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Schmuggeljunge

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25.12.2013
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Schmuggeljunge

Alles sieht so anders aus wenn man Angst hat. Das hatte ich einmal in einem Roman gelesen und es stimmte wirklich. Das Boot, in das ich gerade einsteigen sollte, war mir immer so groß und einladend vorgekommen und ich hatte es geliebt, mit meinem Vater zum Angeln raus zu fahren. Aber jetzt, wo ich wusste, wozu das Boot diente, jetzt, da ich wusste, dass mein Vater nicht einfach Fischer war, kam mir unser Boot so klein und fremd vor.
Mein Vater war Drogenhändler. Er schmuggelte Drogen von Wilkow nach Porthmadog, wo wir wohnten, und verkaufte sie im ganzen Land. Meine Mutter hatte er dabei kennengelernt. Sie hatte immer für den Verkauf der Waren gesorgt und war auch selbst abhängig gewesen. Das war die Wahrheit, warum sie so jung gestorben war. Uns hatte mein Vater immer gesagt, sie wäre in einem Autounfall ums Leben gekommen.

Ich hatte all dies erst gestern erfahren. Gestern war mein 13. Geburtstag gewesen, und der schlimmste den ich je hatte. Meine Eltern hatten vereinbart uns es erst zu erzählen, wenn wir 13 waren. Meine große Schwester Sarah wusste es und war sehr stolz darauf, denn die Polizei hatte meinen Vater Louis und seine Bande nie erwischt.
Ich aber finde es nicht toll, einen Schmuggler und Drogenhändler als Vater zu haben. Im Gegenteil. Aber ich bin es, der seinen Job übernehmen soll, wenn ich Erwachsen bin. Auch schon mein Großvater und Urgroßvater waren Schmuggler und ausgerechnet ich sollte diese Tradition weiterführen. Sarah hätte diese Tradition liebend gern fortgesetzt, da war ich mir sicher. Aber sie und mein kleinere Schwester Emily waren Mädchen. Emily wusste außerdem nichts davon.

„Komm endlich an Bord, James! Wir wollen los!“, riss mein Vater mich aus meinen Gedanken. Ich betrat zögernd das Boot. Dort stellte mir mein Vater Anton vor, seinen Gehilfen. Er war ein angsteinflößender, muskulöser Mann.
Wir sollten nach Wilkow segeln, um dort 10 kg Kokain entgegen zu nehmen. Mein Vater wollte mich jetzt oft mitnehmen und mich ausbilden.

„Hol den Anker ein“, rief mein Vater Anton zu, der an der Reling lehnte und rauchte. Dieser tat noch einen Zug und schmiss seine Zigarette dann ins Meer. Langsam holte er den Anker ein.
„Mach endlich, du Trottel“, rief mein Vater. Zu mir gewandt sagte er: „Mach den Motor an, aber dalli!“ Ich nickte nur.
Ich kapierte es immer noch nicht ganz; ich befand mich gerade auf einem Schmugglerschiff, zusammen mit meinen Vater, der Drogenhändler war. Er sollte mich ausbilden als Schmuggler, und ich sollte dann seinen Job übernehmen.
Vorgestern war ich noch ein ganz normaler Junge in der 7. Klasse gewesen, und nun war ich der Sohn eines Verbrechers?!
Ich hatte Angst, meinem Vater zu sagen, dass ich das gar nicht wollte, er würde mich vielleicht verprügeln oder schlimmeres. Ich hatte andererseits auch Angst, dass mein Vater geschnappt wurde und ins Gefängnis musste, denn dann würden ich und meine Schwestern ins Kinderheim müssen, und das war wirklich das Letzte, worauf ich Lust hatte. Meinen Vater konnte ich also nicht verraten, und ihm sagen, dass ich kein Drogenhändler wie er werden wollte, konnte ich auch nicht. Es sah für mich so aus als ob ich wirklich Schmuggler werden musste. Ich wusste keinen Ausweg.
Es war stockdunkel, als wir losfuhren. Kein Wunder, um ein Uhr nachts. Sarah und Emily lagen jetzt sicher in ihren warmen Betten und schliefen. Wie gerne hätte ich mit einer von ihnen getauscht!
Wer passte eigentlich auf Emily auf, wenn während wir weg waren? Ich fragte meinen Vater. „Ach, ich hab Lara und Otto gefragt“, sagte er. Lara und Otto waren unsere Nachbarn. „Ich habe ihnen gesagt, dass ich mit dir zu einer Kur in Schweden fahre“, er lachte kurz, „das haben die mir auch wirklich abgenommen. Sarah schläft bei Freundinnen.“ Ich lachte ein bisschen mit, obwohl mir eigentlich nicht nach lachen zumute war.

„James, aufwachen! Wir sind da!“, rief mein Vater. Ich musste wohl eingeschlafen sein. Unser Boot lag vertäut am Steg in einem großen Hafen. Sind wir wirklich schon in Wilkow?, dachte ich. „Ja was dachtest du denn, in Australien vielleicht?“, entgegnete mein Vater. Uups... Ich hatte wohl laut gedacht. „Heute Nacht holen wir die Ware“, sagte mein Vater leise zu mir, „Tags ist es zu gefährlich.“ Ich nickte.
„Hier hast du 10 Euro“, meinte mein Vater und drückte mir einen Schein in die Hand, „kauf dir was schönes aber sei bei Sonnenuntergang wieder hier.“ Kaum hatte er ausgesprochen war ich auch schon in der kleinen Hafenstadt verschwunden. Ich schlenderte durch die Fußgängerzone. Plötzlich blieb ich stehen. Träumte ich oder war ich wach? Ich kniff mich in den Arm. Autsch! Ich träumte also nicht. Da vorne stand wirklich ein Kaugummiautomat! Ich kaufte mir schnell für mein ganzes Geld Kaugummi. Zuhause durfte ich nie Kaugummi kriegen, wahrscheinlich erinnerte es meinen Vater an Drogen und warum meine Mam gestorben war. Ich musste also aufpassen, dass mein Vater mich nicht entdeckte.
Später bummelte ich noch am Strand entlang, dann ging auch schon die Sonne unter und ich musste mich beeilen um noch rechtzeitig beim Boot zu sein.
Anton und mein Vater warteten schon auf mich. „Na was hast du dir gekauft?“, fragte mein Vater und als er bemerkte, dass ich kaute fragte er misstrauisch: „Doch nicht etwa Kaugummi?“ Mist, schnell schluckte ich mein Kaugummi runter. Igitt! „Nein ich hab mir eine Pizza gekauft“, log ich. Zum Glück schien mein Vater mir zu glauben und fragte nicht länger nach.
Es wurde schnell dunkel, und in der Dämmerung machten wir uns auf dem Weg. Wohin wusste ich nicht, mein Vater wollte es mir nicht verraten. Wir gingen ein Stückchen am Strand entlang und bogen dann in einen kleinen Sandweg ein. Als wir um eine Kurve gingen sah ich vorne ein Licht. Das Licht kam von einem kleinen Schuppen. Da sollen wir sicher hin, dachte ich und hatte recht.
Als wir am Schuppen ankamen klopfte mein Vater an die Tür. Dreimal lang und zweimal kurz. Das war wohl ein Zeichen, denn die Tür wurde geöffnet. Wir traten ein. Drinnen stand ein alter Mann. Er musste wirklich sehr alt sein, denn sein ganzes Gesicht war voller Runzeln. „Hallo Thomas“, sagte mein Vater zu dem Mann, „wo ist denn das Zeug?“ „Erst die Kohle“, erwiderte der alte Thomas, denn er war schon nicht auf den Kopf gefallen. Sein Blick fiel auf mich. „Wen hast du denn da mitgebracht, Louis, alter Junge?“, fragte er. „Das ist mein Sohn James, er ist heute das erste Mal mit“, antwortete mein Vater. „Na, dann Willkommen unter den Schmugglern“, rief Thomas so laut, dass ich schon Angst hatte, die Polizei würde gleich anrücken. „Pssst! Nicht so laut“, zischte mein Vater, „hier hast du die Kröten.“ Er holte ein paar Geldbündel aus seinem Rucksack. Thomas zählte alles sorgfältig nach. „Stimmt“, sagte er nach einer Weile. Er ging in eine Ecke der Hütte und holte die Drogen hervor. Ich hatte noch nie vorher Kokain gesehen. „Danke Thomas“, sagte mein Vater und nahm die Kiste. Zu uns gewandt meinte er: „Kommt wir gehen.“
Wir gingen den verlassenen Weg zurück. Das Meer war ganz dunkel, fast ein bisschen unheimlich. Am Boot angekommen, sagte mein Vater: „Wir segeln sofort los. Wenn die Polizei uns erwischt sind wir geliefert.“ Anton holte den Anker ein und machte das Schiff startklar, mein Vater versteckte die Drogen und ich musste auf dem Steg stehen und Wache halten. Ich mochte das alles gar nicht, doch was sollte ich tun?
Plötzlich kam mir ein Gedanke. Aber was, wenn mein Vater mich erwischte? Ich würde eine gute Ausrede brauchen. Aber das war meine einzige Chance. Ich schaute mich schnell um. Sowohl Anton als auch mein Vater waren beschäftigt. Ich holte einmal tief Luft und rannte los. So schnell war ich noch nie gerannt. Meine Schule klackerten auf dem Steg. Mist, daran hatte ich überhaupt nicht gedacht. Aber jetzt war alles egal, ich musste einfach schnell hier weg. Hoffentlich waren Anton und mein Vater beschäftigt genug, sodass sie mich nicht hörten. Ich rannte immer weiter und bald hatte ich das Land erreicht. Aber ich hatte nicht viel Zeit um erleichtert zu sein, denn plötzlich hörte ich Schritte hinter mir...
Es war mein Vater. „Was machst du hier“, knurrte er, ja, er knurrte richtig, „hatte ich dir nicht gesagt du solltest auf dem Steg Wache halten?!“ Er trat einen Schritt auf mich zu. Jetzt brauchte ich dringend eine gute Ausrede. „Äh... Ich dachte ich hätte ein Polizeiauto gesehen und wollte schnell nachgucken.“ „Und warum hast du mir nichts gesagt?“, mein Vater gab nicht locker. „Ich … ich war mir nicht ganz sicher und deswegen bin ich nach gucken gegangen.“ Mein Vater brummelte etwas unverständliches, aber ich hatte keine Chance mehr, von unserem Boot zu flüchten.

Wieder fuhren wir mehrere Stunden über das Meer. Als die Sonne langsam aufging, passierte etwas, dass mein ganzes Leben verändern sollte. Ich hörte plötzlich eine Stimme hinter uns und drehte mich um. „Halten sie an! Hier spricht die Polizei! Halten sie an!“ Die Stimme kam von einem Polizisten der in ein Megafon sprach. Er stand in einem Polizeiboot.
Zum Glück hatte mein Vater das Boot gesehen und gab jetzt voll Gas. Er wollte die Polizisten abhängen. In der Ferne sah ich schon den vertrauten Hafen von Porthmadog, wir waren also fast da. Aber wenn wir anlegen würden, hätte die Polizei uns sofort.
Das hatte mein Vater zum auch gesehen und steuerte scharf nach rechts. Klug, denn das Polizeiboot fuhr noch ein Stück geradeaus. Jetzt hatten wir einen Vorsprung. Die Frage war nur, wo wir hin sollten. Irgendwann würden wir keinen Treibstoff mehr haben. Das war alles nur Frage der Zeit.

„Wir haben sie abgehängt“, rief Anton triumphierend. Es stimmte, von dem Polizeiboot war nichts mehr zu sehen. Wir hatten es tatsächlich geschafft! Aber wo waren wir? Ich fragte Anton.
„Wir sind in der nähe von Blackrock“, antwortete er, „wir legen im Blackrocker Hafen an, und machen, dass wir wegkommen. Mit dem Boot ist das zu gefährlich, nun, da die Polizei uns auf der Spur ist.“ Ich wusste nicht, wo Blackrock lag, aber ich hatte die Vermutung, dass wir in der Nähe von Dublin waren. Eigentlich war es auch egal. Ich wollte nur nach Hause.
Bald sah ich den Hafen. Weil es Sonntag war, waren nur wenige Schiffe unterwegs, ein paar vereinzelte Fischkutter und Ausflugsboote.
„Da, ein Felsen!“, rief Anton plötzlich. Auch ich sah ihn, ein dunkler Fleck unter der Wasseroberfläche. Mein Vater versuchte zu wenden, aber es war zu spät.
Es gab ein unschönes Geräusch, als unser kleines Boot am Felsen zerquetscht wurde. Ich guckte vorsichtig über die Reling und sah, dass wir ein großes Leck hatten. Durch das Loch strömte Wasser in das Boot, immer mehr. Langsam spürte ich auch wie wir sanken, immer schneller.
„Hilfe!“, schrie ich verzweifelt. Jetzt schwappte die erste Welle über Bord, und ich bekam nasse Füße. Immer mehr sank unser kleines Boot, und immer mehr Wellen schwappten über Bord. Ich sah, wie Anton und mein Vater von Bord gespült wurden. Bei der nächsten Welle erwischte es mich und ich tauchte unter. Verzweifelt versuchte ich, an die Oberfläche zu gelangen. Jetzt bereute ich es, dass ich so oft die Schwimmstunden geschwänzt hatte. Da sah ich eine Planke unseres Bootes vorbei schwimmen. Die musste ich erreichen! Mit meiner letzten Kraft schwamm ich hin und klammerte mich fest. Dann wurde mir schwarz vor Augen.

Als ich aufwachte lag ich in einem Bett in einem kleinen Zimmer. Wo war ich? Ich schloss meine Augen und machte sie wieder auf, aber ich war immer noch in diesem kleinen Zimmer. Das Zimmer hatte meerblau gestrichene Wände und ein kleines Fenster, von wo man das Meer sehen konnte. Außer dem Bett standen hier noch ein Nachttisch, ein kleiner Schreibtisch und ein Schrank. Ich versuchte aufzustehen, aber mir wurde schwindelig und mein Kopf tat weh. Ich legte mich schnell wieder hin.
Da öffnete sich die Tür und zwei Männer traten ein. Der eine war groß und kräftig, hatte braunes Haar und war so um die 40. Der andere war eher klein und stämmig. In der Hand hielt er einen Arztkoffer. „Ah, unser kleiner Patient ist aufgewacht“, sagte er, „wie fühlst du dich?“ „Wo bin ich?“, fragte ich verwirrt. „In Dublin“, erwiderte der große Mann. „Wir haben dich gefunden, du lagst bewusstlos am Strand. Wo kommst du her?“ „Ich war mit meinem Vater segeln, wir wollten nach Porthmadog. Wir gerieten in einen Sturm und dann ist unser Boot am Felsen vor dem Hafen kaputtgegangen. Mein Vater wurde vor mir über Bord gespült. Ich konnte mich an einer Planke festhalten. Danach kann ich mich an nichts mehr erinnern“, erzählte ich. Dass wir auf einem Schmugglerschiff unterwegs gewesen waren, und 10 kg Kokain an Bord gehabt hatten, verschwieg ich lieber. „Habt ihr meinen Vater auch gefunden?“ „Nein leider nicht mein Junge. Aber der wird schon wieder auftauchen. Solange kannst du hier bleiben. Herr Meyer sagt, du sollst noch ein bisschen im Bett bleiben“, meinte der Mann, „ich bin übrigens Peter Winther. Nenn mich einfach Peter. Wie heißt du?“ „James“, antwortete ich. Peter sah überrascht aus als er meinen Namen hörte. Oder bildete ich mir das nur ein? „Claire“, rief Peter, „James ist aufgewacht!“ Eine rundliche Frau, so Ende dreißig, kam ins Zimmer. „James?“, fragte sie, und dann sah sie mich, „Ach, du bist James.“
Sie verließ das Zimmer und kam kurz danach mit einem Tablett mit Kuchen und Kakao wieder. „Hier, iss mein Junge“, sagte sie und stellte das Tablett auf dem Nachttisch ab.
„Ich gehe dann mal wieder“, sagte Herr Meyer und ging, nachdem er sich von Peter und Claire verabschiedet hatte.
Peter guckte auf die Uhr. „Mein Gott, schon so spät! Ich muss los, Tschüss!“, rief er und stürmte aus dem Zimmer.
Claire schüttelte verständnislos den Kopf; „Diese Professoren...“
„Er ist Professor?“, fragte ich interessiert.
„Ja“, erwiderte Claire, „aber jetzt iss!“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen.
Der Kuchen schmeckte köstlich, und auch Kakao hatte ich zu Hause so gut wie nie gekriegt. Als ich fertig war musste ich die ganze Geschichte noch mal erzählen.
„Oh du Ärmster!“, rief Claire als ich geendet hatte. „Du kannst natürlich hier bleiben bis man deinen Vater gefunden hat“, fügte sie noch hinzu, „aber jetzt solltest du schlafen.“ Sie deckte mich zu und löschte das Licht.

Als ich aufwachte war es draußen schon hell. Ich wollte gerade aufstehen, da hörte ich vor meinem Zimmer gedämpfte Stimmen, Claire und Peter. Ich wusste natürlich, dass es sehr unhöflich war, Anderen zu lauschen, aber er konnte dem Drang nicht widerstehen. Weil sie so leise redeten, bekam ich nur Wortfetzen mit: „James … unser Sohn … aber die Entführung … warum? … Haarprobe …“, dann entfernten sich die Stimmen und ich stand auf und Kleider an, die Claire mir hingelegt hatte.
Dann ging ich aus dem Zimmer. Da war ein langer Flur, an dem überall Türen abgingen. Auf der nächsten Tür stand „Georg“. Ob das wohl der Sohn der Winthers war, von dem sie geredet hatten? Die anderen Türen hatten Aufschriften wie „Claires Arbeitszimmer“, „Peters Arbeitszimmer“, „WC“ und „Labor“. Letzteres fand ich besonders spannend. Claire hatte ja gesagt, dass Peter Professor war, aber woran er forschte wusste ich nicht. Leider war es eine Sicherheitstür, für die man einen Code brauchte um hereinzukommen. Ich ging weiter und entdeckte endlich eine Tür mit der Aufschrift „Küche“.
Ich wusste nicht, warum hier alle Türen beschriftet waren, aber praktisch war es schon. Ich öffnete die Tür zur Küche und sah Claire, Peter und einen kleinen Jungen von ungefähr neun Jahren um einen großen Tisch sitzen, der mit allerlei guten Sachen gedeckt war. Da gab es Brötchen und Toast, Cornflakes und Kakao, Tee und Kaffee, Marmelade und Honig, Schinken, Käse und noch vieles mehr. „Da bist du ja endlich“, rief Claire, „komm und setzt dich. Kennst du schon Georg? Nein sicher nicht. Er ist unser Sohn, wie du dir sicher denken kannst.“ Ich setzte mich, und Jessica beobachtete mit Genugtuung wie ich ganze Berge von Brötchen, Toast und Cornflakes aß und mehrere Liter Kakao trank. So kam es mir zumindest vor. Hinterher war ich Papp satt.
„Ich muss weiter machen“, sagte Peter, strubbelte mir und Georg durch die Haare und verschwand. Hier fühlte ich mich echt wie zu Hause. Oder sogar noch besser.
„Georg, könntest du abwaschen? Ich muss einkaufen“, meinte Claire.
„Ich kann helfen“, entgegnete ich.
„Gerne wenn du möchtest“, strahlte Claire mich an, „ich muss jetzt los!“
Georg grinste mich an; „Danke, du bist echt in Ordnung.“
Ich grinste zurück: „Du auch!“ Wir machten uns an die Arbeit und unterhielten uns dabei ein bisschen. Ich erfuhr, dass er wirklich neun war und in die 3. Klasse ging. Er liebte es, wie ich, Fußball zu spielen.
Zu Hause hatte ich abwaschen immer gehasst, aber hier, wo ich mich mit Georg unterhalten konnte, machte es plötzlich sogar Spaß. Wie wäre es schön, wenn er mein Bruder wäre, dachte ich. Als ich gerade die sauberen Teller in den Schrank räumte entdeckte ich eine kleine Zeichnung, die an der Wand hing. Sie zeigte zwei Jungen, offensichtlich Brüder. Der eine sah fast aus wie ich, als ich kleiner war. „Wer ist das?“, fragte ich Georg und zeigte auf das Bild.
„Also der kleine bin ich, da war ich vielleicht vier, und der Andere ist mein Bruder. Meine Mutter hat das gezeichnet. Sie ist gut, nicht?“, antwortete Georg.
„Du hast also noch einen Bruder?“, fragte ich erstaunt.
„Ich hatte“, erwiderte Georg, „er wurde entführt als er eins oder zwei war, ich war da noch gar nicht geboren.“
„Entführt? Wer entführt denn ein Baby?“
„Wir wissen es nur, weil sie irgendwann Lösegeld gefordert haben, das haben meine Eltern auch gegeben, aber bekommen haben sie ihn nicht. Es ist schon komisch. Er hieß auch James – wie du.“
„Aber auf diesem Bild ist er doch mit dir drauf?“, fragte ich verwirrt.
„Ja, meine Mutter hat in gezeichnet, wie sie glaubt, dass er ausgesehen haben könnte.“

Ich wurde von einer Amsel geweckt, die draußen sang. Es war jetzt eine Woche her, dass unser Schiff gesunken war, und mein Vater war immer nicht aufgetaucht. Ich hatte mich bei den Winthers richtig eingelebt, und hatte sogar mal Peter bei seiner Arbeit zusehen dürfen.
Ich stand auf und ging in die Küche um zu Frühstücken. Claire war bei einer ihrer Freundinnen, Peter arbeitete und Georg war schon in der Schule.
Der Tisch war gedeckt, und neben meinen Teller lag ein Zettel. Auf dem stand ein Satz, den ich einfach nicht verstand, das konnte doch nicht sein oder?
Da stand: „Du bisst meinn bruter!“ Es war Georgs Schrift. Neben dem Zettel lag noch etwas. Häh? Das waren doch Haarproben?! Peter hatte mir in seinem Labor welche gezeigt. Daran konnte man z.B. Verwandtschaft erkennen. Da lagen vier Haarproben, alle Beschriftet mit: „Claire“, „Peter“, „Georg“ und „James.“. Man konnte klar erkennen, dass Georg und James die Kinder von Claire und Peter waren, na und? Das wusste ich auch schon vorher. Da fiel mir Georgs Satz wieder ein. „Du bist mein Bruder“, der verschwundene Sohn – war das etwa ich?! Mein Kopf platzte fast vor lauter Fragen. Ich lief zu Peter ins Labor.
Dann erzählte ihm erst mal die ganze Geschichte und löcherte ihn anschließend mit Fragen. Plötzlich ergab alles Sinn. Louis, von dem ich immer geglaubt hatte, dass er mein Vater war, hatte mich als ich klein war entführt, weil er selbst keinen Sohn hatte. Er brauchte doch einen Nachfolger.
Als mir das klar wurde, wusste ich, dass mein Vater mich suchen würde. Dabei würde er vor nichts und niemandem zurückschrecken. Peter rief die Polizei, und gab eine Fahndung nach Louis aus. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis er geschnappt wurde.
„Was passiert jetzt mit Emily und Sarah?“, fragte ich Peter später.
„Ich habe mit Lara und Otto telefoniert, sie wollen Emily gerne adoptieren. Sarah zieht mit ihren Freundinnen in eine eigene Wohnung.“

Es war ein kalter grauer Herbsttag, ich saß an meinem Schreibtisch und machte Hausaufgaben. Zwischendurch späte aus dem Fenster auf den Hafen. Aber als ich wieder hinsah sah ich nicht einen nebligen Hafen – ich sah ein Gesicht. Und zwar nicht irgendein Gesicht.
Es war Louis.
Ich war nun schon ein halbes Jahr hier in Dublin, seit ich herausgefunden hatte, dass die Winthers meine richtige Familie waren. Ich hatte mir gar keine Sorgen mehr um Louis gemacht.
„Da bist du also“, raunzte er, „ich habe dich gesucht.“ Oh nein! Peter war nicht zu Hause und Claire schaute gerade ihre Lieblingssendung im Fernsehen, mit ihrer Hilfe konnte ich also auch nicht rechnen. Da kam plötzlich Georg ins Zimmer. Ich wusste, dass Louis ihn durch das Fenster nicht sehen konnte.
Schnell winkte in zu mir und bedeutete ihm, er solle still sein. Ich tat, als würde ich an meinen Nägeln knabbern und wisperte Georg zu: „Ruf die Polizei, Louis steht vor meinem Fenster, pass auf, dass er dich nicht sieht. Ich lenke ihn ab.“ Georg nickte, er hatte Verstanden.
„Wie hast du mich gefunden?“, fragte ich Louis, um ihn abzulenken.
„Das war gar nicht so schwer“, er lachte sein unheimliches lachen.
„Du hast aber ein halbes Jahr gebraucht“, wandte ich ein. „Was ist eigentlich mit Anton?“, fragte ich, als er nicht antwortete. „Ach, der ist Ersoffen, konnte nicht schwimmen“, entgegnete Louis. Ich schauderte. Es schien im völlig egal, dass Anton ertrunken war. Wäre es ihm auch egal gewesen, wenn ich ertrunken wäre?!
„Was hast du jetzt vor?“, fragte ich, doch ich bekam nie eine Antwort. Aus den Büschen traten links und rechts von Louis zwei uniformierte Beamte.
Endlich.

 
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Servus Chanya,

ich habe ja schon zu deinem gestrigen Geschichtenfragment etwas geschrieben, als ich es dann allerdings posten wollte, war dein Text leider schon wieder gelöscht.
Abgesehen davon, dass der Text keine eigentliche Geschichte war und feirefiz dir auch erklärt hat, warum nicht, gefiel mir die Souveränität, die aus den wenigen Zeilen sprach. Bis auf ein klitzekleines fehlendes Komma konnte ich keinen Fehler entdecken, du bedientest dich eines abwechslungsreichen Satzbaus und schienst mir überhaupt sehr sicher mit der Sprache umzugehen. Auf jeden Fall war ich beeindruckt, dass eine Zwölfjährige(!) sich mit solcher Ambition und Ernsthaftigkeit an das Schreiben heranmacht.
Obendrein gefiel mir, dass du nach dem ersten Misserfolg nicht gleich die Flinte ins Korn geworfen, sondern umgehend einen weiteren Text eingestellt hast.
Und entsprechend neugierig war ich darauf und habe ihn gelesen.
(Ich werde dir jetzt keine umfassende Kritik schreiben, bei einer Jugendgeschichte fühle ich mich einfach nicht berufen dazu. Ich möchte dir aber ein paar Sachen zeigen, die mir aufgefallen sind.)

Sehr bald merkte ich beim Lesen, dass die Geschichte bei weitem nicht so sorgfältig gearbeitet ist, wie dein gestriger kurzer Text. Immer wieder mal gibt‘s großgeschriebene Adjektive und Verben, den einen oder anderen Kommafehler, vergessene Wörter

Zwischendurch spä[h]te [ich] aus dem Fenster auf den Hafen.
solche Flüchtigkeitsfehler halt. Die will ich dir jetzt allerdings gar nicht raussuchen, einfach weil ich dir zutraue, dass du die bei konzentriertem Durchlesen selbst findest.
Ein bisschen schwerer fällt es mir, dir die wesentlicheren Schwächen dieser Geschichte zu vermitteln. Gut, ist wie gesagt eine Jugendgeschichte, und an eine solche muss man natürlich andere Maßstäbe anlegen als an Erwachsenenliteratur. Trotzdem gilt es, gewisse Regeln zu beachten.
Eine Geschichte steht und fällt mit ihrem Plot, also dem "Handlungsstrang". Was geschieht? Warum geschieht es? Und dann braucht es natürlich Figuren, die im besten Fall so interessant gezeichnet sind, dass der Leser mit ihnen mitfühlen kann.
Diese Voraussetzungen erfüllt deine Geschichte im Grunde.
Keinesfalls darf eine Geschichte jedoch langatmig sein, da verlierst du schnell deine Leser. Und das ist gleich mal mein erste konkreter Tipp: Stellenweise vertrüge deine Geschichte gehörige Kürzungen.
Ein weiterer ganz wesentlicher Punkt ist die Glaubwürdigkeit, so es sich nicht um eine reine Groteske oder Satire oder was auch immer handelt. Und am glaubwürdigsten klingt man, wenn man von Dingen schreibt, die man kennt. Und sollte man sich ein Thema wählen, in dem man nicht so sattelfest ist, kommt man um Recherchearbeit nicht herum. Und daran mangelt es diesem Text, scheint mir.
Du hast dir ein einigermaßen komplexes Thema ausgesucht, Drogenhandel, Kinderarbeit und Kindesentführung, und gehst trotzdem mit einer beneidenswerten Unbekümmertheit an die Geschichte, das ist stellenweise auch sehr charmant, es birgt allerdings auch viele Gefahren. Da nämlich, wo der Leser sich zu fragen beginnt, ob das alles überhaupt möglich sei, wie zum Henker das nun funktionieren solle.
Noch einmal, wir reden von einer Jugendgeschichte, und in einem gewissen Alter ist einem Spannung und Action allemal wichtiger als Plausibilität, aber ein Mindestmaß an Nachvollziehbarkeit verlangt selbst der toleranteste Leser.
Und in deiner Story gibt’s halt schon ein paar echt haarstäubende Szenen. Die z.B.:

Ich hörte plötzlich eine Stimme hinter uns und drehte mich um. „Halten sie an! Hier spricht die Polizei! Halten sie an!“ Die Stimme kam von einem Polizisten der in ein Megafon sprach. Er stand in einem Polizeiboot.
Sehr unwahrscheinlich, dass sie das sich nähernde Motorboot nicht vorher schon hören.

Zum Glück hatte mein Vater das Boot gesehen und gab jetzt voll Gas. Er wollte die Polizisten abhängen. In der Ferne sah ich schon den vertrauten Hafen von Porthmadog, wir waren also fast da. Aber wenn wir anlegen würden, hätte die Polizei uns sofort.
Das hatte mein Vater zum auch gesehen und steuerte scharf nach rechts. Klug, denn das Polizeiboot fuhr noch ein Stück geradeaus. Jetzt hatten wir einen Vorsprung. Die Frage war nur, wo wir hin sollten. Irgendwann würden wir keinen Treibstoff mehr haben. Das war alles nur Frage der Zeit.
„Wir haben sie abgehängt“, rief Anton triumphierend. Es stimmte, von dem Polizeiboot war nichts mehr zu sehen. Wir hatten es tatsächlich geschafft!
In aller Regel ist die Polizei (bzw. die Küstenwache) in Schnellbooten unterwegs, und einer normalen Motor- oder gar Segelyacht wäre es unmöglich, zu entkommen.

Wir gerieten in einen Sturm und dann ist unser Boot am Felsen vor dem Hafen kaputtgegangen.
Vor einer Untiefe vor einer Hafeneinfahrt(!) wird immer mit einem Gefahrenzeichen gewarnt, und der Vater scheint ja ein erfahrener Seemann zu sein. Da gibt es mehrere so Sachen, die man dir einfach glauben muss.
Na ja, und dann dieses Happyend. James wird ausgerechnet von seinem wirklichen Vater am Strand gefunden, das wirkt halt schon ein bisschen an den Haaren herbeigezogen. Und die beiden zum Schluss aus den Büschen tretenden Polizisten sind beinahe komisch.

Es würde mich wirklich interessieren, wie Gleichaltrige deine Geschichte lesen.
Ich jedenfalls mag deine so begeistert wirkende Art, an das Schreiben heranzugehen. Aber vielleicht solltest du dich doch erstmal an etwas kürzeren und einfacheren Geschichten aus deiner eigenen Lebenswelt versuchen. Den Rat, viel zu lesen, kann ich mir bei dir ja sparen.

Aber einen Rat will ich dir noch geben: Hab trotz deines Alters keine Scheu davor, dich als Kritikerin von Jugendgeschichten hier im Forum zu versuchen.
Du wirst merken, dass man durch die Beschäftigung mit anderen Texten, und damit meine ich jetzt nicht das ausschließliche Lesen, sehr viel für sich selbst lernen kann.
Sobald du dir und dem Autor zu erklären versuchst, welche und vor allem warum dir gewisse Sachen in Geschichten gefallen oder nicht gefallen, wirst du diese Erkenntnisse automatisch auch auf dein eigenes Schreiben anwenden können.


Ich wünsche dir noch viel Spaß und Freude hier im Forum, Chanya.

 

Vielen Dank für die Tipps. Das mit der glaubwürdigkeit habe ich mich auch schon gefragt. Wäre es vielleicht besser wenn er von dem Freund seines Vaters/seiner Mutter gefunden würde, sie/er erzählt es seinem Freund(in) usw?
Wo findest du, könnte ich etwas kürzen, was erscheint unwichtig?
Wie würdest du das mit dem Polizeiboot und dem Leck schreiben?

Die Geschichte, muss man vielleicht dazu sagen, ist eigentlich auch nicht nur mein Werk. Sie ist in einem Schulprojekt entstanden. Wir sollten in der Klasse eine Haupperson erfinden, wie sie aussieht, wie sie heißt, Eltern, Geschwister usw. Dann sollten wir in kleineren Gruppen die Handlung festlegen und anschließend jeder für sich die Geschichte aufschreiben.

 
Zuletzt bearbeitet:

Tja, Chanya,
ich weiß nicht recht, ob ich dir jetzt vernünftige Vorschläge machen kann, bzw. ob du die in Wahrheit überhaupt hören möchtest.
Relativ einfach gestaltet es sich noch mit deiner zweiten Frage. Die einzige Möglichkeit, die mir einfällt, wie sie dem Polizeiboot entkommen könnten, wäre eine urplötzlich einfallende Nebelbank, so dicht, dass man den eigenen Arsch nicht mehr sieht (The Fog, der Nebel des Grauens …), und in dieser Situation wären James und sein Vater mit ihrem Segelboot natürlich im Vorteil, weil man sie nicht hört. Und anstatt der unwahrscheinlichen Untiefe in der Hafeneinfahrt könntest du z.B. einen verlorengegangenen Frachtcontainer im Meer treiben lassen, den sie rammen und an dem ihr Boot leckschlägt. (Sowas kommt leider wirklich sehr häufig vor.)
Was die Kürzungen betrifft, muss ich dir allerdings sagen, dass für mich die gesamte zweite Hälfte der Geschichte nicht passt, also ab dem Moment, wo James in Blackrock in die Obhut seiner echten Eltern kommt. Überhaupt erscheint mir diese ganze Entführungsgeschichte und deren unglaubwürdige Auflösung zu sehr an den Haaren herbeigezogen.
Aber das ist doch meine halbe Geschichte, denkst du dir jetzt sicher. Ich kann dir da jetzt leider wirklich nicht weiterhelfen, weil für mich der ganze Plot auf etwas wackeligen Beinen steht.
Ich würde dir vorschlagen, falls dir selbst nichts Vernünftiges zu diesem Text mehr einfällt, ihn einfach so stehen zu lassen, als Mahnmal deines guten Willens sozusagen, und dich an einem einfacheren Stoff zu versuchen. Such dir ein Thema, in dem du dich auskennst und das dir ein Anliegen ist. Weil schreiben kannst du.
Also, Chanya, krempel die Ärmel hoch.

offshore

PS
Passend zu deiner Geschichte will ich dir noch einen Lesetipp geben:
Dieses Buch hab ich vor einigen Jahren gemeinsam mit meinem damals elfjährigen Sohn gelesen, und mir hat es mindestens genauso gut gefallen wie ihm.

 

Hallo Chenya!

Also ich finde deine Geschichte klasse. Du schreibst munter drauflos und lässt deinen Protagonisten, also James, ein spannendes Abenteuer erleben. Perfekt.

Es ist nicht die Art Literatur, die bei den Wortkriegern großartig gelobt, oder die gar im Feuilleton besprochen wird, aber es gibt dafür genügend Leser. Wenn du also für Gleichaltrige schreiben willst, nur weiter so. Ich würde mich über weitere spannende Geschichten freuen.

Grüße
Chris

 

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