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Schuldig

ivy

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09.03.2002
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Schuldig

Peter schläft. Er ist 9 Jahre alt und noch so sorglos. Das Leben macht ihm Spass, er spielt mit seinen Freunden, hat viele Hobbies und ist immer fröhlich. Er hat große Pläne für die Zukunft, er möchte Polizist werden und vielen Menschen helfen.
Peter weiss noch von nichts. Er wird kein Polizist. Er wird keinen Menschen helfen können. Er braucht selbst Hilfe.
Peter hat Aids.
Mein Sohn muss sterben, weil seine Mutter so dumm war.
Ich bin Heike, 28 Jahre alt und seit 10 Jahren mit dem Hi-Virus infiziert.
Ich war jung und hatte ausser Spass nichts im Sinn. Als ich Peters Vater kennenlernte war ich wie so oft in der Disco, trank Alkohol und genoss das Leben. Er kam auf mich zu, sah mich mit seinen hypnotisierenden Augen an und sagte:"Hey Baby, zu mir oder zu dir?" Ich sah ihn fasziniert an. Er war älter. All die Jungs, mit denen ich es zu tun hatte, hätten es nie gewagt, jemanden mit diesem eindeutigen Spruch anzusprechen. In mir hätten sämtliche Alarmglocken läuten müssen. Aber das einzige, was ich in diesem Moment wahrnahm, waren seine Augen, sein sinnlicher Mund und sein muskulöser Körper. Wie hätte ich ahnen können, dass dieser Mann mein Tod sein würde? Wie hätte ich wissen können, dass mich diese Begegnung später das Leben meines über alles geliebten Sohnes kosten würde? Ich war so dumm. Wir gingen in dieser Nacht zu ihm nach Hause und schliefen miteinander. Ich war naiv genug zu glauben, es würde schon nichts passieren.Er würde aufpassen.
Es ist etwas passiert.
Es hat mein Leben zerstört.
Warum nur habe ich mich darauf eingelassen? Ich war eine egoistische, naive, verzogene Göre, die glaubte, zu wissen was im Leben zählt. Doch in Wahrheit IST das Leben das einzige was zählt! Damals war ich so von mir und meiner Sicht der Dinge überzeugt. Warum Sorgen machen? Warum nachdenken? Warum den richtigen Weg gehen, wenn man auch den Weg des geringsten Widerstandes gehen kann? Warum Kondome benutzen, passiert ja sowieso nichts. Ich wollte nur Spass, alles andere war mir egal. Jetzt muss ich dafür büssen.
Wer erklärt meinem Sohn, warum ER unter meiner Sorglosigkeit leiden muss? Wer sagt ihm, dass seine Träume niemals wahr werden? Und wer erklärt ihm warum er diese ganzen Medikamente nehmen muss, die sein Leiden nur verlängern? Wie kann ich damit leben, dass mein geliebter Junge sein Leben lang auf Heilung hofft und dann, wenn sie endlich da ist, es wahrscheinlich zu spät sein wird? Wie soll er es verstehen, dass die Leute, wenn sie von seiner Krankheit erfahren, Abstand nehmen und ihn angewiedert mustern? Ihn, der so unschuldig ist, wie es ein Kind nur sein kann. Ich bin die Schuldige. Ich allein. Ich habe verantwortungslos gehandelt und mich der Leidenschaft hingegeben ohne die Folgen abzuschätzen. Sein Vater ist inzwischen gestorben und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Krankheit auch bei mir ausbricht. Mein Leben besteht nur aus Selbstzweifeln, Selbstvorwürfen und Fragen.
Wieso? Warum? Was wenn alles anders gewesen wäre? Was wäre, wenn man die Zeit zurückdrehen könnte?
Ich lege mich jetzt ins Bett. Ich gehe zu Peter kuschele mich an ihn und weine mich in den Schlaf.
Im Schlaf kann man vergessen.
Doch Vergebung, die habe ich nicht verdient, denn ich bin schuldig...

<span class="ssilver">[Beitrag editiert von: ivy am 10.03.2002 um 02:12]</span>

[ 30.07.2002, 01:12: Beitrag editiert von: ivy ]

 

Hi Ivy.

Die Geschichte ist echt traurig. Hört sich an wie aus dem Leben gegriffen. Und das kann echt grausam sein.

So long

Signore Salami

 

Hallo Ivy!

Willkommen auf kg.de!

Deine Geschichte gefällt mir auf der einen Seite - das Thema finde ich gut gewählt und stimmungsmäßig gut rübergebracht.

Auf der anderen Seite, denke ich: Wer sagt denn, daß das neunjährige Kind, bei dem die Krankheit noch nicht ausgebrochen ist (das schließe ich daraus, daß er nichts davon weiß), keine Zukunft hat? Die Krankheit kann noch lange nicht ausbrechen und es kann ein Medikament gefunden werden. Die Forschung ist fast am Ziel.

Davon ganz abgesehen:

Die Protagonistin ist nicht schuldig, keinesfalls:

Das Kind ist neun Jahre. Vor zehn Jahren war die Aufklärung über AIDS gerade erst im Greifen. Wenn man vor 10 - 15 Jahren von einem Mann wollte, daß er ein Kondom benutzt, erntete man nur blöde, fragende Blicke.....
Mit der heutigen Aufklärung ist das etwas anderes. Heute weiß es doch wirklich jeder. Trotzdem wäre dann immer noch die Krankheit schuld und nicht die Protagonistin. Bzw., falls er es vorher wußte, der Vater des Kindes. Aber das geht ja nicht aus der Geschichte hervor, ich nehme an, er hat es selbst nicht gewußt und ist ebenso unschuldig.

Schuld sind einzig und allein die Labors, die AIDS entwickelt und ausgesetzt haben.

Alles liebe
Susi

 

Danke, dass ihr meine Geschichte gelesen habt.
Auch wenn Peter nicht stirbt, so wird er immer der leidtragende in der Geschichte sein, denn: auch wenn irgendwann die Möglichkeit auf Heilung besteht, so glaube ich nicht, dass ein "normales" Leben für HIV infizierte in den nächsten Jahren (Jahrzehnten!) möglich sein wird. Denn da sind immer noch die Medikamente, die Nebenwirkungen verursachen und die Intoleranz vieler Menschen, die HIV infizierte wie Aussätzige behandeln. Ich danke dir sehr für deine Meinung, denn aus dieser Sicht habe ich das Ganze noch gar nicht gesehen @ Susi

Ich bin selbst zwar in keinster Weise betroffen, aber ich mache mir oft Gedanken darum, wie es solchen Menschen wohl geht, weil ich mir vorstellen kann, dass es wohl das schlimmste für eine Mutter,(und auch sonst für jeden Menschen)ist, sich für den Rest seines Leben schuldig zu fühlen @Signore Salami
Danke ivy

 

Hallo Ivy.

zuerst mal:

Schön traurige Geschichte.

Kritik:

Sollte es nicht lieber heißen:

"Peter weiß noch von nichts" ??
Denn wenn Du schreibst "Peter weiß nichts" hieße das ja, daß er vollkommen blöd ist, und das willst Du ja kaum sagen, oder ???
:D :D

Die Fragestellung innerhalb der Geschichte ist gut gelungen, ebenso wie die Beschreibung, wie es dazu kam.
Dein Stil ist klar, und flüssig.

Die Frage der Vergebung laß ich mal so stehen, bin da aber nicht Deiner Meinung.
Wenn Du wissen willst, was ich damit meine schreib ich Dir noch was dazu.

es grüßt:

der Lord

 

Hallo Ivy!

Die Thematik ist gut gewählt, AIDS wird inzwischen wieder ziemlich totgeschwiegen. Auch die Art, wie Du erzählst, lakonisch, schonungslos, ohne Hoffnung, paßt zum Inhalt.

@Häferl:
1. Ich weiß von nichts, daß die Forschung "kurz vorm Ziel" ist. Was ist das überhaupt für eine Aussage? Dauert es noch zwei Monate, zwei Jahre, zehn Jahre, bis es ein Heilmittel gibt? Ist es dann ein Medikament für Infizierte oder ein Impfstoff? Ich halte es für Gefährlich, solche Behauptungen in den Raum zu stellen (die ersten dieser Art habe ich vor elf Jahren in der Zeitung gelesen, bisher ist AIDS nicht heilbar).
2. Vor zehn Jahren war die Aufklärung, was AIDS angeht, weitaus weiter als heute. Damals hatten wir alle immense Angst davor, und kein Mädchen aus meinem Freundeskreis hätte einen Mann ohne Kondom an sich herangelassen. Heute sieht es bei vielen schon wieder anders aus.
3. Kann eine Krankheit "schuld sein"?
4. Kannst Du beiwesen, daß AIDS in einem Labor entstanden ist? Wenn ja, hättest Du den Schlüssel zu einigen Millarden Dollar in der Hand. Also auch hier: Finger weg von unhaltbaren Behauptungen!

Liebe Grüße,

chaosqueen :queen:

 

Hi mal wieder.

Ich wollte euch allen mal für das tolle Feedback danken. Ich wollte gar nicht, dass die Geschichte JEDEM gefällt. Ich wollte hauptsächlich mal zum Nachdenken anregen. Ich finde, dieses Thema geht uns alle etwas an. Habe letztens einen Beitrag im Fernsehen über genau dieses Thema gesehen. HIV-infizierte Mutter mit kleinem Kind. Ich denke ich habe die Gefühle einer solchen Frau relativ realitätsnah eingefangen. Auch wenn das nicht jedermanns Sache ist.
Auf jeden Fall: Danke für eure ehrlichen Meinungen.

Gruß Ivy :read:

 

Auch ich: Das ist eine feine Art von Entschuldung, Häferl! Jeder Mensch ist für sich selbst verantwortlich. Und jeder Mensch hat seine eigene Geschichte, daher halte ich es eh für unklug, solch allgemeine Aussagen zu treffen.

Die Geschichte mag ja der Problematik gerecht werden (und das weiß ich eigentlich nicht), aber irgendwie schlägt sie bei mir nicht so ein. Vielleicht weil sie doch nicht genug für die Problematik sensibilisiert?
Sie tropft so vor sich hin, was heißen will, dass sie nichts Neues enthält. Nichts, was mir Deinen speziellen Fall näher brächte. Also eher flach.

 

Hallo Ivy!

Deine Geschichte hat mich sehr bewegt. Es gibt immer einen Moment der Dummheit, wo man sich der Folgen nicht bewußt ist. Ich finde du kannst stolz darauf sein, dass du dich so intensiv mit diesem Problem auseinander setzt auch wenn es dich gar nicht betrifft.
Mit dieser einfühlsamen Story hilfst du sicher betroffenen Menschen imens - sie fühlen sich sicher ein bisschen weniger zurück gewiesen.

 

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