- Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
- Kommentare: 12
Schlappe Beine
Ich beobachtete den Raum schon eine ganze Weile.
Die Jalousien ließen die Sonnenstrahlen auf dem von Katzenhaaren übersäten Holzfußboden wie Gitterstäbe aussehen. Ich kannte weder das Bett, in dem ich lag, noch den Raum. Hinter mir lag ein Mädchen. Keine Ahnung, wie ihr Name war. Sie schlief. Die Poster an der Wand ließen vermuten, dass sie eine Vorliebe zu Rockmusik und Tarantino-Filmen hatte. Genau mein Geschmack. Die Decke zwischen die Schenkel geklemmt, versuchte ich mich an letzte Nacht zu erinnern.
Mit zwei Bier im Stoffbeutel, den ich um meinen Fahrradlenker gewickelt hatte, hatte ich mich auf den Weg zu Sam gemacht, um dort den Abend ausklingen zu lassen. Die Arbeitswoche gab mir den Rest, und ich hatte vor, den nächsten Tag ohne Kater aufzuwachen.
"Aber heute nur ganz ruhig", hatte ich am Telefon zu ihm gesagt.
Als ob -
Seit der Sache mit Sabi vor einem halben Jahr zog ich mir selbst an Wochentagen zu Hause vier bis fünf Flaschen rein, während ich mir stumpfe Serienstaffeln anschaute. Die Serien waren der letzte Dreck, kein Inhalt, kein Tiefgang. Der reinste Brainfuck. Lieber verbrächte ich meine Abende wieder mit Sabi. Sie war eine Rose. So gern ich an ihr roch, so gern sah ich sie an. Wenn man sie falsch berührte, verletzte man sich an ihr. Ich würde sie nun nie mehr berühren können.
Sam und ich tranken und spielten Karten, bevor wir in einen nahegelegenen Club gingen. Irgendwas zwischen Alternative und frühem Punkrock. Eigentlich auch egal. An der Musik hatte ich sowieso kein Interesse. Immer wenn wir loszogen, erhoffte ich mir eine Bekanntschaft, die meine Sabi ersetzte. Und immer sah ich mich um und wusste, dass es die nicht gab. So auch an diesem Abend. Also ab an die Bar.
Ich stieg auf einen der Hocker und nahm Blickkontakt zum Barmann auf.
„Gib mir eins“, sagte ich mit hochgehaltenem Daumen.
„Ein was?“
„Ein Bier!“
Mit einem großen Schluck spülte ich die Trauer weg, die ich empfand, wenn ich mich an Sabi erinnerte. Jedenfalls bildete ich mir ein, dass ich sie wegspülte. Sabi hasste mich immer, wenn ich betrunken war, und ich hasste mich, wenn sie mich dafür hasste.
„Gleich noch eins“, sagte ich zum Barkeeper.
Ich kippte den Rest vom ersten rein und ging mit einem neuen nach draußen, um mir eine anzustecken. Im Handy schaute ich mir alte Bilder von ihr an, als ich im Augenwinkel ein Mädel auf mich zukommen sah.
"Hi, hast du mal Feuer?"
Ohne was zu sagen, hielt ich ihr das Feuerzeug hin. Sie zündete ihre Zigarette an.
"Wie heißt du?", fragte sie.
"Thommy."
"Hab dich hier noch nie gesehen, Thommy."
"Gleichfalls." Ich wollte, dass sie ging. Die Gedanken an Sabi zogen mich zu sehr runter. Mein Gesichtsausdruck sollte eigentlich jedem zu verstehen geben, dass mir nicht nach labern zumute war. Noch erstaunlicher also, dass mich die Kleine ansprach.
Mein Desinteresse schien ihr egal zu sein. Sie sabbelte und hörte nicht auf. Ihr Körper war gut. Kleine Brüste. Zarter Arsch. Haarfarbe wie Sabi.
Ich ließ mich drauf ein und nach einer Weile wollte ich es mit ihr tun. Aus irgendeinem Grund tat mir das Mädel gut. Sie quatsche einem echt das Ohr ab, und mit dem, was sie sagte, holte sie sogar ein kleines Lächeln aus mir raus.
Inzwischen hatten wir draußen Holzstühle abgegriffen. Sam wusste, was ich vorhatte, und deckte uns daher fleißig mit Drinks ein. Es erleichtert einem die Sache, wenn man sich nicht dauernd selber um Nachschub kümmern muss. Wir wurden voll. Für einen Moment vergaß ich sogar Sabi.
"Boar, ich hab keine Lust, jetzt noch mit dem Fahrrad nach Hause." Es war kurz vor halb sechs.
"Wo wohnst du denn?"
"So halbe Stunde mit Fahrrad."
"Echt…?"
Sie schaute zu Boden und verfiel in Gedanken. Ich steckte mir eine an. Es verging die erste Minute, in der sie keinen Mucks von sich gab.
"Ich komm einfach mit zu dir", sagte ich.
"Nein, das geht nicht, ich muss morgen früh raus."
Ich glaubte ihr kein Wort.
"Dann nicht."
In diesem Moment dachte ich, dass sie einfach nur meine Lage erkannt hat, dass sie gesehen hat, wie beschissen es mir geht. Sie wollte mich wohl nur aufheitern, mir ein bisschen was von ihrer guten Laune abgeben.
Wir gingen zusammen los, und ich sagte, ich würde sie noch ein Stück begleiten. Meine Hoffnung, sie noch ins Bett zu kriegen, war längst weg. Nicht aber mein Verlangen.
„Danke, dass du mich nach Hause bringst, wer weiß wo ich sonst noch gelandet wäre.“
„Is doch klar, liegt sowieso aufm Weg.“
„Du studierst also?“
„Ja, will dich damit aber nicht langweilen. Ich langweil mich ja selbst schon immer, wenn ich davon erzähle.“
„Echt, is es so scheiße?“
„Will nich drüber reden.“ So ging es noch weiter, bis wir vor ihrem Haus waren. Im Grunde hielt sie einen Monolog und ich resignierte.
„Naja, da wären wir. Danke nochmal.“
„Kein Problem, wie gesagt. Das letzte Stück schaffst du allein?“
„Wird schwer, kannst ja noch mit hochkommen, wenn du Lust hast.“
„Okay.“
Ich schloss mein Fahrrad an eine Laterne vor ihrer Haustür an und folgte ihr die Treppen rauf. Ihr Hintern bewegte sich vor mir hin und her. Sie trug ein feines Sommerkleid, das mir einige Blicke auf ihre Schenkel erlaubte. Wir zogen uns die Schuhe aus, legten uns in ihr Bett und taten es.
Die Katzen nervten tierisch.
Ich glaube, die wollten raus. Da waren sie nicht die einzigen. Wie jeden Morgen, nachdem man sich sinnlos die Rübe vollgeschüttet hat, hatte ich auch an diesem das Verlangen nach etwas zu trinken, am liebsten Wasser. Viel Wasser. Wasser hilft immer am besten. Vielleicht auch Milch, aber so, wie es in dem Zimmer aussah, so, wie es roch, käme Milch hier sicher nicht in Frage.
Die Zimmertür war zu. Ich wollte sie nicht wecken, hatte aber mit dem Durst zu kämpfen. Ein Wunder, dass sie nicht von dem Lärm der rumtobenden Katzen wach wurde. Der zweifelsfrei noch vorhandene Restalkohol machte die Situation erträglich. Ich schlief erneut ein.
Als ich wieder aufwachte, war ich allein. Keine Spur von der Kleinen oder ihren Katzen. Die Tür stand offen. Ich zwang mich in die Senkrechte.
Der Geruch in dem Raum ließ mich würgen. Vielleicht war es auch der Suff. Vielleicht auch beides. Ich war nackt und hatte nicht vor, daran etwas zu ändern, selbst wenn ich gewusst hätte, wo meine Klamotten waren.
Auf dem Boden war nichts Trinkbares auszumachen, nur diese verfluchten Katzenhaare, CD-Hüllen, Bücher und anderer Kram.
Mit Mühe bahnte ich mir den Weg, vorbei an herumliegenden Büchern und Kleinteilen, auf der Suche nach dem Bad. Immer noch keine Spur von ihr. Vielleicht auch besser so. Der Einzige, dem ich jetzt begegnen wollte, war der Wasserhahn.
Fliesen auf dem Boden, endlich.
Ich verschloss die Tür hinter mir, hielt den Kopf mit dem Gesicht nach oben ins Waschbecken und genoss das kalte Wasser in meinem Hals.
Sie klopfte an die Tür.
„Hey, bist du da drin? Ich muss auch mal rein.“
Ich gab keine Antwort.
„Falls du deine Klamotten suchst, die hab ich hier.“
Noch einmal hielt ich meinen Kopf ins Waschbecken und nahm vier oder fünf kräftige Schluck. Zum Abtrocknen benutzte ich den Bademantel, der an der Tür hing. Das Handtuch neben dem Waschbecken sah aus wie der Fußboden in ihrem Zimmer.
Sie war mindestens einen halben Kopf größer als ich, und im Gegensatz zu mir hatte sie Klamotten an. Meine hatte sie, zu einem Knäuel zusammengeballt, unter ihrem rechten Arm. Den linken in die Seite gestemmt.
„Zieh dich an, oder willst du die Nachbarn vergraulen?“, sagte sie mit einem schmalen, aber liebgemeinten Lächeln auf den Lippen und warf mir das Knäuel zu.
"Danke."
Angelehnt an den Türrahmen zur Küche beobachtete sie mich beim Anziehen.
"War schön gestern mit dir.“ Sie wollte das Gleiche von mir hören, aber keine Chance. Sie war nicht Sabi. Sie war nur ein Mädchen, dessen Namen ich nicht kannte.
Leicht torkelnd versuchte ich in die Klamotten zu kommen.
"Klingt so, als hätte ich alles richtig gemacht", sagte ich, während ich in gebückter Haltung versuchte, den linken Socken anzuziehen. Sie ging an mir vorbei.
Als sie im Bad war, schnappte ich meine Schuhe und hastete das Treppenhaus hinunter. Ich schwang meine schlappen Beine aufs Fahrrad und dachte an Sabi.