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Schocktherapie
Schocktherapie
Er liebte Sie.
Er hatte sie vom ersten Moment an geliebt.
Und doch war er es, der sie so tief verletzt hatte.
Der Vorwurf den er gegen sich selbst erhob, war der, dass er sie missbraucht hatte.
Mehrmals. Er sah alles klar vor sich.
Er hatte ihre Zustände nicht richtig erkannt, war nur auf seine Wünsche bedacht gewesen.
Diese Schuld, nicht richtig erkannt und deshalb sie nicht richtig behandelt zu haben, brannte wie ein Feuer in seinem inneren.
Nun aber bot sich die Möglichkeit, diese Schuld abzutragen.
Klar wie Diamant leuchtete die Lösung ihres Dilemmas in ihm.
Sah den Weg, den einzig logisch sichtbaren Weg vor sich, ihr das eigene Leben und die Selbstachtung, die Möglichkeit sich wieder selbst zu lieben, für immer zurück zu geben und sich selbst von seiner Schuld zu befreien. Er würde sich sich selbst zum Opfer machen um seine Schuld zu begleichen und sie zu befreien.
Ihre Psychotherapeutin war erst entsetzt und strikt dagegen.
Nach und nach aber überzeugte er sie von der zwingenden Logik, welche diesem Gedankengang zugrunde lag.
Schließlich willigte sie ein. Ihre Panik unterschied sich in nichts von seiner.
Alle, ohne Ausnahme gingen ein großes Risiko ein.
Sie als Opfer-Täterin, er, als Täter-Opfer, die Psychologin, weil sie damit ihre Karriere und möglicherweise die noch verbliebene Seelische Gesundheit ihrer Klientin sowohl die Seelische und körperliche Unversehrtheit ihres Ex-Freundes, des Täters, aufs Spiel zu setzen bereit war.
Es sollte dafür gesorgt werden, dass sie ihn nicht umbrachte, und selbst danach betreut werden konnte.
So hatte man sich entschieden.
Er war bereit zu bezahlen, sie, bereit ihren Dämonen entgegenzutreten.
Der Tag kam. Es war Herbst.
Die Blätter der Bäume erstrahlten in rot-braun-gelber Pracht.
Sie wurde in den Raum geführt, in dem er auf sie wartete.
Die Augen verbunden, die Hände gefesselt, nackt inmitten des Zimmers stehend.
Als sie ihn so sah, wollte sie davonlaufen und wurde doch magisch von ihm und dem Bild welches er bot angezogen.
Tief in ihr drinnen kämpfte sie einen Kampf, dessen Ausgang doch, wie sie ahnte, von vornherein feststand.
Sie stand da wie eingefroren, zitternd, und starrte abwechselnd auf ihn, dann auf die schwarze Peitsche, welche neben ihm auf dem Boden lag.
Dann öffnete er den Mund und begann leise zu sprechen.
„Wenn du dich jemals wieder selbst lieben willst, dann tu es.“
Sie zitterte und schwieg.
Schweiß rann an ihrem Körper herab.
Sie roch ihren eigenen Angstschweiß, der sich ätzend mit seinem Angstschweiß vermischte.
Ein Würgen stieg ihr im Hals hinauf und krallte sich direkt unterhalb ihres Adamsapfels fest.
Immer noch stand sie regungslos, von inneren Bildern und Schmerzeswogen durchflutet.
„Traust dich wohl nicht? “ Kam fast körperlos seine Stimme an ihr Ohr.
Wut wallte stärker als ihre Angst vor sich selbst, der Gewalt des angestauten Hasses in ihr, tief aus ihrem Inneren kommend auf und sie fühlte, wie der Damm in ihrem Inneren zu bröckeln begann.
„...Kann nicht... will nicht...“ stieß sie mühsam hervor.
„Du feiges, kleines, blödes Stück Scheiße, wenn du es nicht tust, dann werde ich dich jetzt lehren, zu tun, was man von dir verlangt.“ schrie er plötzlich mit fast Unmenschlicher Stimme, und taumelte blindlings auf sie zu.
Ihr Tritt stoppte seinen unsicheren Gang.
Der Damm war gebrochen.
Sie schlug, und schlug und schlug, bis sie von starken Armen davon abgehalten wurde.
Völlig entleert und entkräftet ließ sie sich in die starken Arme fallen.
Es war vorbei... endlich vorbei.
Die Tränen die ihre bleichen Wangen benetzten spülten die Trümmer des alten, nun nutzlos gewordenen Deiches fort und brachten die ersehnte Entspannung.
Als sie ihn Tage später wiedersah, blickte sie auf ein blaugrün geschlagenes etwas in einem Bett hinab, welches nur noch entfernte Ähnlichkeit mit seinem vorher so ansehnlichem Gesicht zu tun hatte.
Er spürte, dass sie bei ihm war und öffnete vorsichtig die geschwollenen Augen.
„Du hast keine Schuld“ sagte er und versuchte zu lächeln.
„Jetzt bist du endlich wieder frei“.
Vorsichtig ergriff sie seine Hand und schaute ihm in die Augen...
Das, was sie jetzt durchströmte, konnte das die langersehnte, angstlose, freie und unbedingte Liebe sein?
2002-08-24
Arvid A. Pringsauf