Schreibblockade, oder Die Qual der Wahl
Da sitze ich wieder.
Allein vor meinem Computer und versuche eine lustige, zynische, gescheite oder wie auch immer geartete Geschichte zustande zu bringen.
Doch was passiert in solchen Momenten? Ich werfe den Computer an, starte das Textprogramm und sitze Stunde um Stunde an der Tastatur und finde nicht den richtigen Anfang, keine brauchbare Story, keine witzige Pointe. Der Bildschirm bleibt weiß... für etwa fünf Minuten. Dann wird der Bildschirmschoner aktiviert und mir fliegen Toaster um die Ohren oder Fische über den Monitor, die ich eine gewisse Zeit fasziniert beobachte. In krassen und depressiven Zeiten versuche ich dann noch, die Toaster mit dem Joystick zu lenken oder Fischfutter oben in den Monitor zu werfen. Aber auch dieser geistig gehaltvolle Zeitvertreib lockt keine vernünftig zu verwendende Geschichte aus den Innereien meines ach so genialen Hirns.
Also denke ich nach. Darüber, welche Filme ich kenne, welche Bücher oder auch welche Lieder. Denke nach über den Sinn der darin enthaltenen Stories. Suche nach einem Anhaltspunkt für meine eigene Idee, weil abkupfern kann ja jeder. Und dann, irgendwann, fällt mir auch kein Film, kein Buch, kein Lied mehr ein, das auch nur annähernd geeignet erscheint, als Ideengeber zu funktionieren. Es sind natürlich einige geniale Stücke dabei, aber wie gesagt, abkupfern kann ja jeder.
Weiter auf der Suche nach der Geschichte für den Literatur-Nobelpreis beende ich das Textprogramm und schmeiße mein Modem an. Vielleicht werde ich in einem der zahlreichen Chatsysteme im Internet fündig. Ich begebe mich zunächst in einen Chat, in dem mehrere bis viele, gelegentlich auch sehr viele Teilnehmer gleichzeitig über ein bis zwanzig verschiedene Themen kommunizieren und ich beteilige mich rege. Gebe hier und dort meinen Senf dazu, werde von einigen Bekannten gegrüßt, lese von jemandem einen der besonders alten Blondinen-Witze und versuche meinerseits einen nicht völlig idiotischen Eindruck zu hinterlassen, was wiederum zu den schwierigeren Aufgaben zählt, da ich nach einigen Minuten an etwa fünf bis acht, der in diesem Augenblick auszudiskutierenden Themen mit zwölf oder was-weiß-ich-wie-vielen Leuten beteiligt bin und deshalb das eine oder andere Mal leicht den Überblick verliere. Ich glaube, ich hätte doch damals den Steno-Kurs besuchen sollen.
Einer erzählt davon, daß es in seiner Heimatstadt schneit und das es gerade einundzwanziguhrsiebzehn geworden ist. Das stimmte zwar, aber ich schwöre dagegen Stein und Bein, daß es hier in Hamburg hellichter Tag sei und die Sonne kurze Schatten unter die braungebrannten Mädels dieser Stadt wirft. Ich empfange danach einige Ferndiagnosen über meinen Geisteszustand sowie diverse Angebote, meinen Wohnort mit einigen der ärmeren Schweine im Süden des Landes zu tauschen. Es fruchtet auch nichts, als ich direkt die Mitteilung schreibe, daß ich auf der Suche nach geeignetem Stoff für eine Kurzgeschichte oder einen Roman bin. Die Antworten darauf sind derart sinnentleert, daß ich hier, auch aus Jugendschutzgründen, nicht näher darauf eingehen will.
Ich betreibe dann noch etwas Small-Talk mit den anderen, mir freundlicher gesonnenen Teilnehmern und verabschiede mich bereits nach etwa vier bis fünf Stunden von den, um etwa drei Uhr morgens verbliebenen, Nachtschwärmern des Systems. Der Grund dafür ist allerdings nicht die Müdigkeit, denn ich bin ja selbst erst so gegen fünfzehn Uhr aufgestanden, als vielmehr die nun dringend benötigte Abwechslung. In einem Dialogssystem der nicht jugendfreien Art versuche ich, meinen Wissensstand über mögliche oder unmögliche Sexpraktiken zu erweitern oder zu vertiefen. Doch ist hier Vorsicht geboten, da nicht jeder Teilnehmer das ist, was er zu sein scheint. Ein weiblicher Name verspricht noch lange nicht die holde Weiblichkeit des dahinter versteckten Teilnehmers. Aus nur den „Männern-mit-Frauenpseudos“ bekannten Gründen, versuchen solche nämlich unter der Behauptung lesbisch zu sein, den Kontakt zu homosexuell geneigten Damen zu finden, um mit diesen einen erotischen, heißen, derben, vulgären oder sonstwie prickelnden Dialog oder sagen wir Bildschirm-Liebesakt, zu vollführen. Diese Versuche sind jedoch derart häufig zum Scheitern verurteilt, weil Männer nun mal recht leicht zu durchschauen sind, daß es dem so veranlagten Manne sowas von peinlich sein sollte, daß er direkt und ohne Umschweife vor seinem Monitor im Boden versinken müßte. Doch weit gefehlt, denn das nächste Opfer naht.
Ich versuche also, die „echten“ Frauen ausfindig zu machen, die wirklich sehr dünn gesät sind, in diesen Systemen. Ich möchte von ihnen erfahren, was sie wie und wo am liebsten mögen. Denn vielleicht läßt sich daraus ein Bestseller basteln. Ich werde jedoch sehr bald eines Besseren belehrt, denn Bestseller sollten nach Möglichkeit für eine breite Käuferschicht und daher auch für die Jugend zugänglich gemacht werden können. Das Ergebnis eines Erlebnisberichtes aus diesem Erotik-Talk dürfte, wenn überhaupt, nur heimlich und wirklich heimlich unter dem Ladentisch verkauft werden. Wenn allerdings die Preise dementsprechend hoch ausfielen, daß die eine oder andere Mahnung auf meinem Schreibtisch amortisiert würde, vielleicht entschließe ich mich dann doch noch eines Tages zu solch einer Tat.
Aber zunächst versuche ich weiterhin etwas wirklich jugendfreies auf die Beine zu stellen. Ich denke jedoch, daß ich morgen weiter überlege, denn meine Uhr zeigt mittlerweile fünfuhrzweiundzwanzig an und mein Hintern sagt mir, daß ich nun lange genug auf diesem Bürostuhl gesessen habe. Ich schalte alle Geräte ab, gehe noch mal aufs Klo, ziehe mich aus, werfe mich ins Bett und ärgere mich, daß ich wieder zu keiner brauchbaren Idee für eine Geschichte gekommen bin.