Schwärze
Es war Abend geworden. Es hing noch etwas Sonne am Himmel, viel war es nicht mehr. Nachdem sie die Ketten der Arbeit endlich
abgeworfen hat, ging sie nicht nach Hause. Wozu auch. Dort wartete nichts,
dem sie Wert zuschrieb. Nutzlose Staubfänger brauchte sie nicht - nicht jetzt. Wie sie nichts und niemanden brauchte. Nichts und niemand brauchen wollte. Sie lief los, wohin wusste sie nicht. Auch das war nicht wichtig. So schlenderte sie in ihren Gedanken verloren die Straßen entlang. Unterwegs streifte sie einen Spätverkauf, griff nach der billigsten Flasche Wodka aus dem tiefsten Regal, bezahlte und ging weiter. Nicht mehr lange dauerte es, sie wurde müde und beschloss, sich auf die in näherkommende Parkbank zu setzen.
Nun sitzt sie da. Es ist inzwischen dunkel geworden, die Straßen werden nur noch von Reklame und Laterne erleuchtet. Sie greift in ihre Tasche, stellt die Flasche neben sich. Sie greift erneut in die Tasche und zieht einen Lederbeutel hinaus. Sie öffnet den Beutel, steckt einen Wattefilter zwischen ihre Lippen. Darauf folgt ihr ein dünnes Blättchen in die Hand, welches sie mit Tabak und Filter füllt. Routinemäßig, einer Maschine gleich, dreht sie ihre Zigarette. Es dauert einen kurzen Moment, sie denkt an etwas, nur flüchtig. Dann steckt sie die Gedrehte an und nimmt den ersten, tiefen, erlösenden Zug. Sie muss morgen arbeiten, es interessiert sie nicht. Jetzt, rauchend, öffnet sie den gekauften Schnaps. Es ist ihr Flaschengeist, der ihr den Wunsch erfüllt, sie von ihrem Leid zu erlösen. Kurz schließt sie die Augen, spricht sich selbst zu: Auf jedes Ende folgt ein neuer Anfang. Sie sagt diesen Satz oft, doch sie glaubt schon lange nicht mehr daran. Es vergeht eine Stunde, die Kippen zu ihren Füßen häufen sich, der Inhalt der Flasche schwindet. Es bleibt ein Drittel im Glas, sie hat genug. Schwankend kämpft sie sich in Richtung Wohnung. Es fällt ihr schwer zu gehen, sie ist betrunken. Aber sie ist zufrieden. Sie ist abgelenkt von ihren Gedanken, die sie nüchternen Geistes quälend heimsuchen. Sie kommt an, steht vor der Tür. Der Schlüssel öffnet das Schloss, sie betritt ihr vermülltes Zimmer und fällt ins Bett, schläft sofort ein. Sie trägt noch ihre Stiefel. Sie wird morgen früh vom Schrei des Weckers in den neuen Tag zurückgezogen werden. Sie wird duschen und noch bevor sie sich anzieht, wird sie wieder schwarz tragen.