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Schnaiserkitt

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02.08.2016
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Schnaiserkitt

„Leg das Beil aus der Hand. Ich will mit dir reden. Hörst du?“

Surrend, wie eine wütende Hummel, zielgerichtet, wie ein Falke. Stahl auf Holz. Ächzend kracht das Buchenstück auseinander. Er hatte es vor drei Stunden aus der Buchenmutter geschnitten. Kaiserschnitt; die Mutter tränt ihr kostbares Harz, Naturblut.

„Was hätten wir noch zu reden? Gesagt ist alles. Zu viel. Viel zu viel. Ist nicht mein Stil. Nein, gar nicht. Lass mich in Ruhe.“

Stille. Schneidbar. Durchbrochen vom pfeifenden Winterwind. Starker Winter, schneereich. Des Jägers Freud. Schmatzend klatscht die stählerne Pyramide auf einen anderen Teil der Mutter. Dieses Kind ist stärker. Gibt nicht auf. Hat noch einige Halme. Um sich festzuhalten. Das Augenlid des Axtführers zittert. Eine Unterbrechung in seiner Routine. Ein weiterer, zorniger Hieb.
Das Kind ist tot. Gesellt sich zu den anderen gespaltenen Körpern rechts, etwas mehr als einen halben Meter entfernt vom Hackstock. Zufriedenes Lächeln.

„Du kotzt mich an. Hör auf mit deinem verfickt mysteriösen Gerede. Langsam verliere ich die Geduld. Komm zum Essen. Es gibt Wild. Geschmort. Das magst du doch.“

Kein Widerspruch. Stapfend, schleifend durch den Schnee. Die Sonne ist schon ewig verschwunden. Verschluckt von der anderen Seite der Erde. Bastarde. Er will sie wieder haben. Kontraproduktiv. Die Wipfel des Mischwaldes wiegen sich sanft, liebend im Wind. Ob sie bald schlafen? Ein angenehmer Rhythmus, dem sie verfallen sind. Eine Konstante. Er ist neidisch. Er neigt den Kopf. Er ist barfuß. Schon wieder.

Wie kam es dazu? Ist ihm kalt? Nein. Kalt war ihm noch nie. Er dreht sich nach links. Etwas stört ihn. Er geht nach links. In Richtung Schuppen. Knopfaugen, aufgenäht auf das alte Kissen, das ihn seine Frau vermacht hatte, bevor sie ging. Wo war sie? Er weiß es nicht. Das Garn, eingestickt im unteren Teil des Kissens, windet sich halbmondförmig seinen Weg zu einer Art Mund.

Scheißfratze. Das Kissen ist Sandfarben. Es ist ein Kartoffelsack. Auf dem Kartoffelsack ein Hut. Prächtig. Ein Jägershut. Grün wie Tannenzweige im besten Saft. Stattlich und Ehre schenkend. Ehre schenkend für jeden, der ihn trägt. Schützend vor dem Himmelswasser. Welchen Aggregatzustand es auch immer inne hält. Unter dem Hut, wo man Haare vermuten würde, nichts. Wozu Haare, wenn Hut. Er hat auch keine Haare. Warum auch.

Er ist alt. Deswegen. Keine Lust auf Haarfetzen, die auf seinem beinahe perfekt abgerundeten Schädel treiben, wie Inselgruppen, die mal im Wasser verschwinden, mal stark die Schnauze aus den Untiefen recken. Unterhalb des Kissens befindet sich ein weiterer Strohsack. Der Korpus. Dickbäuchig. Trotzdem hager. Sieben fette Jahre, sieben scheiß Jahre. Rechts und links fallen hauchdünne Steckchenarme herab. Ohne Ellbogen. Ohne Handgelenke. Ohne Finger. Nur Stecken. Als Wirbelsäule dient ein selbstgeschmiedeter Speer. Die Spitze mündet im Kissen. Wie oft sich dieser Speer als nützlich erwiesen hatte. Unzählige Male. Er weiß es nicht mehr. Hat es vergessen. Der Speer ist krumm. Das obere Drittel beugt sich dem Betrachter entgegen. Die Tage sind gezählt.

Er dreht sich wieder um. Sieht den Weg. Ein langer Weg. Zu lang. Wo führt er hin? Er weiß es nicht. Hat es vergessen. Stapfend, schleifend bahnt er sich seinen Weg durch den Schnee. Seinen Weg. Sein Weg ist nicht lang. Schon gar nicht zu lang. Fünfzehn Schritte. Er hält inne. Einatmen. Ausatmen. Es riecht gut. Er sollte rein gehen. Nach Hause.

Er öffnet die Tür. Er stößt sich den Kopf. Stößt sich den Kopf an dem Wärmewall, der ihm gegenüber steht. Er verweilt einen Augenblick. Gewöhnungssache. Er tritt ein. Legt seinen Mantel ab. Ein sehr schwerer Mantel, der warm hält, witterungsbeständig ist, schlag- und reißfest ist. Seine Frau hat ihm den Mantel vermacht, bevor sie ging. Wohin ging sie? Er weiß es nicht. Das Unterhemd, vergilbt und verknittert. Er behält es an. Wie immer. Seit sie ging. Wann war das? Er weiß es nicht.

„Setz dich. Iss. Du siehst nicht gut aus. Wie lange warst du draußen? Das war bestimmt eine Ewigkeit. Verdammt! Iss. Dein Essen wird kalt. Willst du hören, wie mein Tag war? Nein? Egal. Ich war heute in der Stadt. Wahnsinn! Morgen kehre ich dahin zurück. In dieses Haus. Riesiges Haus. Die anderen Frauen sind wirklich nett zu mir, weißt du. Sie merken, dass ich neu bin. Wie Mütter. Ganz viele Mütter. Ich vermisse sie. Du auch, ich weiß. Klar, ich besuch dich jeden zweiten Tag. Du kommst schon klar. Jedenfalls war ich heute in der Stadt. Sie ist so gewachsen. Die Menschen sind auch gewachsen. Sie werden immer größer und immer mehr. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich, bevor ich zu dir gekommen bin, so viel Verschiedenes wahrgenommen habe. Wahnsinn. Iss. Schmeckt es dir nicht? Hat dir doch immer geschmeckt.“

Er isst. Bissen für Bissen. Gut kauen. Das hat sie immer gesagt. Bevor sie ging. Er weiß nicht wohin. Hat er vergessen. Wie ein Pendel. Schwingende, gleichmäßige Bewegungen. Das zarte, geschmorte Fleisch wird durchtrennt. Fasern, die einst zusammen hielten, unzertrennbar, wie Geschwister, werden zerrissen. Von einer monotonen Pendelbewegung. Er spießt das letzte Stück Fleisch mit der krummen Gabel auf. Führt den Haushaltsdreizack zum Mund. Gut kauen. Gut kauen.

„Wann gehst du wieder?“. Seine Stimme, rau, brüchig, wie Glas auf Sandpapier. „Jetzt direkt nach dem Essen.“. Er nickt.

Sie ist weg. In die Stadt. Soweit er sich erinnern kann. Er sitzt im Schaukelstuhl vor dem Kamin. Wiegt vor und zurück. Eine gleichmäßige Bewegung. Die Flammen verschlingen das Holz, wie feuernde Geier. Genügsam. Mal schnell, mal langsam. Anfangs hastig, gierig, als wenn plötzlich eine Hyäne aus der Glut steigen würde. Fies, laut und ohne Rücksicht. Doch die Hyäne kam nicht. Die Geier haben sich beruhigt. Er sollte sie füttern. Sie haben beinahe alles gegessen. Stück für Stück. Mal größer, mal kleiner. Nein, das war genug für heute. Sie sollten satt sein. So wie er. Er ist satt. Schon für eine viel zu lange Zeit. Keine Lust. Wo ist sie nur hin? Gegangen. Verschwunden. Mit ihr. Wann? Er weiß es nicht mehr.

Das poröse Holz knackt, als er sich aus dem Schaukelstuhl erhebt. Die porösen Knochen ächzen, als sie sich in Bewegung setzen müssen. Er steht. Ihm ist leicht schwindlig zu Mute. Der Boden ist hart und uneben. So, wie das Leben. Denkt er sich. Er geht ins Badezimmer. Eine aschfahle, vom Leben zerfressene Steinvisage glotzt ihn an. Die Visage blinzelt. Er hat Schlaf in den Augen.

Wasser gluckst aus dem Wasserhahn. Es lacht dich aus. Wasser wirkt so jung. Ist immer in Bewegung. Bewegungsdrang, unaufhaltsam. So war sie auch. Ohne Ruhe. Meist. Wenn er Ruhe brauchte, war sie ruhig. Verdammt, wie er sie liebte. Sie war weg. Wohin? Er hat es vergessen. Das Wasser wäscht ihm den Schlaf aus den Augen. Reinigt die Poren, belebt den Stein. Für einen Moment. Er ist müde.

Bewaffnet mit Unterhose und vergilbtem Unterhemd geht er in sein Schlafzimmer. Stapfend, schleifend über den steinernen Boden. Eine ärmliche Artillerie. Wahrlich.
Er steigt in sein Bett. Tetraphosphortrisulfid und Kaliumchlorat. Das Streichholz gebärt ein weiß leuchtendes Springfeuer, bevor es langsam, rot-golden flackernd, seinem Ende, seinem Tod entgegenschleicht. Der Phönixzyklus. Jung und wild und alt und geduldig.

Die Kerze brennt. Erst unsicher. Mal aufbrausend, mal zurückhaltend. Er beobachtet die Flamme. Wie gleich doch all die Lebensformen sind. Ob organisch und atmend oder erschaffen und stumm. Alles beginnt mit Sturm. Einem unberechenbaren Sturm. Höhen und Tiefen. Eine riesige Amplitude. Die Amplitude verringert sich. Höhen und Tiefen werden alt. Eifern einem gemeinsamen Nullpunkt entgegen. So wie alles andere. Sturm versus Nullpunkt. Die Kerze strebt dem Nullpunkt entgegen. Keine Kraft mehr, keine Motivation mehr. Mittelmaß.

Er beobachtet die Flamme. Licht. Sie war auch Licht. Lichtgestalt, Lichtbringer, Lichterzeuger. Sie ist gegangen. Wohin und wann weiß er nicht mehr. Er streckt seinen rechten Arm in Richtung Nachtkästchen. Zu weit. Er rollt sich auf den Bauch und greift mit seiner Linken über. Er bekommt den Griff der Schublade zu fassen. Die Schublade klemmt. Er seufzt. Mit einer ruckartigen Bewegung erhebt er sich. Beine und Rumpf bilden ein Lot. Beweglich war er immer schon gewesen.

Der Knauf der Schublade ist rund. Mit einigen Dellen. Wie sein Schädel. Er umfasst ihn. Zieht. Nichts passiert. Er hebt die Schublade ein wenig an und probiert es erneut. Der Zug startet. Gleitet auf den Schienen. Leise und geschmeidig. Ihm entgegen. Er bremst und kommt zum Stehen.
Er blickt in die Schublade. Seine rechte Hand umschließt noch immer den Knauf. Möchte ihn nicht loslassen. Möchte wieder schieben. Heute hat er die Kraft. Heute wird sie geöffnet bleiben. Für immer.

Mit seiner linken Hand greift er hinein. Der Gegenstand ist staubig, aber wird reibungslos funktionieren. Muss funktionieren. Seine rechte Hand lockert sich. Löst sich vom Knauf. Er gleitet wieder ins Bett, den Gegenstand fest in seiner Hand. Er legt ihn behutsam neben sich auf die leere Seite. Gähnende Leere. Seit sie weg gegangen ist. Nach Hause. Wie sie es nannte. Wohin weiß er nicht. Der Gegenstand. Er gehörte ihr. Ein einziges Mal hat sie ihn benutzt. Dann ist sie gegangen.


Behutsam fast schon lieblich deckt er sich zu. Schweifender Blick. Rundumblick. Wie eine Libelle. Nichts entgeht dem Facettenauge. Abertausende Bildeindrücke. Und nichts wird ihm entgehen. Alles schon so oft gesehen. Jetzt, das erste Mal richtig. Die niedrige Decke. Wäre nichts für die großen Menschen aus der Stadt. Er wendet seinen Blick ab von den Wänden, hin zur beinahe leeren Seite. Er lächelt. Streichelt den Gegenstand. Umschließt ihn mit seinen knochigen Händen. So schwach. In diesem Moment so stark. Er pustet die Kerze aus. Dunkelheit.

Seine Augen gewöhnen sich schnell daran. So oft hat er im Dunkeln gesucht. Nichts gefunden. Der volle Mond wirft silbernes Licht durch das rissige, staubige Fenster. Erleuchtet das Nachtkästchen, wo die Kerze ihre letzten, verzweifelten Atemzüge tut. Bald wird sie ersticken. Kein Phönix. Er richtet seinen Kopf in Richtung Decke, hebt den Gegenstand, klappt ihn auf und hält ihn gegen das Mondlicht. Fünf Schatten und ein dünner Lichtkegel auf seiner Brust. Er lächelt.

Ein einziges Mal benutzt. Dann ist sie heim. Eine Träne schleicht seine Wange hinab. Er gibt dem Revolver einen kleinen Stoß und die Kammer gleitet zurück. Er zieht den Hahn. Das salzige Augenwasser klettert über die rissigen Lippen und fällt in den spärlich bezahnten Schlund. Er hebt die Glock. „Oh Gott, wie ich dich geliebt habe.“ sagt er. Sagt er und schießt seine Augen.

MIM

 

Servus an alle Wortkrieger,

ich habe mich heute bei Euch angemeldet und hoffe, dass Euch mein erster Text hier gefallen hat. Ist das nicht der Fall, so stehe ich Euch jederzeit Rede und Antwort und hoffe, dass ich Unklarheiten oder Unsauberkeiten klären kann. Bin über positives und negatives Feedback gleichermaßen dankbar!

Grüße,
mikkel

 

Hallo mikkel,

herzlich willkommen bei den Wortkriegern. Ich habe den Text ausgewählt, weil der Titel ja ganz klar eine Tervauschung ist. Jetzt erst einmal ein Hinweis:

„Leg das Beil aus der Hand. Ich will mit dir reden. Hörst du?“ Surrend, wie eine wütende Hummel, ... Naturblut. „Was hätten
Zwischen wörtlichen Reden unterschiedlicher Personen sollte immer ein Absatz stehen. Sonst ist das Verstehen des Textes schwierig. Auch sonst fällt mir auf, dass dein Text große Abschnitte ohne Absätze enthält. Da solltest du noch einmal drübergehen.

Hör auf mit deinem verfickt mysteriösen Gerede
Ich bin versucht, dies auch dem Autor nahezulegen. Der Text ist schwer zu lesen, weil sich kurze Sätze - Satzfragmente - geradezu überschlagen. Gefüllt mit vielen Anmerkungen, bei denen ich mich frage, ob sie nötig sind, ob sie ien besondere Stimmung erzeugen sollen? Mich belasten sie eher.

Letztendlich muss ich sagen, dass ich Geschichten um Sebsttötung ungerne lese, aber das sagt nichts über die Qualität deiner Geschichte aus, nur über meinen Unwillen, mich weiter hinein zu vertiefen.

Liebe Grüße

Jobär

 

Hallo jobär,

danke für deine Antwort! Das mit den Absätzen habe ich behoben. Habe den Text aus Word in das Textfenster hineinkopiert und da hat es anscheinend mein Format zerhauen. Aber danke für den Tipp.

Was die vielen Ellipsen angeht: ich habe das Absichtlich gemacht, weil ich in der Art des "stream of consciousness" geschrieben habe. Also rasche Gedanken des Protagonisten, schnell auf Papier gebracht. Mein Leitthema ist Demenz. Deswegen die vielen Wiederholungen und kurzen Sätze. Wollte damit die innere Aufgewühltheit und Verwirrtheit irgendwie deutlich machen, aber das war ja bisher nur ein Versuch. Ob das Ende unbedingt sein muss, darüber bin ich mir auch noch nicht im Klaren. Was wäre denn eine Option?

Grüße,

mikkel

 

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