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Schneephotographien

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28.01.2006
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Schneephotographien

Vorsichtig und sanft drücke ich die Nadel herunter.

Lange habe ich meine Lieblingsplatte nicht mehr gehört. Es ist diese Mischung aus Niedergeschlagenheit, Tod und Freude, die mich an ihr fasziniert, die mich gleiten lässt, wenn die schwarze, zerkratzte Scheibe zu drehen beginnt und ihren Klang, meine Flugbahn, durch den Raum schickt.

Doch blättere ich gerade durch das Photoalbum, das mich festbindet, am Fliegen hindert, gefangen hält in der Vergangenheit, hier auf diesem Sofa, das schon immer da steht. Die schwarzen Punkte auf dem beigefarbenen Bezug, so durchgesessen, dass ich es nicht mehr hergebe.
Ich schaue Bilder von damals, als ich Kind war und als noch Schnee lag im Winter. Jetzt liegt kein Schnee, es gefriert bloß und es ist kalt draußen. Kalt und schwarz. Aber der Heizkörper macht mir warm und die Rollläden halten die Dunkelheit fern, machen, dass meine schummrige Lampe nur für mich hellt und sperren den schwachen Lichtschein nach draußen ab.

Das Photo zeigt den Nachbarsjungen, wie er einen Schneeball nach mir wirft. Er hat mich mitten im Gesicht getroffen und ich heule. In meinem Mund schmilzt der Schnee zu kaltem Wasser und ich spucke es aus. Irgendwer hat auch davon ein Bild gemacht. Irgendwer hat von allem ein Bild gemacht. Wie ich mit meinen kleinen Fingerchen den Schnee aus meinem Jackenkragen kratze und wie der Zorn in mir die Kälte verdrängt. Doch ich habe mich nicht gerächt. Ich habe mich nie für etwas gerächt. Ich habe den Jungen nur verachtet und ich verachte ihn noch heute, so wie ich alle verachte, die je einen Schneeball nach mir geschmissen haben.

Kein Wunder, dass ich auf den Bildern feige aussehe, weil ich mich in den Garten verkrieche, wo ich beginne, einen Schneemann zu bauen und den ganzen Tag, bis in den späten Abend, mit meinen nackten Händen weiße Kugeln aus der Wiese rolle, die ich dann forme, zu einem runden Bauch und zu einem Kopf, dem ich mit den Fingerspitzen die Augenhöhlen aussteche. Ich laufe ins Haus und hole zwei Kastanien, die ich hineinsetze. Was für ein herrlicher Schneemann! Das Photopapier lässt seine tiefbraunen Augen von Neuem glänzen, verlockender und eindringlicher beinah als die des echten.
Aus kleinen Steinchen formte ich den Mund, nur eine Nase wollte ich ihm nicht geben, damit er die verbrannten Plätzchen nicht riechen muss.

Deren Geruch klebte nämlich in der ganzen Straße, rückte denn der vierundzwanzigste Dezember immer näher, mit jedem aufgerissenen Türchen, mit jeder verschlungenen Schokolade aus dem Adventskalender. Als ich Kind war, habe ich Weihnachten geliebt. Ich konnte noch lieben, ohne einen Sinn zu erkennen. Ich konnte lachen, ausgelassen und glücklich sein, ohne nach dem Grund zu fragen, und ich verschwendete auch keinen Gedanken daran. Viel mehr genoss ich die Stunden mit der Familie an der schiefen Blaufichte, die wir mit „O Tannenbaum“ besangen, und sogar die Geschenke genoss ich, vielleicht weil ich damals glaubte, dass sie wirklich von Herzen kämen, vielleicht weil mir die Schenker wirklich etwas bedeuteten. Ich schaute den Flocken zu, wie sie an unserem Fenster vorbei, auf die weiß bedeckte Erde fliegen, und meinem Schneemann, hinten im Garten, wie er mich herzlichst anlachte, wie seine Kastanienaugen zu mir herüber schimmerten. Ich lachte zurück und wahrscheinlich liebte ich Weihnachten doch nur seinetwegen.

Oder ich verabscheute es, da mir die Sonnenstrahlen des ersten Weihnachtsmorgens zerstörten, was mir wichtig war. Sie zerstörten ihn nicht in einem Mal, sie quälten ihn langsam zu Tode, bohrten sich Stück für Stück in seine reine, bleiche Haut und fraßen ihn von innen heraus auf. Seit diesem Weihnachtsmorgen kann ich keine Sonne ertragen, schaudert es mir mit jedem Lichtschein. Ich musste ansehen, wie sie, die scheinbar warme Sonne, ihn zerlaufen hatte lassen und allen Schnee für immer aus meiner Welt verbannte.

Ich lösche die schimmrige Lampe, nicht einmal sie kann ich aushalten. Zu hell ist sie jetzt, wo ich die Aufnahmen gesehen habe. Die trostlose Pfütze, die sich für immer in mein Gehirn gebrannt hat. Seine Kastanien, die auf dem Wasser schwammen und mich um Hilfe anflehten, und ich, der ohnmächtig hinterm Fenster stand und zusah, nichts tun konnte, bloß zusehen.

Es ist der Kater, der sich langsam anschleicht, zu mir hintastet und sein flauschiges Fell an meinem Körper reibt. Ich sehe, wie seine Augen leuchten, und erkenne Umrisse seines kleinen Köpfchens. Die Krallen halten ihn auf dem Sofa, bis ich ihn fest in den Arm nehme und kraule. Er gähnt zufrieden und ich rieche, dass er gerade eine junge Ratte getötet hat. Wie ihr kleines Schnäuzchen wohl quietschte. Ähnlich wie mein Schneemann, dem ich nicht einmal frohe Weihnachten gewünscht habe?

 

Eigentlich ist diese Geschichte eine kleine Hausaufgabe, zumindest sowas ähnliches, genauer: ein Beitrag zu unserer Schulweihnachtsfeier.

Ich hoffe, dass mich die ganze Schule jetzt nicht für verrückt erklärt und hoffe auch, dass ihr das ebenso nicht tut. ;)

Bin mir auch nicht sicher, ob die Geschichte nicht vielleicht besser in die Kategorie "Seltsam" sollte, aber naja, wo wir hier schon ein eigenes Forum für Weihnachtssachen haben....?

 

Hi Sebastian,

ich würde dir gerne ne Kritik schreiben, doch um ehrlich zu sein weiß ich nicht so recht was ich schreiben soll.

Zu den ersten zwei Drittel hab ich dir ja schon was gesagt. Gefällt mir sprachlich. Also dreht es sich ja nur noch um das Ende.

Aber ich kapiers leider nicht. Im Endeffekt stellst du den Tod des Schneemanns auf eine Stufe mit dem der kleinen Ratte. Doch ich frage mich warum?

Du hättest genauso gut hinschreiben können: Beim Metzger gibts jetzt die Salami im Angebot und ich wäre genauso schlau gewesen.
Seltsam ist der Text auf alle Fälle, doch für mich ist das Ende ziemlich zusammenhanglos. Vielleicht steh ich mal wieder auf dem Schlauch..

Wie gesagt sprachlich gut, aber leider erzählst du für meinen Geschmack nicht wirklich etwas.

lg Daniel

 

Hallo Daniel,

danke für deinen Kommentar, die Auflösung des Ganzen würde ich dir gerne mal persönlich verraten oder zumindest noch nicht jetzt, weil vielleicht noch andere rätseln möchten ;)

Aber schön, dass es dir sprachlich gefällt :)

Schöne Grüße und Frohe Weihnachten,
Sebastian

PS: Selbs Justiz hab ich meinem Papa zu Weihnachten geschenkt, werde ich dann demnächst auch mal lesen ;)

 
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Hallo Sebastian,

ich finde deinen Text leider sprachlich recht ungenau und irgendwie unnötig in modernen Falschformulierungen verhaftet.
Dazu aber mehr in den Details.
Für einen zwölfjährigen Jungen kann der selbst gebaute Schneemann ein Lebewesen sein. Er hat ihn geformt, hat ihm beim Bau schon seine Flüche über die böse Welt mitgeteilt, ihm vielleicht sein Leid geklagt.
Und folgerichtig wird diese Zeit und auch der Tod des Schneemans für den jungen Mann beim Anblick der Fotos wieder lebendig.
Er hat jetzt ein neues Leben mit Katze. Und die Katze, die er liebt, handelt gemäß ihrer Katzenbestimmung, sie tötet eine Ratte. So wie vor einigen Jahren die Sonne nach ihrer Sonnenbestimmung getötet hat.
Die Postion hat sich geändert. Damals wurde getötet, was er liebt, heutet tötet, was er liebt.
Durch die Bilder vielleicht etwas stoisches Erbarmen mit der Ratte, aber nur in der Frage, ob sie ihr Leiden geäußert hat (etwas, das dem zwölfjährigen Jungen nicht gelang, er hat sich weder gewehrt noch beklagt).
Geändert hätte sich für die Ratte nichts.
Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht genau, worauf du hinaus willst, so richtig einzufangen vermag deine Geschichte mich bei der Betrachtung des Fotos im dritten Absatz, sonst leider nicht.

Details:

wenn die schwarze, zerkratzte Scheibe zu drehen beginnt und ihren Klang, meine Flugbahn, durch den Raum schickt.
nur zum Verständnis: die schwarze Scheibe schickt die Flugbahn des Erzählers durch den Raum?
Doch blättere ich gerade durch das Photoalbum
so sehr habe ich mich schon an die neue RS gewöhnt, dass Photo für mich auf einmal merkwürdig aussieht.
gefangen hält in der Vergangenheit
den Widerspruch zwischen den Fotos und der Schallplatte sehe ich nicht. Selbst, wenn ich das Medium nicht als anachronistisch wahrnehme, setzt die Bemerkung "Lange habe ich meine Lieblingsplatte nicht mehr gehört" den Prot ja auch schon in die Vergangenheit.
Aber der Heizkörper macht mir warm
Wenn schon, macht der Heizkörper "mich" warm, vorschlagen würde ich aber "wärmt mich".
machen, dass meine schummrige Lampe nur für mich hellt
dieses "machen" liest sich fremdartig umgangssprachlich. Die Lampe "erhellt" höchstens, sie "hellt" nicht. In deinem Kontext würde man eher von "leuchten" sprechen. Die Wortumgestaltung würde ich akzeptieren, wenn dadurch ein neuer Kontext oder ein neues Verständnis des Vorgangs entstehen würde.
sperren den schwachen Lichtschein nach draußen ab
Auch hier bastelst du ein Konstrukt, das mir nicht stimmig erscheint, da ich keinen inhaltlichen oder atmosphärischen Grund sehe, Sprachgefühl gegen den Strich zu bügeln. Was ist normalerweise eine Absperrung? Der Schutz eines begrenzten Raums gegen draußen. Anderenfalls wird eingesperrt.
Das Photo zeigt den Nachbarsjungen, wie er einen Schneeball nach mir wirft
Das zeigt das Foto sicherlich auch, aber du erzählst es uns nicht. "Wie" als Einleitung für Nebensätze erfordert eine Beschreibung der Art und Weise, müsste sich also, wenn man es richtig gebraucht, immer auch durch "auf welche Weise" ersetzen lassen. Vorschlag hier: den Nachbarjungen, der einen Schneeball ...
Wie ich mit meinen kleinen Fingerchen den Schnee aus meinem Jackenkragen kratze und wie der Zorn in mir die Kälte verdrängt.
Gilt für beide "Wie" hier auch.
weil ich mich in den Garten verkrieche, wo ich beginne, einen Schneemann zu bauen
sprachlich nicht ganz falsch, aber umständlich und nicht klangschön. Vorschlag: im Garten verkrieche und beginne, einen ...
Aus kleinen Steinchen formte ich den Mund
Bisher hattest du davon im Präsens erzählt.
Als ich Kind war, habe ich Weihnachten geliebt.
Auch etwas umständlich.
Ich schaute den Flocken zu, wie sie an unserem Fenster vorbei, auf die weiß bedeckte Erde fliegen
zum einen Tempus, zum anderen mal wieder "wie".
Vorschlag: Flocken zu, die an unserem Fenster vorbei auf die weiß bedeckten Erde flogen.
und meinem Schneemann, hinten im Garten, wie er mich herzlichst anlachte, wie seine Kastanienaugen zu mir herüber schimmerten.
Vorschlag: Schneemann, der mich herzlichst anlachte und dessen Kastanienaugen zu mir herüberschimmerten.
Oder ich verabscheute es, da mir die Sonnenstrahlen des ersten Weihnachtsmorgens zerstörten, was mir wichtig war
Das erste "mir" ist überflüssig, da es vom zweiten mit ausgefüllt wird.
schaudert es mir mit jedem Lichtschein.
schaudert es mich bei jedem
Ich musste ansehen, wie sie, die scheinbar warme Sonne, ihn zerlaufen hatte lassen und allen Schnee für immer aus meiner Welt verbannte
Tempus: entweder zerlaufen ließ oder verbannt hatte
Ich lösche die schimmrige Lampe, nicht einmal sie kann ich aushalten
schummrige
Zu hell ist sie jetzt, wo ich die Aufnahmen gesehen habe
Dieses "wo" ist falsch und muss durch "da" ersetzt werden.
Seine Kastanien, die auf dem Wasser schwammen und mich um Hilfe anflehten
Hier würde ich "seine Kastanienaugen" schreiben.
Ich sehe, wie seine Augen leuchten, und erkenne Umrisse seines kleinen Köpfchens.
Ich sehe seine Augen leuchten und ...
Wie ihr kleines Schnäuzchen wohl quietschte.
Zum einen ist es eine Frage, die entsprechend abgeschlossen werden muss, zum anderen quiekte die Ratte. Quietschen tut kreide an der Tafel.
Ähnlich wie mein Schneemann, dem ich nicht einmal frohe Weihnachten gewünscht habe?
Der Schneemann hat gequietscht?

Lieben Gruß und frohe Weihnachten, sim

 

Hallo Sebastian, mann kann sehen, lesen, die Geschichte ist von Dir. Aber ich kann mich auch nur an die anderen Kritiker halten, verwirrend. Und doch sehr gut, ich mag das offene Ende.
Liebe Grüße David

 

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