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Schutzengel
Jeder Mensch hat einen Schutzengel, dessen Aufgabe es ist, einen zuerst unbeschadet durchs Leben und dann in den Himmel zu bringen.
Als ich meinen das erste Mal traf war ich sechs Jahre alt.
Ich war gerade erst eingeschult worden und mit dem tollkühnen Mut von Erstklässlern rasten meine Freunde und ich einen Hügel hinab, auf die Bahnschienen zu, die neuerdings dort verliefen. Meine Kette war auf dem Weg den Berg hinauf rausgesprungen und darum warteten die Anderen schon unten auf mich, während ich noch oben auf der Kuppe mein Fahrrad wieder fahrtüchtig machen musste.
Voller Vorfreude auf den Wind in meinem Gesicht und den Adrenalinrausch schwang ich mich in den Sattel und bretterte die Straße herab.
Als der Zug kam.
Die Zugstrecke war erst ein paar Wochen alt und abgelegene Zugübergänge zu der Zeit noch nicht gut ausgebaut, weshalb es an dieser Stelle keine Schranken gab und keine Ampel, die mich hätte warnen können. Der Zugführer hatte auch nicht so recht aufgepasst oder ich habe es überhört, jedenfalls vernahm ich keine Hupe die mich angehalten hätte.
So fuhr ich also nun auf einen fahrenden Zug zu, keine Zeit mehr zu bremsen und auch kein Ausweg.
Ich malte mir schon vor Augen aus, wie ich zerquetscht aussehen würde.
Jakobmatsche, dachte ich mir. Sie werden alles aufkratzen und es dann meiner Mutter in einer Plastiktüte geben, damit sie es begraben kann.
Doch dann geschah das Unerwartete.
Wie aus dem Nichts tauchte auf der Straße vor mir ein Stein auf. Kein großer Fels, vielmehr ein kleines Kieselchen. Doch genug um mein Fahrrad zu stoppen.
"Jakob, pass auf!" hörte ich die Stimme meiner Mutter im Kopf und eine andere Stimme rief "Vorsicht, Junge!".
Das Rad blockierte, das Fahrrad hob vom Boden ab und ich mit ihm. Wie ein Vogel, der zum ersten Mal das elterliche Nest verlässt flog ich aus dem Sattel und sah den Zug vor mir immer näher kommen.
Und dann wurde alles schwarz.
Ich weiß selbst nicht was passiert ist und meine Freunde konnten es mir später auch nicht sagen, weil der Zug ihnen die Sicht versperrt hatte, aber als ich wieder aufwachte lag ich ohne einen einzigen Kratzer am Körper zwei Meter von den Schienen entfernt auf der Straße.
Mein Fahrrad lag mit einen Totalschaden ein Stück weit von mir entfernt im Graben. Der letzte Wagon des Zuges fuhr gerade mit einem lauten Rattern an mir vorbei und es stank nach Benzin.
Mit schmerzenden Gliedern hiefte ich mich auf und ging, den Schreck noch in den Knochen, mit meinen Freunden (die jetzt schieben mussten) nach Hause.
Ein paar Tage später bekam ich zwar einen hässlichen blauen Fleck am Knie, war aber ansonsten zu meiner Verwunderung komplett unverletzt.
Das war das erste Mal, dass ich meinen Schutzengel traf. Und obwohl ich ihn damals nicht gesehen habe, werde ich es nie vergessen.