Schulausflug.
Schulausflug
Schulausflug.
Eine Kurzgeschichte.
Montag, 17. Juni 1984
Liebes Tagebuch -
Ach was, so fängt nur das stereotype Mädel in der Pubertät seine Tagebucheinträge an. Ich für meinen Teil weiß ja nichtmal, wieso ich hier überhaupt schreibe. Wahrscheinlich ist mir einfach nur langweilig und mein Stift sowie der neue Block, den ich kurz vor dem Ausflug gekauft habe, regten mich dazu an, etwas zu schreiben. Ich wollte zuerst eine Geschichte schreiben, aber die Atmosphäre hier ist irgendwie zu beklemmend dazu, also lieber ein Tagebuch, dann habe ich hinterher auch etwas, das mich an diese Reise erinnert, wenn ich denn wieder zu Hause bin, falls ich wieder dorthin komme.
Einen Ausflug, den wollten wir machen, mit dem Bus, wie das in der Schule üblich ist. Zehnte Klasse des Gymnasiums, da macht man einen Ausflug. Wir wollten eigentlich eine Woche wegfahren, Montag morgen bis Freitag abend, aber das wurde nichts -
Heute ist Montag, der erste Tag. Es ist abend, aber angekommen sind wir dann doch nicht. Unser Busfahrer hat seinen Lappen wohl im Lotto gewonnen, wer fährt denn schon mit einem Reisebus über so komische Landstraßen und baut hinterher noch einen Unfall, so daß wir alle in der Mitte von Nirgendwo festsitzen, weit und breit kein Telefon und Funkempfang gibt es auch keinen.
Der Bus kann nicht mehr fahren, kein Wunder, wenn er einen Abhang runtergefallen ist und nun irgendwo zwischen Bäumen hängt. Immerhin haben wir was zu essen dabei und zur Not fressen wir die Leiche von unseren Lehrer, der vorne gesessen hat und bei dem Aufprall einen Baum, der recht unerwartet durch das Fenster geschossen kam, direkt an die Birne bekommen hat. Kleiner Scherz -
Die meisten Leute waren geschockt oder weinen jetzt, letzteres trifft vor allem auf die Mädchen zu, die beim Anblick von dem Blut des Lehrers, was hier überall im Bus klebt, ein wenig dissig zu werden scheinen. Wer nicht weint, kauert in der Ecke und wartet auf Hilfe. Der Busfahrer versucht, die Kinder zu beruhigen. Ich sitze und schreibe Tagebuch und Karl und Frank spielen Schach - das scheint sie etwas abzulenken. Mich lenkt schreiben auch ab -
Der Busfahrer ist heute mal auf die Straße zurückgegangen, dazu mußte er einen kleinen Abhang hochklettern, er wollte schauen, ob da Autos kommen, aber es kamen keine - zumindest hat er das gesagt, von uns hat es keiner gesehen. Aber der hat keinen Grund uns anzulügen, also glaube ich ihm. Der arme Mann will ja bestimmt auch nach Hause zu seiner spießigen Ehefrau, die er bestimmt seit Jahren nicht mehr gefickt hat, so wie der aussieht. Der Busfahrer war ein fetter Kerl, umsympathisch und mit rauher Stimme - Landstreicherstil - dem man nicht im Dunkeln begegnen wollte. Der steht bestimmt auf keine Kinder und vielleicht grabscht der heute Nacht ein paar Mädchen an, wenn die ihm nicht schon zu alt sind.
Ich liebe Andrea, das habe ich gerade festgestellt, als sie sich ihren Pullover auszog um zu schlafen. Es war ja warm hier, nicht zuletzt wegen dem Schweiß der ganzen dreiundzwanzig Schüler.
Der Tag läßt sich chronologisch mit ein paar Worten zusammenfassen: Busfahrt, Unfall, toter Lehrer, Geheul und Geseufz. Es ist abend und langsam sollte ich schlafen, die meisten tun es.
Dienstag, 18. Juni 1984
Der Busfahrer ist heute schon früh aufgestanden und hat auf die Straße geguckt, als ich wach wurde, war er schon weg. Ich war nicht der erste, der wach war, ich habe bis kurz nach zehn geschlafen und Karl und Frank waren schon wieder am Schachspielen und andere heulten aber die meisten hatten sich etwas beruhigt, versuchten, nicht auf den toten Lehrer mit einem zerschlagenen Kopf zu starren und das Blut an den Wänden war auch getrocknet.
Ein paar Leute stehen jetzt schon auf und gehen ein paar Schritte in den Wald, in dem der Bus liegt. Der Busfahrer kommt zwischendurch mal wieder und sagt, daß noch immer kein Auto da war, und das wundert mich nicht, denn wir haben auf der ganzen Fahrt gestern keines gesehen, nachdem wir von der Hauptstraße auf diese Landstraße hier abgebogen sind, da fährt auch keine Sau her, wenn er die Wahl zwischen hier und Autobahn hat. Aber wir mußten hierher, geht angeblich schneller, weil die Straße frei ist. Ja, schneller ging es, vor allem schneller durch die Kurve und schließlich verdammt schnell in den Graben -
Maria kommt schreiend an und weinend und kreischt irgendwas von 'Sie sind tot'.
Zwei Leichen, etwas tiefer im Wald. Das waren Peter und Frieder, die sind auch in den Wald gegangen. Scheint ein Tier gewesen zu sein, denn sie haben Bißwunden am Hals und überall am Körper, etwas Fleisch wurde abgefressen. Alle können sich das nicht ansehen, vor allem Maria, die sie gefunden hat, schreit und weint und liegt bei Andrea in den Armen. Andrea ist heiß, wenn sie andere Leute tröstet. Ich liebe sie.
Two dead, twenty-one to go. Ich kann nicht gut englisch, aber ich mag die Sprache.
Der Busfahrer hat gemeint, wir sollen nicht mehr zu den Leichen gehen und im Bus bleiben, vor allem abends, weil das Tier, was sie getötet hat, noch hier sein könnte. Ich bleibe eh im Bus und schreibe und Karl und Frank spielen Schach und die anderen lesen oder weinen oder warten darauf, daß der Busfahrer endlich ein Auto anhält.
Es ist dunkel geworden, der Busfahrer steht noch immer auf der Straße. Er hat vorhin die Leiche vom Lehrer rausgeschafft zu den anderen Leichen, damit wir ruhiger schlafen können sagt er. Ein paar Leute schlafen schon, die meisten nicht, sie warten wohl auf den Busfahrer und daß er wiederkommt, weil der ist der einzige Erwachsene hier, und das ist denen wohl ein Schutzsymbol.
Es dauert nicht mehr lange, dann laufen ein paar Leute in den Wald und suchen einen Ausgang. Der Busfahrer hat uns davor gewarnt, der Wald sei zu groß, er kennt ihn wohl - woher? Ich sollte auch schlafen, mittlerweile bin ich der einzige, der noch wach ist. Auch der Busfahrer schläft schon.
Mittwoch, 19. Juni 1984
Guten Morgen - der Morgen ist nicht gut. Meine letzte Flasche Cola ist leer, ich hatte nur drei. Ich muß was zu trinken haben, am besten sehe ich mich mal nach etwas um, vielleicht ein Bach in der Nähe und sonst nehme ich was aus dem Rucksack der Toten. Die anderen machen das eh nicht - Leichenfleddern - das finden die ethisch nicht vertretbar, nehme ich an. Scheißegal ist mir das, lieber ethisch nicht vertretbar als nichts zu trinken.
Der Busfahrer ist schon wieder los und wartet auf der Straße auf Autos. Muß der gar nichts trinken und essen? Ich esse einen Schokoriegel, meine Brote sind schon alle weg. Andrea ißt einen Salat, sie ist heiß, wenn sie was ißt. Ich liebe sie -
Drei Leute fehlen im Bus, die sind nicht mehr da. Die müssen heute nacht rausgelaufen sein, das durften sie nicht, aber es mußte so kommen, früher oder später. Der Busfahrer will sie suchen gehen, er sagt, wir sollen warten, ich warte eh.
Wie lange hält dieser Kugelschreiber eigentlich noch?
Großer Aufruhr, die drei sind auch tot, zerfleischt, sagt der Busfahrer, wie Peter und Frieder. Ich will mir die Leichen ansehen, aber er verbietet mir, rauszugehen. Der Dicke stinkt nach Leiche, er war wohl zu lange an denen dran. Das waren drei Mädchen: Nina, Lisa und Emma, alle so fünfzehn oder sechzehn, vielleicht hat die pädophile Sau ja auch einen auf die Leichen onaniert, schließlich kriegt man nicht alle Tage drei Fünfzehn- oder Sechzehnjährige, die man ausziehen und begucken kann, ohne, daß sie sich wehren und das bißchen Blut kann man übersehen. Der Busfahrer ist ekelig, der Typ widert mich an, der soll endlich ein Auto finden, damit ich wegkomme - weg von ihm, möglichst weit weg am besten.
Five dead, eighteen to go.
Es dämmert und Christian will den Busfahrer auf der Straße besuchen und ihm vielleicht mal ablösen. Er geht raus obwohl er das nicht soll. Die anderen warten und er schreit auf einmal, allgemeine Aufruhr, alle strömen raus. Der Busfahrer sitzt schon da, sein Hemd mit Blut beschmiert und diagnostiziert den Tod. Jeder kann den Tod diagnostizieren, wenn der Hals aufgebissen ist und Blut überall rumliegt. Irgendwas kommt mir an der Szene komisch vor -
Six dead, seventeen to go. Langsam mag ich den Spruch.
Es ist nacht, ich habe gerade geschlafen aber mir fällt ein, was mir komisch vorkam und ich schreibe das auf, damit ich es nicht vergesse. Wieso war das Hemd von dem Busfahrer mit Blut beschmiert, wenn er den Toten nur angesehen hat? Hat der sich damit eingerieben? Der Mörder ist in diesem Bus! Was meinen Sie, Dr. Watson? Wahrscheinlich ist er hingefallen, weil er so fett ist, als er von seinem Abhang runtergeklettert ist, an dem klebte ja auch Blut. Wie kommt der Fettwanst eigentlich immer da hoch und wieder runter? Das wäre sogar für mich schwer.
Donnerstag, 20 Juli 1984
Wir haben das Jahr 1984 und Johanna, die Leseratte, liest das Buch 1984 von Orwell. Die Tatsache finde ich lustig, das Buch ist gut, das habe ich auch gelesen. Es fehlen übrigens schon wieder Leute, diesmal sind es fünf Stück, fünf Jungen, eine Clique sozusagen. Die haben immer zusammengehalten und meinten, wie wären toll oder so. Roman, Thomas, Elmer, Dennis und Hugo. Die hauen echt nachts aus dem Bus ab, wenn doch schon massig Leute tot sind, zerfleischt von einem Tier, das hier rumrennt. Ich werde mich hüten, den Bus noch zu verlassen.
Ich der Tasche von Emma finde ich zwei Flaschen Traubensaft und ein Schinkenbrot, es stört ja keinen, wenn ich das nehme. Ethisch vertretbar und so -
Die Clique ist tot, sagt der Busfahrer, ich will nicht raus und mir das ansehen, sonst kriegt das Vieh mich auch noch. Das Blut auf seinem Hemd ist mittlweile getrocknet, aber stinken tut er immernoch. Ich sitze ganz hinten, und er ganz vorne, aber es stinkt bis hierhin. Keiner sagt was, ich auch nicht, das ist auch besser so, aus Kulanz.
Eleven dead, twelve to go. Fast die Hälfte schon, der Fall dürfte populär werden.
Der Busfahrer sagt, er habe ein Auto gesehen, aber es hat nicht angehalten. Auf solche Leute wird man leicht sauer, ich wünsche ihm Diphterie an den Hals. Wenn mich dieses Tier auch zerfleischt, dann suche ich das A****loch als Poltergeist heim, aber ich weiß ja nichtmal, wer das war. Aber die im Himmel werden mir das sicher sagen können, oder die in der Hölle -
Andrea hat Angst, sie kuschelt sich an Maria - heiß - und will sich trösten lassen. Ich liebe sie. Wenn das Tier sie angreift, dann ziehe ich ihm persönlich das Fell über die Ohren, vorausgesetzt ich werde vorher Herkules. Aber Andrea ist viel zu vernünftig, um jetzt noch den Bus zu verlassen.
Weil sie viele Leute tot sind, haben die anderen mehr zu essen -
Es wird dunkel, der Busfahrer kommt wieder und sagt, daß außer dem einem Wagen niemand vorbeikam. Wir sollen schlafen, Karl und Frank packen das Schachbrett weg, es ist eh zu dunkel zum Spielen. Dunkel war's, der Mond schien helle!
Muß der Busfahrer eigentlich nie was essen?
Freitag, 21. Juli 1984
Heute hätten wir zurückfahren sollen, wahrscheinlich vermissen uns die Eltern dann. Und die Hälfte ist ja eh schon tot, da wird es ein toller Schock für die. Es ist sogar mehr als die Hälfte schon tot, nehme ich an, denn es fehlen wieder zwei Leute. Diesmal Karl und Frank, die Schachspieler. Die beiden würden doch nie rausgehen, dachte ich mir zumindest, aber die Angst verändert viele Leute. Werde ich mich auch verändern, wenn ich ernstmal wirklich Angst habe? Der Busfahrer hatte die Leichen heute in der Früh gefunden, ich war noch am schlafen. Michael erzählte es mir, als ich aufwachte. Michael saß eine Reihe vor mir, und das war das erste Mal, daß mich jemand direkt ansprach auf der ganzen Reise. Ich wurde nie viel beachtet, aber sowas schweißt ja zusammen. Er trägt einen markanten Siegelring, den finde ich toll -
Thirteen dead, ten to go.
Fest gemauert in der Erden steht die Form, aus Lehm gebrannt. Heute muß die Glocke werden. Frisch Gesellen, seid zur Hand. Ich kann die Glocke immernoch auswendig, die mußten wir vor zwei Wochen lernen. Dieser Schiller hatte schon was auf dem Kasten, vielleicht sollte ich auch mal etwas dichten. Wenn ich dann tot bin, was ja unter Umständen recht bald sein könnte, werde ich eventuell berühmt. Aber das würde ja keiner finden - wer sucht in einem Bus mit toten Schulkindern schon nach potentiell guter Lyrik -
Ich weiß nicht mehr, was ich schreiben soll. Der Kugelschreiber gibt langsam nach.
Es wird langsam recht gruselig hier, das Tier hat schon wieder drei Leute erwischt - drei Mädchen diesmal. Roberta, Maria - die Freundin von Andrea - und Carina. Wir werden immer weniger und langsam gruselt es mich. Immerhin Andrea lebt noch, ich liebe sie. Und Michael, mit dem ich mich immer mehr anfreunde, auch noch. Wir haben uns heute über Fußball unterhalten, ich habe zwar keine Ahnung davon, aber Michael ist ein Fan. Also habe ich zugehört und vielleicht fange ich zu spielen an, das klingt ja nichtmal so uninteressant, wie ich immer dachte.
Michael hat sich neben mich gesetzt und wir haben ein Brot aus der Tasche eines Toten genommen. Ich weiß nicht, wessen es war. Aber ich habe Mickel überredet, daß es moralisch unbedenklich sei und daß die im Himmel sicher nicht wollen, daß wir eingedenk unserer Ethik verhungern oder verdursten. Er hat mir dann zugestimmt und ... der Kugelschreiber war leer, Mickel hat mir seinen gegeben. Er hat gelesen, was ich hier geschrieben habe und er meint, ich solle das hinterher als Buch veröffentlichen. Aber das ist viel zu kurz für ein Buch, habe ich ihm gesagt -
Mickel und ich Spielen Schach. Karl und Frank sind eh tot und das schöne Schachbrett soll ja nicht einstauben. Wir können beide nicht gut Schach, aber es macht Laune und vertreibt die Zeit. Ein Junge und ein Mädchen sind zwischendurch trotz Warnung rausgelaufen um etwas frische Luft zu schnappen, nur direkt vor den Bus sagten sie. Die beiden gehen miteinander, das weiß jeder. Die stehen aber nicht dazu und wollten wahrscheinlich küssen, sie gingen in ein Gebüsch, so daß man es nicht durch die Fenster sehen konnte.
Es ist Nacht, Mickel schläft schon. Das Pärchen, Klaus und Anna, ist noch nicht wieder da. Wahrscheinlich sind sie tot.
Samstag, 22. Juli 1984
Ja, sie sind tot. Der Busfahrer hat sie heute in der Früh gefunden. Ich habe wieder geschlafen, aber Mickel ist ein Frühausteher und hat's mir erzählt. Ich verpasse den Busfahrer immer wieder, ich könnt's nicht beschwören, aber gestern nacht war der auch nicht da. Vielleicht hält der auch nachts um zwei noch Ausschau nach Autos, aber wenn schon am Tag keine kommen, dann doch nachts erst recht nicht. Wahrscheinlich habe ich ihn nur Übersehen -
Fifteen dead, eight to go.
Beim Schachspielen realisieren Mickel und ich ernstmals, daß tatsächlich fünfzehn Leute von uns tot sind. Der Schock sitzt tief, denn irgendwie waren wir beiden vorher enorm ruhig. Die drei Mädchen, die noch übrig sind, heulen fast nur noch. Andrea ist heiß, wenn sie weint. Der Kommentar war unangebracht, in der Lage. Aber man soll den Tod nicht so ernst nehmen, sagen alle. Dann kann man besser damit umgehen.
Andrea, Johanna, Tatjana, Robert, Thorsten, Moritz, Mickel und ich. Wir sind die acht, die noch to go sind. Der Busfahrer zählt nicht, der alte Kinderficker, der stinkt außerdem. Ich zähle uns heute schon mehrmals, ich will mir sicher sein, daß wir alle noch da sind. Vor allem Andrea und Mickel, die beiden sind mir recht wichtig geworden. Ich liebe Andrea, das ist ja klar. Und Mickel ist mittlerweile sowas, wie ein Freund. Johanna liest mittlerweile ein zweites Buch, 20,000 Meilen unter dem Meer von Jules Verne. Tatjana weint nur, sie weint eigentlich schon die ganze Zeit. Das ist eine Heulsuse. Robert, Thorsten und Moritz sind auch eine Clique, die stehen auf so einen komischen Kram wie Videospiele. Die haben so kleine Geräte, die sie an den Fernseher anschließen können und dann schießen sie damit Raumschiffe ab. Ich habe es nie gesehen, es interessiert mich auch nicht -
Thorsten hat ein Klappmesser dabei, die drei wollen das Tier jagen. Ich warne sie, aber sie lachen mich aus. Egal, dann sollen sie gehen. Mickel sagt mir noch, daß sie sterben werden. Ich stimme dem zu. Tatjana weint -
Der Busfahrer kommt wieder, es dämmert. Drei neue Leichen, sagt er. Das müssen Thorsten und die anderen sein. Der Dicke hat eine Wunde unterhalb der Rippen, wahrscheinlich ist er den Abhang runtergeflogen. Der Kerl hat mehr Glück als Verstand, er ist fast nur draußen, aber das Tier tötet ihn nicht, alle anderen, die auch nur einen Fuß vor die Tür setzen, sind schon tot.
Eighteen dead, five to go.
Ich bin müde, Mickel auch. Tatjanas Geheule nervt -
Sonntag, 23. Juli 1984
Es ist still. Tatjana heult nicht mehr. Könnte daran liegen, daß sie tot ist. Mickel hat mir erzählt, daß der Busfahrer gesagt hat, sie sei heute nacht rausgerannt. Die ist schizophren, zuerst weint sie vor Angst und dann rennt sie dem Biest in den Rachen. Sachen gibt's -
Nineteen dead, four to go.
Wir sind noch vier, und wir vier sitzen jetzt quasi am selben Tisch - in der selben Sitzreihe, ganz hinten. Wir trinken und essen alle aus den Taschen der Toten und ich spreche mit Andrea! Mickel fühlt sich sicher vernachlässigt. Andrea ist toll, sie hat Verständnis und weil Johanna lieber Jules Verne liest, als sie zu trösten, hat sie sich bei mir angekuschelt und sieht zu, wie ich mich Mickel Schach spiele. Es ist Sonntag, meine Eltern machen sich sicher sorgen. Die Polizei sucht unter Garantie schon nach uns.
Ich will mir die Beine vertreten und gehe durch den Bus, vorhe - hinten - vorne - hinten. Ich sehe, wenn ich aus dem Fenster schaue, das Klappmesser von Thorsten da draußen liegen. Es ist Blut daran, dann hat er das Tier tatsächlich erwischt. Aber tot ist es nicht, so ein Mist! Mickel meint, es sei ein Wolf. Andrea hat auf einen Tiger getippt aber Johanna hat ihr gesagt, daß es sowas hier nicht gibt. Alle haben Angst, aber keiner läßt es sich anmerken.
Der Busfahrer kommt wieder und sagt uns, daß immer noch kein Auto da war. Langsam finde ich das verwunderlich, über eine Woche und nur ein einziger Wagen. Wir könnten natürlich auch einfach Pech haben und die Autos kommen nur, wenn der Dicke gerade bei uns unten ist. Er sagt, wir müssen keine Angst haben aber aus seinem dicken Hals mit der Landsteicherstimme klingt das, als würde er es einem kleinen Mädchen sagen, dem er einen Lolli angeboten hat und sie nun mit in den Wald nimmt, um sie durchzuficken. Der soll wieder auf die Straße gehen und uns in Ruhe lassen. Wahrscheinlich greift das Vieh ihn nicht an, weil er so stinkt. Diese komische Wunde unterhalb seiner Rippen ist wohl zu, da blutet nichts mehr und sein blutiges Hemd hat der noch immer nicht ausgezogen - pfui.
Ich bin gerade aufgewacht und habe draußen im Gebüsch etwas gesehen. Es sah aus wie eine Person, die gewunken hat. Aber alle sind hier, also schlafe ich weiter, ich wollte das nur kurz vermerken.
Montag, 24, Juli 1984
Langsam geht uns das Wasser aus. Aber wir sind nur noch drei - Johanna ist verschwunden. Mickel sagt, der Busfahrer war heute schon draußen bevor er wach wurde, aber man konnte Johannas Leiche deutlich sehen, wenn man aus dem rechten Fenster nach unten sah, sie lag dicht am Bus. Andrea rückte näher an die linke Seite, sie mochte das nicht sehen. Verständlich. Ich liebe sie.
Twenty dead, three to go.
Ich habe Andrea gesagt, daß ich sie liebe und ihr dann spontan einen Kuß gegeben. Sie war perplex, hat sich aber dann wortlos wieder an mich gekuschelt. Die Situation war wohl zu angespannt, um jetzt Beziehungsstreß zu machen und sie wollte wohl auch nicht alleine sein. Ich küsse sie gelegentlich auf den Kopf, während ich mit Mickel Schach spiele und sie in Johannas Buch liest. Sie meint, Jules Verne sei toll -
Es dämmert schon wieder, der Tag ging schachspielend vorüber und ich habe schon wieder einen neuen Kugelschreiber, diesmal aus der Tasche von einem Toten. Keine Ahnung, wessen. Mein Block ist auch schon zu über der Hälfte voll, wir müssen langsam mal raus hier, sonst muß ich noch die Rückseiten beschreiben. Es ist kein Essen mehr da, alle Taschen sind durchsucht, aber noch drei Flaschen Wasser und eine Flasche Cola. Ich gebe Andrea meinen letzten Schokoriegel.
Der Busfahrer kommt nicht wieder, es ist nacht. Vielleicht wurde er gefressen oder ist verhungert, den habe ich in der ganzen Zeit nicht einmal essen oder trinken sehen, der Typ ist komisch. Außerdem stinkt der jetzt nach Parfum, wahrscheinlich hat er seinen komischen Leichengeruch damit überdeckt. Es ist Johannas Parfum, das erkenne ich. Der muß sich das aus der Tasche genommen haben. Ich mache ihm keinen Vorwurf, wir fleddern ja alle und besser so, als daß er uns zustinkt.
Dienstag, 25. Juli 1984
Mickel ist weg als ich aufwache!
Gegen Mittag kommt der Busfahrer und sagt uns, daß wir die letzten sind. Mickel wurde tot gefunden. Am Hemd des Dicken klebt frisches Blut, wie ich erkenne. Er geht wieder auf die Straße. Andrea weint jetzt und wir küssen uns das erste Mal auf den Wund. Sie tut das bestimmt aus Frust oder, weil sie Angst hat. Ich habe auch Angst. Ich wollte, daß Mickel überlebt, ich mochte ihn.
Twenty-one dead, two to go.
Andrea und ich spielen Schach, dann liest sie wieder Jules Verne. Dann spielen wir wieder Schach, dann liest sie wieder Jules Verne. Mir ist langweilig -
Es ist Nacht und Andrea hat mich gerade gefragt, ob sie überleben würde. Ich habe ihr gesagt, daß ich sie beschütze. So machen die das im Film auch immer. Sie ist in meinen Armen eingeschlafen. Ich liebe sie wirklich.
Mittwoch, 26. Juli 1984
Andrea ist auch weg! Ich will nicht, daß sie tot ist. Der Busfahrer kommt gerade rein und ruft, daß ich mitkommen solle, er hat ein Auto gefunden, das uns beide mitnehmen kann. Na endlich! Ich frage ihn wegen Andrea und er sagt, die sei tot. Ich will hier nur noch weg, bevor dieses Tier mich auch noch kriegt. Der Busfahrer deutet mir, mich zu beeilen. Wieso hat der Kerl Mickels Siegelring am Finger? Egal, ich will weg -
Twenty-two dead, one to go.