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Schreibstube
Die Zigarette im Aschenbecher ließ ihren Rauch in unregelmäßigen Schlangenlinien empor steigen. Es war eine ungewöhnlich lange Zigarette. Die Luft roch süßlich. Elia schenkte sich eine frische Tasse Kaffee ein. Er goss etwas Milch nach, bis das Getränk die gewünschte Färbung zeigte. Er beobachtete wie der Rauch der Zigarette und die Dampfwolke des heißen Kaffees sich zu einer großen Schwade vereinigten. Elia saß in seinem Arbeitszimmer. Der Laptop war geöffnet und eingeschaltet und Elia starrte auf den Bildschirm. Dieser zeigte eine leere Fläche. Er musste sie füllen. Und zwar mit Buchstaben und Satzzeichen .Elia legte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Langsam muss mir mal etwas einfallen. Nur ein kleiner Gedanke. Nur ein kleiner Satz genügt, um eine Geschichte zum Leben zu erwecken“, dachte er. Er nahm die sehr lange Zigarette. Sie glühte nicht mehr. Sie wurde wieder angezündet. Lange hielt Elia den Rauch in seiner Lunge. Danach nahm er einen Schluck Kaffee. „Die beste Kombination: Rauchen und Kaffee trinken“, dachte er und stierte wieder auf den Bildschirm. Schon längst müsste ein Satz niedergeschrieben sein. Ab und zu setzte er an und tippte ein, zwei Sätze, die er aber nach erneutem lesen sofort wieder löschte. Elia rauchte weiter und trank weiter Kaffee. Manchmal hatte er gute Ideen, verwarf diese aber, wenn er merkte dass einige Logiklöcher nicht so einfach zu stopfen waren. Elia schaute sich in seinem Arbeitszimmer um. Er drehte die Musik etwas lauter. Aber keine inspirierenden Gedanken, kein noch so kleiner Impuls für eine Geschichte wollte ihm einfallen. Mittlerweile hatte er die erste Tasse Kaffee ausgetrunken. Sie schmeckte herrlich. Der Rauch glitt wie Watte in seine Bronchien. Und für fünf Minuten versank Elia Lafiama in eine Art Schwebezustand. Er hielt sich immer noch krampfhaft an sein Vorhaben, den ersten Satz seiner Geschichte zu finden. Dieser eine Satz mit der jede gute Geschichte anfängt. Wenn man ihn liest, und man dem Rhythmus der geschriebenen Worte verfällt, möchte man sofort den zweiten lesen. Dann den dritten und so weiter. Bis man komplett von der Geschichte verschlungen wird. Nur muss ihm dieser Satz erst einfallen. Er kniff seine Augen fest zusammen, presste die Lider mit aller Gewalt aufeinander. Nichts. Kein einziger brauchbarer Gedanke.
Er versuchte sich an etwas zu erinnern. Nur was . Wenn er es wüsste, wäre es dann ein Anfang für eine Geschichte? „ Musik, ich brauche andere Musik, etwas Instrumentales, sodass mich die Worte des Gesanges nicht irritieren und ich mich nur auf die Schwingungen besinnen kann.“ dachte er und suchte in seinem riesigen Fundus aus Soundtrack Alben, die Richtige aus. Nach einer halben Stunde waberte der Klang beruhigend durch sein kleines Arbeitszimmer. Das versetzte ihn in Stimmung. Aber es war noch nicht die richtige. Elia trank einen Schluck, behielt in kurz im Mund und überlegte ob er ihn hinunterschlucken sollte, denn der Kaffee war nur noch lauwarm. Er mochte ihn richtig heiß. Lauwarmer Kaffee hinterließ immer einen garstigen Geschmack in seinem Mund. Er goss heißen nach. Nun war der Geschmack wider annehmbar und schrie förmlich nach dem Genuss einer Zigarette. Einer konischen natürlich. Er nahm die Knospe aus seinem Vorratsdöschen. Als er den Inhalt inspizierte bemerkte er dass er wohl bald seinen Dealer kontaktieren müsste. Das nervte ihn. Das war immer der Zeitpunkt in dem er überlegte ob er nicht auf Mohitos umsteigen soll. Ernest Hemingways Inspiration und Lebenselixier. Da käme man legal zu seinem Rausch. Aber er rauchte lieber und trank dabei Kaffee oder Tee. Ungesüßt mit einem Schuss Milch. Elia legte sich ein Blättchen zurecht. Dann vermischte er etwas Tabak mit einer klein geraspelten Blüte feinstem Marihuana. Northern Wood Oxygen Haze- übler Stoff. Sofort nahm man, in der kleinen Kammer die er Schreibstube nannte, den lieblichen Geruch des Deliriums wahr. Aus einer Visitenkarte schnitt er ein kleines Stück heraus und rollte daraus einen Filter. Das Bauvorhaben konnte starten. Die Arbeit an dem Gerät dauerte noch kein halbe Minute. Elia hielt eine vorzüglich gebaute Hanfzigarette in seinen Händen. Und er setzte alle Hoffnung in sie. Sie hatte ihm schon ein paarmal geholfen die Muse ausfindig zu machen.
Um genau zu sein - erst zweimal. Und ein Mal kam eine recht passable Geschichte dabei rum. Er zündete den Joint an und begann in tiefen Zügen zu inhalieren. Die Musik war warm und der Rhythmus trieb ihn unentwegt weiter. Weiter hinaus in Sphären die er noch nicht kannte, und wenn er sie doch irgendwie kannte, verrannte er sich in den Erinnerungen, sodass er immer wieder zu dem Entschluss kam, es doch noch nicht zu kennen. Er schaute kurz auf die Uhr. Seit zwei Stunden saß er nun schon da und hatte immer noch keinen einzigen Satz geschrieben. Das machte ihn langsam mürbe, denn er zweifelte an sich und seinem Vorhaben. Neun Monate ging das schon so. Jeden Abend das gleiche Ritual. Kaffee kochen, Rauchutensilien zusammen suchen, hoch gehen, Strom anschalten, Laptop hochfahren, Kaffee ausschenken, Joint rauchen, auf den Laptop starren, warten das die Muse kommt, Musik anschalten, trinken, rauchen ,starren, rauchen, warten. Elia liebte und hasste diesen Kreislauf. Denn er wusste, dass irgendwann die eine Geschichte, und das Abenteuer sie zu schreiben, auf ihn wartete. Er bräuchte sie dann nur noch abzuholen. Der Joint zeigte die gewünschte Wirkung. Alles schien von einer warmen Aura überzogen, alles war so elegant weichgezeichnet. Elia fand es gut. Nur blieb die Muse fern. Auch wusste er nicht in was für einer Gestalt sie erscheinen würde, wenn sie sich überhaupt zeigt. Er erinnerte sich an die erste Begegnung. Das ist jetzt fast ein Jahr her, als er so wie heute in seinem Arbeitszimmer saß, massig Marihuana konsumiert hatte, und eine Geschichte schreiben musste. Sie saß schnaufend da, und schaute ihn nur an. „Wer bist du?“ fragte Elia in den Raum.
„Pass gut auf, mein Freund, ich bin Charlie und bin so etwas wie eine Muse. Ja, Arschloch. du siehst richtig, ich bin ein kleiner dicker Gnom und verdammt hässlich. Soll ich mal einen fahren lassen. Riecht bestimmt besser als den Scheiß den du dir gerade reinziehst, du Spacken.“
Verwundert schaute Elia sich um und sah den kleine dicken Mann mit spärlichem Haar auf seinem Bücherregal hocken. Seine schmalen Lippen offenbarten ein hämisches Grinsen, das Elia ängstigte, gleichzeitig aber auch faszinierte. Der kleine Mann sah ein bisschen aus wie die Zwergenversion von Alfred Hitchcock, nur etwas garstiger. Er wirkte als würde er jeden Moment einen cholerischen Anfall bekommen.
„Schau mich bloß nicht so an. Du weißt genau was ich will, und ich weiß was du willst. Stimmt`s? Natürlich, Mr. Schriftsteller, du weißt es. Es liegt doch auf der Hand. Denk doch mal nach. Es geschieht genau vor deinen Augen “, sagte Charlie. Die Stimme fuhr Elia bis ins Mark und spielte dort auf seinen Nerven Klavier. Charlies durchdringender Blick hypnotisierte Elia. Sabber lief dem Gnom aus dem Mundwinkel, während er Elia zu verstehen gab, welche Geschichte er für den Wettbewerb schreiben sollte. Zwei Tage benötigte er für die Geschichte. Martin, sein Freund, Lektor und schärfster Kritiker, brauchte ewig zum Korrekturlesen. Doch ohne ihn wäre die Geschichte wahrscheinlich nie so weit gekommen. Er leistete einen recht passablen Job, denn sie schaffte es ins Finale. Das zweite Mal zeigte sich Charlie in einer weit aus reizenderen Erscheinung. Diesmal war die Muse weiblich und alles war genau dort wo es sein sollte. Mit anderen Worten, sie war nahezu perfekt. Dann machte sie den Mund auf, und ihre Stimme klang wie die von Chip und Chap. So konnte er sie nicht ernst nehmen ohne laut zu lachen. Das mögen sie aber gar nicht, wenn man sie auslacht. Jedenfalls nachdem Elia aufgehört hatte, sich über die Stimme lustig zu machen, war sie nicht mehr bei ihm. Elia hatte ein schlechtes Gewissen und Angst. Angst davor, die Muse mit seinem Gelächter für immer verscheucht zu haben. Er machte sich Sorgen. Wird er sie jemals wieder sehen. Und so wartete Elia LAfiama jeden Abend bei Kaffee und Joint auf ihre Rückkehr. „Vielleicht sollte ich einfach mal das Rauchen lassen. Mal probieren, einfach clean zu schreiben. Würde sie das milde stimmen? Oder soll ich weiter warten, warten bis die Buchstaben sich von alleine zu Wörtern und Sätze formen. “dachte er und schloss abermals seine Augen.
Vor seinem geistigen Ich zogen Bilder seiner Helden vorbei. Menschen die er für ihre Fähigkeit zu Schreiben schätzte. Allen voran Michael Ende, den er als Kind schon verehrte, und dessen Unendliche Geschichte für ihn das Maß aller Dinge ist, was Phantasie Geschichten anging. Michael Ende ritt auf einem Löwen mit flammender Mähne und hielt eine Schildkröte in der Hand. Dicht gefolgt vom Meister der kurzen und klaren Sätze. Ein Whiskey saufender Ernest Hemingway. William Faulkner ließ sich von seinem Pferd durch die Prärie geleiten. Lässig, wie einst Terence Hill, lag er auf einer Pritsche und kaute einen Grashalm. Gustav Schwab spielte mit Prometheus Schach um dessen Leber, während J. D Sallinger mit roter Jagdmütze eine Nutte für ihre Dienste bezahlte. Mr. Hawthorne und Mr. Poe kamen gemeinsam aus dem Garten des Bösen und amüsierten sich köstlich über Rowald Dahl`s Lammkeule. „ Dort wär ich auch gerne. Dort würde ich bestimmt eine gute Geschichte finden. Wie kommt man dort hin, wo solche Geschichten lauern und die Muse Küsse verteilt“, dachte er und erschrak als es plötzlich an seiner Tür hämmerte und pochte. Elia war alleine. Es gab niemanden, der an seine Tür hätte klopfen können.
Halluziniere ich? War das Kraut eventuell doch zu stark. Er stand auf um nachzusehen. Als Elia die Tür öffnete standen nichts und niemand davor. Der leichte Schein seiner Schreibtischlampe warf seinen Schatten nach draußen. Er fühlte eine Angst die er seit Kindertagen nicht mehr spürte. Die Angst vor der Dunkelheit und was in ihr lauern könnte. Er schloss die Tür, und wollte sich gerade wieder setzten, als er bemerkte dass schon jemand auf seinem Stuhl saß. Als er die Gestalt sah wusste Elia sofort wer da an seiner Gehirntür geklopft hatte. „ Weißt du eigentlich wie lange ich schon auf dich warte?“ sagte Elia, „ Ich dachte schon du kommst nie wieder, ich werde nicht lachen. Ich werde nur zuhören. Versprochen. Danke das du heute in dieser Gestallt bei mir erschienen bist.“ Charlie erhob sich von dem Stuhl und sah Elia ins Gesicht. Ihre blauen Augen schienen ein Lied zu singen. Er schaute tief hinein und verlor sich in dem Glanz ihres Blickes. Er fühlte sich wieder wie ein 14jähriger Junge der von seinem Schwarm angesprochen wurde. Totale Paralyse. Und dann passierte es, Elia Lafiama setzte sich wie in Trance an seinen Computer, und lauschte der Stimme die ihm eine Geschichte zu erzählen schien. Immer wieder drehte er sich zu ihr um. Er labte sich an ihrer Schönheit. Elia würde sie gerne berühren. Doch das ging nicht. Er musste zuhören und schreiben. Er tippte Wort für Wort. Solange die Muse Küsse verteilt sollte man sie lassen. Elia genoss jede Silbe, jeden Buchstaben, jeden Satz der aus ihrem Mund kam. Er überlegte nicht. Er schrieb; hackte die Wörter in die Tastatur. Er trank Kaffee und rauchte. Die Muse wurde redseliger und vertrauter. Sie stand jetzt dicht neben ihm und hauchte ihm die Worte direkt ins Ohr. Elia konnte sie riechen. Sie roch verdammt gut. Er schaute sie an. Engelsgleich war ihr Gesicht. Sie hatte blonde Haare, und die längsten und schönsten Wimpern die er je gesehen hatte. Sie trug ein leichtes weißes Kleid. Elia konnte den Ansatz ihrer Brüste sehen. Er wollte etwas zu ihr sagen. Doch sie war von der einen auf die andere Sekunde verschwunden. Ungläubig schaute er sich um. Nichts. Stille.
Die Musik war aus, und die Lampe konnte er auch ausschalten, denn die Morgensonne streichelte bereits sein Fenster. Rot und warm. Elia schaute auf seinen Laptop um das Werk seiner Arbeit zu sehen .Er sah die hunderte Wörter, sah die Absätze, die einen beruhigende Rhythmus auf ihn hatten, die Kommata, die er hoffentlich alle richtig gesetzt hatte (eines der Kriterien, die sein geschätzter Lektor immer bemängelte). Er schaute auf die Uhr. „ 6. 23 Uhr. Zeit um sich eine frische Kanne Kaffee zu kochen“, dachte er und ging nach unten in die Küche. Zufrieden mit dem was passiert war, verspürte er keinerlei Müdigkeit. Die Spannung auf das was er die ganze Nacht geschrieben hatte, ließ das Adrenalin in seinem Körper rotieren. Elia war hellwach und bereit. Er freute sich aufs Lesen. „Was ihm die Muse wohl so alles zugeflüstert hat? “, überlegte er kurz, denn er wusste nicht das Geringste von dem, was er die ganze Nacht fabriziert hatte. Er suchte nach den Schokoladenkeksen. Und während er seinen Schrank durchsuchte, stellte er sich bereits den Geschmack der Kekse in Kombination mit frischem Kaffee vor. Er fand die Packung. Sie knisterte und zeigte das, was in ihr steckte. Kekse mit dicken Schokoladensplittern drin. Elia klemmte die Schachtel unter den Arm, nahm die Milch und den Kaffee , öffnete geschickt die Tür, und ging nach oben. Auf den letzten Stufen hörte er ein ihm bekanntes Geräusch. Er kannte es genau. TickTick, Tick TickTick, Tack, TickTickTick, TickTick, Tack. Als würde er Buchstaben in seinen Laptop hämmern. Nur wurde das Ticken immer hektischer und schneller. Schneller und schneller. Elia stellte die Sachen auf der obersten Stufe ab und rannte panisch auf seine Tür zu. Er riss sie auf. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, als er sah, wer der Verursacher der Geräusche war.
Auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch, saß ein kleiner dicker Mann. Mit hämischen Grinsen und einer Verrücktheit in den Augen, drückte er seinen rechten Zeigefinger immer wieder auf die Löschtaste. Sein ganzer Körper zuckte während er immer schneller drückte. Alle Buchstaben verschwanden, Sätze lösten sich in Luft auf, die Seiten wurden weniger. Elia stockte der Atem. Musste er doch mit ansehen, wie seine ganze Arbeit dahin schmolz. Er schnappte noch ein paar Fragmente auf, ehe dieser garstige, krumplige kleine Mann alles markierte und, Schwups, nichts mehr vorhanden war. „ Wieso hast du das getan, wie so nur!“ schrie Elia. Er stand immer noch im Türrahmen und schaute ungläubig auf den Bildschirm. Der Mann stierte ihn nur an. Die Lippen wackelten dabei unrhythmisch auf und ab. Elia glaubte der Gnom fängt gleich an zu weinen. Dann packte ihn der Mann am Kragen und zog ihn ganz dicht an sich. Elia sah die verfaulten Zähne, und als der Gnom zu sprechen begann roch er seinen Atem. Nur war dieser nicht faul und eklig, wie es zu erwarten wäre. Elia kannte den Geruch. Es war der gleiche Geruch den die Muse vergangene Nacht in seinem Zimmer versprühte. „ Wieso schreist du mich an? Niemand schreit mich an. Und nun schau.“ flüsterte der Mann. Er lockerte den Griff. Elia dachte er würde ihn loslassen. Doch als Elia den richtigen Abstand erreicht hatte, schlug der kleine, alte Mann mit aller Kraft ihm ins Gesicht. Nichts . Stille.
Ein langer Speichelfaden hing aus seinem halb geöffneten Mund. Als Elia Lafiama erwachte saß er vor seinem Laptop und drückte den Finger auf die Löschtaste. Auf dem Bildschirm flackerte ein kleiner schwarzer Balken auf. Hektisch und schnell. Es war 6. 23 Uhr. Elia schaltete das Licht aus, denn die Morgensonne streichelte bereits sein Fenster. Zeit für eine frische Kanne Kaffee.