Schuhe
"Vielleicht kann mir das ja "helfen"". Viele Leute glaubten nicht an ihn - eigentlich keiner. Und er wusste das. Das war sein Problem.
Sich dessen bewusst zu sein, niemals das Vertrauen oder die Zuwendung eines anderen Menschen gefühlt oder gar verdient zu haben, das machte ihn über die Jahre zu dem, was er nun war.
Ein Wrack, ein Abklatsch dessen, was wir „Mensch“ nennen.
Ja, er glich einer verunglückten Nachahmung – so wie wenn eine kleine Firma Schuhe herstellt, die genauso aussehen wie das Produkt einer großen, erfolgreichen Firma, aber durch die minderwertige Verarbeitung keinen Profit abwarfen – die Schuhe sahen zwar so aus wie die anderen, aber innerlich waren sie, mir fallt kein zutreffenderes Wort ein, schlecht. Irgendwo, irgendwann und von irgendwem hatte er mal den Satz „Nichtigkeit ist ein Wort – ich bin die Verkörperung“ aufgeschnappt.
So fühlte er sich.
Jeden Morgen mit dem Gefühl der Ablehnung anderer aufzuwachen konnte er nicht mehr ertragen. Er musste dem ein Ende setzen.
„Wenn Schuhe ausrangiert sind, wirft man sie weg.“, allein dieser Gedanke ging ihm am Vortag durch den Kopf – nichts anderes.
Daran glaubte er und so war es auch. Und in seinen Augen war er eben ein ausrangierter Schuh.
So stand er nun allein auf dieser Brücke. Im Umkreis von einem Kilometer war hier keine Menschenseele – schon gar nicht um diese Uhrzeit. Da war kein ungewohntes Gefühl für ihn, er fühlte sich eigentlich immer so.
Noch einmal blickte er über den jämmerlich niedrigen Rand der Brückenabsperrung.
„Wenn da einer mit dem Auto gegenfährt, hilft ihm diese kleine Mauer kein bisschen!“, schrie er so laut er konnte.
Aus irgendeinem Grund verspürte er Hass auf diese kleine Mauer.
Doch er war sich sicher – die Brücke war hoch genug, das musste auf jeden Fall reichen.
Er stellte sich auf die Absperrung, schloss die Augen und versuchte seinen letzten, wichtigsten Gedanken zu fassen:
„Vielleicht sollte mal jemand Schuhe mit Flügeln erfinden.“