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Schmerz
Sie krümmte sich, schrie vor Schmerz. Ihr ganzer Körper schien, nur noch daraus zu bestehen. Sie fühlte ihre Gliedmaßen nicht mehr, noch konnte sie ausmachen, wo sie sind oder was sie taten. Nur ein greller Schmerz der sich von ihrer Körpermitte aus ausbreitete. Ihr Kopf dröhnte, jemand sagte etwas, aber sie konnte es nicht verstehen. Es klang wie ein weitentferntes, rauschendes Radio. Sie wurde runtergedrückt, aber die Woge des Schmerzes ließ sie sich wieder aufbäumen. Sie sah nichts. Er ließ nach. Pause. Aber sie wusste, er würde wiederkommen. Es quälte sie, zu wissen, dass er wiederkommen würde aber nicht wann. Da war er wieder, stärker als zuvor. Wieder schrie sie. Sie wollte den Schmerz rausbrüllen, damit es aufhörte. Die Wogen des Schmerzes bauten sich auf, die Pausen wurden kürzer. Ehe der Schmerz verebbte, begann er wieder. Sie wollte, dass es aufhört. Doch es würde nicht einfach so aufhören, eher würde sie sterben. Aber auch diese Erlösung würde ihr vorerst verweigert. „Dann wäre es wenigstens vorbei“, dachte sie. Ihr nächster Gedanke schweifte in eine andere Richtung.
„Wie konnte es nur soweit kommen?“ Sie erinnerte sich genau.
Es war ein normaler Samstagabend. Sie ging mit ihren Freundinnen etwas trinken. In eine Bar. Die Musik war zu laut, die Cocktails waren zu teuer, aber so lief das halt. Und sie hatten Spaß. Sie lachten und erzählten sich den neusten Klatsch. Sie wollte sich ein Wasser holen und am Tresen angelangt, wartete sie ungeduldig auf die Aufmerksamkeit des Barkeepers. Nach einer gefühlten Ewigkeit stand er auf einmal neben ihr. Er sah lässig aus in seinem Hemd, dessen oberste Knöpfe offen waren, und genauso lässig winkte er den Barkeeper ran. Er erklärte dem Mann, dass es eine unverschämte Frechheit wäre, eine so schöne Frau auf dem Trocken sitzen zu lassen. Anschließend gab er ihr einen weiteren Cocktail aus. Wie charmant. Doch der Teufel schmückt sich bekanntlich mit Freundlichkeit. Sie konnte ihre Augen nicht von ihm abwenden, er war zu interessant. Seine Frisur stand im Kontrast zu seinem lässigen Outfit. Es sah so aus als würden seine Haare sich nicht einmal trauen, nicht perfekt zu sitzen. Seine Augen leuchteten in einem durchdringenden grün. Sie hoffte, er würde nicht sehen, dass sie errötete. Er ließ sich zumindest nichts anmerken. Er sprach mit sanfter und doch markanter Stimme und brachte sie zum Lachen. Sie redeten stundenlang. Sie merkte gar nicht, dass ihre Freundinnen schon gegangen sind. Plötzlich sagte der Barkeeper, sie müssten nun gehen. Sie war betrübt, dass der Abend nun vorbei sein sollte. Er schien dies bemerkt zu haben und lud sie ein, noch mit zu ihm zu kommen. Und sie ging mit ihm. Selbst schuld! Es regnete in Strömen und die letzten Meter vom Taxi zu seiner Wohnung legten sie im Sprint zurück. Sie fiel in seine Arme. In der Wohnung angekommen bot er ihr ein Glas Wein an. Ein Schluck davon und sie durchströmte eine wohltuende Wärme. Sie war ein wenig benebelt. Und so nahm das Schicksal seinen Lauf.
Vom Schmerz übermannt wünschte sie sich den Nebel zurück, doch keine zehn Flaschen Wein würden den Nebel zurückbringen. In einem Film würde nun der strahlende Retter um die Ecke stürmen. Aber das hier war kein Film. Einfach im Nebel rumdümpeln und loslassen. Aber nein, das war nicht sie. Sie würde es nicht so zu Ende gehen lassen. Wenn sie heute ihrem Schöpfer entgegentreten sollte, dann nicht als jammerndes kleines Mädchen. Nein, sie würde kämpfen. Sie biss die Zähne zusammen und richtete sich auf. Wehrte sich gegen die Hände, die versuchten, sie runterzudrücken. Sie würde das allein durchstehen bis zum bitteren Ende. Der Schmerz hielt an, doch sie versucht ihn einfach wegzudrücken. Sie stemmte die Füße gegen irgendwas, hielt die Augen fest zusammen und spannte ihren ganzen Körper an. Auf einmal spürte sie nicht mehr. War sie gestorben? Gleißendes Licht durchfloss sie. Sie musste beim Herrn sein. Doch was war das? Sie hörte Schreie, aber sie selbst schrie nicht. Die Taubheit verließ ihren Körper. Die Schreie kamen näher, auch wenn sie jämmerlich klangen. Sie spürte die Erschöpfung. Vor ihren Augen bildeten sich Schemen aus. Sie wurden immer klarer. Ein Mann. Ein Mann, der etwas in der Hand hielt. Die Schreie schienen von dem etwas aus seiner Hand zu kommen. Es war ein Baby, kopfüber hängend und kläglich schreiend. Eine Frau nahm es dem Mann ab und wickelte es in eine Decke. Sie legte es der Mutter auf die Brust. Während es immer noch schrie, fiel die Anspannung von ihr ab. Die Erschöpfung kehrte ein und sie merkte, dass auch das kleine etwas in ihren Armen erschöpft war. Natürlich es wurde durch eine kleine Öffnung gezwängt und was auf ihn wartete war eine grelle, kalte, harte Welt. Der Kampf hatte sie beide an den Rand ihrer Kräfte gebracht. Es war vorbei, das kleine etwas in ihren Armen hatte ihr diese unsagbaren Schmerzen bereitet und wollte nichts weiter, als von ihr beschützt zu werden.