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Schleifen
Wir waren mitten am Tag eingeschlafen. Wahrscheinlich, weil wir nachts nicht zum Ausruhen gekommen waren. Ich will die Augen noch nicht öffnen und atme tief in seinen Hals. Seine Haut richt so gut, dass ich glaube ich werde high. Schwer und erschöpft liege ich auf seiner Schulter, meine Hand auf seiner Brust und ich denke: Genau hier möchte ich für immer bleiben. Besser kann es nicht werden. Ich werde einfach nicht mehr aufstehen und irgendwann verdursten wir und irgendwann später zerfallen wir zu Staub. Und alles ist gut.
Ich bin der Küche. Es ist Sommer und in meiner Dachwohnung steht die Luft. Er ist hinter mir, seine Hände auf meinen Hüften. Er fasst mich fester an als sonst. In meinem Kopf rauscht es. Dann nimmt eine Hand meinen Nacken und einen Moment später ist er in mir und mein Rock im warmen Spülwasser.
Ist es ein Wunder, dass ich solche Szenen nicht vergessen kann? Ist es Fluch oder Segen, das mit dir erlebt zu haben? Nach so vielen Jahren ist das Verhältnis zwischen der Zeit, in der ich an die Gespräche und den Sex mit dir denke, und der Zeit die wir tatsächlich zusammen hatten, vollkommen unverhältnismäßig. Aber "Happiness makes up in height what it lacks in lenght.", richtig?
Wir sind auf dem Heimweg. Es ist bereits dunkel genug und so halten wir uns an den Händen. Ich hoffe trotzdem, dass uns jemand sieht und glühe vor Stolz und Übermut. Aufgedreht und etwas angeschwipst erzähle ich ihm von meinem Leben. Er hört geduldig zu und hat es nicht eilig, was ich als gutes Zeichen werte. Als wir vor meiner Haustür stehen, nimmt er langsam mein Gesicht in beide Hände, schaut mich einen tiefen Atemzug lang ernst an. Mir wird heiß und plötzlich ist alle Albernheit verflogen. Ohne jeden Pathos, vollkommen ruhig und als wäre es das Normalste der Welt sagt er: "wie wunderschön du bist." Wir gehen nach oben.
Es heißt Menschen hätten diese unstillbare Sehnsucht nach ein klein wenig Magie in ihrem Leben. Sie seien auf der Suche nach etwas, dass nicht mit Statistiken oder Zahlen erklärbar wäre und es scheint, als sei die Liebe dieses eine Rätsel das uns noch bleibt. Verlieben wir uns, ergeben viele Zufälle plötzlich einen Sinn. Die Sonne, die genau in dem Moment aufgeht oder das Buch, das beide gerade gelesen haben. Mit dir ging es mir nicht anders. Mein Lieblingslied, das im Radio lief, als du mich das erste mal anriefst. Die Leichtigkeit und Intensität, mit der ich bei dir kam. Das musste doch etwas bedeuten.
Aber nein. Es bedeutete gar nichts. Unsere Verbindung war wie Treibsand, in den ich sehenden Auges immer tiefer hinein stapfte. Stets ein Scherz auf den Lippen und ohne geringsten Widerstand lief ich weiter und weiter. Manchmaal habe ich mir eingeredet, ich wolle doch selbst nur meinen Spass. Wie süß von mir. Ich bin einfach reingefallen. In einen riesigen Irrtum. Und bis heute schaffe ich es nicht, mich mit all meinem Verstand und all meinem Willen aus diesem Sandloch zu befreien. Hier sitze ich und sobald es still um mich wird, denke ich an die Zeit mit dir und in meinem Innern zieht eine handvoll Erinnerungen unendlich oft ihre Schleifen.
Du warst von Anfang an ehrlich zu mir. Eine Heldentat, für die du gelobt werden wolltest. Ich wusste, dass ich die andere war und auch, dass du nicht vorhattest Anna zu verlassen. Meine anfängliche Bewunderung euer liberalen Haltung gegenüber, wich bald einer Skepsis und ist heute ganz von Unverständnis ersetzt. Und mit diesem Prozess ist unendlich viel Schmerz verbunden. Und du, du Held? Du hast mir die Möglichkeit genommen wenigstens mit berechtigter Wut auf dein Verlassen reagieren zu dürfen. Wo war meine Zielscheibe als du weg warst? Sie war ich selbst. “Du wusstest doch, worauf du dich einlässt.” hast du gesagt. Bravo! Endlose Vorwürfe, ob meines ungewollten Masochismus war alles was mir blieb. Ist das heldenhaft?
Wir warten auf die U-Bahn. Es ist kalt geworden und gerade haben wir gestritten. Er lehnt mit dem Rücken an der Wand. Ich daneben. Wir schweigen. Irgendwann sieht er auf, lächelt mich unvermittelt an, nimmt meine Hand und ziehst mich zu sich. Er öffnet seinen Mantel damit ich noch näher bei ihm sein kann. Ich spüre seine Wärme, seine Lippen und mir wird schwindelig vor Erleichterung und Glück. Es ist unser letzter Kuss.
Ich habe Anna nie getroffen, aber dennoch viel erlebt mit ihr in meinem Kopf. Manchmal habe ich einfach nur ihr Gesicht zerkratzt und ihre Locken abrasiert. Manchmal habe ich mir vorgestellt ihre Freundin zu sein. Ich habe mir ausgemalt, wie ich sie kennenlernen könnte und was wir wohl für Gemeinsamkeiten hätten. Und manchmal wollte ich nur einen Tag die Welt durch ihre Augen sehen. Von dir durch ihre Augen angeschaut werden. Warum war dir euer Pakt damals so viel wert? Denn getrennt hat ihr euch inzwischen ja doch. So viel weiss ich von deinem Leben. Warum habe ich als Grund nicht ausgereicht? Du hattest Anna bereits auf mehr als nur eine Weise mit mir betrogen. Ist dir das nicht aufgefallen? In deinen Briefen hast du geschrieben ich sei klug und aufregend und dass du noch nie weichere Küsse bekommen oder mit einer anderen Frau Tränen gelacht hast. Hallo? Du warst absolut verrückt nach mir.
Und doch muss ich irgendetwas missverstanden haben. Denn du bist weg und ich bin noch hier. Am dem Ort, an dem du mich verlassen hast. Aufgerissen blute ich langsam vor mich hin. Aber meine Wunde bildet keine Kruste und das Blut will nicht versiegen. Du landest immer wieder in meinem Kopf. Ich finde keinen Ausweg. Keinen Frieden. Wieviele Jahre wird das so weiter gehen? Der Gedanke macht mir Angst und die Schleifen ziehen weiter ihre Kreise.