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Schreibfehler
Als es das erste Mal passierte, glaubte ich an einen dummen Zufall.
Ich saß gerade am Schreibtisch und aß Kekse. Vielleicht hatte ich aus Versehen einen Befehl mit etwas eigenartigen Folgen eingegeben. Oder ein paar Krümel waren in die Tastatur gerutscht. Ich stümperte ein bisschen herum, dann überließ ich den Rechner seinen Launen und ging lieber Kuchen essen, Kirsch mit Marzipanstreusel.
Beim zweiten Mal wurde ich schon etwas ungeduldiger, aber ich hoffte immer noch auf einen Computerfehler, fies, aber behebbar. Bevor ich jedoch mit dem Kasten in hässliche Diskussionen geriet, die sowieso immer nur er gewann, gab ich lieber auf. Diesmal gönnte ich mir ein Stück Schokoladentorte mit Sahne.
Beim dritten Mal schob ich mir vorsorglich die doppelte Menge Kekse in den Mund, zog kräftig an meinen Fingern, dann tippte ich los. Zuerst ein paar unverdächtige Wörter, dann ein H, und zack, die Seite brach um, mitten in der Zeile. Auf dem nächsten Blatt die Fortsetzung: ein einsames, kleines und. Ich tippte das Wort noch einmal, ganz schnell, das H erschien, ein Sekundenbruchteil Hoffnung, Seitenumbruch, nächste Seite: und. Dazwischen strahlendes, spöttisches Weiß.
Ich ließ das H weg.
Klingt einfach, doch es wird schwierig, wenn man seinen Lebensunterhalt mit Artikeln für eine Tierzeitung bestreitet, deren ganze Liebe dem und gehört. Und wenn man dann ganz persönlich die Aufgabe hat, über vagabundierende unde zu schreiben, dann scheitert man schon am Titel und an den ersten paar Sätzen:
und entlaufen
Normalerweise streunt ein und niemals allein,
sondern sucht die Bindung zu einem anderen und ...
oder:
Dort, wo ein und in Begleitung gern gesehen ist,
ist es nun verboten …
um dann in der verhaltensbiologischen Aussage zu gipfeln:
Das Verhalten des unds
ist überwiegend sexuell motiviert.
Ich fand das ja selbst nicht gut, der Redakteur leider noch weniger.
„Herr Struwe, ich weiß ja, dass Sie häufig und schreiben, ja, dass sie das Und geradezu lieben, aber das ist nun doch übertrieben. Ja, fast schon obszön. Sie sind doch kein Linguist! Machen Sie das mal weg da und schreiben Sie gefälligst wie üblich.“
Wenn er das so will, dachte ich.
Der nächste Anruf des Redakteurs stürzte mich kurzfristig in eine tiefe seelische Krise.
„Was denken Sie sich, glauben Sie, wir zahlen Ihnen pro Seite fünfzehn Euro, damit Sie einen Haufen halbleerer Blätter hinterlassen? Das ist Seitenerschleichung. Was haben Sie sich dabei bloß gedacht?“
„Nichts, ich …“
„Das hoffe ich für Sie. Wäre es anders, müsste ich auf eine kriminelle Ader schließen. Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob Sie überhaupt Adern haben, so blutleer wie dieser Artikel ist mit den vielen auseinandergesprengten Wörtern. Unmöglich sieht das aus. Lassen Sie das!“
Gehorsam ließ ich das gesprengte Wort weg.
Das Rechtschreibprogramm trug einen Teil dazu bei, ein übereifriger Mitarbeiter, der meinen Artikel in die Abteilung „Tipps für die Gesundheit des undehalters“ verschob, kam hinzu. Mein Artikel über Biokost für größere unde las sich nun so:
Ernährungstipps für den Großen
Große sind im Unterschied zu Kleineren viel anfälliger
für die berüchtigte Magendrehung.
Deshalb sollten Sie darauf achten,
dass er nach dem Essen nicht herumrennt.
Ich hatte schon befürchtet, dass der Redakteur sich wieder melden würde.
„Wissen Sie, was Sie angerichtet haben? Wegen Ihrem schwachsinnigen Artikel lässt mich meine Frau nach dem Essen nicht mehr joggen. Ich kündige Ihnen! Ach was, ich verklage Sie! Ich verklage Sie, wenn ich einen Herzinfarkt kriege! Und wenn ich keinen kriege auch! Die halbe Redaktion lacht schon. Aber nicht über Sie, Sie Wortverlierer - über mich! Und dafür verklage ich Sie noch mal!“
Ich duckte mich an meinem Ende der Leitung, gelobte Besserung und entschloss mich vorsichtshalber zur puren, unverfälschten Wahrheit.
Unter dem Wortgewitter, das nun auf mich einprasselte, blieb nur eine Sache hängen, ich solle das mal bitte schön erklären.
Also gut.
Vor meinen nächsten Artikel setzte ich eine kleine Vorbemerkung, in der ich den Leser um Verständnis für die und-Lastigkeit des Artkels bat. Undefreunde sind gütige Menschen und würden mir eine kleine Unbill verzeihen: einfach immer und zu lesen, wo man und las.
Doch bei aller Nachsicht - für das Verständnis des Inhalts war es nicht einfach. Ließ ich doch nun den Leser bei jedem harmlosen und an einen kläffenden Vierbeiner denken, wo ich doch nur zwei Sätzchen verbinden wollte.
Ein Höhepunkt historischer Entwicklung, den ich zur Anschauung in meinen Artikel einflocht, erhielt plötzlich eine völlig andere Bedeutung: Cäsar kam und siegte.
An dem Anschwellen entrüsteter Leserbriefe konnte man genau ablesen, dass etwa ein Drittel der undebesitzer philologisch gebildet und nicht bereit war, der Liebe zum und auf Kosten historischer Wahrhaftigkeit zu frönen.
Es kam, was kommen musste: ein erneuter, ohrenbetäubender Anruf des Redakteurs.
Mein nächster Versuch, den und durch Köter zu ersetzen, stieß bei den Freunden des undes auf tiefes Unverständnis. Ihren frisch frisierten Pudel mit einem Gassenpunk über einen Kamm zu scheren, das war unverzeihlich und wurde nur durch das nächste Ersatzwort Katze getoppt. Auch wenn ich mich bemühte, diese Gleichsetzung freundlich zu erklären, z. B. so: Die genannte Katze ist nicht normal, sie bellt - mit diesem Missgriff stieß ich auf tiefe Feindschaft.
Die Auflagenzahl sank ins Bodenlose und ich vor dem Redakteur in die Knie.
Zum Glück hatte der ein Einsehen und wollte es mich noch ein letztes Mal versuchen lassen. Vielleicht hatte es geholfen, dass eine Schar belustigter Katzenfreunde sich leserbrieflich meiner angenommen und zum Goutieren meiner unfreiwilligen ündischen Witzartikel aufgerufen hatte. Einen letzten Versuch also hätte ich noch machen dürfen, aber ich konnte nicht mehr. Ich war am Ende. Amüsement für Katzenfreunde – das war das Schlimmste. Ich hatte den Ruf eines seriösen Tierartikelschreibers verloren. Ich fühlte mich krank, ausgelaugt, ausgebrannt von einem Schreibfehler. Und-Burnout.
Struwe, sagte ich mir und zupfte Krümel von meiner rutschenden, braunen Cordhose, so kann das nicht weitergehen. Ein Neuanfang muss her – ohne unds. Aber weißt du was, tröstete ich mich selbst, du kannst doch reden, selbst mit völlig Fremden, dir steht immer das Maul offen. Vielleicht nicht gerade beim Redakteur, aber wenn zum Beispiel jemand anruft, um mit dir eine Umfrage zu machen, da kriegst du doch den Mund gar nicht mehr zu.
Um alles gründlich zu überdenken, ging ich ins Cafe.
Den Weg dorthin vertrieb ich mir mit ein paar Selbstgesprächen. Ich aalte mich in der Vorstellung, wie ich dem Redakteur meinen Job vor die Füße schmeißen und ihm ordentlich die Meinung geigen würde.
„Sie und Sie“, würde ich sagen und ihm seine Porzellanunde vom Schreibtisch fegen. Ich stutzte. Sie und Sie? Ich blieb stehen und spitzte konzentriert die Lippen für einen zweiten Versuch. Einen dritten. Dasselbe Ergebnis. Aus dem Augenwinkel erspähte ich ein paar Kinder, die mich erfreut nachahmten. Was für eine erniedrigende Szene.
Als ich vor der Kuchentheke stand, hatte ich wieder eine Zukunft.
Eine Torte nach der anderen drehte sich auf dem Karussell. Knackige Himbeeren durchbrachen schwellende Sahneschichten, darunter plusterte sich ein safrangelber Kuchenteig. Wohlschmeckender, flüchtiger Trost. Und mitten zwischen all diesen fluffigen Kunstwerken sah ich ihn plötzlich, den fettig-klebrigen Traum aus Kindertagen, der jeden Geburtstag zwischen Topfschlagen und Blindekuh versüßt hatte. Vierschrötig stand es da, umringt von hochgezüchteten Zuckerträumen: ein proletarisches, ölig glänzendes Viereck: Kalte Katze.
Hellbräunliche Kekse in Reihen übereinander, dazwischen glänzende Schokolinien - eine mit Palmöl und Eiern getränkte Retrofantasie.
Begeistert deutete ich mit dem Zeigefinger auf den fettigen Kuchenturm.
"Den, den hätte ich gerne", stammelte ich.
Die Bedienung, die mich von vielen Eis- und Kuchenschlachten kannte, lächelte und versprach, ihn zu bringen.
Ich liebte diese kalte Köstlichkeit. Obwohl sie früher auf keinem Kindergeburtstag fehlen durfte, war sie heutzutage völlig verschwunden, genauso wie Käse-Igel und Hawaiitoast. Ausgerechnet hier, in diesem In-Cafe, stand das Naschwerk auf dem Kuchentableau. Und ich hatte sie geordert. Die Kalte Katze. Ganz ohne Sprachfehler. Vorfreude wärmte meine Glieder. Und natürlich die Hochstimmung über die gelungene Bestellung.
Als ich endlich aus meinen Siegesträumen erwachte, trug die Bedienung die Kalte Katze an mir vorbei. Sie hatte wohl mehrmals gerufen, wer die Bestellung bekäme, aber natürlich hatte sie das richtige Wort benutzt, und ich hatte mich bei allem Verdruss ja schon an die Katze gewöhnt, also war ich etwas langsam. Außerdem war mir in meinem Sprachtriumph gerade unangenehm klar geworden, dass ich vorhin am Tresen nicht den Namen des bellenden Köters, sondern ein profanes „den“ benutzt hatte.
Es kam, wie es kommen musste, ein anderer Herr nahm sich der Katze an.
"Geben Sie nur her, das hatte ich schon lange nicht mehr, seit meiner Kindheit nicht. Ich nehme es".
Das behagliche Schmatzen zeigte, dass es zum Äußersten gekommen war. Der Herr hatte sich über die Kalte Katze hergemacht.
Auch wenn ich sie angebissen verspeisen musste, das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen. Ich sprang auf, so dass mein Stuhl dem Herrn hinter mir in den Kaffee kippte, schoss auf den Dieb zu, um ihm seine Beute zu entreißen, und gerade, als eine Kuchengabel voller köstlichfettiger Bröckchen in den geöffneten Schlund des Katzenfressers einfuhr, erreichte ich ihn, gleichzeitig mit dem Arm der Kellnerin, die eine neue Ladung Teller durch den engen Gang balancierte. „Halt!“, schrie ich, schwankte und packte den Arm samt Tellern. „Das gehört mir, ich hatte den Hun bestellt.“ Das triumphale Heulen über die erfolgreiche Benennung erstarb, ich bemerkte das fehlende D. Der Schreibfehler war wie ein äußerst anpassungsfähiges Virus auf der Zunge mutiert.
Ich verstummte und sank zu Boden. Von oben plumpste ein Teller herab, ein ovaler Körper löste sich elegant vom Porzellan, schoss in die Höhe, erstarrte für einen Moment im Zenit, als wüsste er nicht, für welche Hälfte des Cafés er sich entscheiden sollte, und kreiselte zu Boden. Die Kellnerin klaubte einen Kartoffelschnitz aus meinem Haar und sagte: "Du hättest dein Essen schon gekriegt. Auch ohne den Aufstand. Hier ist es. Gute Wahl übrigens! Aber eigentlich wollte ich es dir anders servieren.“ Auf meiner Cordhose lag, umgeben von Salatblättchen und Tomatenscheiben - ein Prachtexemplar von einem halben Huhn.
Noch am selben Tag kündigte ich meinen Job.
Mein Auskommen bestreite ich zurzeit mit dem Ausführen besagter Sorte, die ich nicht mehr richtig schreiben und sprechen kann.
Vielleicht wäre das ja auch auf Dauer etwas für mich. Denn denen ist es egal, wie ich sie nenne, wenn ich Leckerlis werfe und dabei schreie: "Hierher Katze, gut gemacht Huhn, du kannst ja super Männchen machen, Köter - und du und du auch."