den Staubsauger aus und begann den Baum mit kitschigen Goldengeln und epilepsiebunten Glaskugeln zu schmücken. Als ob das nicht genug wäre, stimmte sie auch noch den allseits bekannten Weihnachtsschlager „Oh du Fröhliche“ an. Dies allerdings, ohne auch nur einen einzigen Ton zu treffen.
Das Baby stimmte vom 1. Stock aus mit ein, in ähnlich schriller Tonlage, allerdings ohne Text.
„Schlampe, jetzt geh du aber mal gucken was das kleine Miststück schon wieder hat!“, rief Markus.
„Wie redest du bitteschön mit deiner Schwester?“, empörte sich darüber seine Großmutter und ließ dabei einen Goldengel fallen, was außer ihr aber keinen störte. In dem Moment schellte die Türklingel.
Markus öffnete missmutig die Tür und hätte sie am liebsten gleich wieder zugeschlagen.
Ralf, der Macker seiner drei Jahre jüngeren Schwester, stand in der Tür und hatte außer seinem Luxuskörper auch noch ein riesiges Weihnachtsgeschenk mitgebracht.
„Hallo Markus, wie läuft‘s? Musst du an Weihnachten keine Ärsche putzen?“
„Hallo du Spatzenhirn. Hat das Fitnessstudio an Heiligabend nicht offen?“, konterte Markus zugegebenermaßen schwach.
Freudestrahlend kam Lieselotte zur Tür gerannt und bekam ein Glitzern in den Augen, als sie das Geschenk in Ralfs Händen sah. Sie fiel ihm um den Hals und hauchte ihm ins Ohr,
„Ralf, wir hatten doch gesagt, nur Kleinigkeiten.“
„Ach, für dich ist doch selbst das größte Geschenk zu klein!“, erwiderte Ralf und erstickte ihre Antwort mit einem ausgedehnten Zungenkuss.
Markus konnte sich die Szene nicht länger anschauen und ging nach oben, da außer ihm ohnehin niemand nach dem Baby sah.
Sophia hatte es in seiner Abwesenheit erneut geschafft, den gesamten Laufstall in Kackorange zu färben.
„Wo bleiben Mama und Papa?“, fragte Markus hilflos, als erneut die Tür schellte.
Diesmal war es seine Mutter. Irgend eine höhere Macht musste ihn wohl erhört haben. Gertrude Schwartz, Kindergärtnerin, derzeit aber auf Mutterschaftsurlaub, schleppte zwei Einkaufstaschen ins Haus. Ihre Wangen waren stark gerötet. Wohl wegen der Kälte, dachte Markus.
„Mama, Sophia hat wieder alles vollgekackt. Einmal hab ich‘s schon saubergemacht. Noch mal mach ich‘s nicht. Das Monster kackt so viel, dass keine Windel mehr mithalten kann!“
Gertrude hatte noch die letzten Weihnachtseinkäufe gemacht und war danach bei ihrem Liebhaber gewesen. Sie war sehr bedacht, dass niemand davon erfuhr, denn Sie selbst schämte sich auch ein bisschen dafür. Sie liebte ihren Mann, aber der gönnte ihr nun mal einfach nicht genug Zeit. In beschwingter Stimmung antwortete sie,
„Nur keine Panik, bin ja gleich da. Wenn du mir bitte die Taschen abnehmen und in die Küche bringen könntest?“
Markus nahm die Taschen genervt entgegen, während seine Mutter ihren Mantel aufhängte und in den ersten Stock hinauf ging.
Währenddessen hörte man den Mercedes des Familienvaters in die Garage fahren. Thomas war Staatsanwalt. Sein größtes Hobby war seine Modelleisenbahn im Keller. Nebenbei bumste er zur Entspannung auch noch die Richterin. Er war bis vor einer halben Stunde noch bei einer „wichtigen Sitzung, bitte nicht stören“ im Büro der Richterin gewesen.
Er ging in sein Haus und schob seine Gesichtsmuskulatur in verärgerte Bahnen. Seine Mutter konnte nicht singen. Er hatte es ihr doch schon oft genug gesagt. Warum nur probierte sie es immer wieder?
„Halt die Schnauze, Mutter! Sonst steck ich dich ins Altenheim!“, rief er ins Wohnzimmer. Thomas hatte manchmal cholerische Anwandlungen. Deswegen warf er seine Schuhe an den Türstock, um seiner Äußerung Nachdruck zu verleihen.
Die Oma registrierte die zärtliche Andeutung und verstummte. Nicht ohne dabei ein Grummeln von sich zu geben. Der Opa gackerte hämisch.
„Ist der Baum immer noch nicht fertig geschmückt? Kommt hier nichts zustande, wenn ich nicht da bin?“, warf Thomas in die Runde.
Margarete kam ihrem Mann entgegen, ihre kleine Tochter, die derzeit fröhlich vor sich hin brabbelte, auf dem Arm.
„Hallo Schatz, wie war die Sondersitzung? War‘s wieder viel Stress?“
„Ja, da ist ein komplizierter Fall am Laufen. Bin ich froh, dass ich endlich zu Hause bin.“, Er gab seiner Frau einen Kuss auf die Wange.
„Ich habe übrigens die Einkäufe erledigt. Ich hab Seelachs gekauft. Den werd ich in einer Weißweinsoße machen.“, Sie erwiderte den Kuss.
„Wenigstens noch jemand im Haus, der was zustande bringt“.
Die beiden umarmten sich und küssten sich, diesmal richtig. Das Baby zwischen ihnen gluckste heiter.
“Wann gibt’s denn endlich was zu essen? Ich hab Hunger”, beklagte sich Markus. Der Opa stimmte dem zu.
“Früher war das Weihnachtsessen auf dem Tisch, wenn der Hausherr nach Hause gekommen ist.”
“Nur die Ruhe, ich mach mich gleich daran. Dauert nur eine Stunde. Hältst du mal Sophia?”, Sie gab Thomas das Baby.
Eine Stunde später saßen alle versammelt am Esszimmertisch und führten sich den Seelachs zu Gemüte.
Eigentlich schmeckte es allen. Nur der Opa war der Ansicht, dass man statt Weißwein ruhig Schnaps hätte nehmen können.
Danach kam das obligatorische Singen von Weihnachtsliedern, wobei Oma Schwartz aber striktes Singverbot hatte.
Die Bescherung war auch nichts besonderes. Das Baby kotzte auf ein bereits ausgepacktes Geschenk von Markus, der Christbaum fiel um, weil der Opa dagegen gefallen war, dabei ging die Hälfte des Weihnachtsschmucks zu Bruch. Dabei fanden allerdings alle außer der Oma, dass Opa Schwartz da gute Arbeit geleistet hatte.
Weihnachten eben.