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Schuld

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15.01.2008
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Schuld

In großen Flocken fiel der Schnee vom Himmel. Dazu wehte ein leichter Nord-Ost-Wind, welcher zur Folge hatte, dass die Schneeflocken kurz vor dem Kontakt mit dem Boden wieder aufgewirbelt wurden, nur um anschließend wieder zu Boden zu sinken.
Obwohl es bereits Nacht war, war der Schnee gut zu sehen und erhellte die gesamte Landschaft. Woher das Licht kam, vermochte keiner zu sagen.
Vielleicht kam das Licht daher, dass Vollmond war und ein Teil davon doch noch durch die Wolken dringen konnte.

Fast den gesamten Herbst über hatte es geregnet. Mal waren große, schwere Tropfen gefallen, die nach einiger Zeit im Regen einem weh tun konnten, mal war feiner Nieselregen gefallen, der überall hin gelangte und alles durchnässte. Dazu hatte ein eisiger Wind geblasen, der allem das letzte Stück Wärme entzog, welches bei dem Regen noch vorhanden war.
Der Boden war durchnässt gewesen. Auf festen Straßen hatte man bis zu den Knöcheln im Wasser gestanden, da das Wasser nicht abfließen konnte, abseits der Straßen war man tief im Schlamm versunken.
Dann, ganz plötzlich, hatte es aufgehört zu regnen. Die Wolken verzogen sich und über Nacht gefror alles.
Auf den Straßen hatte sich eine Zentimeter dicke Eisschicht gebildet und der Boden hatte sich so verhärtet, dass die Unebenheiten, die sich durch den Regen gebildet hatten, zu gefährlichen Stolperfallen geworden waren, an denen man sich sehr leicht verletzen konnte. Der kalte Wind war bei all dem unverändert geblieben.
So war es dann für einige Wochen geblieben. Nachts war es klar und kalt, tagsüber zogen dann aber immer von irgendwo Wolken auf, als ob die Natur sich entschlossen hätte, alles Leben auszulöschen.

Und nun hatte sich im Laufe des Tages der Wind abgeschwächt und am Abend hatte es dann tatsächlich angefangen zu schneien. Nun vermittelte die Natur etwas ruhiges, friedliches und jeder, der zuvor über die Natur geschimpft hatte, freute sich nun über diesen plötzlichen Wandel.

Jonas saß am Höhleneingang und beobachtete die Schneeflocken, wie sie in der Luft tanzten, kurz vor dem Auftreffen auf den Boden wieder aufgewirbelt wurden, ein kleines Stück weiter flogen, dort wieder fast den Boden berührten, um wieder aufgewirbelt zu werden.
Es war absolut still. Nur hinter ihm war das regelmäßige Ein- und Ausatmen der Übrigen zu hören.

Er spürte die Ruhe, die ihn erfüllte, die Ruhe und den Frieden. Hinter ihm die Höhle, vor ihm der Wald, der mitlerweile mit Schnee bedeckt war, rechts unter ihm der spiegelglatte See und weit hinten in der Ferne die Berge.
Von Zeit zu Zeit durchbrach die Ruhe das Aufheulen eines Wolfes, der irgendwo , in großer Entfernung, umherstreifte.
Manchmal war der Schrei einer Eule zu hören.
Ansonsten war es still. Nur das Geräusch vom Schnee, wenn er den Boden berührte, war noch zu hören.
Vielleicht bildete sich das Jonas aber auch nur ein.
Irgendwann schließlich, mitten in der Nacht, hörte es auf zu schneien und die Wolken verzogen sich, nur um den Mond nun die weiße Landschaft erleuchten und hell in ihrer ganzen Schönheit erstrahlen zu lassen.

Jonas atmete die auf eine gewisse Art angenehm frische Luft tief ein. Er fühlte sich wohl. Er fühlte sich so wohl wie lange nicht mehr. Er fühlte sich frei, frei von allen Pflichten, frei von allen Sorgen, frei von allen Gedanken.
Er saß da und betrachtete die wunderschöne Natur.
Er saß allein im Höhleneingang, ihm gegenüber die Natur. Vor ihm lag der unberührte Schnee, den bis zum Morgen höchstens einige Tiere aus dem Wald betreten haben werden.
Er wollte hinauslaufen, jubeln, doch er wollte nicht den heilen Schnee verletzen. Der unberührte Schnee bedeutete ein heile Welt für ihn, eine Welt, die er am Morgen nicht mehr vorfinden würde, eine Welt, die er so lange wie möglich aufrecht erhalten wollte.
Am Morgen würde er wieder in den Alltag gerissen werden, den Alltag mit seinen Sorgen und Pflichten.

Ein Schuss erschallte, mitten in die Ruhe hinein.
Jonas zuckte zusammen. Er verzog das Gesicht. Nicht einmal bis zum Morgen wartete der Alltag. Nicht einmal in der Nacht ließ er ihm seinen Frieden.
Er sprang in Deckung und schrie: „Aufstehen! Wir sind unter Beschuss!“
Die anderen hätten seine Warnung nicht gebraucht, denn mitlerweile waren vom Wald her unaufhörlich Schüsse zu hören. Jonas nahm sein Gewehr und feuerte zurück.
Der Schnee erhellte die Landschaft ausreichend, um mögliche Ziele erahnen zu lassen, jetzt, wo man wusste, dass sie da waren, und gegen fünf Uhr morgens herrschte schließlich wieder Stille. Trotzdem blieben alle bis zum Weiterziehen wach.

Sie hatten drei Tote. Gkücklicherweise hatte die Höhle guten Schutz geboten, sodass es nicht mehr waren.
„Arschlöcher“, flüsterte Jonas, als er hinaussah.
Der Schnee, der vor dem Schusswechsel noch unberührt und weiß da gelegen hatte, war jetzt umgewühlt, uneben und an einigen Stellen fehlte er sogar.
Jonas zog seine Militärjacke dichter um seinen Körper.
Ein kalter Wind bließ von Nord-Ost.

***

„Männer, Sie wissen, warum wir das tun“, hatte der General gesagt.
„Sie wissen, dass wir Sie da nicht hinschicken, weil wir Spaß daran haben, Menschen zu töten oder ihnen das Leben unangenehm zu gestalten.“
Er hatte sich nun umgesehen, als ob er sehen wollte, ob irgendeiner der versammelten Soldaten widersprach.
„Sie wissen“, war er fortgefahren, „dass es unsere Aufgabe ist, ich würde sogar sagen, dass es unsere Pflicht ist, anderen Menschen zu helfen.
Da, wo wir Sie hinschicken, wird Hilfe dringend benötigt. Die Menschen werden dort unterdrückt.
Ich weiß, dass es nicht leicht ist, gegen andere kämpfen zu müssen, aber Sie müssen wissen, Sie machen es aus humanen Gründen.
Gehen Sie und erfüllen Sie Ihre Plicht.“
Jubel war ausgebrochen.

***

Nachdem die Sonne aufgegangen war, verließen sie die Höhle. Sie gingen vorsichtig zum Wald, von wo der nächtliche Angriff gekommen war.
Als sie dort ankamen, fanden sie etwa zehn Soldaten (sie zählten sie nicht), die tot auf dem Boden lagen. Es war erstaunlich, wie gut sie getroffen hatten.

Sie durchsuchten die Leichen nach Brauchbarem, wie Munition, Nahrung oder Zigaretten.
Schließlich bemerkte einer von ihnen, Jonas konnte später nicht mehr sagen, wer es war, die Spur.
Auf dem hier wieder weißen Schnee war eine deutliche, rote Farbspur erkennbar.
Sie machten sich auf, um der Blutspur zu folgen. Allerdings kamen sie nicht sehr schnell voran, denn sie mussten ständig darauf achten, nicht überrascht zu werden.

Während sie so gingen, wurde der Wind stärker. Glücklicherweise war der Schnee feucht, sodass er vom Boden nicht aufgeweht wurde.

Sie stapften durch den Wald, immer wieder stehenbleibend und lauschend, weil sie glaubten eine Bewegung gesehen oder ein Geräusch gehört zu haben.
Sie behielten stets die Spur im Auge, die aus Fußstapfen und Blut bestand.
Vermutlich war die verfolgte Person stark verletzt, denn sie musste die Füße durch den Schnee gezogen haben. Hierbei war auffällig, dass der Schrittabstand immer kürzer wurde und die Füße immer weniger angehoben worden waren.
Die verletzte Person musste allein gewesen sein, denn es gab nur eine Spur, was die Wahrscheinlichkeit eines Überraschungsangriffs etwas senkte.

Jonas konnte seine Füße nicht mehr spüren, denn die Feuchtigkeit war in die Schuhe gelangt.

Schließlich erblickte die Gruppe eine Person im Schnee. Die Blutspur endete und der verletzte Soldat lag vor ihnen mit dem Gesicht nach unten.
Sie drehten den Soldaten um. Was sie sahen war eine junge Frau.

***

Es war zur Zeit des großen Bürgerkriegs in Zentralafrika vor etwa einem Jahr gewesen. Täglich war in den Nachrichten darüber berichtet worden, wie viele Tote es gab, wo es Anschläge gegeben hatte und zum Schluss wie viele schon insgesamt gefallen waren.
Am ausführlichsten waren die Berichte immer dann gewesen, wenn Nichtafrikaner den Angriffen zum Opfer gefallen waren.

Sie hatten immer in der Bar des Hotels gesessen und sich über Politik, hauptsächlich über den Bürgerkrieg untehalten.
Sie hatten sich erst vor wenigen Tagen kennengelernt.
Sie waren während der Ferien im selben Hotel untergebracht gewesen. Auf den Zimmern hatte es keine Fernsehgeräte gegeben, sodass beide abends immer in die Bar gegangen waren, um auf dem alten Fernsehgerät, welches auf fast lautlos gestellt war, die Nachrichten zu verfolgen.
Da sie beide Englisch beherrschten, waren sie schließlich irgendwann ins Gespräch gekommen.
„Ist schon erschreckend, wie brutal die Menschen miteinander umgehen können.“
„Das Schlimme daran ist ja, dass anstatt eine anständige Diskussion auf sachlicher Ebene zu führen, man einfach versucht, sich gegenseitig auszurotten“, hatte Jonas mit leicht gerunzelter Stirn geantwortet.
„Es ist ja nicht nur , dass sie sich gegenseitig ermorden, sondern dass sie völlig neutrale Menschen mit einbeziehen und umbringen.
Dass es zu einem Bürgerkrieg kommt ist ja schon schlimm genug, aber dass er dann gegen jeden und alles geht, unter Missachtung der Menschenrechte, das ist erschrekend.“ Sie hatte den Kopf geschüttelt.
„Natürlich ist es erschreckend. Allerdings müssen zum Beispiel Reporter, die hinfahren um Bericht zu erstatten, davon ausgehen, dass sie umgebracht werden, da sie sich freiwillig in Gefahr begeben.“
„Ich meinte jetzt mit den 'Neutralen Personen' nicht nur die Reporter, die wir allerdings brauchen, damit die Welt weiß, was vor sich geht.
Ich meine generell alle, die nicht Soldaten sind.
Abgesehen davon gehen sie nicht Menschenwürdig miteinander um.“
„Also, ich bin ja eigentlich recht vorsichtig, was solche Äußerungen angeht, aber manschmal frage ich mich, ob die in Afrika nicht zu viel Sonne abbekommen haben“, hatte Jonas gesagt.

***

„Jetzt seht euch das an“, meinte einer aus der Gruppe, „jetzt brauchen die Schweine sogar solche Säue, um gegen uns anzutreten.“
Die Gruppe brach in Gelächter aus.
Einer kniete sich hin um festzustellen, ob sie noch lebte.
„Sie atmet noch“, verkündete er.
„Nun ja“, sagte der Erste, während er seine Pistole zog und auf die junge Frau richtete.
„Für Jakob“, zischte er und drückte ab.
„Für Thomas“, rief der Zweite, der Leiche ins Gesicht spuckend.
„Für Marco“, sagte ein weiterer und wiederholte die Prozedur.
So fuhren sie fort, die Namen getöteter Kameraden aufzählend, die Tote tretend und bespuckend (manche feuerten einen Schuss ab, nicht darüber nachdenkend, ob der Feind sie finden würde), bis schließlich Jonas an der Reihe war.
„Für die gestohlene Nacht“, rief er und spuckte ebenfalls auf den leblosen Körper.
Die Gruppe lachte. Es regnete.

Mit einer gewissen Genugtuung stapften sie schließlch im Regen davon, mit dem Gefühl, sich für den Tod ihrer Kameraden zumindest zum Teil gerächt zu haben.

Das Blut der Leiche wurde während dessen vom Regen fortgespühlt. Sie wurde mit Schlamm bedeckt und war nichts weiter als eine Tote unter Tausenden.

***

Irgendwann, erst viele Jahre nach dem Krieg wurde Jonas von seinem Enkel gefragt: „Opi, bist du böse?“
Auf die Frage, warum er böse sein solle, antwortete das vierjährige Kind: „Mama hat gesagt, dass du mal kämpfen musstest. Wenn du wen getötet hast, bist du doch böse, oder?“

***

In großen Flocken viel der Schnee vom Himmel. Dazu wehte ein leichter Nord-Ost-Wind, welcher zur Folge hatte, dass die Schneeflocken kurz vor dem Kontakt mit dem Boden wieder aufgewirbelt wurden, nur um erneut zu Boden zu sinken.
Jonas stand am Höhleneingang. Vor ihm der Schneebedeckte Wald, rechts unter ihm der spiegelglatte See und weit hinten in der Ferne die Berge.
Nichts hatte sich geändert. Nur eine Tafel, die am Felsen befestigt worden war, berichtete etwas über die Besonderheiten des Gesteins.

Den ganzen Tag über war er durch den Wald gelaufen und hatte den Ort gesucht, der ihm am besten sagen konnte, ob er böse war. Dreimal hatte er geglaubt, die Stelle gefunden zu haben, doch sicher war er sich nie.
Wegen ihm war ein Mensch vergessen worden, war nur noch eine kleine Ziffer unter den vielen Toten des Krieges.

Ob er böse war?
Wer vermochte das schon zu sagen.
Die Welt lebte weiter und vergaß zu schnell. Die Menschen konzentrierten sich nun auf die Konflikte in Asien und fragten sich, ob den Asiaten der Reis nicht bekomme.
Jonas schüttelte den Kopf. Die Welt liebte Kriege, um zuzusehen, nicht um zu lernen.

 

Hallo Marnem,
du scheinst ein Opfer der Länge deiner eigenen Geschichte geworden zu sein.
Sei 's drum erstein mal, herzlich Willkommen! (Besser spät als nie;))
Ein schweres Thema das du dir als Thema für eine erste Geschichte gewählt hast. Um so beachtlich finde ich die relativ gute Umsetzung. Du schreibst zum Großteil recht sauber und lässt den Zeigefinger unten. Danke schön!

Aber hier tuen sich auch einige Mängel auf:
Ich formuliere mal etwas allgemeiner, weil ich nicht weiß ob du dich noch unter KG beteiligst.
Ich bin mir was die Wahl des Genres/Rubrik angeht nicht so ganz sicher "Philosophisches" hier passend ist, vlt. wäre hier Gesellschaft die bessere Wahl gewesen? Denk drüber nach...
Nächster Punkt:
Du nutzt einen Haufen Füllwörter, wodurch deine Formulierungen manchmal etwas unausgereift wirken. Guck mal ob du ein paar streichen kannst.
Ebenfalls nutzt du manchmal... ich nenne sie mal Satzmonster. Diese Monster zeichnen sich dadurch aus, dass sie ziemlich lang sind und einen Haufen Kommata enthalten (von denen dir manchmal das ein oder andere entfleucht). Diese Monster machen das Lesen schwer, also versuch sie auszumerzen.
Dann natürlich allgemein ein paar Fehlerteufel erlegen und Kommas verteilen.

Bleibt zu sagen, das ich kalte Füße im Hochsommer habe und das liegt nicht alleine am Wetter. (Danke für die detailreichen Stimmungsbilder der Landschaft:thumbsup:). Am Anfang hatte ich sogar erst die Vermutung, das dies eine Reisegeschichte wird (als kleiner Anreiz für die nächste KG?).
Natürlich gefällt mir auch, das du die Frage dieser Geschichte offen lässt und keine Antwort präsentierst. Wobei ich mir aber gewünscht hätte das eine (von mir vermutete) Verbindung zwischen der Gesprächspartnerin im Hotel und der Frau in den Bergen deutlicher herausgearbeitet würde.

les' dich
Nice

 

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