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- Anmerkungen zum Text
Als Neuling in diesem Forum würde ich zum Start gerne diese etwas ältere Kurzgeschichte präsentieren. Sie ist so eigentlich 'fertig'. Aber da ich sie nie groß der Öffentlichkeit präsentiert habe würde ich mich über Meinungen und Kritik freuen! Auch um mich und meine Zukunft in diesem Forum besser einschätzen zu können. Vielen Dank für eure Kommentare!
Schmerzlos oder … Madeline
[Überarbeitung: 3]
„Hey Mann, was machen wir jetzt?“, fragte mich der blonde Jungspund hinter dem Steuer seines Chevrolets. Sein Name war Troy. Nachdem seine Freundin entführt worden war, habe ich ihn in einer Bar aufgesucht. Ich habe ihn mitgenommen, denn uns verband ein gemeinsames Ziel. Außerdem hatte er ein Auto und eine Spur. Doch ehrlich gesagt war er so impulsiv, dass er es vermutlich nicht lange machen würde.
Nach einem letzten Glimmen erlosch mein Zigarettenstummel, als ich ihn am Armaturenbrett ausdrückte. Schon lange wollte ich mit dem Rauchen aufhören, aber jeder hatte seine Dämonen und das Rauchen war sicher nicht mein größtes Laster. Ich begutachtete die Zigarette zwischen meinen Fingern, ehe ich sie gleichgültig aus dem Fenster schnippte. „Wir warten“, antwortete ich.
Mein Blick schweifte über den Eingang des abgelegenen Lagerhauses. Die Fassade des alten Gebäudes blätterte an vielen Stellen herab und an dem Blechdach und dessen Stützpfeilern sah man vermehrt die Spuren von Rost. Alles in allem war es ziemlich heruntergekommen, aber das galt für viele der Lagerhäuser in den alten Docks. Die meisten standen leer oder wurden von Ratten und Landstreichern bewohnt. Eine Gegend, in der man besser nie alleine sein sollte, am besten vermied man es generell herzukommen. Vor dem Lagerhaus erschienen ein Mann und zwei Frauen. Eine der Frauen trug einen kuscheligen Pullover und wirkte eher, als wäre sie überraschend aus dem Wohnzimmer gerissen worden. Ihre beiden beiden Begleiter hingegen waren ganz in Schwarz gekleidet. Sie trugen lederne Mäntel mit hohen Kragen, in denen sie ihre Gesichter verbargen. Wenn man an die strahlende Sonne der letzten Tage dachte, dann wirkten sie befremdlich, geradezu fehl am Platz. Eine Aura des Unbekannten umfing die beiden schwarz gekleideten Gestalten. Eine Macht, die sie zugleich verboten und doch interessant wirken ließ, anziehend. Ich kannte dieses Gefühl bereits. Und es war als Griff ein eiskalter Hauch nach mir während ich spürte, wie Gänsehaut meinen Körper überzog.
„Das ist sie: meine Freundin!“, sagte Troy, während ich die Ladung meines Revolvers überprüfte. Die Waffe war eine Sonderanfertigung, eine Art Geburtstagsgeschenk. Ein Geschenk von mir an mich.
Sachte legte ich meine Hand auf die Schulter des Burschen, als er den Wagen öffnen wollte. Ich konnte spüren, wie ungeduldig er war. „Ruhig Blut“, sagte ich und sah den Kampf in seinem Innern, wie er seinen Körper bewusst zurückhielt, er wollte zu ihr. Aber er wusste auch, dass wir unsere Deckung nicht aufgeben durften, wir würden Geduld brauchen.
Nachdem die drei in dem Haus verschwunden waren, mussten wir warten, bald würde die Sonne aufgehen. Alles war nur eine Frage der Zeit, das hatte ich in den letzten zwei Jahren gelernt. Für sie mochte Zeit nur eine Nebensache sein, doch für uns war sie alles. Zeit entschied über unser Leben und der richtige Augenblick konnte den Unterschied zwischen Erfolg und Versagen machen, den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage. So würde es auch heute sein, der richtige Zeitpunkt würde nicht nur über unser Schicksal entscheiden, sondern auch über ihres. Endlich hatte ich sie gefunden.
Schließlich riss Troy die Tür auf und lief los. Ohne sich umzublicken oder ein Wort zu mir rannte er zu der Lagerhalle. Seufzend registrierte ich, dass seine Geduld wohl ihr Ende erreicht hatte und stieg aus dem Wagen. Dabei trat ich in einen Haufen aus Zigarettenstummeln, sie hatten sich auf dem Boden gesammelt, als wären sie die Zeugen meiner eigenen Makel. Ich warf die Tür zu und streckte mich, ehe ich mich dem Lagerhaus erneut zuwandte. Vorne gab es nur eine marode Tür, vermutlich führten hinten weitere zu den alten Docks. Es wäre vielleicht klug gewesen, sich genauer umzusehen, aber Troy hatte bereits für uns entschieden. Voller Wut rüttelte er an der morschen Tür, bis sie endlich nachgab. Er riss die hölzerne Tür fast aus den Angeln und ich registrierte seufzend, mit welcher Bedachtheit und Diskretion er in das Nest dieser Monster eindrang. Während ich über den nassen Asphalt schritt, spürte ich die Blicke einiger Menschen – Obdachlose, die in dieser dunklen Hafengasse hausten, doch würden sie nicht die Polizei rufen. Es waren nur arme Seelen, verblendet durch die Versprechen von Geld oder Unsterblichkeit. Sie hatten ihr Leben und ihr Blut längst der Dunkelheit verschrieben und waren nun die Diener dieser Kreaturen. Ihre Blicke durchstachen mich fast, forderten, dass ich gehen sollte. Sie waren die Augen und Ohren ihrer Herren. Am Tage wachten sie über sie, doch es war Nacht und die Sonne wartete noch hinter dem Horizont. Ihre Götter würden sich selbst um uns kümmern.
Eigentlich war es tragisch, denn das Licht der Sonne war der treuste Verbündete eines Jägers. Es versprach einen sicheren Rückzug, diente als Waffe oder ließ gar darauf hoffen, diese Monster wehrlos im Schlaf zu finden. Mein Begleiter hatte unseren Zeitpunkt falsch gewählt. Nachdem er die Tür aufgebrochen hatte, rannte er blind hinein. Er hatte so viel Energie, so viel Kraft – woher nahm er nur all diese Wut und Hoffnung? Meine Finger spielten verdrossen in der Tasche meines Wintermantels um meinen Revolver, heute würde alles endlich sein Ende finden.
Im Innern des Gebäudes herrschte relative Dunkelheit und man konnte nur vage Schemen erkennen, das blaue Licht der Nacht drang durch eine Fensterwand im ersten Stock. Das Lagerhaus war fast leergeräumt, einige Tische waren jedoch übrig. Auf ihnen lagen Menschen, die offensichtlich schon lange tot waren – ebenso wie der Mann in der Mitte der Halle. Den Gesetzen der Natur zum Trotz hielt er dennoch die Freundin meines Begleiters weiter in seinen kalten Klauen. Er umfasste ihr Gesicht und fuhr mit seinen kalten Händen über ihren Körper. Während seine dürren Finger über ihre nackte Haut strichen, wuchs meine Abscheu für dieses perverse Wesen nur umso mehr. „Lass sie gehen!“, brüllte Troy bereits voll Zorn, als ich das Geschehen noch ruhig beobachtete. Seine Freundin wollte antworten, doch der Mann hielt ihr den Mund zu und so entkam ihm nur ein verstümmeltes Jaulen. „Warum sollte ich?! Sie gehört jetzt mir“, entgegnete der Mann stattdessen „und du kannst mich nicht aufhalten! Niemand kann mich aufhalten!“ Sein dunkles Lachen hallte durch die Halle und im fahlen Licht der Nacht sah man, wie seine Fratze sich in purem Amüsement verzog. Meinen Revolver erhoben trat ich neben meinen Begleiter. Als ich den Abzug drückte, zerriss ein lautes Donnern die Stille der Nacht. Wie der Zorn eines gerechten Gottes bohrte sich die Silberkugel in das schwarze Herz des Mannes. Er stockte ungläubig, als er auf die Knie fiel. Voll Verwirrung fasste er an die Wunde, aus der das verfluchte Blut quoll, ehe er zusammensackte. Ich schritt neben ihn in das trübe Licht der Fenster. Über uns war ein Gang, der die Fensterwand entlang verlief, aus der das Licht der Nacht in das Lagerhaus brach. Dort sah ich sie, sie war schön wie eh und je. Ein letzter Blick galt dem Mann, der unser Leben ruiniert hatte, der kalten, fahlen Fratze, die nun in das Dunkel der Nacht starrte.
Schwere Schritte trugen mich die eiserne Treppe hinauf dem Gang entgegen. Bald würde alles ein Ende finden. Vielleicht hatte der Junge sich doch für die richtige Zeit entschieden. Er hatte seine Freundin gerettet, er war klüger gewesen als ich in jener schicksalshaften Nacht. Er wollte nicht zögern und vielleicht hatte ich ihn deswegen mitgenommen, vielleicht erinnerte er mich an meine Schuld in jener Nacht und ganz vielleicht hatte ich gehofft, heute meine Naivität zu sühnen.
„Ich wusste, dass du kommen würdest“, sagte die Frau, als ich mich ihr zuwandte. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich wie Troy mit seiner geliebten aus dem Gebäude floh. Ihre Schritte verhalten und ließen mich und Madeleine alleine zurück. Die Dunkelheit des Raumes empfing uns wie ein schwarzes Nichts, doch auch sie konnte nicht die Leere ausdrücken, die ich schon so lange in meinem Herzen spürte. „Wir wussten beide, dass es so enden würde.“, entgegnete ich ihr mit einem traurigen Lächeln und hob erneut meinen Revolver.
„Wer sagt, dass es so enden muss?“, ihre Stimme klang so sanft, so zart wie eine Sommerbrise an einem lauen Morgen. „Wir können frei sein, zusammen frei sein. Für immer!“ Ihre Schritte brachten sie mir näher, ihren Körper, ihren Duft und ihren Willen. Wie Schnee im Sommer schmolz ich vor ihr dahin und mein Revolver sank langsam zu Boden. Sie hatte Recht, sie hatte immer Recht gehabt, so musste es nicht enden. Diese Wirkung hatte sie schon zu Lebzeiten auf mich gehabt, es war keine Hypnose, die mich dazu brachte. Vielmehr war es die tiefe Liebe, die noch immer aus meinem naiven Herzen sprach. Ihre Hand strich über meine. Die Berührung war kalt wie Eis, doch zugleich wärmte sie mich in meinem Innersten. Für uns war es ein Spiel, ein Hauch unseres alten Lebens – wie ein letzter Auftritt, bevor der Vorhang für immer geschlossen wurde. Ich wehrte mich nicht, als ihre Hand zu dem Revolver glitt, auch nicht, als sie begann, meinen Nacken zu liebkosen. Ihr Biss war nicht einmal schmerzhaft, er war zart – geradezu einfühlsam und vielleicht sogar erregend. Tränen benetzten meine Augen, als meine Arme sie umfassten. Die Erinnerungen durchdrangen mich, sie prasselten auf mich ein wie der Regen einer kalten Sturmnacht: Das Leben, das wir hätten führen können. Mit unseren Armen umschlungen hielten wir uns einen stillen Moment und es war fast, als wäre dieses Unrecht nie geschehen – aber nur fast.
Wie im Tanz umfasste ich meine Madeleine und wir drehten uns zu einer unhörbaren Melodie. Tränen benetzten meine Augen ehe ich den Atem anhielt und tat was nötig war. Es kostete mich all meinen Willen, all meinen Willen und einen Schritt zum Fenster. Einen finalen Schritt, der mir vorkam wie eine kleine Ewigkeit. Ich festigte meinen Griff um Madeline und warf mich zur Seite, dem Fenster entgegen. Die Vorhänge verhüllten uns und die Scheibe zerbrach in messerscharfe Splitter, wir stürzten im freien Fall. Der Sturz war nicht tief, aber es war als stünde die Zeit still, während wir durch die Luft glitten und die Vorhänge uns frei gaben. Ich blickte dem Sonnenaufgang entgegen, als er seine Strahlen über das Meer schickte und die Szene in ein warmes Orange hüllte, das sich mit dem Rot unseres frischen Blutes vermischte. Die Strahlen der Sonne spiegelten auf den Scherben, die uns umhüllten und ich sah wie Madeline schrie. Ich sah ihre Angst, ihre Verzweiflung, als die Sonne begann sie zu verbrennen. Wie in einem bizarren Tanz des Todes umhüllten uns Spuren feinster Asche und die funkelnden Scherben des Fensterglases. Sie legten sich um uns wie ein Blütenregen, als wir gen Boden stürzten – ein Kunstwerk, gleich denen, die die Natur sonst schuf.
Der Aufprall war hart, doch der Schmerz störte mich nicht. Auch nicht die vielen kleinen Schnitte, die von den Scherben in mein Fleisch gerissen wurden. Frei von Reue erhob ich mich, meine Knie zitterten, doch mein Wille war stärker denn je und suchend blickte ich in Madeleines Augen. Dort wartete ich auf ein letztes Echo ihres Geistes. Ich bin mir nicht sicher, ob sie noch irgendwo in diesem Monster war, aber mit einem hatte sie recht gehabt: Es war besser so.
Dies war das einzige Ende, das es geben konnte. Ihre Züge verblassten und die Liebe meines Lebens zerfiel zu nichts als Asche und Staub. Unsere Zeit hätte in jener Nacht enden sollen, wir waren nur ein Schatten der Vergangenheit. Mit sachten Schritten ging ich über den Kai, bis ich mich auf die hölzernen Planken kniete. Während die Sonne ihre wärmenden Strahlen sandte, spürte ich, wie ich mich veränderte, die Kälte, die nach meinem Körper griff. Das war ihr letztes Geschenk an mich. Wie Feuer brannte die Sonne auf meiner blasser werdenden Haut. Ich hob die Hand vor mein Gesicht und sah, wie sie begann zu zerfallen, wie die Asche meines Körpers über das Meer geweht wurde. Doch das störte mich jetzt nicht mehr. Jetzt war ich frei. Jetzt war ich schmerzlos.