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Schritttempo

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18.05.2011
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Schritttempo

„Meistens is'es n ziemlich schmaler Grad zwischen Küssen und Kotzen.“ Jan drehte sich eine seiner gefühlt 100 Zigaretten am Tag. Einige Tabakkrümel gingen wie immer daneben. Er sammelte sie sorgfältig auf und stopfte sie zurück in die Tüte.
„Vielleicht solltest Du es einfach mal mit Reden statt Rauchen versuchen.“ Tim war genervt. Ewig dieses Gejammer von Weicheiern mit zu dicken Eiern, die nie zum Schuss kamen. Tim hatte nie dicke Eier. Dafür laberte er ziemlich viel Dünnschiss, zumindest nach Jan's Meinung.
„Das ist ja gerade das Problem! Wenn ich mit ihnen reden soll, könnt' ich jedes Mal vor Aufregung kotzen!“
„Und mich kotzen Deine Ausreden langsam an. Entweder wolltest Du eh gerade gehen, hattest eben erst n frisches Bier bestellt oder die Sonne stand schief. Und jetzt die Nummer mit dem Kotzen. Hingehen und anschnacken – fertig! Ich mein, wie oft haste denn schon einer in den Ausschnitt gereihert? Null Mal?!“ Tim griff sich Jan's Kippe und zog sie bis zum Filter weg.
„Und das muss ich mir von jemanden anhören, der seit zig Jahren dieselbe bummst. Wann musstest Du denn das letzte Mal eine ansprechen? Da dachtest' bei Apple doch noch an Saft!“ Jan schaltete von Selbstmitleid auf Angriff. Ständig diese schlauen Sprüche von Leuten in Beziehungen. Selbstgerechter Scheiß! Selbst sind die übereinander gestolpert, fühlen sich aber berufen, jedem Single in ihrem Freundeskreis kluge Ratschläge zu verabreichen. Und wenn alles nichts mehr hilft, kommt der Satz:„Vielleicht solltest Du an Deinen Ansprüchen schrauben.“
Ja, Mensch, wieso is' man da bloß selbst noch nicht drauf gekommen?! Hübsches Gesicht? Überschätzt! Übergewicht? Liebe macht doch eh blind! Zicke? Welche nicht?! Also alles was nervt, fett und hässlich ist und auch bei zehn aus gutem Grund noch nicht versucht auf den Baum zu klettern: immer her zu Onkel Jan!
Tim drehte sich um: „Wann hattest Du das letzte Mal Sex? Und ich meine jetzt nicht allein!“
„Ha, ha, witzig! Wann hattest Du denn das letzte Mal aufregenden Sex? Und ich meine jetzt nicht die 5 Minuten-Standard-Nummer mit Nina.“
„Wenigstens hab ich noch Sex.“
„Ja, zweimal die Woche zwischen Zähneputzen und Schlafanzug. Trägt sie eigentlich immer noch diese Oma-Nachthemden?“ Zum Glück hatte ihm Tim das mit den Nachthemden einmal nach dem siebten Bier verraten. Irgendwann kann man solches Insiderwissen immer gebrauchen.
„Leck mich!“ Tim kippte sein restliches Bier auf ex.
„Danke, so nötig hab ich's echt nicht.“
Schweigen.
Schließlich zeigte Tim auf das Nachbarhaus: „Pass auf: Siehst Du die da auf dem Balkon gegenüber? Wegen der haste doch schon ab März hier draußen gehockt und gehofft, dass sie mal raus kommt und eine raucht.“
Streng genommen ab Anfang Februar, dachte Jan, behielt es aber lieber für sich.
„Du gehst jetzt da rüber, klingelst und sagst: >Hi, ich wohne gegenüber. Hab schon öfter gesehen, dass Du auch gern mit Käffchen auf dem Balkon sitzt und eine rauchst. Wollen wir das nicht mal zusammen machen?<.“
„Genial! Dann lauf ich da jetzt mit ner Thermoskanne rüber, oder was? Spitzen Idee! Also wenn sie da nicht schwach wird, weiß ich auch nicht.“
„Man, du gehst halt vorher zu Starbucks an der Ecke und holst zwei Kaffee-Latte-Dingsbums!“
„Aha, ein Latte für ne Latte, ja?!“
„Wenn du nicht gehst, ruf ich von hier aus zu ihr rüber, dass du was von ihr willst.“
„Das Einzige was ich will, ist meine Ruhe!“
„Schwachsinn! Tote haben mehr Ruhe als Du. Was du brauchst ist Action. Blonde Action!“
„Blonde Action?“ So was Dämliches hatte Jan noch nie gehört.
„Blonde Action!,“ wiederholte Tim, beeindruckt von seiner eigenen Wortschöpfung.
Eine Weile starrten sie sich aus zusammen gekniffenen Augenschlitzen an. High Noon auf dem „Balkoon“, sozusagen. Wer zuerst blinzelt, hat verloren. Na ja, eigentlich konnte nur Tim gewinnen, schoss es Jan durch den Kopf. Geht er rüber und funktioniert die Nummer sogar, wird er sich das bis ans Lebensende von ihm anhören müssen. Und geht er nicht, hat Tim auch seinen Spaß beim Rüberbrüllen. Ne klassische Win-Lose-Situation also.
„Mein Gott, dann geh ich halt! Kotz' ich der Alten eben ins Dekolleté.“ Genervt stemmte sich Jan von seinem Platz und drehte sich sofort in Richtung Tür. Den triumphierenden Gesichtsausdruck von Tim konnte er jetzt wirklich nicht gebrauchen.
Zum Glück hatte er ihm nie erzählt, dass er sie schon oft bei Starbucks getroffen hatte. Natürlich nicht auf einen Kaffee. Sie sind sich nur eher zufällig ab und an dort über den Weg gelaufen. Gut, manchmal war es auch nicht ganz so zufällig. Wie viel Zufall ist schon noch dabei, wenn man jeden Tag dreimal hinläuft und mittlerweile praktisch vor dem finanziellen Ruin steht.
Die Investition hatte sich aber auf jeden Fall schon gelohnt. Zumindest in Jan's Augen. Vor sieben Wochen wollte er sich gerade das zweite überteuerte Lifestyle-Gesöff des Tages holen, als sie plötzlich in der Tür stand. Mit zwei Bechern in der einen und zwei Büchern in der anderen Hand. Jan sprintete die letzten Meter bis zur Tür und hielt sie ihr auf. Sie lächelte ihn an und sprach sogar mit ihm: >Danke.<
Gut, nicht sonderlich spektakulär. Und andere hätten darauf wenigstens ein „Bitte“ oder ein „Keine Ursache“ heraus gebracht. Jan fing bloß an zu schwitzen und nickte. Garniert von einem verkrampften Grinsen, dass sie wohl kaum als offensives Flirtsignal interpretiert hat. Doch für Jan war es der mit Abstand aufregendste Moment seit drei Jahren. Streng genommen sogar seit vier, wenn man das Lächeln der Kassiererin im Lidl nicht mitzählt.
Der Weg vom Kaffee-Panscher zu ihrem Haus zog sich ziemlich in die Länge. Was auch an seinem Schritttempo liegen konnte. Ihre Haustür stand leider offen. Wahrscheinlich hatte sie jemand offen gelassen, um das Treppenhaus zu lüften. Oder jemand zog gerade ein oder aus, sinnierte Jan. Womöglich saß sie bereits auf gepackten Koffern, um mit ihrem Freund zusammen zu ziehen. Oder in die Wohnung nebenan zog so ein Robert Patterson Verschnitt, mit dem er sowieso nicht konkurrieren konnte. Am besten, er räumt gleich das Feld. Erspart zumindest das Frustbesäufnis nach der Abfuhr. Oder wenigstens ein Promille davon. Die Ami-Plörre dürfte mittlerweile eh lauwarm sein. Und was sollte sie schon von einem Typen halten, der mit lauwarmen Kaffee in die Werbephase um sie einsteigt?! Außerdem, bevor der erste Schritt auch der letzte ist, kann man doch gleich stehen bleiben, oder?
„Kann ich Ihnen helfen?“ Eine weibliche Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Jan erstarrte.
„Suchen Sie jemanden?“ Eine Frau um die 70 schaute ihn fragend an. Er musste wohl schon eine ganze Weile vor ihrer Tür gestanden haben.
„Äh, nein, ich äh such' eigentlich – da, diese Tür da. Den Namen meine ich. Das müsste der Balkon sein. Also, die richtige Wohnung, meine ich,“ stammelte Jan. Mit knallrotem Schädel drehte er sich um und schlich zur gegenüberliegenden Wohnungstür. Wenn er sich jetzt nicht vollkommen lächerlich machen wollte, musste er bei ihr klingeln.
Leider funktionierte ihre Klingel. Ihre Schritte waren leiser als Jans Herzschlag. Kein Wunder, schließlich bearbeitete der mit einem Presslufthammer seinen Kehlkopf. Sein Magen drehte sich immer schneller. Pures Glück, wenn gleich Worte statt Kotze aus ihm raus kämen. Und das auch noch vor Publikum. Die Alte machte keinerlei Anstalten zu verschwinden.
„Hi! Liefert Starbucks jetzt schon nach hause?“
Jan öffnete den Mund und begann zu pressen. Irgendwas würde schon rauskommen.

 

„Meistens is'es n ziemlich schmaler Grad zwischen Küssen und Kotzen.“ „Vielleicht solltest Du es einfach mal mit Reden statt Rauchen versuchen.“ Dafür laberte er ziemlich viel Dünnschiss, zumindest nach Jan's Meinung.
Is’es = isses (das ist lautmalerisch)
N= ’n; zieht sich durch den Text
Du = du (klein)
Jan’s = Jans (das ist der sogenannte Würstchenbuden-Apostroph … den gibt es im Deutschen nicht); zieht sich durch den Text

könnt' ich jedes Mal vor Aufregung kotzen!
Da braucht es auch keinen Apostroph. Wenn man Dialekte oder Umgangssprache wiedergeben will, dann bitte mit so wenig Apostrophen wie nötig. Da kann man sich ruhig mal künstlerische Freiheit rausnehmen. Niemand will einen Text lesen, der aussieht als sei eine Katze drübergelaufen.
Apostrophe werden nur benutzt – oder vor allem – um Sprachfehler wieder zu geben oder wirklich arge Dialekte.

Da dachtest' bei Apple doch noch an Saft!
Was genau soll der Apostroph da eigentlich auch bedeuten? Dachtest ist die korrekte Form, dass da ein „du“ fehlt, oder was?

Selbst sind die übereinander gestolpert, fühlen sich aber berufen, jedem Single in ihrem Freundeskreis kluge Ratschläge zu verabreichen.
Selbst sind sie übereinander gestolpert … ist aber ziemlich unklar, dass es bedeuten soll: Sind unverdient zu ihrem Glück gekommen; „Selbst sind sie blind in die Beziehung gestolpert“

„Leck mich!“ Tim kippte sein restliches Bier auf ex.
„Danke, so nötig hab ich's echt nicht.“
Deine beiden Figuren sind ziemlich geistlos. Wenn sie auf geistreiche Art prollig wären, fänd ich’s unterhaltsam, aber die sind auf eklige Art prollig.

Vor sieben Wochen wollte er sich gerade das zweite überteuerte Lifestyle-Gesöff des Tages holen, als sie plötzlich in der Tür stand.
Der Text hatte noch nicht eine Wendung oder einen Spruch, der irgendwie eigenständig gewesen wäre. Alles schon oft gehört. Latte = Latte! Haha. Hier Lifestyle-Gesöff überteuert und so.
Der Text ist so ein bisschen für Leute geschrieben, die schon wissen, was drin steht, oder?

Furchtbarer Text. Der gehört auch in Humor als Text, der versucht lustig zu sein und furchtbar daran scheitert.
Unbedingt die Figuren positiver gestalten, die sind zu arschlochmäßig zueinander, warum hängt man mit so jemandem überhaupt ab? Das ist auch kein Frotzeln mehr, wenn man wem besoffen was sagt und der haut einem das 3Wochen später nüchtern um die Ohren ohne irgendeinen Anlass.
Dann: Geistreicher. Um Gottes willen viel geistreicher. Mal über eine Pointe nachdenken. Sie mal aufbauen, mal aus einem überraschenden Winkel kommen. Das ist wirklich ein Humor-Text, der nur aus Klischees besteht. Urbanes Liebesleben von zwei Prolls mit Starbucks dann, um Gottes willen. Lustige Figuren haben echte Elemente, sind keine reinen Karikaturen.
Wenn der Protagonist konsequent „ernst“ wäre und straight und hat so einen Dösbaddel als Kompagnon, das ginge, aber die sind ja beide gleich.

Also nee, das hat mir überhaupt nicht gefallen.
Das ist schon: Warum sollte man dem Protagonisten denn bitte schön wünschen, dass er die Frau kriegt? Dem wünsch ich, dass er die Treppe runterfällt und sich das Kreuz bricht.

Gruß
Quinn

 

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