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Schwammkopf
Sie hält die Luft an. Draußen klirrt es. Mit weinaufgerissenen Augen steht sie am Fenster und starrt in die Ferne. Das Glas liegt auf dem Boden und hat ein Viertel verloren. So weit hätte es nicht kommen dürfen. Sie merkt noch, wie es aus ihrer Hand gerutscht ist, das Glas und ihre Freundschaft. Wie konnte sie so naiv sein und glauben, dass das, was sie tagelang beschäftigt hat auch wirklich in der Welt Existenz findet. Auf dem Platz vor ihrem Fenster spielen zwei Kinder miteinander, sie jagen sich gegenseitig und lachen dabei. Lacht ihr nur, denkt sie, bis eins von euch hinfällt. Sie schaudert über sich selbst, eigentlich ist sie doch nur neidisch auf die da draußen. Neidisch, dass die noch nicht gefangen sind in ihren Gedanken. Sie fokussiert die Spiegelung in der Scheibe. Ihre Wimpern sind ganz gerade, dicht und schwarz, manchmal wünscht sie sich, sie hätten mehr Schwung. Aber sie ist schön, schöner als der Durchschnitt, das vergisst sie meistens, bis sie sich wieder im Spiegel ansieht. Das tut jetzt aber nichts zur Sache. Sie weiß, dass das Ganze gerade sehr lächerlich ist. Sich alleine zu betrinken, rumzustarren wie eine Irre und melancholisch in ihren Kopf zu versickern, darüber wird nur in Büchern geschrieben, keiner macht das in Echt und wenn, dann nur um nachzuspielen, was man in Büchern gelesen hat. Ein bisschen dramatisch sein, das ist albern. Sie windet sich aus ihrer Starre, indem sie sich zu dem Glas wendet, das sich auf den steinglatten, weißglasierten Fließen verteilt hat. Die weinfarbenen Spritzer erinnern sie an die Himbeermarmelade, die sie gestern in ihren Jogurt gerührt hatte. Es ist eklig, ein bisschen was ist bis vor zur Spülmaschine gespritzt, wo es jetzt Brotkrumen einfängt und sie zu kleinen roten Schwämmchen aufschwämmen lässt. Nebendran die Glassplitter, die funkeln und glitzern wie kleine Glassplitter.
Was machst du da?
Äh ich dachte, dass du das auch willst.
Hä wie kommst du darauf?
In ihrem Kopf war es ganz klar gewesen, eindeutig, mehr Anspielungen hätte sie nicht machen können. Wie kann man so aneinander vorbeidenken. Ihr gottverdammter Kopf ist Schuld, er hatte ihr eingeredet, dass da mehr ist, dass sie es auch will. Und jetzt steht sie hier lächerlich vor der Fensterscheibe und starrt runter auf den Boden. Sie waren danach aufgestanden und hatten gefrühstückt. Sie hatten beide versucht, es zu überspielen: sie, indem sie die Marmelade ganz gründlich in den Jogurt gerührt hat und sie, indem sie immer wieder neuen Zimtzucker auf den Milchschaum gekippt hat, bis sie ihn komplett weggelöffelt hatte, der Rest des Kaffees blieb stehen und wurde kalt und lasch. Manchmal hat sie das Gefühl, ihr Gehirn hängt sich an einem Gedanken auf und saugt sich so voll damit, dass es kein Platz mehr für andere Wahrnehmungen gibt. Es betrinkt sich wie die kleinen Brotkrumen und schaut sich dann in den Glassplittern an. Die können auch nichts dafür, dass der Wein sie überflutet, es liegt nunmal in ihrer Natur alles aufzusaugen bis sie voll sind und dann im Überflüssigen zu ertrinken. Aber kann nicht irgendjemand mal den ganzen Scheiß auswringen? Damit es endlich wieder leichter wird, leichter zu sehen, was tatsächlich ist und was nur eingebildet. Sie presst die Luft aus ihrer Lunge und beugt sich runter. Sie sammelt das Glas ein und die großen Scherben steckt sie in den übrig gebliebenen Kelch. Sie greift nach dem Lumpen auf der Spüle und wischt über die Flecken bis es wieder nur eine weiße Masse gibt. Der Lumpen hat jetzt alles eingesammelt: Wein, Glas, Brot. Sie schaut ihn an, er riecht säuerlich, aber wegschmeißen will sie ihn noch nicht, hat ihn ja letzten Dienstag erst gekauft. Sie hält ihn unter das Wasser und schaut zu wie der ganze Schmodder den Abfluss runtergurgelt - sie muss lächeln, so hat sie das noch nie gesehen.