Schon gut
Es ist anders, manches ist besser. Pause. Anderes ist vielleicht nicht so gut. So oder zumindest so ähnlich sprach sie über ihre aktuelle Beziehung im Vergleich zu vorherigen, zu meiner Beziehung. Diesen Satz wollte ich mir eigentlich merken, um mir keine falschen Illusionen zu machen. Trotzdem gelingt es mir nicht, den Gedanken an eine Zukunft mit ihr aus meinem Kopf zu schlagen. Vielleicht hilft nicht ein Schlag gegen meinen Vernunftsapparat, sondern in die Magengrube: Anstatt mir einen Pulli da zu lassen, wie sie es mir angekündigt hatte, ließ sie versehentlich einen Pulli von sich hier liegen. Versehentlich. Danke. Garniert war dieses hässliche Wort noch mit einem traurigen Smiley, als sie mich per SMS über die Intention des überraschenden Kleidungsfundes aufklärte. So, jetzt noch ein bisschen Entsetzen von Hannelore und Mechthild und meine Gedanken sollten wieder auf Kurs gebracht werden. Beide sind überzeugt, das sie mir nur wieder weh tun wird. Sie spiele mit mir, werde schon wie damals nicht für mich Schluss machen. Im Grunde weiß ich, dass sie Recht haben. Vor einer Woche hatte ich noch diese naive Überzeugung, ich werde schon gegen meine Konkurrenz gewinnen. Wie töricht das doch war. Wie ernst es zwischen den beiden ist, merke ich bisher an wenigen Dingen. Jedoch fürchte ich, dass es immer mehr werden. Ich kannte meine Konkurrenz als Kette rauchenden Schlot. Für sie hat sie aufgehört und ist nunmehr seit gut einem Jahr Nichtraucherin. Sie vertraut ihr und umgekehrt: Die Treffen mit mir und der Schriftwechsel sind völlig offen gelegte Banalitäten ohne jegliche Brisanz. Wie sagte sie damals? Sie überprüfe gerne hin und wieder ihren Marktwert. Auf meine peinlichen Liebesbekundungen reagiert sie nicht. Hannelore hat Recht, „normalerweise“ frage man andere Leute nicht einfach so plump (und dazu per SMS), ob sie einen liebten. Menschen mit mehr Selbstachtung als ich hätten zumindest auf eine Antwort über selbiges Medium verzichtet. Fuck. Ich bin so leicht zu haben und eben deswegen will mich keine haben. Ganz leichtes Naturgesetz. Schon mit Manfred stellten wir fest, dass der Mythos leider wahr sei, dass Frauen nur auf die Arschlöcher ständen. Ich bin zu nett, sie ist genau gemein genug. Wie oft habe ich mit in den letzten Tagen und Wochen vorgestellt, sie zu küssen? Als sie am Freitag hier war, habe ich nichts getan, als sie anzustarren und nervös zu schwitzen. Grandios. Wir haben geredet. Über Unwichtiges, nichts Persönliches. Zwischendurch habe ich mich völlig deplatziert gefühlt. Ich grinste, weil die Situation mir so surreal erschien. Sie ist irgendwie immer noch ein Fremdkörper in meiner Wohnung. Ein Produkt meiner Fantasie, das plötzlich real vor mir steht oder sitzt. Auf der einen Seite möchte ich meine Gefühle zulassen und ihr zeigen. Andererseits fühle ich mich elendig entblößt und verletzlich. Sie hat mir mit keinem Wort signalisiert, dass sie mir mir zusammen sein möchte. Allein meiner Wunschvorstellung entsprang die Idee, sie wolle das vielleicht auch. Nein, sie möchte es nicht. Genau andersherum ist es nämlich: es fehlt ihr nicht der Mut, mir zu sagen, dass sie sich auch nach meiner Nähe sehnt, sondern der Mut, mich zu verletzen und mir ins Gesicht zu sagen, dass es kein „wir“ und kein „uns“ geben wird. Ist sie so abgebrüht, wie Hannelore denkt? Hält sie mich vielleicht absichtlich hin oder merkt sie nicht, dass ich mir blöderweise Hoffnungen mache? Jetzt gerade liegt sie in jemand anderes Armen und denkt gar nicht an mich. Habe ich mir beim ersten Treffen nach so langer Zeit noch das Gefühl unserer Umarmung einbrennen wollen, verschwimmt dieses Mal die Erinnerung bereits. Dabei liegt es nur zwei Tage zurück, als sie vor mir stand und ich auf eine Begrüßungsumarmung bestand. Die Umarmung war fest und (ihr zu) lang, trotzdem ist die Erinnerung so schwach. Bezeichnend war der Umstand, den ich bei der Verabschiedungsumarmung auch aussprach: „Dieses Mal höre ich gar nicht dein Herz.“ Ach, du weißt, wie man es noch schrecklicher macht: „Wer sagt, dass du wirklich mein Herz und nicht dein eigenes Herz gespürt hast?“ Ja, vielleicht habe ich es mir auch eingebildet. Guck mich doch nicht so traurig, nachdenklich, eindringlich, aufmerksam, fordernd, sehnsuchtsvoll an! Du stehst vor der Tür, bist bereits im Begriff zu gehen, da schaust du auf eine Strähne an meinem rechten Ohr. Du zögerst, deine Hand zuckt. Was ist? Hab ich da was? Nein, da ist nichts, schon gut. Ach, ich wollte nur. Ist schon gut. Da fühlst du dich mutig und unvernünftig genug und streifst meine Haare nach hinten. „Ach, Kleines“, hättest du jetzt noch sagen können. Tatest du aber nicht. Stattdessen schautest du mich an. Traurig, fordernd, schockiert, ängstlich, sehnsuchtsvoll. Du wolltest mich küssen, ich wollte dich küssen. Gesagt haben wir nur „bis dann“, und du gingst. Nicht zögerlich, sondern beinahe überstürzt, ranntest förmlich zur ersten Stufe im Treppenhaus, stießest dir fast den Kopf an der niedrigen Decke. Alles ok, nichts passiert, schnell weiterlaufen. Hattest du ernsthaft Angst, ich könne dich aufhalten und dir einen Kuss aufdrücken? Warst du erschrocken darüber, dass du dir vorgestellt hattest, mich zu küssen? Es war nur ein flüchtiger Gedanke, keine Panik, du bist ihr treu, kein schlechtes Gewissen nötig.