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Schreien Sie bitte nicht so
"Schreien Sie bitte nicht so, mir fliegen ja die Gehirnwindungen weg", stöhnte Kapitän Tryxal.
"Bitte verzeihen Sie, ich lerne noch telepathische Kommunikation und ich bin aufgeregt"; flüsterte Fähnrich Bloog12.
"Das ist eine ganz natürliche Reaktion, zu schreien, wenn man aufgeregt ist. Sie werden noch lernen, in einer angenehmen Lautstärke zu senden. Und bitte halten Sie Ihre Augen offen, ich kann sonst nichts sehen."
Fähnrich Bloog 12 hielt krampfhaft alle vier Augen geöffnet und versuchte gleichzeitig nicht wahrzunehmen, was seine Augen sahen. Sein Magen rumorte bereits erheblich und wenn der sich davonmachte, würde er wenigstens zwei Wochen auf der Krankenstation zubringen. Er musste standhaft bleiben, sonst würde er nicht nur seinen Magen, sondern auch seinen Job verlieren. Alleine der Gedanke an diese Aussicht sorgte für weitere höchst kontraproduktive Magenkrämpfe. Bloog12 flüchtete sich in ein meditatives Mantra und erstaunlich schnell schauten seine Augen teilnahmslos auf das, was einmal ein Trongole gewesen war.
Noch vor fünf Minuten war dieses massige Geschöpf, das wie ein Nilpferd mit sechs Elefantenbeinen und zwei dicken Rüsseln aussah, durch den Hauptgang der vierten Ebene gestapft. Die Deckenleuchten hatten leicht unter seinen Schritten vibriert, während Bloog 12 und alle anderen Geschöpfe, die ihm entgegengekommen waren, schnell in eine der zahlreichen Nothaltenischen geschlüpft waren. Ohne erkennbare Ursache hatte plötzlich ein Schauer den tonnenförmigen grüngelb gefleckten Körper erfasst und der Trongole zerfloß vor den Augen von Bloog 12 und der anderen Zuschauer zu einem sehr flachen aber auch sehr ausgedehnten grün schimmernden Schleimsee.
"Immer in meiner Schicht", seufzte Kapitän Tryxal mit einem Drittel seines Gehirns. Sein zweites Drittel beobachtete mit den Augen von Bloog12 weiterhin den See und die Geschöpfe, die von allen Seiten zögernd näherkamen. Das letzte Drittel stellte eine telepathische Verbindung zu den beiden anderen Trongolen, die sich auf dem Schiff befanden, her. Und während Tryxal sich noch gegen Vorwürfe und Beschuldigungen wappnete und hoffte, es werde keine Kriegserklärung oder unkontrollierte Handlungen geben, empfing er von den Trongolen freundliche Gefühle und eine tiefe Trauer. Diese Emotionen überraschten ihn so, dass er alle anderen Kommunikationen abbrach und sich vollständig den beiden Trongolen zuwandte.
Sie sprachen nicht, sondern sandten Bilder, aus denen er erfuhr, was selbst die Wissenschaftler aller anderen Völker bisher nicht gewusst hatten. Gewiss, dass ein ausgewachsener Trongole drei Tonnen wog und dennoch sehr wendig war und sich sehr schnell bewegen konnte, das hatten besonders einige aggressive Völker schmerzhaft feststellen müssen. Auch waren Trongolen - anders als die Nilpferde der alten Erde - sehr intelligent und stellten hervorragende Wissenschaftler auf den Erkundungsflügen der gemeinsamen Forschungsflotte. Aber dass sie gar kein Knochenskelett hatten, wie es bei einem Wesen diese Größe selbstverständlich schien, sondern amöbische Lebewesen waren, die ihre Körperform rein mental aufrechterhielten, das wußte kein Außenstehender.
"Wir sind bisher nur in unserer Heimat gestorben. Geht das Leben eines Trongolen zu Ende, dann bricht sein mentales Feld in wenigen Millisekunden zusammen und der Körper versickert im Boden und düngt die üppige Vegetation unseres Planeten."
"Könnten wir die Flüssigkeit auffangen und nach Hause schicken?" Tryxal war sich nicht sicher, wie sein Vorschlag aufgenommen würde, aber die beiden Trongolen berieten sich einige Minuten, dann erwiderten sie im Chor: "Das ist eine gute Idee."
Tryxal nahm wieder Verbindung zu Bloog12 auf, der ziemlich apathisch am Rande des Sees stand und beauftragte einige Milteni, sich um die Durchführung seines Plans zu kümmern.
Milteni sehen auf den ersten Blick aus wie große Tintenfische. Sie sind aber sehr wendige Techniker, die kein Werkzeug benötigen, da sie die Enden ihrer Greifarme nach Belieben verformen und gewaltige Kräfte einsetzen können.
Vier Milteni holten einen großen leeren Wassersack aus dem Lager. Einer schraubte dann zwei Arme an die Einfüllstutzen des Sackes. Zwei andere Arme tauchte er in den See und schon lief die Flüssigkeit durch den Milteni in den Wassersack. Tryxal und auch Bloog12 schauten gebannt zu. "Ich wußte gar nicht, dass Milteni auch als Pumpen eingesetzt werden können."
Formann, ein Wissenschaftler aus Qanggas, der auf der Brücke Dienst hatte, klärte Tryxal über die vielfältigen Funkionen, die Milteni ausüben konnten, auf.
Inzwischen war der Wassersack gefüllt und Tryxal beauftragte die Milteni durch Bloog12, ein Automatik-Shuttle mit dem Sack zum Heimatplaneten der Trongolen zu senden.
Tryxal entließ dann Bloog 12, der sich in seine Kabine zurückzog, um seinen leidenden Magen zu stabilisieren. Alle anderen Geschöpfe, die auf Ebene vier bis jetzt ausgeharrt hatten, gingen wieder an ihr Arbeit und Tryxal stellte fest: "Diese Sensationsgier ist wohl eine schlechte Eigenschaft aller Völker."
"Wären wir nicht neugierig, würden wir nicht mit diesem Forschungsschiff durch das All segeln", entgegnete Formann. "Wer sich nicht mehr für das interessiert, was um ihn herum geschieht, der verkümmert sehr schnell. Sie kennen doch die Geschichte der Erdenmenschen, die immer massiger wurden und dann an ihren Sesseln festwuchsen und ausstarben?"
"Das ist doch ein Märchen", lachte Tryxal, doch dann schaute er Formann, der für seine Humorlosigkeit bekannt war, zweifelnd an. "Oder nicht?"