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Schlechtes Gewissen

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02.09.2006
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Schlechtes Gewissen

Kevin hatte noch eine Weile gewartet, bis alle Lichter im Haus erloschen waren. Er schlich sich über den Hof zur Hintertür. Schnell noch einmal ein prüfender Blick nach oben, ja alles war dunkel. Die Hintertür war zum Glück offen, Mutter vergaß oft, sie abends abzuschließen. Er öffnete sie nur einen Spalt, damit sie nicht quietschte, trat vorsichtig ein und lauschte - alles war still im Haus. Es roch nach Bratkartoffeln. Jetzt merkte er, dass er hungrig war. Die Versuchung, in der Küche nach Essbarem zu suchen, war groß. Aber die Angst, entdeckt zu werden, war noch größer, und so eilte er zur Kellertür. Kevin öffnete sie fast lautlos und ging vorsichtig die alte Holztreppe hinunter. Die ausgetretenen Stufen knarrten bedrohlich bei jedem Schritt, obwohl Kevin sich sehr bemühte, sie kaum zu berühren. Nur gut, dass die Schlafzimmer im ersten Stock lagen.
Gezielt steuerte er auf die Tür zum Kohlenkeller zu. Sie war schon seit Jahren abgeschlossen, aber dafür hatte er ja seinen Dietrich. Hier würde ihn niemand suchen. Es roch modrig. Irgendetwas knirschte unter seinen Füßen. Licht gab es nicht. Da raschelte etwas. War hier wer? – Vielleicht Mäuse oder Ratten. – Schöne Aussichten für eine geruhsame Nacht! Er würde kein Auge zu machen. Der Gedanke, dass dann Ungeziefer durch sein Gesicht krabbeln würde, ekelte ihn.
Er setzte sich auf den Boden, lehnte seinen Rücken an die Wand. Hier war es wenigstens trocken. Hier hatte er Schutz vor Eis und Schnee und dem rauen Nordwind. Kevins Magen knurrte. Wie lange würde er es hier aushalten? Würde es reichen, bis Gras über die Sache gewachsen war? Er strich sich seine wirren, braunen Haare aus dem Gesicht und bemerkte, dass er beim Sprung über die Brombeerhecke seine Hose zerrissen hatte. Das war jetzt auch egal.
Der Schlaf musste ihn dann doch übermannt haben, denn er wurde von Männerstimmen geweckt. Eine gehörte seinem Vater. Die Männer standen direkt vor dem Kellerloch. „...werden ihn wohl abgeben müssen,“ hörte er den Vater sagen.
„Fragt sich nur an wen?“. entgegnete der andere.
„Vielleicht an die Mönche!“ Schritte entfernten sich.
Vater hatte schon alles erfahren! Nun wollte er ihn an die Mönche abgeben! Da gab’s nur Wassersuppe, beten und arbeiten. Oh je, da konnte er gleich im Kohlenkeller bleiben!
Durch das Kellerloch fiel etwas Licht in den Raum. Überall Mäusedreck und Spinnennetze. In der linken Ecke lagen noch ein paar Kohlenstücke und - was war das? Eine Tür! Wo führte sie hin? Kevin hatte diesen Raum nur einmal betreten, damals als die Heizung eingebaut wurde und Vater die restlichen Kohlensäcke verkauft hatte. Wahrscheinlich hatte er auf diese Tür nicht geachtet. Der Kohlenkeller war seitdem verschlossen, also wo sollte diese Tür hinführen? Einerseits wollte er gern nachschauen - andererseits hatte er Angst, dort etwas zu finden, was er nicht finden wollte, vielleicht einen Totenkopf oder verweste Tiere.
Die Neugier war doch stärker als die Furcht. Er öffnete die geheimnisvolle Tür. Es führten Stufen hinab, wohin konnte er nicht sehen. Es war stockfinster. Wahrscheinlich war es ein vergessener Fluchtweg aus längst vergangener Zeit. Mal sehen, wo der wohl hinführte!
Kevin stieg die Stufen hinab, Ach, wenn er doch wenigstens eine Taschenlampe hätte, aber die lag oben, unerreichbar in seinem Zimmer!
Er zählte die Stufen – einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig – jetzt war er untern. Es folgte ein Gang. Kevin schlich sich an der Wand lang. Der Boden war uneben und er bemühte sich, nicht zu stolpern. Wie still es hier war. Sein Herz klopfte. Er zählte die Schritte – dreihundertsechsundsechzig, dreihundertsiebenundsechzig. Was wäre, wenn er nicht mehr hier heraus kam, wenn die Tür plötzlich verschlossen wäre, und er hier unten gefangen wäre? Die Luft war staubig, wie lange würde sie zum Atmen reichen?
Der Gang bog nach rechts ab. Kevin schlich immer an der Wand entlang. Auf einmal ging es nicht mehr weiter. War hier der Gang zu Ende? War das alles? Enttäuscht wollte er schon umkehren, da bemerkte er, dass es nur ein Vorsprung in der Wand war, der Weg führte weiter.
Entfernt hörte er etwas tropfen. Führte der unterirdische Weg in eine Tropfsteinhöhle? Oder bildete er sich das nur ein? Es roch nach feuchter Erde. Wer weiß, vielleicht befand er sich in einem Labyrinth und kam nicht mehr hier heraus? Gerade beschloss er zurück zu gehen, da fühlte er, dass vor ihm Stufen nach oben führten. Er war erleichtert und lief in schnellem Schritt die Treppen hinauf.
Auch hier war eine Tür. Er öffnete sie vorsichtig. Wer weiß, was sich dahinter verbarg?
Er staunte nicht schlecht, als er bemerkte, dass er in der Sakristei der Kirche angekommen war. Pfarrer Schneider zog sich gerade um. Kevin wollte schnell wieder umkehren, da rief der Pfarrer: „Ja Kevin, Gott sei Dank, da bist du ja wieder. Das ganze Dorf sucht nach dir. Alle sind in großer Sorge! Wieso kommst du aus dem Kirchenkeller?“
Kevin konnte nicht antworten. Er hatte einen dicken Kloß im Hals. Der Pfarrer lachte ihn freundlich an.
„Komm setz dich erst mal. Magst du was trinken?“ Er goss ein Glas Wasser ein und reichte es Kevin. Der stürzte das Glas hinunter. Der Pfarrer goss nach. Auch dieses Glas war blitzschnell geleert.
„Wo hast du denn gesteckt? Was ist denn passiert? Soll ich dich nach Hause bringen?“
„Nein, nicht nach Hause, nein!“, rief Kevin ängstlich.
„Gut, dann bleibst du erst mal hier. - Hast du was ausgefressen? Du weißt doch, dass du es mir ruhig anvertrauen kannst. Ich spreche mit niemanden darüber, wenn du es nicht willst. Manchmal geht es einem besser, wenn man drüber geredet hat. Also?“
Kevin schämte sich.
„Na ja“, begann er zögernd. „Ich .. ich hab gestern meinen neuen Gameboy mit in die Schule genommen, obwohl meine Mutter es mir ausdrücklich verboten hatte. In der letzten Stunde hatten wir Bio. Das war wieder voll langweilig, da hab ich dann unter dem Tisch ein bisschen gespielt. Felix wollte auch, aber ich hab ihn nicht gelassen. Nach dem Unterricht auf der Treppe wollte er mir den Gameboy einfach aus der Hand reißen, dabei fiel er hin und flog die Treppe runter – also der Gameboy. Er schlug auf jede Stufe auf und unten hat dann Vanessa noch versehentlich drauf getreten. Ich hätte am liebsten geheult, und der Felix hat noch gelacht. – Wenn meine Eltern das rauskriegen, dass ...“ Der Junge schluchzte.
„Ja gut, sie werden sicher verärgert sein, dass du dich über ihr Verbot hinweggesetzt hast, aber den Kopf werden sie dir nicht abreißen. Dass du jetzt nicht mehr Gameboy spielen kannst, ist für dich ja schon hart genug. Die sind doch froh, wenn du wieder da bist, komm!“
Kevin wich einen Schritt zurück.
„Nein, das ist ja noch nicht alles.... Ich hab dem Felix am Opferbach aufgelauert, hab gewartet bis seine Freunde in der Untergasse verschwunden waren und er allein war. Dann habe ich ihm kräftig eine reingehauen. So kräftig, dass er mit dem Kopf auf einen Stein aufgeschlagen ist. Es fing sofort stark an zu bluten und er war bewusstlos. Natürlich wollte ich gleich Hilfe holen, aber dann hörte ich das Polizeiauto kommen und ich bin weggerannt. Ich dachte, wenn die mich bei dem bewusstlosen Felix finden, nehmen die mich mit, wegen Körperverletzung oder vielleicht Mord, wenn der Felix stirbt ... Ja und so hab ich mich halt versteckt.“
„Da hast du ja mächtige Ängste ausgestanden!“ Der Pfarrer strich dem schluchzenden Jungen über den Kopf.
„Ich kann dich beruhigen. Dem Felix geht es gut. Seine Mutter putzt doch bei mir. Sie hat mir heute morgen erzählt, dass er eine leichte Gehirnerschütterung und eine Platzwunde hat. Aber er ist schon wieder in der Schule. Er hat ihr übrigens erzählt, dass er gestolpert sei. Von eurer Prügelei weiß niemand etwas. Wahrscheinlich hat er Angst, dass er dir den Gameboy ersetzen muss. – Also komm, ich bring dich jetzt nach Hause. Deine Eltern kommen um vor Sorge.“
Kevin senkte traurig seinen Blick. Mit erstickter Stimme sagte er:
„Nein, der Vater will mich doch sowieso abgeben. Sicher weiß er, was gestern passiert ist. Ich hab es genau gehört, wie er das heute morgen bei uns auf dem Hof zu einem Mann gesagt hat: Ich werde ihn abgeben müssen...vielleicht zu den Mönchen, hat er gesagt. Da will ich nicht hin!“
Der Pfarrer schmunzelte. „Ach Kevin, so etwas darfst du doch nicht denken. Dein Vater hat dich die ganze Nacht gesucht! Das, was du da gehört hast, bezog sich bestimmt auf euren uralten Traktor, den niemand mehr reparieren kann. Dein Vater hängt ja an dem Teil und will es nicht verschrotten lassen, deshalb hat er schon mal überlegt, es den Mönchen für ihr Museumsdorf zu spenden! Von dir war da bestimmt nicht die Rede!“
Dem Jungen fiel ein Stein vom Herzen. Papa wollte ihn gar nicht abgeben! Er seufzte erleichtert. Es war alles nur ein dummes Missverständnis.

 

Hallo, das ist meine erste Geschichte in diesem Kreis! Ich bin mal gespannt, ob sie euch gefällt! Also, Feuer freii....
Eure Zauberfee

 

Hallo Zauberfee,

ein herzliches Willkommen auf KG.de.

Deine Einstiegsgeschichte hat mir gut gefallen. Am Anfang ist sie sehr spannend geschrieben.
Doch die Szene mit dem Pfarrer, da hat mir ein bisschen Pepp gefehlt. Vielleicht hätte der Priester den Jungen noch ein bisschen zappeln lassen sollen.
Aber das ist auch ein wenig Geschmacksache.

Ein kleiner Fehler noch:

Durch das Kellerloch viel etwas Licht in den Raum.
fiel

Damit wäre mein "Feuer" schon verschossen, denn dein Schreibstil hat mir ebenfalls gefallen.
Freue mich schon auf deine nächste Geschichte.


Viele Grüße
bambu

 

Hallo Zauberfee, auch von mir ein herzliches Willkommen. :)

Deine Geschichte hat auch mir gut gefallen. Du schreibst sicher und ohne große Schnitzer, spannend und lebendig. Das Gespräch mit dem Priester könntest Du evtl noch etwas realistischer machen, da gebe ich bambu recht. Ansonsten: gern gelesen :) Für etwas ältere Kinder sicher ein Spaß.

„Ja Kevin, Gott sie dank, da bist du ja wieder.
Gott sei Dank

liebe Grüße
Anne

 

Hallo bambu und anne,
vielen Dank fürs Lesen und für die Kritik. Es freut mich, dass die Geschichte euch gefallen hat. Ich hoffe, dass mir zu dem Gespräch mit dem Pfarrer noch etwas besseres einfällt! Nochmals DANKE für das freundliche Willkommen !!!
Liebe Grüße
zauberfee

 

Hallo Zauberfee,

herzlich willkommen auf kg.de :)
Einen netten Einstand hast du hier gegeben. Besonders die Stellen, an denen du die Angst des Jungen im Keller beschreibst, fand ich recht gelungen!

Ein wenig hölzern und langatmig liest sich dagegen das Gespräch mit dem Pastor - vielleicht kannst du da noch ein wenig kürzen und im Dialog die Gefühle Kevins noch deutlicher machen?

Auch den letzten Satz würde ich umschreiben und Kevins Erleichterung ganz klar aus seiner eigenen Sicht beschreiben - vielleicht so:
Der harte Knoten in Kevins Brust löste sich. Er seufzte erleichtert. Papa wollte ihn gar nicht weggeben. Das war alles nur ein dummes Missverständnis.

Ich bin ganz pingelig durch deinen Text gegangen und habe hier einen Strauß Anmerkungen für dich :D:

Gezielt steuerte er auf die Tür zum Kohlenkeller.
Gezielt steuerte er auf die Tür zum Kohlenkeller zu.
oder
Gezielt steuerte er die Tür zum Kohlenkeller an.
Denn er wurde von Männerstimmen geweckt.
das ist kein vollständiger Satz ... Deshalb vielleicht:
Der Schlaf musste ihn dann doch übermannt haben, denn er wurde von Männerstimmen geweckt.
„Fragt sich nur an wen?“ entgegnete
wen?",
Schöner wäre es, wenn du jedesmal, wenn du wörtliche Rede verwendest, eine neue Zeile beginnen würdest ... :)
Der Kohlenkeller war seit dem
seitdem
Die Neugier war doch stärker, als die Furcht.
stärker Komma weg
Wer weiß, vielleicht befand er sich in einem Labyrinth und fand nicht mehr hier heraus?
Die Wiederholung von befand und fand ist ein bisschen störend - vielleicht fällt die da ja etwas anderes ein?
Da staunte er nicht schlecht, als er bemerkte, dass er in der Sakristei der Kirche angekommen war.
Zwei- oder dreimal beginnst du Sätze mit "Da" - ich finde das nicht so besonders geschickt - wie wäre es hier zum Beispiel mit
Er staunte nicht schlecht, als ...
Aus dieses Glas war blitzschnell geleert.
Auch dieses Glas ...
„Nein, nicht nach Hause, nein!“ rief Kevin ängstlich.
nein!", rief
„Na ja,“ begann der Junge zögerlich.
„Na ja", begann der Junge zögernd.
wenn der Felix stirbt...
stirbt Leerstelle ...
Der Pfarrer strich dem schluchzenden Jungen über dem Kopf.
über den Kopf
auf euern uralten Traktor,
euren

Liebe Grüße
al-dente

 

Hallo al-dente,
vielen Dank für die Mühe, die du dir mit meinem Text gemacht hast. Ich werde mich gleich an die Überarbeitung geben. Toll. was dir so alles auffällt! Ich hoffe ich komme auch einmal so weit. Auch ich war im Urlaub, daher meine späte Antwort.
Viele liebe Grüße
zauberfee

 

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