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Schnipp, Schnapp, Scheißfrisur
Ich mag es nicht, wenn mir fremde Leute mit einem Pinsel im Gesicht herumfuchteln, der kurz zuvor noch zum Fegen des Fußbodens benutzt wurde. Deswegen gehe ich äußerst selten zum Frisör. Das Resultat ist eine etwas verzweifelt und gleichsam grotesk aussehende Langhaarfrisur, für die ich stets nur mitleidsvoll belächelt werde. Zwar kostet es einige Überwindung, sich überhaupt mit einer derartigen Zumutung auf dem Kopf in einen Frisörsalon zu wagen, und doch habe ich erst kürzlich Haarschneiderdienste in Anspruch genommen.
Alles war wie immer. Ich betrete den Salon um 10.00 Uhr morgens. Primo, der untersetzte Frisörmeister, begrüßt mich und muss erst noch seinen einundzwanzigsten Kaffee zu Ende trinken, bevor er die Schere zückt. Auch mir möchten Primos Angestellte immer einen Kaffee andrehen. Damit wollen sie ihre Pause verlängern. Immerhin wäre ich dann ja noch nicht bereit zum Schneiden, ich tränke ja noch Kaffee. Ich lehne also ab, auch wenn ein Kaffee mir gut tun würde, und setze mich neben Dauerwellen ohne Wellengang, Fönfrisuren mit Spliss und fettige Geheimratsecken. Um mich nicht über frustrierte Frauen und frustrierende Fußballergebnisse unterhalten zu müssen, lese ich unheimlich interessiert eine Zeitschrift, die ich am Kiosk nicht einmal mit dem Arsch anschauen würde.
Viele Wartende linsen schelmisch hinter ihren Zeitungen hervor, um die Frisuren der anderen zu begutachten. Auf der Wartebank sitzen einige haarlose Köpfe, die sehnsüchtig auf die kopflosen Haare am Boden schauen. Genau diese Herren sind es, die sich ihre seitlichen Resthaare quer über die Glatze kämmen, in der Hoffnung, das sähe nach vollem Haar aus. Manche Glatzenträger behaupten allerdings auch, ihr Haarproblem sei lediglich auf einen ungeschickt liegenden Wirbel zurückzuführen. Frisör Primo ist selbst Glatzenträger. So können die Kunden ihm wenigstens nicht zum Vorwurf machen, er habe eine schlechte Frisur. Jahrelang hat Primo versucht, sein kahles Haupt mit allerlei Haarwuchsmitteln wiederzubeleben. Sie haben zwar gewirkt, allerdings an den falschen Stellen. In Nase und Ohren sprießt es nur so. Nur auf dem Kopf regt sich nichts.
Primo und seine Angestellten sind übrigens die schlechtesten Frisöre, die ich kenne. Trotzdem gehe ich zu Primo, weil ich eben immer zu Primo gehe. Das sind die Tücken der Gewohnheit.
„Kommst du bitte?!“
Eine junge Frisörgehilfin mit einer absurdfarbenen Frisur zitiert mich auf den Drehsessel vor dem Spiegel. Komisch, ich lande immer bei den Lehrlingen. Vermutlich, weil man an meinen Frisuren – wuchernde Haarwulste und strubblige Zipfel - sowieso nicht mehr viel verhunzen kann. Die gepiercte Gehilfin wirft mir einen dieser weißen Kittel über, in denen ich mir immer so enorm lächerlich vorkomme. Ich sehe aus wie ein spitz zulaufender, von Schnee bedeckter Berg mit Kopf. Albern.
Jetzt kommt die Phase, in der ich versuche, den trendy Scherenschwingerinnen klar zu machen, dass ich wirklich nur die Haare geschnitten haben möchte. Junge Friseusen stehen anscheinend auf allerlei Experimente mit Angst einflößenden Chemikalien.
„Tönung?“
„Nein, vielen Dank.“
„Färben?“
„Danke, nein.“
„Strähnchen?“
„Nein!“
„Pflegelotion?“
„Na-hein!“
„Kaffee?“
„SCHNEIDEN!“
„Is ja gut…“
Ich lasse die Schnippelprozedur über mich ergehen. Sprühflasche, Wassertropfen, Haarklammern, Kamm, Haarspray, hier Schnipp, dort Schnapp, das ganze mir verhasste Theater. Die Friseuse greift nach dem Handspiegel. Der Kunde will schließlich wissen, ob die Frisur von hinten genauso scheiße aussieht wie von vorne. Am Ende ist die Frisur übrigens immer genau so, wie ich sie nicht haben wollte.
„Gut so?“ fragt die Auszubildende während der Frisuren-Endbetrachtung. Pure Ironie natürlich! Die Antwort „ja“ oder zumindest ein „hier noch bisschen“ wird vorausgesetzt. Welcher Kunde bringt schon ein ehrliches: „Na, das haben Sie ja mal richtig versaut!“ über die Lippen? Ich persönlich ziehe es dann doch eher vor zu zahlen, und den Frisörsalon schnellstmöglich zu verlassen. Zornig über die Unfähigkeit der Frisöre. Selbst hätte ich das viel besser hingekriegt. Jetzt bin ich verschandelt.
Auf der Straße atme ich plötzlich auf, denn ich habe etwas erspäht. Mir wird klar, es gibt noch einen Hoffnungsschimmer. Glücklicherweise hat nämlich direkt gegenüber ein findiger Geschäftsmann einen Laden aufgemacht. Ein Hutgeschäft. Es gehört Primo’s Bruder.