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Schwanenfleisch

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10.04.2013
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Schwanenfleisch

Die Messer sind gewetzt. Der Tisch ist gedeckt. Der Ofen ist geheizt, exakt 150° C. Die Meute schaut mit müdem Blick auf den gedeckten Tisch. Der Hunger nagt bereits, um mit ihm wächst auch die Erwartung in ihren Mägen. Jeder von ihnen aß nichts am Tag, aß nichts aus Vorfreude auf das festliche Mahl, ein alljährliches Ritus. Das große Heidrich-Familienfest.

Doch der Vater betritt mit trübem Blick gen Boden gerichtet die von Erwartung aufgehetzte Stube. Die Alten wissen sofort was es bedeutet und die Erwartung in ihren Mägen sackt in sich zusammen. Die Alten wissen, dass sie sich dieses Jahr nicht am Fleisch des saftigen toten Vogels gütlich tun können, denn Vater Heidrich betritt mit fleischlosen Händen das warme Haus. In der anderen Hand hält er den fertiggepackten, beiläufigen Kloßteig. Und während die Alten sich innerlich bereits in Tristes und Selbstmitleid üben, schauen der Junge und das Mädchen hinauf zum Vater. Es muss ein Spiel sein, hinter seinem Rücken wird er es verstecken oder vielleicht liegt er ja noch vor der Tür. Oder kann es sein, dass dieser egoistische Saftsack den leckeren Braten für sich behalten will? Liebt er sie denn nicht? Und mit dem letzten Hoffnungsschimmer fragen sie in kindlicher Naivität, voller Erwartung ihren Herrn Vater, „Wo ist die Gans?“. Ein Kopfschütteln.

Die alte Großmutter Wenzel. Mit ihren Pelzmantel und der Vielzahl von Ringen und Klunkern, gekürt von edelsten Katalog-Edelsteinen, gleicht sie stets einer Zigeunerfürstin. Aber sie war die Familienpatriarchin. So sah sie das und so war das dann auch. Frau Schwiegermutter. Während Schwiegersohn den Kloßteig auf die Küchentheke legt, hört er seine Frau Schwiegermutter zu seinem Herrn Sohn und Frau Tochter reden. Es sind alte Erzählungen aus einem Jahrhundert, in dem den Lausbuam die Pickelhauben noch in die Gebärmutter gelegt wurden, ja sogar gewaltvoll hineingepresst wurden. Und Frau Tante und Frau Gattin hören ebenfalls zu, vielsagende Blicke dabei austauschend. Ihr Krähenkrächzen durchbricht die stille Anspannung, die Vater Heidrich nun rückblickend wie die glückliche Friedenszeit vor einem verheerenden Weltenbrand erscheint. Und sie erzählt von den alten Tagen auf dem Hof ihres Vaters. „Früher da hatten wir eigene Gänse, die mein Vater, euer Urgroßvater selbst schlachtete.“ Und der kleine Werner, ach was war das doch für ein netter Bub, auch wenn er es faustig hinter den Ohren haben konnte, fragt seine Großmutter, „Wie hat er das gemacht?“. „Nun erst packte er das Geflügel am Hals, nahm es in die Luft und schleuderte es mit aller Kraft dreimal um seinen Kopf herum“. „Und was bringt das?“. Die Großmutter belächelt die dumme Frage ihres Enkels, der ihr nun doch leicht zurückgeblieben erscheint. Kein Wunder, bei dem Vater. „Das bricht ihnen das Genick und sie sind tot. Ich habe sie dann mit meiner Mutter, eurer Urgroßmutter, gerupft und dann gab es ein Festmahl bei dem die ganze Familie satt wurde.“.
Frau Heidrich geht in die Küche und noch ehe sie diese betreten kann, lässt Vater Heidrich das Messer wieder in den Messerblock gleiten. „Ich will nicht, dass sie den Kindern solche Geschichten erzählt!“ faucht er sie an. „Ach du kennst sie doch. Außerdem wissen die Kinder doch, dass ihr Essen nicht auf den Bäumen wächst.“. „Sie will sie doch nur gegen mich aufhetzen. Ihnen sagen, dass sie einen richtigen Mann als Vater hatte, während ich unfähig bin meine Familie zu ernähren!“. „Nein, so ist sie doch nicht.“. Nein, denn keine Schwiegermutter ist ja so. „Nein, deine Mutter ist natürlich nicht so, nicht deine Frau Mama, Nein, sie doch nicht!“. Es ist ein vortreffliches Theaterspiel, doch Frau Heidrich gefällt es anscheinend ihre Rolle nicht. „Könntest du mal etwas leiser sein, die können dich hören.“. Vater Heidrich geht hinaus, festentschlossen, einem Ritter aus alten Heldenliedern gleich, den Drachen entgegen zu treten. Doch er dreht ab. Er war kein Held und das wussten sie. Er zieht sich seine Schuhe an und geht hinaus. Die Tür knallt laut, theatralisch und endgültig ins Schloss.

Es war ein kalter und klarer Herbsttag. Das Laub war bunt und der Himmel blau. Nur wenige ungefährlich erscheinende Wolken hingen dort oben und erfreuten sich spielend im Wind. Nur sie waren da oben und er war da unten. Er ging die Hauptstraße des Dorfes hinunter. Kein Auto wird ihm auf seiner 25-minütigen Odyssee kreuzen. Sein Weg führte ihn an der alten Dorfkirche vorbei und den Gräbern des umliegenden Friedhofs. Seine Schuhe durchstoßen das goldbraune Herbstlaub. Er ging vorbei am Gemeindehaus und an der Feuerwache, raschen Schrittes den kleinen Bach entlang, der ebenso rasch in den großen See des Dorfes mündete. Hier, so es erschien es Vater Heidrich war die Welt wieder in Ordnung. Die Herbstsonne glitzerte über der Wasseroberfläche und das Schilf wankte im lauen Luftzug. Doch dann wurde dieses wunderbar idyllische Gemäldemotiv des in der Herbstsonne glänzenden Sees vor seinen Augen durch ein Wunder gekrönt, wie er es sich nie hätte vorstellen können.

Ein Schwan kam herbei geflogen, seine Schwingen beherrschten die Luft und die ganze Landschaft schien sich vor seiner königlichen Erhabenheit zu verneigen. Er schien einer dieser alten Schwanenfürsten zu sein, die man aus alten Liedern kannte, aus Liedern voller Rittern und Drachen. Warum nicht? Was sprach dagegen, dass es sich hierbei um eine Prinzessin aus alten Zeiten handelte, die von bösen Hexen und Zauberern in ein Tier verwandelt wurde. Ja, es musste sogar so sein, eine andere Möglichkeit lies der gesunde Menschenverstand nicht mehr zu. Der Schwan landete auf den See und das Wasser spritzte auf, tanzte Ballett in der kalten Herbstluft. Das umliegende Wasser, dem es vergönnt war in der Luft zu tanzen, da sie dem Schwan nicht würdig genug erschienen, schwankten bedächtig in großen Kreisen mit und stimmten der Lobeshymne mit ein. Er war groß und weiß und von majestätischer Gestalt. Er war so weiß, dass er Vater Heidrich schon die Augen blendete.

Selbstverständlich und automatisiert ging er auf die Knie und näherte sich behutsam dem wässrigen Königreich des Schwans, der noch einige Runden in seinem See schwamm und dabei glich, als wäre er ein Kaiser, der seit Jahrzehnten aus einem fernen Exil zurückkehrte und nun die alten Schlösser seines Königsgeschlechts inspizierte. Nun würde alles besser werden, denn er ist wieder da und mit ihm die alte Ordnung. Die Zeiten von der die Alten berichteten, in denen der Himmel blauer und das Gras grüner war, würden zurückkommen. Die Familie würde ihn lieben. Väter würden wieder geachtet und geehrt werden. Der Schwan entdeckte seinen knienden Untertan am Seeufer und mit erhabenen Schwimmzügen näherte er sich dem Verzweifelten. Vater Heidrich streckte seine Hand aus. Er wusste nicht, wieso er das tat und er konnte es auch später in seinen Erzählungen nie erklären. Für ihn schien es in diesem Moment einfach nur die natürlichste und angebrachteste Haltung zu sein. Er wollte einfach seinen Schwanenfürsten begrüßen. Der Schwan streckte seinen Hals und biss Vater Heidrich in den rechten Zeigefinger. Er zuckte nicht zurück und lies ihn trinken. Der Schwan trank schließlich drei Tropen seines bürgerlichen Blutes und somit wurde er, Vater Heidrich, geadelt.
Mit schnellem Griff packt er das Tier am Hals. Seine Flügel schlagen aufgeregt und werfen das Wasser auf. Der vorher so ruhige Teich wird wild und aufbrausend. Er wandelt sich zu einem Ort, in dem der Schwan um sein nacktes Überleben bangen muss. Von seinem Aufschrecken werden Schuhe und Hosenbeine des Vaters nass, doch das hält nicht auf. Er hebt den Vogel aus dem Wasser und schleudert das große Tier dreimal über seinen Kopf, sein Handgelenk starr haltend. Flieh- und Zentrifugalkräfte drücken den Leib des Schwans nach Außen, während in seinem Innern Halswirbel zerbrechen und seine Luftröhre vom festen Griff des Vaters zerdrückt wird. Angst ist das letzte, was die einst so majestätische Gestalt verspürt. Der Schmerz ist nur von kurzer Dauer. Vater Heidrich lässt den Schwan zu Boden gleiten. Blut läuft aus seinen Augen. Der Fürst ist tot.

Vater Heidrich öffnet die Tür und Großmutter, Frau und Tante schauen mit großen Augen erst ihn, dann den schlaff hängenden Schwan an. Die beiden Kinder stürmen die Treppe hinunter und Werner bricht in im Flur lauthallenden Jubel aus, während er seinen Vater umtanzt. Großmutter Wenzel und Tante rupfen das Vieh kahl und Ehefrau Heidrich beklagt sich, dass sie überhaupt nicht wisse, wie sie einen so großen Vogel zubereiten soll… ja, dass sie ja überhaupt noch nie einen Schwan gekocht hatte. Doch Vater Heidrich setzt sich auf die Bank, schenkt Bier in seinen steinernen Bierkrug, der von einem verzierten Zinndeckel gekrönt wird und ruht. Und all das Geschnatter und Gekrächze ist vergessen. Denn obwohl es der erste Schwanenbraten war, den Ehefrau Heidrich in ihren Leben zubereitet hatte, war es das köstlichste Mal, dass es je bei einem Heidrich-Familienfest gab und je geben wird.

Nur die Tochter, sie mochte nichts so richtig essen. War es der späte Abend, der sie quengeln lies oder die Tatsache, dass sie zuvor Kuchen essen durfte, soviel sie mochte und an dem sie sich den Magen verdarb? Oder war es gar Mitleid mit dem armen Schwan, den sie so oft in Märchen bewunderte? Wir wissen es nicht und werden es auch nie wissen, was in ihrem lockigen Köpfchen an diesem Abend vorging. Alles was wir wissen ist, dass im Dorf nie wieder ein Schwan gesehen wurde.

 

Hallo florefly,
herzlich Willkommen bei kg.de.
Interessant, was du da geschrieben hast, ich hab es genau verfolgt. Und auch wenn ich finde, dass da noch einige Haken und Ösen in deiner Geschichte klemmen, so fand ich es wie gesagt, doch interessant und hab es gern gelesen.
Eine Mischung aus Kurzgeschichte und Märchen?
Wie der Vater es geschafft hat, sich mithilfe eines Schwanenfürsten gegen Großmutter Wenzel durchzusetzen. Den gesellschaftlichen Bezug habe ich allerdings etwas gesucht. Hast du die Geschichte wegen des Vaters hier eingestellt? Für mich hätte der Text auch gut in Märchen passen können, denn wenn ich auch manchmal dachte, das sei eine Erzählung, die im Zweiten Weltkrieg spielt, so wirkt sie dennoch merkwürdig zeitlos auf mich.
Besonders gut gefiel mir die Stelle, als der Schwan den Vater mal kurz und kräftig in den Finger zwackt. Überhaupt die Szene zwischen Vater und Schwan.
Stilistisch gesehen solltest du allerdings deinen Text noch einmal gründlich durchgehen. Denn du bemühst dich sehr darum, sprachlich besonders schöne und ausdrucksstarke Formulierungen zu verwenden. Leider hast du es dabei manchmal übertreiben. Und zwar ganz besonders am Anfang, als hättest du dich da erst warm geschreiben. Das klingt dann zu gewollt. Und es gibt sogar einige Stellen, wo du die Wörter richtig falsch verwendet hast.
Ich schreib dir einfach mal ein, zwei Beispiele, damit du weißt, was ich meine.

Die Messer sind gewetzt. Der Tisch ist gedeckt. Der Ofen ist geheizt, exakt 150° C. Und der Speichel der Meute läuft zu einem aufschäumenden Meer zusammen.
Die ersten knappen Sätze finde ich gut. Aber dann der Speichelsatz. Der ist mir zu viel. Da bleib ich hängen und seh sofort dieses Zimmer, das sich mit einem Spuckemeer anfüllt. Das wirkt eher belustigend, also ziemlich kontraproduktiv. Das würde ich nicht übertreiben.

Doch der Vater betritt mit trübem Blick gen Boden gerichtet die von Wärme und Erwartung aufgehetzte Stube.
aufgeheizte Stube

Die Alten wissen was es bedeutet und die Erwartung in ihren Herzen verwelkt, wie die glücklosen Orchideen der Mutter, verdammt bis zur Erlösung ihres von Leidgepeitschten Lebens auf dem dauernd gewärmten Fensterbänken zu schmachten und zu zusehen wie die Meute sich an den Fleisch toten Getiers gütlich tut.
Puh, da ist aber der Schreibgaul mächtig mit dir durchgegangen.
Dass die Erwartung in den Herzen verwelkt. Hmmm, das ist ein häufig verwendetes Sprachbild. Such lieber deine eigenen oder seltenere.
Und dann der Rest. Der Vergleich mit den Orchideen wirkt seltsam, was soll das für eine Stube sein, in der die Leute auf einen Gänsebraten warten und dann blühen da Orchideen? Wann und wo spielt das? Und was haben vertrockenende Orchideen mit dem leidgepeitschten Leben zu tun? Diese ganze Zusammenstellung solltest du entzerren, wieder auf den Boden bringen und normaler machen. Und wieso sollten ausgerechnet Orchideen sich daran stören, wenn Leute Gänsebraten fressen?
So klingt das, auch wenn du das bestimmt nicht gerne hörst, unfreiwillig komisch.

So viel erst mal. Auch wenn ich gemeckert hab, ich habs gern gelesen. Wenn du magst und überarbeien willst, kriegst du auch gern noch mehr Sprachkritik.
Liebe Grüße und viel Spaß hier wünscht dir Novak

 

Hallo Novak :)
Erstmal vielen Dank für deinen Willkommensgruß und für deine konstruktive Kritik und ehrliche Meinung.
Es freut mich sehr, dass dir meine Kurzgeschichte inhaltlich gefallen hat. Vorallem, dass du meinen Höhepunkt hervorgehoben hast, hat mich gefreut... dann hab ich es ja doch nicht sooo falsch gemacht.
Doch auch über deine Sprachenanalyse hab ich mich gefreut (denn ich brauchte auch mal ehrliche, kritische Stimmen). Und ich verstehe, was du meinst, den Anfang hätte ich wohl wirklich etwas schlichter gestalten sollen (Dann wäre wohl auch der gewollte Kontrast Realität-Märchen deutlicher). Da ging es wohl mit mir durch ^^
Ich werde versuchen die sprachlichen Schwächen in zukünftigen Kurzgeschichten zu verbessern, vielen Dank nochmal :)

 

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