Schmerzlich
Tessas Absatzschuhe klackern unangenehm laut auf den Stufen des ansonsten totenstillen Treppenhauses.
So schnell, wie es ihr möglich ist, hastet sie die Stufen hoch.
Vorbei an der Tür der netten Oma, die ihr immer freundlich, aber bestimmend ihre selbstgemachten Butterkekse aufzwang. Vorbei an dem Fußabtreters des Jurastudenten, der sie jedes Mal auf eine nicht gerade sehr subtile Art und Weise anbaggerte. Vorbei an dem Guckloch des viel zu neugierigen Frührentners.
Als sie schließlich vor ihrer Tür ankommt und nach einer gefühlten Ewigkeit den Schlüssel im Schlüsselloch umdreht, tritt sie endlich in ihre Wohnung ein.
Kaum ist die Tür zu, spürt sie, wie ihre Augen wässrig werden.
Beim Schuh-ausziehen, droht das Salzwasser überzuschwappen.
Nach dem Eintreten in ihr Schlafzimmer rolle die erste Träne quälend langsam ihre Wange hinunter.
Während sie den ersten Blusenknopf öffnet, spürte sie Nässe an ihrem rechten Mundwinkel.
Als sie den Reißverschluss ihrer Jeans runter zieht, entkommt die zweite Träne. Diesmal viel schneller.
Bereits beim Runterzerren der Hose, die Fünfte.
Zu dem Zeitpunkt, als Tessa in nichts als in ihrer rosa Unterhose und von Laken umhüllt, in ihrem Bett liegt, strömen ihr die Tränen das Gesicht runter.
Es war vorbei, er hatte sie verlassen. Alex hatte sie verlassen...
Ein Schluchzen entkommt ihrer Kehle bei dem Gedanken.
Was willst du, Tessa? Was willst du werden? Wer willst du sein?
Und während sie da liegt, das Gesicht in ihrem mittlerweile nassem Kissen begraben, kommen wieder all die Erinnerungen hoch.
Die wunderschönen, glücklich Momente. Die, die voller Liebe, Zuneigung und Freude waren. Aber mit den Schönen, kamen auch die Erinnerungen an die Momente, die von Enttäuschung, Trauer, Verletzlichkeit und Wut geprägt wurden.
Willst du noch auf eine Tasse Kaffee reinkommen?
Herzlichen Glückwunsch. Bist du jetzt zufrieden? Hast du erreicht, was du wolltest?
Sag mal, weinst du gerade? Wegen einem Film?
Dann hör doch einfach damit auf mich zu lieben!
Ich bin ja wohl eindeutig attraktiver als Ryan Gosling!
Wie würdest du denn sein Verhalten interpretieren, wenn du in meiner Lage wärst?
Bleibst du heute Nacht?
Ich habe nie von dir verlangt, dass du dein Leben ändern sollst! Also erwarte es nicht von mir!
Warum? Weil ich dich liebe. Ich liebe dich Tessa Parrish.
Manchmal Tessa, manchmal weiß ich gar nicht wer du überhaupt bist...
Doch mit den Erinnerungen kommt auch der Schmerz. Die Sehnsucht nach diesen Zeiten, den Guten und den Schlechten, ist wie ein scharfes Stechen in ihrer Brust.
Tessa liebte ihn. Gott, wie sehr sie ihn doch liebte. Und jetzt war es vorbei. Endgültig.
Sie hört auf zu weinen, jedoch nur, weil anscheinend ihr Repertoire an Salzwasser aufgebraucht ist.
Der Schmerz stoppt und die Leere setzt ein. Mit brennenden Augen, verstopfter Nase und erschöpften Gliedern liegt sie ganz allein in ihrem nun viel zu großem Bett und starrt die Zimmerdecke an. Die Stille ist erdrückend.
Obwohl sie weiß, dass sie sich somit nur noch mehr Schmerz zufügen wird, dreht sie ihren Kopf langsam, ganz langsam, in Richtung Nachtisch, nur um schließlich in Alex funkelnde, haselnussbraune Augen zu blicken. Um sein nach oben gezogenen Mundwinkel bildeten sich kleine Fältchen. Sie stand neben ihm und beide strahlten um die Wette in die Kamera.
Tessa erinnert sich noch ganz genau an diesen Moment. Es war ihr erster gemeinsamer Urlaub gewesen. Englandrundreise. Zwei Wochen. Es hatte die ganze Zeit über wie aus Kübeln geregnet und es war schrecklich kalt. Aber sie waren so glücklich gewesen. So glücklich...
Eine allerletzte Träne rollt ihr die Wange runter und sie schließt schnell ihre verquollenen Augen, um das Foto nicht mehr länger ansehen zu müssen.
So liegt sie eine Weile in ihrer Bettdecke eingehüllt da. Geschlossene Augen, ihre zitternden, nackten Beine an ihre Brust gedrückt, verlaufendes Make-up, gesenkter Kopf.
Letztendlich kommt der Schlaf schließlich doch. Und ganz kurz bevor sie in die Bewusstlosigkeit hineingezogen wird, kann sie seinen heißen Atem an ihrem Ohr spüren, als ob er ihr, wie all die Nächte zuvor, süße Nichtigkeiten zu flüstern wollte. Doch das tut er nicht, nicht diese Nacht.
Ich kann so nicht mehr weiter machen... Es ist vorbei, Tessa.
Die Erschöpfung übermannt sie und Tessa gleitet in einen traumlosen Schlaf hinein.