Schoko-Sahne-Torte
Er hasste dieses Ding. Er hasste seinen Chef. Er hasste seine Ungeschicklichkeit. Überhaupt hasste er seine Arbeit. Warum konnte der Typ nicht laut "Vorsicht" oder sowas rufen, wenn er eine Torte durch die Gegend trug? Da konnte es halt passieren, dass jemand um die Ecke bog und ihm die kunstvolle Schoko-Sahne-Torte aus den Händen stieß. Und dieser jemand war er, Mädchen für alles in der Bäckerei am Ende der Hauptstraße. Zuerst gab es ein fürchterliches Wutgebrüll, dann kam auch schon der Kunde in die Bäckerei und fragte nach seiner Torte. Stocksauer brummte der Chef dem Unglücksraben zwei Wochen lang das komplette Geschirrspülen samt Bodenwischen auf. Das hieß lauter unbezahlte Überstunden.
Mittlerweile waren alle Angestellten schon gegangen, die Bäckerei hatte seit einer Stunde geschlossen und immer noch thronte ein riesiger Stapel dreckiger Arbeitsutensilien in der Backstube. Er stöhnte und füllte die Industriespülmaschine erneut. Sie war ungefähr zwei Meter hoch und bot einen Quadratmeter Füllfläche, die sich etwa auf bauchhöhe befand. Er konnte das Ding nicht leiden. Sie roch schlecht, da konnte man das Wasser noch so oft wechseln, und er verbrühte sich dauernd daran. Manchmal hatte er das Gefühl, als wenn sie ihn auslachte. Was natürlich völliger Blödsinn war...
Während die Spülmaschine mit dem von Sahneresten getrübten Wasser die verklebten Schüsseln säuberte, schlenderte er etwas herum. Eigentlich mochte er die Backstube. Es roch immer gut nach frischem Brot und das erinnerte ihn immer an seine Familie. Seine Mutter hatte jeden Samstag Brot gebacken, für den Sonntagmorgen, den einzigsten Tag, an dem sein Vater die Zeit fand, mit seiner Frau und seinen sechs Kindern zu frühstücken. Eigentlich wollte er immer Bäcker werden, aber ohne Schulabschluss hatte ihn niemand als Auszubildenden nehmen wollen. Und jetzt, mit 37 Jahren, war er sowieso zu alt. Mit diesem Job hielt er sich ganz gut über Wasser, er brauchte nicht viel Platz und war überzeugter Single ohne Kinder.
Es war ihm verboten, aber dennoch öffnete er den Kühlraum und trat ein. Zum einen war es ein angenehmer Kontrast zu den 30 Grad draußen in der Backstube, und zum anderen reizte es ihn immer wieder, die verschieden Stufen der Torten- und Kuchenherstellung zu betrachten. Alles war voller Sahne und Creme, es war das reinste Schlaraffenland. Normalerweise sah er sich einfach nur um, aber heute wollte er mal ein bisschen weitergehen. Was fiel dem Chef eigentlich ein, ihn wegen dem Versehen so viel Zeit abzuknöpfen? Als wenn er diese stapelweise unbenutzt rumliegen hätte. Ob es wohl bemerkt werden würde, wenn er sich die kleine Torte da hinten mitnehmen würde? Und wenn, es könnte ihm ja doch nicht nachgewiesen werden. Schließlich gingen täglich an die sieben Personen da rein und er war dazu ja nicht einmal befugt. Also, was schadete es schon...
Der Chef hatte es bemerkt. Und ihn gefeuert. Einfach so! Er hatte noch zwei Wochen, so eine Art kleines Entgegenkommen. Er war absolut wütend. Wegen so einer Kleinigkeit! Und das Geschirr viel erst recht unter seine zusätzlichen Aufgaben...
Es war schon die zweite Überstunde an diesem Tag. Länger arbeiten war ja an sich schon extrem ärgerlich, aber dann auch noch kein Geld dafür bekommen war noch schlimmer. Sauer über sich selbst trat er gegen die Spülmaschine. Das Ding fing an zu brummen und er bekam plötzlich Angst, das auch noch kaputt gemacht zu haben. Reflexartig legte er die Hand fast sanft an die Seite der Maschine und das Brummen hörte schlagartig auf. Verdutzt wiederholte er das Treten und Handauflegen. Wieder dasselbe. Da fing er an zu lachen. Es war, als ob die Spülmaschine Gefühle hätte! Immer noch lachend trat er so lange dagegen, bis sein Fuß schmerzte. Das Brummen wurde mit jedem Tritt lauter, aber als er wieder die Hand an die Seite der vibrierenden Maschine legte, passierte diesmal nichts. Es blieb bei dem lauten Brummen. Das war jetzt nun doch nicht mehr so lustig und als auch noch die Klappe von alleine aufging, weiteten sich seine Augen vor Angst. Es war ihm früher nie aufgefallen, wie scharf die obere Kante der Öffnung war. Aber jetzt, wo er sie direkt auf augenhöhe vor sich sah...Was tat er hier eigentlich? Er hatte plötzlich Angst vor einer Spülmaschine?! Er schüttelte über sich selbst den Kopf und stopfte wahllos Kessel in die Öffnung, schloss die Klappe und stellte sie an. Doch statt wie gewohnt zu funktionieren, erstarb mit einem grässlichen Heulen die komplette Maschine. Etwas panisch riss er die Klappe wieder auf und zog die Kessel raus. Musste das jetzt sein?! Hoffentlich kam das nicht von seinen Tritten. Aber wie empfindlich konnte dieses riesige Stahlgebilde schon sein? Er machte mehr Licht und beugte sich weit in die Öffnung, in der Hoffnung, dass er vielleicht das Problem sehen würde. Natürlich hätte er sich denken können, dass er absolut gar nichts sehen konnte. Aber bevor er sich fluchend zurückziehen konnte, schloss sich die Klappe und hob ihn dabei so hoch, dass sein Genick direkt an die scharfe Oberkante gedrückt wurde. Er wollte sich befreien, aber er hatte gegen den schweren Stahl keine Chance.
Die Frau des Chefs schrie am nächsten Morgen, als sie den kopflosen Körper von Sören, dem Gehilfen, vor der Spülmaschine fand. Der Kopf wurde nie gefunden...