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Schwan im Kochtopf

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01.10.2002
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Schwan im Kochtopf

„Schaut mal, bei der möchte ich auch gern an der Brust liegen." Pit lief voraus und ließ sich übermütig in den eisigen Schoß von Maria fallen und taute dem Jesuskind die Ärmchen an.
„Vorsichtig, komm da wieder runter", ermahnten ihn die anderen glucksend, aber Pit war schon weitergestürmt, in das nächtliche Flockentreiben, das die Schneeskulpturen überpuderte. Wie Grabfiguren leuchteten sie im Dunkeln, flüchtiger Marmor, ein Funkeln und Glitzern in der Luft. Im Kampf erstarrte Reiter mit Eisspeeren, Schwäne und Meerjungfrauen, die ihre Fischschwänze lasziv umeinander schlangen.

Pit hatte Lust, in das offene Maul eines Wals einen Schneeball zu werfen.
Stattdessen entkorkte er die mitgebrachte Sektflasche, die er unter seinem Mantel versteckt hatte.
„Lasst uns einen trinken!" Pit bedauerte, dass Janine diesem historischen Moment nicht beiwohnte, aber sie musste das Gulasch für die Eröffnungsfeier ansetzen. Kronbachs erster Snowcontest! Es gab sogar einen Fünfzigkubikmeterschneeblock, der einzige, der professionellen Maßstäben genügte. An ihm würde sich das aus den USA eingeladene Carver-Team austoben.
Noch war er verschalt. Der Bagger musste noch ein paar Schaufelladungen Schnee einfüllen, dann konnte der Kran die Holzeinrüstung hochheben.

Pit kletterte aus Spaß die Leiter hoch, um ins Innere des Kubus zu schauen. An ihrem oberen Ende schwankte die Leiter gefährlich, aber vielleicht war Pit nur zu betrunken. Nachmittags hatte das Gelächter der Mädels die Motorengeräusche fast übertönt, als sie den Schnee mit ihren Stiefeln fest traten. Wie Winzerinnen im Weintraubenfass hatten sie den Schnee zusammengepresst. Perfektes Material, aus dem die Motorsägen der Amerikaner den Höhepunkt des Wettbewerbs schälen würden, - dabei konnten sich die Figuren der Dörfler durchaus sehen lassen.

„Weiß einer von euch, wo Jörg ist?", fragte Pit die weißen, lachenden Gesichter unter sich. Er sollte heut Abend in der Küche helfen." Mit Grausen dachte Pit an die gefrorenen Brötchenhälften, tausend Stück, die schon mit Butter bestrichen in der Kühlkammer warteten. Allein brauchte er Stunden, um sie mit Käse und Wurst und etwas Salat zu belegen. Das Frühstücksbuffet, über das nicht nur die Schneekünstler herfallen würden.

„Auf Jörg ist einfach kein Verlass", murmelte jemand. „Der treibt sich irgendwo rum." Pit ahnte, dass Jörg irgendwann nachts besoffen in der Küche auftauchte, zu nichts zu gebrauchen.
„Vielleicht hat er sich schlafen gelegt, oben im weichen Schnee", blödelte einer und trat gegen die Holzplanken. Pit fragte sich nicht zum ersten Mal, ob Jörg etwas zurückgeblieben war. Er hing den ganzen Tag in der Küche rum, stand im Weg und starrte den Küchenhilfen unter die Schürzen. Der kleinen Tanja sollte er im Gefrierraum sogar unter den Rock gegriffen haben.

„Schau doch mal nach!", kam es grölend von unten. Pit hatte keine Lust die wacklige Leiter noch weiterhochzusteigen, aber er wollte sich nicht blamieren.
Ein wenig gruselte es ihn, als er sich über die Brüstung beugte, doch die Schneeschicht im dämmrigen Geviert schien unberührt. Auch in den Schattenzonen gab es keine verdächtigen Erhebungen.

„Da ist nichts!" rief Pit erleichtert. Es sei denn, Jörg läge etwas tiefer. Die Amerikaner würden staunen, wenn sie Morgen mit ihren Motorsägen in etwas Weiches stießen und sich der Schnee färbte. Pit dachte an die Kids aus dem Kindergarten, die am Nachmittag ihre Schneemänner beschossen hatten, Lebensmittelfarbe in den Wasserpistolen.

Der Junge kommt wieder, beruhigte sich Pit und folgte seinen Kumpels schweigend zum Restaurant.
„Dann frohes Schaffen", verabschiedeten sie sich, nicht ohne schadenfroh zu erwähnen, wo sie weiter saufen würden. Aber in der Küche ging es auch lustig zu, stellte Pit erstaunt fest. Die Mädels hatten eine Kochwanne mit Glühwein gefüllt und lungerten kichernd auf den Stahltischen, eine Dose Kekse neben sich.
„Willst du auch einen?", bot Janine ihm eins der unförmigen Dinger an. Pit war sich nicht sicher, ob sie ihn heimlich auslachte, hatte er doch beim Eintreffen den Eindruck, dass eifrig über Jörg gelästert wurde. Aber immerhin hatten sie den Gulasch und das Rotkraut schon angesetzt.

„Wisst ihr was, der Jörg fehlt noch, eine halbe Stunde Pause für alle!", bot Pit den erstaunten Mädchen großzügig an. Sie füllten noch schnell ihre Glühweinbecher und torkelten plappernd in den Schankraum.
Endlich Ruhe! Pit gönnte sich den Rest aus der Kochwanne und zündete sich eine Zigarette an. Für Momente dachte er an den Schneeblock, draußen auf der nächtlichen Wiese. Wenn Jörg nun wirklich im Eis steckte, eingeschlafen, begraben unter einer kalten, schweren Decke? Es hatte in den letzten Stunden ganz schön geschneit. Pit überlegte, ob er die Polizei anrufen sollte. Mit Hunden würden sie draußen suchen. Aber wie würden sie Jörg unter den Schneemassen bergen? Mit Schaufeln? Pit sah die Uniformierten mit Riesenfönen den Schneekoloss schmelzen.

„Na, hat der spacecake auch bei dir gewirkt?", überraschte Janine ihren Chef in einem Kicheranfall.
„Machst du uns noch einen Glühwein?" , bettelte sie charmant.
„Ich bring ihn euch rein", versprach Pit und kippte Süßstoff und Wein zusammen. Bildete er sich ein, dass Janine leicht verstört wirkte? Er öffnete den Kühlschrank, um sich ein Bier rauszuholen. Drinnen war es dunkel. Scheiße, ärgerte sich Pit. Alles lauwarm. Hat wieder ein Döspaddel den Stecker rausgezogen, um das Radio anzuschließen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass das alte Ding leise vor sich hin brummte. Er schaute ins Tiefkühlfach.

Was ist denn das für ein komischer Nachtisch?, wunderte sich Pit und zog ein vollgepacktes Tablett heraus. Er lachte auf. Da hatte jemand tatsächlich eine Ladung Schneebälle eingefroren! Allerdings keine ordinären Allerweltsexemplare, sondern kunstvolle Miniaturausgaben der Schneeskulpturen auf der Wiese. Pit erkannte den Schwan, der seine Flügel zum Angriff ausbreitete, was Pit draußen nicht aufgefallen war. Da waren der Wal und andere Tiere, maßstabsgerechte Modelle, leicht angetaut, die jemand mit viel Geschick und Miniaturwerkzeugen ausgearbeitet haben musste, mit Nagelfeile und Zahnhölzern. Wem gehörten sie? Den Künstlern, die hier übernachteten? Vielleicht hatten sie die Mädels überredet, die Modelle aufzubewahren? Aber würde ein professioneller Bildhauer kitschige Riesenkatzen und glubschäugige Elefanten anfertigen? Das war doch eher Jungmädchengeschmack, wie die Katzenpostkarten, die überall in der Küche rumflogen. Pit erinnerte sich, dass Janine mit ihrem kleinen Bruder eine Schneeplastik gebaut hatte. Voller Stolz hatte sie den anderen Mädels davon erzählt. Pit nahm den Schwan in die Hand. Unter seiner milchigen Oberfläche schimmerte etwas Dunkles. Pit setzte das Tier in eine Schöpfkelle und hielt es in den aufkochenden Wein. Bald schwamm ein Miniatureiffelturm in der Schneesuppe. Ein Kaugummiautomaten-Souvenir. Neugierig nahm Pit die restlichen Figuren, verteilte sie in Töpfe und Auflaufformen, aber den glatten Schneewürfel setzte er in die Glaskanne der Kaffeemaschine.

„Sag mal spinnst du?", empörte sich Janine, als sie in der Küche auftauchte. „Das sollten Überraschungen sein."
„Vielleicht eine Reise nach Paris, ma cherie?"
Pit legte alle Fundstücke auf den Tisch, nur der Würfel blieb ohne Geheimnis.
„Der ist für Tanja", sagte Janine leise. „Es war nicht unsere Schuld, dass Jörg die Leiter hinuntergerutscht ist und statt auf Tanja auf die Schaufel vom Bagger knallte."

 

Hallo petdays,

Du hast in Deiner Geschichte eine schöne Momentaufnahme geliefert, die ich mir sehr plastisch vorstellen konnte.
Bei uns liegt zwar zur Zeit kein Schnee, aber dieses Jahr hab ich schon genug „tiefen Winter“ gesehen, so dass ich mir die von Dir beschriebene Szenerie sehr gut vorstellen kann.

Ein bisschen miträtseln lässt Du den Leser auch in dieser Geschichte. :D Wobei für mich beim Lesen die treffenden und bildhaften Beschreibungen eher im Vordergrund gestanden haben als der vermisste Jörg.

Sprachlich fand ich die Geschichte „rund“, weitgehend perfekt. :)

Nur zwei Anmerkungen:

Mal Pit, mal Piet (2. Absatz) ... ist das derselbe oder gibt es tatsächlich einen Pit und einen Piet ? :D

" „Da ist nichts!“ rief Pit erleichtert."
>>> „...nichts!“, rief...

Hab die Geschichte gern gelesen. :)

Viele Grüße

Christian

 

Hallo Petra!

Im Grunde genommen kann ich zu dieser Geschichte das gleiche schreiben, das ich zu "Ersatzkanüle" geschrieben habe:

Die Geschichte war sehr unterhaltsam und, wie von dir gewohnt, äußerst lebendig geschrieben und alles wirkte gut vorstellbar. Trotzdem muss ich zugeben, dass ich sie nicht ganz verstanden habe und mir ihr Inhalt noch ein wenig rätselhaft ist.

Dass es eine Weile gedauert hat, bis ich mich in den Text hineingefunden habe, störte mich nicht. Aber das Ende und auch den Titel kapier' ich leider nicht ganz und ich sehe keine Verbindung zwischen den Miniaturausgaben der Schneeskulpturen und Jörgs Verschwinden.

Vielleicht kannst du mir ein wenig auf die Sprünge helfen?

Eine Anmerkung noch:
Zitat: "Schoss" – Schoß

Viele Grüße,

Michael :)

 
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Hallo Criss, hallo Michael,

Danke für Eure Kritik und eure Verbesserungsvorschläge, sind schon eingearbeitet. ;)

@ Criss

Sprachlich fand ich die Geschichte „rund“, weitgehend perfekt.
Danke. ;) Aber inhaltlich gibt´s wohl noch einiges zu tun...

@Michael
Mit dem Eindruck des "Rätselhaften" hast du Recht, an einigen Stellen hakt es, nur weiss ich nicht, wie ich sie verbessern kann.

Zur Story. Vielleicht wird sie etwas klarer, wenn ich sie noch mal kurz zusammenfasse:

Pit und seine Kumpels gehen nachts über die Schneeskulpturenwiese. Jörg wird vermisst. Einer der Kumpels meint im Scherz, dass Jörg "oben im Schnee" schläft und Pit klettert daraufhin aus Spaß die Leiter zu dem noch unfertigen Schneekubus hoch, aus dem später der amerikanische Beitrag gesägt wird. Pit kann nichts Verdächtiges erkennen. Für Momente denkt er, dass Jörg vielleicht unter ihm im Schneekubus steckt (> was der Wahrheit sehr nahe kommt).

Pit geht zur Arbeit (Restaurantküche). Er gibt den Küchenhilfen eine halbe Stunde frei, weil Jörg noch nicht eingetroffen ist. Er will ein Bier aus dem Kühlschrank holen, bemerkt dabei, dass ein Tablett mit Schneefiguren im Tiefkühlfach steht, Modelle für die großen Skulpturen draußen. In den angetauten Minis erkennt er, dass in ihnen Dinge stecken. Er taut daraufhin alle auf.

Lösung:
Die Küchenhilfen haben draußen auch Skulpturen gebaut und in den großen ebenfalls Dinge versteckt. Der Eifelturm ist eine Überraschung für eine Küchenkollegin, vielleicht ist in dem großen Original ein Reiseköfferchen mit Reisegutschein versteckt.

Der kleine Schneewürfel symbolisiert den großen, noch eingerüsteten Schneekoloss. Auch der ist nicht ohne Überraschung (> der tote Jörg), was Pit vorher schon geahnt hatte, bestätigt sich.

Die Mädels haben Jörg aber nicht umgebracht, sondern er hat seinen Unfall selbst verschuldet. Er ist die Leiter in die Holzverschalung nicht hinabgestiegen, sondern hinuntergerutscht, weil er Tanja (> wie schon öfters) belästigen wollte. Dabei ist er aber auf die Schaufel des Baggers geknallt, der ja den Schnee in die Verschalung kippte.

Ich muss zugeben, in der Geschichte selbst sind mir die Zusammenhänge "verrutscht".

Überschrift. Sie sollte doppeldeutig klingen. Die Geschichte spielt in einer Restaurantküche, wo später tatsächlich ein Schwan im Kochtopf landet, wenn auch nicht ein echter.

Liebe Grüsse Petra

 

Ich muss zugeben, in der Geschichte selbst sind mir die Zusammenhänge "verrutscht".
Ein wenig. :)
Beim ersten Lesen hab ich nicht alles kapiert, beim zweiten Überfliegen war's mir zum größten Teil klar.

 

Hallo Petra!

Durchsichtiger ist mir die Geschichte mittlerweile, aber ohne deine Erklärungen wären mir die Zusammenhänge wohl weiterhin unklar gewesen und ich muss sagen, ein wenig verworren ist die Geschichte schon, wie ich finde.
Allerdings fällt mir auch nichts ein, wie man das Ganze verständlicher beim Leser rüberbringen könnte.

Am besten, du wartest mal ab, was noch weitere Leser zur Geschichte sagen. Christian hat's ja auch eher kapiert als ich.

Viele Grüße,

Michael :)

 

Hallo ihr beiden!

Es ist wirklich eine Frage, wieviel an "Rätselhaftigkeit" man dem Leser zumuten kann. Wenn er beim zweiten Lesen die Geschichte versteht - wie criss - finde ich es noch ok.
Schöner wäre es allerdings, den Text so durchzukonstruieren, dass nicht alles zu offensichtlich, aber doch im ersten Anlauf nachvollziehbar und verständlich wäre.
Da gibt´s noch einiges zu tun...;)

Schönen Samstagabend noch! Pe

 

Schöner wäre es allerdings, den Text so durchzukonstruieren, dass nicht alles zu offensichtlich, aber doch im ersten Anlauf nachvollziehbar und verständlich wäre.
Das ist wohl des Pudels Kern. :D

Aber wir sind ja alle hier, um zu lernen und zu probieren, gelle?

Schönen Samstagabend allerseits! :)

Christian

 

Hallo Criss,

ein bißchen lag es wohl daran, dass ich die story zu schnell runtergeschrieben haben. Bei meiner neuesten habe ich die outline vorher Wochen lang genau durchkonstruiert...

lg Petra

 

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