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Schwanger
Montag
Positiv. Katrin konnte es nicht fassen. Sie starrte auf das blaue Plus, schloss die Augen für fünf Sekunden, vielleicht verschwand das unheilvolle Zeichen dann. Als sie ihre Augen wieder öffnete, war es immer noch da.
Sie konnte ihren Blick nicht vom uringetränkten Teststäbchen abwenden. Falls das, was sie dort ablas, stimmte, war sie schwanger. Dann kam ihr eine Idee. Sie langte in den Mülleimer, suchte ein bisschen rum und fand schließlich was sie haben wollte.
„Ergebnis nach nur 10 Minuten, nahezu 100% ige Sicherheit!“
Verzweifelt drückte sie ihren Kopf gegen die kühlen Kacheln der Badezimmerwand. Schwanger! Mit 15! Dabei waren die Anzeichen eigentlich klar gewesen. Die morgendliche Übelkeit, das Ausbleiben der Periode…
Ein lautes Pochen an der Tür ließ sie aus ihren Gedanken aufschrecken.
„Katrin! Wir wollen auch mal ins Bad, zufällig gibt’s nur eins im Haus, und das besetzt du gerade! Mach mal hinne!“
Nochmaliges Klopfen ertönte.
„Verdammt“, fluchte sie leise. Sie zog sich schnell an, spülte die Packung ins Klo, wusch sich kurz noch die Hände und schloss die Tür auf. Sie versuchte, sich an ihrer Schwester unauffällig vorbeizudrücken, was ihr auch gelang, da die sich nur darum kümmerte, möglichst schnell ins Bad zu kommen. Langsam ging sie in ihr Zimmer und überlegte, wie sie weitermachen könnte.
****
Nach der Schule vertraute sie sich Melanie an, ihrer Freundin, der sie auch sonst alles erzählte.
„Sag mal, bist du völlig verrückt geworden? Dir mit 15 ein Baby anzuschaffen?“
„Toll, dann kann ich auch sofort zu meiner Mutter gehen. Ich wollte dich eigentlich um Rat fragen, aber wenn’s das ist, was du zu sagen hast…“
Sofort wurde ihre Stimme weicher: „Aber sicher, sorry, das ich so reagiert hab. Aber ich meine, das ist schon der Hammer, oder?“
„Das weiß ich selber“, sagte Katrin bitter. „Aber was soll ich denn machen?“
„Abtreiben natürlich“, kam es prompt von Melanie. „Was willst du denn mit einem Baby in diesem Alter? Du hast ja noch nicht mal einen Schulabschluss!“
Abtreiben? Das war ihr auch schon in den Kopf gekommen, sie hatte es aber direkt wieder gestrichen, da ihre Mutter klar dagegen sein würde. Das sagte sie auch Melanie.
„Deine Mutter kann dir doch jetzt kein Kind zumuten! Du bist doch selber noch eins“, erwiderte sie energisch und wandte sich zum Gehen, zog Katrin dabei mit sich.
„Wohin denn?“
„Wir gehen jetzt zu deiner Ärztin und machen einen Termin aus, du musst wissen, in welchem Monat der Fötus gerade ist.“
Fötus. Wie unpersönlich das klang. Als sei ihr Kind einfach nur ein…Ding. Ihr Kind? So durfte sie gar nicht denken, das Baby würde ihr doch nur ihre Zukunft versauen; jetzt emotional werden, das hatte ihr gerade noch gefehlt!
Bei der Arztpraxis angekommen, holte sie sich einen Termin für den nächsten Tag und machte sich dann schnellstens auf den Weg nach Hause. Melanie hatte sie dazu überredet, ihrer Mutter jetzt schon alles zu beichten, sie hatte ihr auch angeboten, mitzukommen und „moralischen Beistand“ zu leisten, was Katrin dankbar, aber bestimmt abgelehnt hat. Jetzt, im dunklen Treppenhaus, verließ sie der Mut und sie bereute es, das sie Melanie nicht einfach mitgenommen hatte. Sie fand ihre Mutter in der Küche, sie kochte anscheinend gerade das Abendessen. Katrin legte ihr von hinten einen Arm um den Hals, worauf sich ihre Mutter umdrehte und ihr die Wange hinhielt, die Katrin weich küsste. Ihre Mutter lachte, und wieder einmal bewunderte Katrin sie. Trotz ihrer 45 Jahre sah sie immer noch wie 35, wenn nicht sogar 30, aus. Sie betrachtete einen Moment lang die vollen Lippen, die schönen grauen Augen mit den dichten Wimpern und die hohen Wangenknochen ihrer Mutter und beneidete diese um ihre Schönheit. Sie hatte leider nicht das Gesicht ihrer Mutter, also musste sie wohl ihrem Vater aus dem Gesicht geschnitten sein. Das rauszufinden war beinahe unmöglich, da ihre Mutter sogut wie nie über diesen „Dreckskerl“ sprach.
„Na, meine Süße, wie war dein Tag heute?“ , fragte ihre Mutter sie nun, wie jeden Tag. Und wie jeden Tag antwortete Katrin auch heute dasselbe.
„Eigentlich okay.“ Sie grinste, dieses Ritual hatten sie schon seit Jahren erhalten.
„Wo ist denn mein Schwesterherz?“
„Die übernachtet heute bei Christian.“ Christian war der Freund von Tamara, und Katrins Mutter hieß es normalerweise nicht gut, wenn Tammi, so wollte sie immer genannt werden, bei ihm übernachtete, aber heute schien anscheinend ihr guter Tag zu sein.
„Heute gibt’s Kartoffeln mit Spinat und Rahm. Na, hungrig?“
Da bemerkte Katrin erst ihren Hunger, doch beim Gedanken an Spinat drehte sich ihr der Magen um, sie konnte den Brechreiz nicht unterdrücken und lief ins Bad. Dort würgte sie, es kam jedoch nichts raus. Sie umklammerte die Klobrille so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Dann ließ sie sich langsam sinken, und presste, wie auch am Tag davor, ihre Stirn an die Wand und schloss die Augen. Sie hörte, wie ihre Mutter reinkam und sich neben sie hockte.
„Hey“, sagte sie leise, „was ist los, Schatz? Bist du krank?“ Sie legte ihre kühle Hand auf die verschwitzte Stirn ihrer Tochter. Die konnte nur kraftlos den Kopf schütteln.
„Ich bin schwanger.“
****
„Ich bin schwanger.“
Die Worte waren wie ein Schlag in die Magengrube. Wie konnte ihre Tochter bloß den gleichen Fehler machen wie sie damals? Sie schnappte hörbar nach Luft. Sie blickte zu ihrer Tochter runter, sah in das Gesicht, das dem ihres Vaters so ähnlich war und spürte eine heiße Welle der Liebe für das Kind, das sie 15 Jahre aufgezogen und 9 Monate im Leib getragen hatte. Sie half ihr vorsichtig auf die Beine und brachte sie ins Bett.
Dann ging sie runter ins Wohnzimmer und starrte eine Weile in die Luft. Bäche von Tränen stürzten lautlos über ihre Wangen. Dann stand sie auf, wusch sich das Gesicht und tätigte grimmig ein Paar Anrufe.
****
Dienstag
Morgens fühlte sich Katrin wie gerädert. Sämtliche Glieder schmerzten und grausame Kopfschmerzen peinigten sie. Sie warf einen Blick auf die Uhr und stürzte panisch aus dem Bett. Aus dem Bett, musste sie erstmal innehalten, denn sie schwankte gefährlich. Dann ging sie, auf ihre Schritte bedacht, ins Badezimmer und duschte hastig. Dann zog sie sich an und ging runter, wo sie auf ihre Mutter traf, gab ihr einen schnellen Kuss und wollte schon aus dem Haus rennen, denn sie war schon viel zu spät dran. Doch ihre Mutter hinderte sie am Gehen und hielt ihre Hand umklammert wie einen Schraubstock.
„Du musst heute nicht in die Schule“, sagte sie freundlich, jedoch mit einem eisigen Unterton in der Stimme. „Ich habe dir einen Termin beim Frauenarzt besorgt, und alles geregelt, damit du in den nächsten Monaten in ein Heim für…“, sie stockte, „für solche speziellen Fälle wie dir kommst.“
Ein Heim? Katrin sollte das Kind…austragen? Ihre Mutter muss wohl ihren verdutzten Ausdruck bemerkt haben, denn ihrem Gesicht schwand alle Freundlichkeit, und sie sagte hart: „Was denn sonst? Hast du eine andere Idee, Katrin?“
Sie nahm all ihren Mut zusammen und bereitete sich innerlich schon auf die Standpauke, die folgen würde, vor.
„Naja, vielleicht…ich kann das Baby ja abtreiben, Mama, guck mal – “, doch weiter kam sie nicht, denn da schlug ihr ihre Mutter schon ins Gesicht. Sie erstarrte, mit dieser heftigen Reaktion hatte sie nicht gerechnet. Sie sah ihre Mutter an, und die Tränen schossen ihr in die Augen; ihre Sicht verschwamm. Ihre Mutter achtete jedoch nicht auf sie, stattdessen begann sie im Zimmer auf und ab zu laufen. Dabei murmelte sie unverständliche Dinge vor sich hin.
„Mein Kind, eine Mörderin…abtreiben, sagt sie…abtreiben…“
Dann raffte sie sich zusammen und sagte betont gleichgültig zu ihrer Tochter: „Wir gehen erstmal zum Arzt, danach zu ProFamilia, wir müssen ja auch das Rechtliche klären.“
****
Sie war in der siebten Woche. Der Arzt, zu dem ihre Mutter sie gebracht hatte, war freundlich, doch sehr kühl und blieb bei der ganzen Sache eher formal.
„Wollen Sie das Kind behalten, Frau -“, er stockte und sah auf seine Unterlagen. „Frau Wendler?“
Bevor Katrin antworten konnte, empörte sich schon ihre Mutter laut.
„Natürlich will sie das! Nicht wahr, Katrin, Schatz?“
Unter dem stechenden Blick ihrer Mutter konnte sie nur schwach nicken. Als der Arzt die Frage wiederholte und ihrer Mutter demonstrativ den Rücken zukehrte, musste Katrin erstmal nachdenken.
Was wollte sie überhaupt? Wollte sie das Kind haben? Auch wenn sie es behalten würde, da wären ja noch die übrigen 8 Monate, Monate, in denen sie nach und nach immer dicker würde und damit die Blicke aller Leute auf sich ziehen würde. Sie rechnete aus; sie waren momentan im April, ihr Geburtstag war im Januar, also wäre sie 16, wenn das Kind auf die Welt kommen würde. Wäre sie mit 16 erwachsen genug, ein Kind großzuziehen? Oder würden sie ihr ihr Baby wegnehmen? Dann wäre Abtreiben ja immer noch die vernünftigste Lösung. Aber…, sie stockte und erinnerte sich an die neunte Klasse, in der sie einen Pro-Kontra-Aufsatz zum Thema „Abtreibung“ schreiben sollten. Sie hatte „Abtreiberinnen“ als Mörderinnen dargestellt und dies auch erfolgreich belegt. Für den Aufsatz hatte sie ein „sehr gut“ bekommen. Sie hatte nie daran gedacht, dass auch sie mal mit dieser Möglichkeit spielen sollte. Nein, es gab bestimmt auch andere Wege. Ihre Mutter, die ja sowieso auch ihre Erziehungsberechtigte war, würde ihr nie eine Abtreibung erlauben. Und sie konnte diese 8 Monate ja auch noch durchziehen, dann könnte sie ihr Kind zur Adoption freigeben und ihr Leben von „vorher“ weiterleben. Denn ihr Baby würde sie sowieso nicht alleine großziehen können, sie hatte mal gehört, dass junge Mütter, die noch nicht volljährig waren, einen Vormund für ihr Kind brauchten, und das wollte sie auf jeden Fall nicht.
Katrin sah in die Augen ihrer Mutter, die nun ungeduldig von ihr zum Arzt und wieder zurück huschten, sah die kalte Entschlossenheit in deren Gesicht, und sie wusste, im Prinzip war es ja schon entschlossen.
„Ja, ich will das Kind haben.“
Sie sah das freudige Flackern in den Augen ihrer Mutter und ließ sich von ihr umarmen. Nur noch 8 Monate, dann konnte sie wieder Katrin sein.
Geändert von Tamira Samir (19.08.2008 um 21:35 Uhr).