Schreiben ist schwierig
Schreiben ist schwierig
„Guten Tag! Entschuldigen Sie bitte, mein Name ist Volker Herold, ich bin Reporter von ‚Schreiben morgen’, dem neuen Literaturmagazin! Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?“
Rudolf Gölzer war darauf vorbereitet. Seit er in diesem Café saß, hatte ihn dieser Mensch beobachtet, ehrfürchtig auf seinen Schreibblock gestarrt, wenn er einige Ideen aufschreiben wollte. Offensichtlich hatte er endlich den Mut gefunden, ihn anzuquatschen, denn er trippelte hastig auf ihn zu, beugte sich ein wenig vor und hielt ihm ein stabförmiges Mikrofon dicht vor die Augen. Eine schmuddelige Erscheinung, wie er fand. Die Haare waren glänzend streng nach hinten gekämmt und die dunkle Pilotenbrille verdeckte das halbe Gesicht. Dazu dieser torfbraune Tweed-Anzug, der nicht zu den hellblauen Schuhen passen wollte. Dazu weiße Socken mit grünen Streifen. Ein eifriges Lächeln mit gelblichen Zähnen. Ein säuerlicher Atem schlug ihm entgegen. Wahrscheinlich der Magen.
Gölzer fand ihn aufdringlich, reckte die Nase in die Höhe und versuchte blasiert zu antworten.
„Junger Herr“, begann er, „noch mal der Reihe nach. Wer sind Sie? Und was wollen Sie von mir. Und nehmen Sie dieses Ding da weg!“ Ärgerlich schob er das Mikrofon zur Seite.
„Entschuldigen Sie bitte vielmals, Herr Gölzer. Mein Name ist Herold, ich bin vom Magazin ‚Schreiben morgen’ und ich möchte ihnen gerne ein paar Fragen stellen. Doch zuvor möchte ich Ihnen sagen, dass ich ... „
„Stopp!“, rief Rudolf Gölzer. „Nicht so hastig. Was soll das alles. Sie sprechen mich hier einfach an und wollen ein Interview? Ich finde das sehr dreist, junger Mann!“
„Bitte, es tut mir leid. Doch ich bin Ihr größter Fan. Was Sie aus Wörtern machen, ist einfach einmalig. Ich habe all ihre Werke gelesen, nein, geradezu verschlungen! Und ich brauche ihre Hilfe, wirklich!“
„Meine Hilfe? Sagen Sie mal, Sie sind doch kein Reporter, oder?“ Irgendwie begann ihn dieser Herold leid zu tun. Wie er da stand. Die Gestalt zusammengesunken, schlaffe Schulter, den Kopf träge schüttelnd. Die Brauen düster zusammengezogen, die Augen ohne jeglichen Glanz.
„Na schön“, gab sich Gölzer einen Ruck, „nehmen Sie Platz und erzählen Sie der Reihe nach!“
„Danke! Danke vielmals. Das werde ich Ihnen nie vergessen!“ Alles Trübsal war wie weggeblasen, als er sich schwungvoll auf den Stuhl setzte.
„Wissen Sie“, begann er eifrig, „seit einem Jahr besuche ich wöchentlich einen Kursus für kreatives Schreiben und ich möchte mal einen Roman schreiben, wie Sie!“
„Schön und gut, doch was habe ich damit zu tun. Wenn Sie schon zur Schule gehen, lernen Sie doch alles, was man als guter Autor braucht. Wie kann ich Ihnen da behilflich sein?“ Er lehnte sich in dem Stahlstühlchen zurück, das sich unangenehm kühl am Rücken anfühlte.
„Nun ja“, begann Herold zögernd, „unsere letzte Aufgabe ist ziemlich schwierig, es geht darum, Texte zu konzipieren. Dazu haben wir ein vorgefertigtes Thema bekommen. Es sind Bruchstücke eines Telefonats, in dem jemand einem anderen von seinem Urlaub erzählt. Ziemlich viel langweiliges Zeug, wie ich finde.“
„Hmm“, machte Gölzer und nippte an seinem Kaffee, der kalt geworden war.
„Als angehender Schriftsteller sollten Sie immer mit solchen Themen umgehen können, ob Ihnen der Stoff nun zusagt oder nicht. Worum geht es denn genau in diesem Telefonat?“
Herold seufzte tief.
„Ach, es geht um einen Sommerurlaub mit Bootsfahrten bei Mondschein, irgendwo am Meer, wo nur zählt, wie braun man ist, wenn man wieder zurückkommt. So ein öder Badeurlaub, wo man sich jeden Tag in der Sonne aalt. Aber damit kann ich nichts anfangen. Es berührt mich einfach nicht. Es ist zum Heulen, dass mir nichts einfallen will. Ach, und ein Hai ist auch noch dabei. Und während des Urlaubs hat die Post auch noch den Telefonanschluss gesperrt.“
„Na das ist doch schon etwas. Stellen Sie Fragen. Warum wurde der Anschluss gesperrt? Und wenn ein Hai auftaucht, kann man doch immer etwas daraus machen.“
Er lehnte sich vor.
„Hören Sie, Herr Herold. Das wichtigste ist, dass Sie Geduld haben und an sich glauben. Setzen Sie sich nochmals an den Stoff und überlegen Sie in Ruhe was man daraus entwickeln kann. Das ist der einzige Rat, den ich Ihnen machen kann. Schreiben Sie alles auf, was Ihnen zu diesen Stichpunkten ‚Hai’ und ‚gesperrter Telefonanschluss’ einfällt. Sie werden sehen, die Geschichte kommt dann von ganz allein.“
„Okay, Herr Gölzer, ich will es versuchen. Vielen Dank für Ihre Hilfe und entschuldigen sie diesen Quatsch mit dem Mikrofon.“
„Schon gut und viel Glück.“
Herold erhob sich schwerfällig und zwängte sich durch die engen Stuhlreihen ins Freie. Bald war er in der dichten Menschenmenge auf dem Marktplatz verschwunden.
Was für ein seltsamer Mensch, dachte Gölzer, als er ein letztes Mal an dem kalten Kaffee nippte, und mit ihm tauschen möchte ich auch nicht. Reiseberichte oder Geschichten aus einem Urlaub waren auch noch nie meine Stärke.