Was ist neu

Schuld

Mitglied
Beitritt
01.03.2003
Beiträge
7

Schuld

Schuld

Immer wieder sah er die großen traurigen Augen vor sich. Wie sie ihn mit jedem Blick verfolgen, jede seiner Bewegungen. Einfach nur zusahen, wie er ihr Zuhause zerstörte. Nachts, wenn er die Augen schloss und alles still um ihn wurde, konnte er ihre Schreie hören, das Prasseln des Feuers, die Schläge der Äxte auf Holz und immer wieder die Augen. Wenn er aus dem Fenster blickte, einkaufen ging, abends in der Dorfkneipe, sie verfolgten ihn auf Schritt und Tritt.
Marcello ist ein einfacher Arbeiter, er nimmt Gelegenheitsjobs von Großgrundbesitzern an. Wählerisch kann er nicht sein, die Familie will schließlich ernährt werden.
Heute soll er zusammen mit ein paar anderen Männern aus seiner Siedlung ein Gebiet säubern, auf dem die neuen Felder für eine Tabakplantage entstehen sollen. Morgens, noch bevor die Sonne aufgeht, treffen sich die Männer, bewaffnet mit Äxten, Macheten und Spirituskanistern. Einer hat eine Schrotflinte dabei. Schweigend rotten sie sich zusammen, man spricht nicht über die Arbeit, jeder hängt seinen Gedanken nach. Nur nicht an den Job denken ist die Regel, die jeder befolgt. Der mit der Schrotflinte richt nach billigem Alkohol.
Marcello geht am Schluß. Er hat die Regel missachtet, er denkt an den Job, malt sich die Folgen aus. Zum Ersten Mal hat er das Gefühl, nicht das Richtige zu tun. Es war falsch - aber es brachte Geld.
Die Männer sind an ihrem Arbeitsplatz angekommen. Ein kurzer Blickkontakt, schweigend beginnen sie mit ihrer Arbeit. Ein Zuhause nach dem anderen abgebrannt, zerschlagen und zerstört. Die meisten Bewohner flohen einfach, manche still, andere mit Geschrei und Gebrüll. Nur einer saß einfach da und blickte ihn an, mit traurigen Augen schien er den kleine Arbeiter zu durchboren. Warum tust du das?, schienen sie zu fragen. Warum?
Den Blick kann er nicht vergessen. Auch wenn es schon lange vorbei ist. Immer wieder sieht er den großen Gorilla vor der brennenden Dschungelkulisse sitzen.
Warum?

 

hi samira

Eine kurze Parabel mit viel Aussage hast du geschrieben. Der Arbeiter, der Heime zerstört, um seine Familie zu ernähren. Das ließe sich beliebig übertragen auf den Dieb, der klaut um zu leben oder auf den Soldaten, der tötet, weil er muss.
An sich nichts neues, aber das Thema Regenwald ist mal was anderes.
Der Stil liest sich gut und flüssig, schlicht und zweckmäßig.
Bei den Zeiten bin ich mir nicht sicher, am Schluss schweifst du wieder ins Imperfekt, ab: Nur einer saß einfach da und blickte...
Darüber bin ich gestolpert.

Wenn ich die Pointe richtig sehe, geht es darum dass das "Zuhause", das zerstört wird, der Wald der Gorillas ist.

Liebe Grüße
wolkenkind

 

Der mit der Schrotflinte richt nach billigem Alkohol.

Witzig, kann man das riechen ob es Bier war oder teurer Château Petrus Pomerol?
Aber interressant ist der Ansatz auf jeden Fall. Erst das mächtige wilde und tierhafte vernichten der arbeiter und dann auf einmal wird man so nuancenreich dass man das getränk an der fahne in etwa einstufen kann:-)

Mir gefällt die Geschichte, nur die Wirkung ist nicht so messerscharf.
Die Augen des Mannes der sein Heim verliert werden zu Waffen und bedrohen oder schiessen den mit der richtigen Flinte an.

 

Hallo Samira!

Du schilderst recht eindringlich, das gefällt mir gut. Der Schluss, die wiederholte Frage nach dem Warum ist ein bisschen zu moralisch rübergekommen bei mir. Ich als Leserin würde mir diese Frage gern selbst stellen, so ist alles vorgegeben. Villleicht könntest DU den Schluss noch etwas subtiler gestalten...
Existence hat da was wichtiges angesprochen: die Ausbeutung der Arbeiter. Allerdings tiele ich seine Meinung nicht, der Arbeiter sei zu ungebildet um sich solche Gedanken zu machen. Möglich, dass er tatsäclich nciht das Hntergrundwissen hat, um abzuschätzen, wei sich die Rodung auf Klima etc auswirkt, aber er hat genug Verstand und Gefühl, um zu merken, dass es nciht in Ordnung ist, was er macht...

ein paar Sachen sind mir ncoh aufgefallen:

"Der mit der Schrotflinte richt nach billigem Alkohol" - riecht

"Zum Ersten Mal hat er das Gefühl" - ersten

"Ein Zuhause nach dem anderen abgebrannt, zerschlagen und zerstört" - Verb fehlt.

Die Zeitsprünge könntest Du ebenfalls noch ausbessern.

schöne Grüße
Anne

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Samira,
schöne Geschichte mit einem interessanten Thema, das nach dem zweiten Lesen noch eindringlicher auf mich gewirkt hat. Ich sah die traurigen Augen des Gorrillas förmlich vor mir.
Auf den "Zeitensprung" haben Dich ja die anderen bereits aufmerksam gemacht.
Eine kleine Sache noch:

...mit traurigen Augen schien er den kleine Arbeiter zu durchbohren
...den kleinen Arbeiter.

LG
Blanca

 

Hallo Samira,

mir gefällt die Geschichte, weil sie ein wichtiges Thema anders anpackt. Man weiß am Anfang der Story nämlich noch gar nicht, auf was Du hinaus willst... Und ich wußte erst zum Schluß, daß Du den Regenwald damit meinst... Ein Problem, das uns alle angeht.

Deine Geschichte stimmt auch nachdenklich. Du hast über einen Arbeiter geschrieben, der gar keine Wahl hat, der das, was er tut, gar nicht tun will. Aber es tun muß, um seine Familie zu ernähren. Er muß Lebensräume ausrotten, weil sonst seine Familie "ausgerottet" wird, um es mal drastisch zu sagen.
Und das ist traurig, genau, wie unsere Welt traurig ist. Du zeigst den Arbeiter in einem anderen Licht. Wir hier würden die Leute, die den Regenwald abholzen, automatisch als Mörder bezeichnen - ohne groß nachzudenken. Daß sie aber nur ihren Job machen, um ihre Familien zu ernähren... Daran denken die Wenigsten (ich will mich da nicht ausnehmen).

Griasle,
stephy

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom