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Schlußverkauf
Die Kaufhausdetektive hatten Angst. Mit Schrecken erinnerten sie sich noch an das letzte Mal, als der Winterschlußverkauf begann. Schon Stunden vor der Eröffnung standen die Kunden Schlange vor der Eingangstür und drängelten und schubsten, denn jeder wollte der erste sein, der reinkam. Beinahe wäre es schon draußen zu ersten Schlägereien gekommen.
Dann war es soweit, einer von den Detektiven sollte die Tür aufschließen. Es kam zu einem Streit, weil keiner sein Leben leichtfertig aufs Spiel setzen wollte. Also wurde ausgelost, wer dieses Jahr dran glauben müsste. Das Los fiel auf Herrn Wagner. Alle anderen gingen in Deckung, während Herr Wagner, zitternd vor Angst zur Tür ging. Kreidebleich steckte er den Schlüssel ins Schloß und drehte ihn um. Dann drehte er sich um und rannte, was das Zeug hielt.
Die Menge warf sich gegen die Tür, sie sprang auf und knallte so gegen eine Wand, daß beinahe die Scheibe zerbrochen wäre. Die Meute stürmte das Kaufhaus und belagerte sämtliche Regale und Wühltische des Erdgeschosses. Wie der Blitz waren aber auch alle oberen Etagen mit kaufwütigen Kunden und Kundinnen vollgestopft.
Die Verkäuferinnen verbarrikadierten sich hinter ihren Kassen und weigerten sich strikt, Kunden anzusprechen, aus Angst, man würde sie zusammenschlagen.
Besonders unter den Frauen kam es zu Schlägereien um Oberbekleidung, Bücher und Porzellan. Es wurde so schlimm, daß die Polizei anrücken musste. Mit zehn Einsatzfahrzeugen rückte sie an; in voller Montur und bewaffnet stürmte sie das Kaufhaus.
Aber die Frauen waren nun nicht mehr zu halten. Sie stopften sich alles, was sie schon ergattert hatten, in ihren Ausschnitt oder dahin, wo vermutlich kein anderer es ihnen wieder wegnehmen konnte.
In der Buchabteilung war es besonders schlimm. Bücher lagen zerrissen am Boden, um die sich einige der Frauen gestritten hatten. Aber auch die Porzellanabteilung hatte gelitten, Geschirr lag zerbrochen am Boden. Das würde dem Kaufhaus niemand ersetzen, denn in dem Gewühle konnte der Schuldige, der das Geschirr zerbrochen hatte, nicht ausfindig gemacht werden.
In der Parfümerieabteilung war ein Duftwirrwarr zu riechen, der einem Kopfschmerzen bereiten konnte. Dort hatte ein Verkäufer versucht, todesmutig zwei streitende Frauen miteinander zu versöhnen. Diese beiden hatten sich dann kurzfristig miteinander verbündet und waren auf den Verkäufer losgegangen.
Er hatte ein blaues Auge davongetragen und blutete leicht aus einer Stirnwunde. Ein Krankenwagen nahm ihn mit, um ihn im Krankenhaus zu untersuchen und seine Blessuren zu versorgen.
Ein zweiter Krankenwagen wartete vorsorglich auf weitere Verletzungsopfer. Sie brauchten auch nicht lange zu warten. Mehrere Männer traten zu den Sanitätern, allesamt von Kratz- und Beißspuren gezeichnet.
Drinnen herrschte inzwischen das reine Chaos. Es gab kein Halten mehr. Das Suchen nach Schnäppchen war Schlägereien gewichen; es ging den Kunden nur noch darum, dem anderen etwas aus der Hand zu reißen, egal ob man es nun gebrauchen konnte oder nicht.
Das gesamte Personal hatte sich in die Räume zurückgezogen, die nur von Mitarbeitern betreten werden durften und weigerten sich, wieder die Ladenflächen zu betreten; erst nach Ladenschluß würden sie wieder an ihre Arbeitsplätze gehen.
Endlich war es 18 Uhr und der Laden sollte geschlossen werden. Der Bundesgrenzschutz rückte an, um die Leute nach draußen zu treiben. Das gelang erst, nachdem Tränengas eingesetzt worden war.
In den oberen Etagen hatten sich mehrere Kunden mit Ketten, die sie in der Eisenwarenabteilung gefunden hatten, an die Verkaufstische gekettet aus Protest darüber, daß sie den Laden verlassen sollten, obwohl sie noch nicht alles gefunden hatten, was sie haben wollten. Sie mussten mit Schneidbrennern losgeschnitten werden.
Die Bilanz dieses Tages waren: Mehrere Zehntausen Euro Verlust für das Kaufhaus und 22 Verhaftungen durch die Polizei.