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Schrei !!

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02.07.2002
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Schrei !!

Sie war in Eile. Hetzte mit ihrem Kind durch das Gebäude, durch die Gänge. Schob es vor sich her. Ihr Blick... ruhelos... sie nahm die Schatten...die graue Umgebung nicht wahr. Gestank in den Ecken, beschmierte Wände. Um sie herum Menschen.
Sie nahm die nächste Tür, die in ein Treppenhaus führte. Wieder Menschen. Sie jagten an ihr vorbei, nach unten. Auf ihren Gesichtern lag Entsetzen. Die Augen weit aufgerissen. Schreie, die sie von sich gaben und die nicht von ihr gehört wurden. Die Wahrnehmung, die sie hatte, war eine andere. Immer noch schob sie ihr Kind die Treppen hinauf, als die Schleier anfingen, sich vor ihren Augen zu lichten.

IHR KIND...es wurde angerempelt, gestoßen, nicht beachtet. Sie blickte auf, versuchte es zu schützen. Wut, über ihre taktlosen Mitmenschen kam in ihr hoch, doch immer noch schob sie es vor sich her. Die Wut brachte sie aber auch dazu, die Eile der Menschen zu bemerken. Ein Staunen und ein Nichtbegreifen ergriffen Besitz von ihr. Leise, wie aus weiter Ferne hörte sie Schreie, ein Weinen. Neben ihr tauchte ein Mann auf, der seine Arme schützend vor seinen Kopf hielt. Immer noch staunend sah sie über den Mann einen weiteren... sein Gesicht war nicht recht erkennbar. Ein Tuch, ein Schal...sie erkannte es nicht, verhüllte sein Gesicht. Was sie aber erkannte, war der Knüppel den er in der Hand hielt, mit dem er ausholte und auf den Mann einschlug. Sie sah das Blut, das gegen die Wand spritze.
Kein Begreifen.
Sie war in Eile, vor sich IHR KIND. Weiter...die Treppen rauf. Dort die Tür, dort musste sie raus. Doch auf einmal fühlte sie Blicke, Blicke die sie betrachteten. Wieder war es ein Mann, zur Hälfte verhüllt... er sah sie an, mit einem amüsierten Lächeln. Sah man davon ab, das auch er einen Knüppel bei sich trug, wirkte er auf sie freundlich. Von ihm ging nichts bedrohliches für sie aus. Ein Widerspruch der sie verwirrte und der sie nervös werden ließ und dazu führte, IHR KIND an sich zu ziehen. Instinkt. Bevor sie durch die Tür verschwand, sah sie ihn winken und dann auf ihr Kind deuten...seine Augen...freundlich. Angst...noch gering in ihr...aber Angst. Sie tauchte auf. Aber nicht genug.
Sie trat mit IHREM KIND in einen engen Flur, links und rechts waren Türen. Sie öffnete eine und war in einem Waschraum. Die Kacheln waren in ein bläuliches Grau getaucht. Schmutzig. Eine Gruppe von Männern, vielleicht 4 oder 5, traten auf eine am Boden kauernde Gestalt. Nun traf sie das Entsetzen mit voller Wucht. Ihre Arme rissen IHR KIND an sich, drückten seinen Kopf an ihre Brust. Die Männer blickten auf und sahen sie an. Wieder wirkten sie freundlich, belustigt. Sie sahen nicht bedrohlich aus. Einer von ihnen trat vor, winkte IHR KIND zu sich, wollte es haben. Ein Spaß... für ihn... eine Freude... ein Geschenk und eine Überraschung. Sie hier, mit IHREM KIND, war etwas, was diesen Männern gefiel.
Nun begriff sie. In ihr ... unbeschreibbare Gefühle. Nicht IHR KIND. Nichts durfte ihm geschehen, es sollte nichts sehen, nichts bemerken. Eine ohnmächtige Hilflosigkeit kroch in ihr hoch. Eine Situation, nicht mehr vermeidbar...eine Gefahr für IHR KIND. Ein Alptraum, eine Furcht, die sie seit seiner Geburt hatte, sie war zur Realität geworden. Seitdem immer wieder diese unbeschreibliche Angst...niemals durfte es Schmerzen haben, von anderen zugefügt. Niemals sollte es Verlassenheit spüren, Einsamkeit, von ihr oder einem anderem verursacht. Niemals sollte es Angst haben und sie war NICHT DA. Quälende Gedanken, die sie immer begleitet hatten... fasste sie in diese Worte: Nichts durfte IHREM KIND geschehen und sie war nicht da. Träume, die sie manchmal hatte... wo IHR KIND sie ruft und sie war nicht da. Sie würde sterben und könnte sie es rückgängig machen, sie hätte IHR KIND nicht geboren, um sich diesem unbeschreiblichen Gefühlen nicht auszusetzen. Und doch...sie liebte es, mehr als ihr Leben.
Sie war bereit, sie bot sich an. Der Kreis schloss sich enger um sie. Sie schob IHR KIND hinter sich, in eine Ecke. Noch bot ihr Körper ihm Schutz. Noch war es kleiner als sie und konnte so nichts sehen, was vor ihr war. Das war wichtig. Sie traten sie, sie schlugen auf sie ein, doch sie blieb stehen. Nur...die Heftigkeit der Schläge...sie waren nicht schlimm. Aus der Gruppe trat ein Mann hervor. Er lächelte sie an, es ging etwas tröstendes von ihm aus. Er beruhigte die anderen Männer und schob sie beiseite, machte ihr so den Weg frei. Mit einer einladenden Handbewegung wies er zur Tür. Nun begriff sie die Grausamkeit...die Jagd war eröffnet. Sie drehte sich zu IHREM KIND um, öffnete ihren Mantel, hüllte es ein und ging langsam auf die Tür zu. Wachsam.
Wieder auf dem Flur gönnte sie sich ein kurzes Aufatmen und einen Moment des „gut gemacht". Dann rannte sie mit IHREM KIND los. Wie alle anderen...sie rannte, mit weit aufgerissenen Augen und offenen Mund. Die nächste Tür führte zu einer großen Halle. Der Boden war aus schwarz-weißen Mosaiksteinen. Überall in der Halle...Säulen...riesig...grau und schmutzig. Das Licht immer noch gräulich mit Schatten. Auch hier liefen Menschen verzweifelt nach einem Ausgang suchend. Aber es waren nicht mehr so viele und nun fiel ihr auch auf...keine Kinder...nirgends. Wohin? Sie hastete weiter, blieb in der Nähe der Säulen, die ihr wenigstens etwas Schutz boten. Überall Schreie und Männer, in seltsam freundliches Licht getaucht, mit erhobenen Knüppeln. Der Gestank von Angst, Schweiß und Urin drang in ihre Nase. Wohin? An einer Wand voller kleiner Schließfächer fanden sie sie. Nun gab es keinen Ausweg, keine Hoffnung auf ein Aufwachen. Sie stürmten mit einem Lächeln auf sie zu, rissen ihr DAS KIND aus den Armen. Nichts...sie konnte nichts machen...sie fühlte nicht die Schmerzen, nicht die Schläge, die immer noch nicht die Heftigkeit hatten, die sie eigentlich erwartet hätte. SIE SAH IHR KIND NICHT. Zu betäubt von der Gewalt des Gefühls, nichts für IHR KIND tun zu können, ließ sie es geschehen, war nicht mehr da.

Sie kam zu sich...IHR KIND...bei ihr...neben ihr. Stille rings um sie. Aus der Ferne nahm sie Sirenengeheul wahr. Sie rappelte sich auf...nahm IHR KIND...auf den Arm und stolperte los. Weg...nur weg...mit dem Gedanken „es ist noch mal gutgegangen". Vor ihr flatterte ein Plakat zu Boden. „Die Jagd hat begonnen" las sie...ein Funke von ...Schuld...ging ihr durch den Kopf. Vermeidbar. Nicht daran denken, noch nicht...sie schüttelte den Kopf. Das KIND...IHR KIND...es war schwer...so schwer in ihren Armen...ein Gewicht, das so nicht hätte sein sollen. Später...und stolperte dem Ausgang zu.
Sie hatte es geschafft und trat aus dem Gebäude. Sie schaute nach oben, keine Sonne. Sie setzte sich auf die Stufen vor dem Gebäude, wiegte IHR KIND und flüsterte ihm liebevolle Worte ins Ohr. Um sie herum...Realität...Sirenen...flackerndes Blaulicht...näherkommende Menschen...hilfsbereite Menschen. Sie kamen näher. Zu ihr und schauten sie an, redeten auf sie ein. Sie sah etwas in ihren Augen...etwas, was sie nicht sehen wollte und...sie ertrug es nicht. Aber zu spät...kein Entkommen. Es drang durch sie durch...kroch wie eine Urgewalt in ihr hoch. Wie ein Geschwür voller Eiter platzte es. Ihre Augen...sahen nichts mehr...leer. Sie riss ihren Mund weit auf, warf ihren Kopf nach hinten. Nichts. Niemand hörte sie... nur sie... sie würde niemals mit ihrem Schrei aufhören können.

[ 02.07.2002, 18:34: Beitrag editiert von: LiaFail ]

 

Krass, ergreifend, theatralisch und gut geschireben...
Dass würde ich zu dieser GEschichte sagen..

und das obwohl ich am Ende noch nicht so ganz begriffen habe was passierte...

SUPER!!! :eek2:

Luzifer AKA mc_nyssen
:thumbsup:

 

Danke Luzifer...es war/ist ein Traum den ich so loswerden musste.

 

Sach mal LiaFail... würdest du so nett sein und mal meine geschichte durchlesen???
"Master Fenestre"! Danke schon im voraus...

Ich erbitte auch Kritik...

DANKE LUZIFER

 

Du Luzifer...ich bin hier neu und lese mich gerade so durch (und das ist ja eine Menge) und ich danke Dir für deine Kritik :) ...lass mir mal ein wenig Zeit, hier warm zu werden...sind so viel Geschichten, die in einem noch nachhallen.

Lia

[ 03.07.2002, 09:21: Beitrag editiert von: LiaFail ]

 

Luzifer: Wenn du jemanden um Kritik bitten möchtest, ist das dein gutes Recht. Aber dann tu dies bitte persönlich (per email oder PM z.B.) und nicht in den geschichtsthreads. OK?

 

Hallo LiaFail,

puh, das ist ja mal eine Geschichte, die wirklich zum Nachdenken anregt.
Erst habe ich geglaubt, es handle sich um eine Kriegsszenerie, doch je mehr ich mich durchgearbeitet hatte, desto mehr erschien es mit unrealistisch, es als solche zu betrachten.
Zum einen, weil die Männer mit den Knüpeln einen freundlichen Eindruck machten, wie su es beschrieben hast, zum andern, weil die ganze Szene sehr durcheinander wirkt.
Irritiert hat mich die Tatsache, dass das Kind keinen Namen trug.
Ein paar Stolpersteine hat es dann noch gegeben.

Noch immer mit einem Staunen sah sie über den Mann einen weiteren... sein Gesicht war nicht recht erkennbar.
Noch immer mit einem Staunen klingt eigenartig.
Vieleicht könnte man schreiben...immer noch staunend.

Oder auch

er sah sie, an mit einem amüsierten Staunen.
Das klingt auch seltsam.
Vieleicht ist er Überrascht, aber ist er wirklich erstaunt, das er sie sieht? So, wie es da zu geht?

sie hätte IHR KIND nicht geboren, um sich diesem unbeschreiblichen Gefühlen auszusetzen. Und doch...sie liebte es, mehr als ihr Leben.
Auch ein sehr verwirrender Satz.

Das KIND...IHR KIND...es war schwer...so schwer in ihrem Arm...ein Gewicht, das so nicht hätte sein sollen.
Das klingt, als wäre etwas falsch an dem Kind. Ist es etwas besonnderes, wenn das Gewicht so nicht hätte sein sollen?
Oder verstehe ich das falsch.

ein paar andere Ungereimtheiten ziehen sich noch durch, aber das waren die Dinge, die mir besonnders aufgefallen sind.
Alles in allem ist das eine sehr gute, zwar komplizierte, aber ergreifende Geschichte.
Leider ist sie an manchen Stellen so schnell erzählt, das man ein bißchen den Eindruck bekommt, das du mit deinen Gedanken schon weiter warst, als mit der Geschichte selber.
Denoch, von mir ein Lob.

Liebe grüße
Rub.

 

Hallo Rub.

Dank Dir für deine Kritik. Deine Vorschläge habe ich in einigem übernommen. Das Kind hat bewußt keinen Namen bekommen, genau wie die Frau.Es war ein Traum, der für mich sehr realistisch war, ich schreckte mit diesen Bildern und Gefühlen auf und konnte mich nicht davon lösen. Ich wollte es aus meinem Kopf haben und schrieb drauf los. Vielleicht klingt sie daher "schnell erzählt", aber ändern kann ich sie nicht. Es purzelte raus und danach war ich nur froh und erleichtert.
Ob mit dem Kind etwas "falsch" ist...nuja...es gehört zum Ende, das sich jeder selber bilden soll ...es hat schon eine Bedeutung.
Deine Kritik hat mich zum nachdenken angeregt...danke :)

Liebe Grüße
Lia

[ 03.07.2002, 09:20: Beitrag editiert von: LiaFail ]

 

Hallo LiaFail,

deine Geschichte liest sich gut, fühlte mich gleich gefesselt und gespannt auf den Ausgang der Jagd. Gut gefiel mir speziell die jeweilige Großschreibung von IHR KIND, verdeutlicht markant die intensive Bindung der Mutter.
Das Ende lässt mich ein wenig unbefriedigt zurück, ein bisschen mehr Hinweise / Erklärung zum Hintergrund der Story hätte ich gebraucht, oder besser gesagt: gern gehabt.
Das Gewicht, das so nicht hätte sein sollen -...eine Bombe??

Wie auch immer, eine gut zu lesende Geschichte, die zeigt dass der Leser nicht immer seinen Willen bekommen muss, es gefällt ihm trotzdem, vielleicht auch gerade deswegen. Allerdings ist ohne konkretere Interpretationsmöglichkeit die Rubrik - zumindest für mich - etwas fraglich, würde sie unter Spannung oder seltsam besser angesiedelt sehen.

Gruß vom querkopp

 

Hallo Querkopp

Ich seh schon, das "Gewicht" des Kindes wirft Fragen auf :)
Ich weiß nicht recht, ob ich schreibe soll, was ICH mir dabei gedacht oder gemeint habe. Bin da wirklich am überlegen.
Mit der Rubrik hast du schon recht. ich habe wirklich überlegen müssen, ob es hier richtig ist. Zuerst dachte ich an Horror, weil es ziemlich beängstigend für mich war, aber ich denke, das diese Geschichte das nur bei mir bewirkt.Sie hat noch einen Hintergrund für mich. Horror war es also nicht.Spannung? Damit konnte ich mich nicht recht anfreunden, ebenso wie mit Seltsam, obwohl die beiden wohl doch eher in Betracht kommen. Ich habe sie hier, weil ein Leser meiner Geschichte sie mir mal aus seiner Sicht interpretiert hatte und danach scheint sie in Gesellschaft zu gehören.
Ich danke dir für deine Kritik. Es ist sehr spannend Reaktionen zu bekommen :)

Gruß Lia

 

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