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schuldig

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16.03.2013
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schuldig

Wir Kinder spielten auf der großen Wiese beim Bach. Irgendwann kam auch Marek dazu. Er hatte einen neuen Ball, den er vor sich her kickte. Schnell formierten wir Mannschaften und das Spiel konnte beginnen. Da ich ein ganz passabler Fußballspieler war, ließ ich die Mitspieler ganz nach meiner Pfeife tanzen. Vor allem machte es mir Spaß, Marek auszutricksen. Die anderen verloren langsam die Lust an meinen Alleingang.
„Thomas, gib den Ball her! Er gehört mir!“, rief Marek. Aber das spornte mich nur mehr an, ihn zu demütigen.

„Ich kann es einfach nicht glauben. Dass du mir so was antun konntest. Ausgerechnet heute!“
Sie hielten vor der roten Ampel. Anlass genug, um das Schweigen zu brechen. Er saß auf dem Beifahrersitz und blickte dösig, konnte wegen des Alkohols in seinem Schädel die Lichter der Stadt nicht fixieren.
„Hör schon auf zu flennen!“, raunte er ausdruckslos.
„Dieser Abend hat mir so viel bedeutet. Aber du musstest ja mit deiner blöden Sauferei alles kaputt machen.“

„Spielverderber!“, beschimpften mich nun auch die anderen Kinder.

„Kannst du nicht einfach mal die Klappe halten?“, lallte er genervt.
Doch Katja war noch nicht fertig. „Du hast mich vor meinen Kollegen, meinem Chef und meiner besten Freundin blamiert. Wieso, Marek, wieso nur?“
„Die sind mir alle scheißegal! Hast du ihre Blicke gesehen? Wie den letzten Dreck haben die mich behandelt. Die denken wohl, sie wären was Besseres. Aber ich, ich bin doch auch wer! Hab ich vielleicht keinen Stolz?“

„Dann hol‘ ihn dir doch, Marek!“, spottete ich und kickte den Ball mit einem Grinsen durch die Wipfel der Bäume, welche das Ufer des Bachs säumten. Er rannte fluchend los. Die anderen eilten ihm nach. Nur ich marschierte gelassen und zufrieden mit meiner Tat hinter her.

„Das sieht dir wieder ähnlich. Alles dreht sich nur um dich. Was aus meinem Leben wird, meine Karriere, all das zählt bei dir nicht.“ Sie gab zu viel Gas beim Anfahren.
Marek suchte seine Zigaretten. „Aber auf die kannst du zählen, auf solche arroganten Pisser. Die tun doch nur so, als ob ihnen was an dir liegt. Für die Drecksarbeit bist du ihnen grade gut genug. In Wahrheit wollen sie nur sehen, wie du vor ihnen kriechst. Verstehst du das denn nicht, dumme Kuh?“
„Sei endlich still! Ich hasse dich!“

Dem Geschrei entnahm ich, dass der Ball wohl im Wasser gelandet war und so beeilte ich mich jetzt doch, weil ich wissen wollte, was Marek alles anstellen würde, um an ihn zu gelangen. Als ich ankam, bekam ich gerade noch mit, wie er das steile Ufer herab in den Bach stürzte. Natürlich haben wir da alle angefangen zu lachen. Am lustigsten war die Tatsache, dass er vollkommen untergetaucht und somit von Kopf bis Fuß nass war.

„Und wenn du dann am Boden liegst, spucken sie noch auf dich!“ Marek gab die Suche auf. Er blickte Katja kurz an. Wie er es hasste, wenn sie anfing zu schniefen. Er senkte schuldbewusst den Kopf. Der Scheibenwischer schlug dem Takt. Er schaute aus dem Fenster und sagte: „Sei froh dass ich überhaupt mitgekommen bin! Wär' sowieso am liebsten daheim geblieben.“

Marek schien sich einen Spaß daraus zu machen, denn er tauchte eine ganze Weile nicht mehr auf.
Die Kinder wurden ruhiger, bis eine merkwürdige Stille herrschte, sodass man nur noch das Plätschern des Baches hören konnte.

„Versink' doch in deinem Selbstmitleid!“, schrie sie auf einmal. „Bleib zu Hause und sperr dich weg!“

Da rief ein Mädchen: „Er bewegt sich nicht mehr!“ Sofort rutschten die anderen die Böschung hinunter, stiegen ins Wasser, um ihm zu helfen.
Nur ich stand da und wusste nicht weiter. Dann drehte mich um und begann loszurennen. Ich rannte und rannte, bis ich meine Beine nicht mehr spüren konnte. Ich wollte nur noch weg von diesem Ort. Alles was ich sah, schien wie mit einem Finger auf mich zu deuten. Ich kam mir vor wie in einem schlechten Film. Am liebsten hätte ich mit irgend einem Jungen getauscht.

„Das würde dir so passen“, sagte Marek. „Den Krüppel zuhause lassen. Passt ja nicht ganz ins Konzept!“ Seine Züge verzogen sich zu einem maskenhaftes Lächeln. „Jetzt geht mir ein Licht auf.“

Es war bereits dunkel, als ich zitternd und hungrig den Klingelknopf drückte. Die Tür öffnete sich und Mutter nahm mich in den Arm. Sie sagte, welch große Sorgen sie sich gemacht hatte und dass nun alles gut sei. Ich jammerte: „Nichts ist gut, es ist alles meine Schuld!“
Noch Wochen später machte ich mir Vorwürfe. Ich verlor meinen Appetit und hatte Alpträume. Kam in der Schule nicht mehr mit und redete immer weniger. Niemand erreichte mich wirklich. Ich war allein mit ihr.

„Wie kannst du nur so von mir denken.“ Sie schüttelte langsam den Kopf. „ Hab ich nicht immer zu dir gestanden?“
Marek hob sich den Kopf. Er schwieg und verbarg seine Augen.
Katja fuhr an die Straßenseite und hielt den Wagen an. Sie atmete tief durch. Dann suchte ihre Hand die seinige. Er zuckte bei der Berührung zusammen. „Was ist nur los mit dir?“, flüsterte sie. „Ich kenne dich so gar nicht.“
Marek hatte seinen Kopf gesenkt. Sein Gesicht war wie aus Stein gemeiselt. Endlich sagte er: „Es ist wegen ihm. Ich hab ihn an einem Tisch sitzen sehen, mit seiner Alten. Er wollte sie ausführen. Zu dumm, dass er da mich gesehen hat. Das hat ihm wohl den Abend versaut.“
„Wen meinst du?“, fragte Katja.
Mareks Körper spannte sich an. „Den Kerl, dem ich das hier verdanke.“ Schnell fuhr er über seine dünnen Schenkel.

Es dauerte noch ein ganzes Jahr, bis er wieder in die Schule kam. Er saß nun im Rollstuhl. Ich ging ihm so gut es ging aus dem Weg. Doch einmal, in der großen Pause, fuhr er ganz nah zu mir her. Er starrte mich an und wartete. Auf eine Entschuldigung, auf irgend etwas.

„Du wolltest nie über den Unfall reden, Ich wusste ja nicht, dass ...“ Katja bemerkte die Träne an seiner Wange.

„Er ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Also hab ich später, als ich zum Rauchen an die frische Luft wollte, einen kleinen Umweg zu seinem Tisch gemacht. Ich fragte ihn: „Kennst mich wohl nicht mehr?“ Er hat nur dumm geguckt. Dann meinte er auch noch, ich würde ihn mit jemanden verwechseln. Ich sagte ihm:

„Ich bin Marek und das weißt du ganz genau!“
„Ja, ich weiß wer du bist. Ähm, schau mal, wir waren doch damals noch Kinder. Meinst du, ich hätte gewollt, dass alles so endet? Es war eben nur ein schrecklicher Unfall.“
„Ja Thomas! Nur ein Unfall. Und nebenbei mein verdammtes Schicksal.“
„Und was soll ich deiner Meinung nach jetzt tun?“
„Gib zu, dass du deinen Teil beigetragen hast!“
„... In Ordnung … Ich bin sicherlich auch daran schuld.“
„Das ist egal. Aber dass du es zugibst, das warst du mir die ganzen Jahre schuldig.“

„Warum hast du mir nie von ihm erzählt?“, fragte Katja.
„Was gäb's da schon groß zu sagen.“
Er nahm ihre Hand. “Es tut mir leid, dass ich dir den Abend verdorben hab. Ohne dich schaffe ich es nicht, ganz bestimmt nicht. Verzeihst du mir?“
Katja nickte. Dann sagte sie:
„Am Ende wird es wohl niemanden Schuld gewesen sein.“

 

Hallo Cybernator,

der erste Absatz in deiner Geschichte gefällt mir eigentlich recht gut. Danach hat´s mir nicht mehr so wirklich gut gefallen.

Ich bin mir selbst ein bisschen unschlüssig, woran das liegt.

Zum Einen wahrscheinlich daran, dass ich Marek total unsymphatisch fand. Den erwachsenen Marek. Ich dachte am Anfang (vor dem Unfall), dass Marek offenbar Thomas´schlechte Marnieren übernommen hat und sich nun genauso egoistisch verhält.
Dass er manchmal/ oft mit seinem Schicksal hadert ist natürlich verständlich, aber so wie er hier dargestellt wird, ist er kein besonders liebenswerter Mensch und da frage ich mich schon, was Katja überhaupt an ihm findet. Er behandelt sie ja wie den letzten Dreck...

Ich finde auch die "Schulfrage" fragwürdig. Ist Thomas wirklich Schuld? Klar, er hat das provoziert ... aber Markek hätte ja nicht in den Bach springen müssen. Und die anderen Kinder hätten ja auch etwas unternehmen und nicht nur lachend am Rand stehen können. Sie tragen dann wenigstens eine Mitschuld.

Unklar ist mir auch, warum Marek gelähmt (vermutlich Querschnittsgelähmt?) ist. Nachdem er so lange unter Wasser war, ist eher anzunehmen, dass sein Gehirn irgendwie geschädigt wurde.

Mir ist auch nicht ganz klar, was Marek eigentlich von Thomas wollte. Klar, er hatte erwartet, das Thomas sich irgendwie zu alldem bekennt. Andererseits wird er wohl kaum "so" davon gekommen sein, nachdem auch die ganzen anderen Kinder anwesend waren.
Klar, Thomas hat sich nicht toll verhalten. Er hätte mit Marek reden, sich offiziell entschuldigen... können, aber er war letztendlich auch noch ein Kind.

Das sind jetzt mal so ein paar Gedanken zu deiner Geschichte. Letztendlich ist mir einfach nicht so wirklich klar, wohin du damit willst.
Ich sehe auch nicht so wirklich die gesellschaftliche Relevanz, wenn ich ehrlich bin.

Viele Grüße
von Lau

 

Hallo Lau!

Schön, dass du dich mit meinem Text beschäftigt hast.

Bei mir ist es grad anders herum, den ersten Absatz find ich eigentlich scheiße, aber egal.:)

Schade, dass dir der Marek unsymphatisch ist. Ich find ihn ganz Okay. Er stellt sich seinen Dämonen. Und am Ende entschuldigt er sich ja auch bei seiner Perle. Ob er jetzt an seinem Alkoholmissbrauch und den damit einhergehenden Entgleisungen schuld war oder nicht? Katja nimmts locker, siehe Schluß.
Ich glaub ja auch, dass es Angenehmeres zu lesen gibt, als so ein Gezoffe. Aber was will man machen. Ich finde, die machen das ganz gut so.

Ich find das übrigens ganz wichtig, ihre Frage: Was ist denn mit dir, bist ja sonst nicht so.
Wie von Zauberhand löste dich der Knoten und alles wurde gut. So viel zum Thama gesellschaftliche Relevanz.

Nachdem er so lange unter Wasser war, ist eher anzunehmen, dass sein Gehirn irgendwie geschädigt wurde.

Bist du Arzt? ;)

Jetzt zur Schuldfrage:

Ist Thomas wirklich Schuld?

Wer will das denn entscheiden?

Liebe Grüße
Cybernator

 

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