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Schnupperkurs Hölle
„So – Sie haben also den Wunsch geäußert, einmal ganz unverbindlich bei uns reinzuschauen?“
„Eigentlich hab ich nur mal kurz dran gedacht“, sagte Mike. „Man hört ja ne ganze Menge über den Laden.“
„Aha, ist das so? Und was hört man denn? Vermutlich keine Reiseberichte, möchte ich meinen.“ Der Bote aus der Hölle kicherte, ohne den Blick von Mike zu wenden. Seine Lippen formten ein O, und ein gelber Rauchring drang aus seinem Mund.
Der Park leerte sich allmählich. Bis auf zwei schachspielende Rentner und einige Kinder, die auf dem Ententeich ihre ferngesteuerten Boote fahren ließen, war niemand mehr zu sehen. Mike fragte sich, ob außer ihm noch jemand in der Lage war, den Mann, der so plötzlich neben ihm aufgetaucht war, zu sehen.
„Nee, keine Reiseberichte. Das Übliche eben. Die einen glauben das Geschwätz vom ewigen Feuer, von Folterqualen und dem ganzen Zeug. Andere denken, daß es da ein bißchen unterhaltsamer als im … ääh … Himmel abgehen könnte. Was weiß ich …“
Der Rauchring löste sich langsam auf und hinterließ einen leichten Geruch nach faulen Eiern.
„Also, wollen Sie es denn nun wirklich wissen?“ Der Mann stand auf und betrachtete Mike mit einem freundlichen Lächeln. Sein schmächtiger Körper war an einigen Stellen transparent und das Licht der untergehenden Sonne schien durch ihn hindurch.
„Na ja …“ sagte Mike lahm, „warum eigentlich nicht?“ Es wunderte ihn selbst, daß er so gar keine Angst vor diesem Kerl verspürte, der da buchstäblich aus dem Nichts aufgetaucht war und nun in seinem merkwürdigen roten Anzug vor ihm stand. Eigentlich sah der Typ ganz normal aus. Keine Hörner auf der Stirn, kein Pferdefuß, keine glühenden Augen …
„Haben Sie jetzt gerade Zeit? Für einen kleinen Schnupperkurs, sozusagen?“
„Ist das Ihr Ernst?“
„Natürlich. Also?“
„Kann ich mir noch eine drehen?“
„Selbstverständlich.“ Wenigstens darf man dort rauchen, dachte Mike. Immerhin …
Dann ging alles sehr schnell. Der Bote schnippte mit den Fingern und im nächsten Augenblick war der Park verschwunden. Statt seiner breitete sich eine asphaltierte, kreisrunde Fläche vor ihnen aus, die von einer verklinkerten Mauer umgeben war. In regelmäßigen Abständen waren eiserne Türen darin eingelassen. Mike drehte sich einmal. Es waren zwölf.
„Was sind das für Türen?“
„Nun, zehn von ihnen öffnen sich für die, welche gegen die zehn ääh... sogenannten Gebote verstoßen haben. Dort treffen Sie auf lauter Gleichgesinnte. Also nehmen wir zum Beispiel mal die notorischen Lügner – die finden sich dort“, er zeigte auf eine Tür rechts von ihnen, „unter Ihresgleichen. Dort glaubt keiner irgendwem irgendwas. Sehr spaßig, finden sie nicht? Oder nehmen sie diese da: lauter Ehebrecher – “
„Und die beiden anderen Türen?“ unterbrach ihn Mike, der nicht den geringsten Wert darauf legte, zu erfahren, was man sich hier für die Fremdgeher hatte einfallen lassen.
„Hinter einer wohnt der Chef.“ Der Bote hielt inne, starrte vor sich hin und murmelte etwas, das sich wie ‚das wird eng‘ anhörte.
„Und hinter der anderen? Was ist da los?“
„Das ist die Abteilung Unterhaltung. Das perfekte Grauen. Moment …“ Wieder sah der Mann im roten Anzug zu Boden. Über seiner Nasenwurzel bildeten sich tiefe Falten. Für einen winzigen Moment glaubte Mike kleine weiße Maden auf der Stirn und im Haaransatz des Boten zu sehen.
Na wunderbar. Von wegen Schnupperkurs. Gute Promotion geht anders. Und wie das hier riecht!
„Unterhaltung klingt doch gut. Also, wenn ich mir das mal ansehn könnte?“
„Natürlich, sehr gerne. Wenn Sie mir folgen wollen. Natürlich dürfen Sie nicht hinein, aber ein Blick ist durchaus erlaubt. Schließlich sollen Sie sich ja ein Bild machen können.“
Nach wenigen Sekunden war Mike klar: auf keinen Fall würde er hier einchecken. Nicht für alle Kohle der Welt. Niemals. Allein schon das Gedränge!
Bis zum Horizont erstreckte sich der Menschenozean. Alle Männer, junge wie alte, trugen das Gesicht von Justin Bieber, und alle Frauen hatten diese ‚Mutti-ist-heute-frech-mit Rückenwind‘ Frisuren. Die Bieber, die deutlich in der Unterzahl waren, schienen ohne Unterlass zu singen. Jedenfalls hatte es den Anschein, denn zu hören war nicht das Geringste. Die Frauen bejubelten die Sängerknaben mit erhobenen Armen, öffneten und schlossen ihre Münder und gebärdeten sich wie hysterische Teenager. Viele schwenkten Nordic-Walking Stöcke.
Gut, dass man das idiotische Gekreisch nicht hören muß, dachte Mike erleichtert. Kinder gibt ‘s hier keine. Haben ja auch nichts zu suchen in der Hölle. Logisch.
„Das reicht mir erstmal. Jetzt würde ich gern einen Blick in die Abteilung Wollust werfen, wenn’s erlaubt ist.“
Der Höllenbote zwinkerte ihm zu. „Das möchten die meisten. Nur der Chef weiß, warum. Ich persönlich kann beim besten Willen nichts an dem finden, was dort geschieht. Aber bitte.“ Er blies einen weiteren Ring aus Rauch in die Luft, der jedoch nicht nach faulen Eiern, sondern irgendwie nach Zahnarzt roch.
Neben der Tür hing ein Kondom-Automat, der Mike vorher nicht aufgefallen war.
„Was soll das denn?“
„Ein Scherz des Chefs. Keine Ahnung, was daran lustig sein soll.“
Die Hand des Boten lag bereits auf der Türklinke, als plötzlich eine Stimme zu hören war, die gleichzeitig aus den Mauersteinen, dem Boden, und der Tür vor ihm zu dringen schien. Sie kam Mike irgendwie vertraut vor. Scheiße! Nicht mal in der Hölle ist man sicher!
„Mike?“
Nicht jetzt, wo‘s gerade spannend wird!
Zuerst warf die Luft Blasen, dann lösten sich nacheinander der Höllenbote, die Tür, die Mauer und schließlich auch der Asphalt unter seinen Füßen auf. Alles wurde porös und durchsichtig und wich schließlich einem grellen Licht, vor dem er die Augen schließen mußte.
„Mike! Junge! Sehen sie mal, seine Augen … Er wird wach!“
„Erinnern sie sich an irgendetwas, Herr Weber?“
„Erinnern?“
„Ja. Haben sie vielleicht Albträume gehabt? Nach dem zu urteilen, was wir in ihrem Blut gefunden haben, wäre das nämlich kein Wunder.“
Mike bemühte sich. Doch das Einzige, an das er sich erinnern konnte, war das Gesicht von Boris, der ihm im Park eine winzige Pille in die Hand gelegt und gesagt hatte: „Hier, probier das mal – is was ganz neues. Ne Schnupperprobe, Alter. Du wirst dich wundern – echtes Teufelszeug!“