Was ist neu

Schlafstörungen

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04.08.2001
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Schlafstörungen

Die Dunkelheit tröpfelt wie Wachs in das Licht des Tages hinein.
Du ahnst es erst, du fürchtest dich davor, dann siehst du es. Einer Krähe gleich senkt die Nacht ihre Schwingen über dein Heim. Und wieder beginnt der Kampf von Neuem, das Ringen um Schlaf, um Ruhe und Erholung, du hast es den ganzen Tag bange erwartet, nun ist es soweit.
Du bist vorbereitet auf das Duell, du hast deine Lektionen gelernt, du weißt, was dir bevorsteht in diesem zerwühlten, schweißfeuchten Lager, dir ist keiner der perfiden Tricks deines Feindes fremd, jede Finte ahnst du voraus. Und doch, du weißt mit der Gewissheit eines zum Tode Verurteilten, der Ausgang des Kräftemessens steht schon fest, bevor der erste Schuss gefallen, die erste Schlacht geschlagen ist. Und du fürchtest diesen Ausgang mehr als den eigenen Tod, doch du musst in den Krieg ziehen, und wage ja nicht, dich zu ergeben!
Schon lange vor der Dämmerung begannen die Vorbereitungen: keinen Kaffee, keinen Alkohol, kein schweres Essen. Wenn das Fanal erschallt, wenn die Boxer in den Ring steigen, sich in ihren Ecken warm machen und den Gegner mit abwartenden Gesten belauern, dann gibt es Milch mit Honig.
Nebenbei liest du Nietzsche, das passt.
Die Mattigkeit übermannt dich, du lauerst auf sie wie der Jäger auf die Beute. Wenn du meinst, du hast sie gepackt und gefangen, dann flieht sie, macht sich davon. Sie ist wachsamer als ein Reh – und du liest weiter Nietzsche.
Und irgendwann kommt der Moment, den du seit dem Morgengrauen fürchtest, der dich anekelt und vor dem du zurückschreckst. Doch er ist unausweichlich – du löschst das Licht.
Du beobachtest dich selbst, als seiest du ein Fremder, du schaust auf jede Reaktion deines Körpers, jedes Ansteigen und Abflachen des Herzschlags registrierst du. Geht der Atem schnell, ist er flach, dann zwingst du dich, gleichmäßig und tief Luft zu holen. Du bist darauf bedacht, ganz den Eindruck eines Schlafenden zu machen.
Du drehst dich auf die andere Seite.
Unwillkürlich ist das geschehen, du bist unruhig und fahrig, gespannt und nervös. Du suchst die angenehmste Stellung, legst dich hier-, dann wieder dorthin, drehst dich nochmals, bettest deinen Kopf anders und schließlich meinst du, bequem zu liegen. Du atmest noch einmal tief ein, kraftvoll aus. Nun kann er kommen, der Schlaf. Ruhe!
Aber die Gedanken!
Deine Gedanken spritzen durcheinander. Sie flattern davon. Dutzende, Hunderte kleiner Ideen und Geistesblitze sausen durch das ganze Zimmer, werden von den Wänden zurückgeworfen, von den Möbeln, den Behängen. Du kannst nicht einen fassen, sie wuseln durcheinander und machen sich lustig über deine Mühen. Die Gedanken sind frei, sie wirbeln kunterbunt und scheinen dich zu rufen, jeder mit seiner eigenen Stimme, in tausend verschiedenen Tonlagen. Hohe und spitze, von dort kommen tiefe, brummige, von der anderen Seite brüllende, von hier leise, wispernde, singende, krächzende, piepsige, knorrige, rauchige, schmeichelnde...
Du springst aus dem Bett und läufst hinaus, etwas zu trinken. Als du zurückkehrst, herrscht Totenstille, als wäre das Geschnatter nur in deinem Kopf gewesen.
Du versuchst es erneut. Du legst dich nieder, suchst eine bequeme Stellung. Schließt die Augen. Und der Ärger über dich selbst lässt dich einschlummern. Ganz kurz versinkst du in den heiligen Fluten – und schreckst hoch und meinst, es wären Stunden gewesen.
Dein Blick irrt durch das Dunkel des Zimmers. Was du suchst, befindet sich unmittelbar neben dir. Wie das lidlose, glühende Auge eines Nachtmahrs prangt neben deinem Kopf die Digitalanzeige des Radioweckers. Kein Wimpernschlag, nicht das kleinste Lidzucken, du wirst starren Auges unbeirrt beobachtet. Und dieses Auge zieht dich in seinen Bann. Ohne es zu wollen wirfst du Blick um Blick zu den roten Zahlen, die sich nur schleppend verändern, obschon du doch den Eindruck hast, Stunden wären vergangen.
Schweiß! Du spürst, je weiter die Zeit voranschreitet, desto feuchter werden die Laken, in denen du dich wälzt, je öfter du dich hin- und herwirfst, von einer Seite auf die andere, vom Rücken auf den Bauch und wieder zurück, desto nasser und salziger werden die Tücher, die dich umhüllen.
Und wieder packt dich die Panik. Soll sich dieser Kampf wieder hinziehen bis in die Morgenstunden? Wird es so kommen, wie in all den vergangenen Nächten, dass du tränenüberströmt aufstehst, an allen Gliedern geschlagen, abgezehrt und gezeichnet von der Müdigkeit?
Du zähmst deinen Puls, du zwingst dich, ruhig zu werden. Still! Noch ist Zeit, kaum die Hälfte der Nacht ist verstrichen. Es wird nicht lange dauern, bis der Schlaf dich findet. Du wirst es schaffen!
Und tatsächlich, kurz darauf bist du fast eingeschlafen. Deine Gedanken, soweit es noch Gedanken sind, streichen seicht über die Oberfläche deines Bewusstseins. Keine dieser Ideen dringt durch den Mantel, den du deinem Geist übergeworfen hast. Du schläfst.
Du schläfst!
Der Gedanke lässt dich hochschrecken und alle Verbindungen zur Wirklichkeit, die du gekappt hattest, sind wieder fest und stabil. Du bist zurück. Du liegst in den schweißnassen Leinen, das rote Auge des Mahrs starrt dich nach wie vor an und die Exkursion, von der du soeben zurückgekehrt bist, ist nur mehr ein Schatten.
Du bist hellwach.
Und die ersten Sonnenstrahlen kriechen durch das Fenster. Ein Tag kündigt sich an, er frisst die Dunkelheit und wird sie erst am Abend wieder ausspeien.
Der Kampf ist vertagt, bis zur neuerlichen Dämmerung hast du Zeit, dich vorzubereiten.
Doch jetzt heißt es zunächst, einen weiteren Tag zu überstehen.


ENDE

 

hi hannibal,
deine geschichte hat mir gut gefallen. Das Szenario ist perfekt beschrieben. Man konnte sich wirklich gut in die Situation hineinfinden.
Ich hab nichts daran auszusetzen.
VLG
Lathyria

 

Hallo Hanniball!

Auch mir hat Deine Geschichte sehr gut gefallen. :)

Du hast die Situation eines von Schlafstörungen geplagten Menschen, soweit ich das beurteilen kann, sehr gut beschrieben. Die nicht enden wollenden Gedanken, die sich in der Nacht um den Protagonisten schleichen und sein Herz schneller schlagen lassen als es zum Einschlafen gut ist, und dazu der Wunsch, endlich zu schlafen, können zermürbend sein.

Ein paar kleine Verbesserungsvorschläge:

»Und du fürchtest diesen Ausgang, wie du den Tod nicht fürchtest, doch du musst in den Krieg ziehen, und wage ja nicht, dich zu ergeben!«
– finde die Formulierung „wie du den Tod nicht fürchtest“ nicht glücklich, ich mußte hier überlegen, wie es gemeint ist. Vorschlag: … fürchtest diesen Ausgang mehr als du den Tod fürchtest


»Doch wenn du meinst, du hast sie gepackt und gefangen, dann flieht sie, macht sich davon. Sie ist wachsamer als ein Reh – und du liest weiter Nietzsche.
Doch irgendwann kommt der Moment, den du seit dem Morgengrauen fürchtest, der dich anekelt und vor dem du zurückschreckst. Doch er ist unausweichlich – du löschst das Licht.«
– Zu viele „Doch“

»Dein Blick irrt durch das Dunkel de Zimmers.«
– des

»je öfter du dich hin- und herwirfst, von einer Seite auf die andere, links nach rechts, vom Rücken auf den Bauch und wieder zurück,«
– „links nach rechts“ klingt unvollständig, dadurch daß Du das „von“ eingespart hast, wobei es ja dasselbe aussagt wie „von einer Seite auf die andere“, also könntest Du es auch weg lassen ;)

»Wird es so kommen, wie in all den vergangenen Nächten, dass du tränenüberströmt aufstehst, an allen Gliedern geschlagen, abgezehrt und gezeichnet von der Müdigkeit.«
– Da es sich hier eigentlich um eine Frage handelt, würde ich auch ein Fragezeichen am Ende machen.


Liebe Grüße,
Susi :)

 
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Als ich die Geschichte las, habe ich mich gefragt, warum sie nicht unter "Humor" steht - ein so banales Thema so völlig ernst nehmen kann normalerweise nur eine Groteske oder eine Satire. Allerdings ist der Text auch als Satire nicht besonders gut, es fehlte selbst dann: der Sinn. Ich verstehe nicht, wie man tatsächlich mit solchem Ernst aus einer Banalität eine Geschichte machen kann - ohne irgendeine Philosophie, ohne irgendetwas zusätzliches an Inhalt, geschrieben in einem Stil, der wie ein grelles Outfit an einer häßlichen Frau wirkt. Mag die Situtation noch so unangemessen dramatisch vom Autor beschrieben werden, die Geschichte ist leer, ich habe mich immer wieder gefragt, ob du das wirklich ernst meinen kannst; wenn du es tust, solltest du statt Nietzsche lieber Kraus lesen, denn der hat einige gute Ratschläge auf Lager: "Es genügt nicht, nichts zu sagen haben; man muss auch unfähig sein, es auszudrücken."

 

Also Hannibal, du kannst also auch einen anderen Stil wählen, wenn du willst! Astrein. Das war ne fast perfekte Beschreibung von Schlaflosigkeit. Auch die Vergleiche mit dem Boxer und den Krieg haben mir gefallen. Aber besonderst gut hat mir der rastlose Stil , indem du schreibst imponiert. (Geschickte Komasetzung!) Einfach Klasse, genaus so ist es. ich konnte deine beschreibungen nachvollziehen

Liebe grüsse stefan

 

Hallo Hanniball,
Du hast es verstanden, perfekt diesen Zustand des Nicht-einschlafen-könnens zu beschreiben, den auch ich ab und zu leider schon erlebt habe. Auch die Erzählerperspektive in der 2. Person fand ich gut gewählt.
Schöne Formulierungen wie z.B.:

Deine Gedanken spritzen durcheinander. Sie flattern davon. Dutzende, Hunderte kleiner Ideen und Geistesblitze sausen durch das ganze Zimmer, werden von den Wänden zurückgeworfen, von den Möbeln, den Behängen. Du kannst nicht einen fassen, sie wuseln durcheinander und machen sich lustig über deine Mühen. Die Gedanken sind frei, sie wirbeln kunterbunt und scheinen dich zu rufen, jeder mit seiner eigenen Stimme, in tausend verschiedenen Tonlagen. Hohe und spitze, von dort kommen tiefe, brummige, von der anderen Seite brüllende, von hier leise, wispernde, singende, krächzende, piepsige, knorrige, rauchige, schmeichelnde...
oder
Ein Tag kündigt sich an, er frisst die Dunkelheit und wird sie erst am Abend wieder ausspeien.
liessen das Lesen zu einem Vergnügen werden.
Ein einziger Punkt, wo ich persönlich was zu meckern hätte, ist der Titel: Schlafstörungen. Der verrät gleich am Anfang, um was es geht. Ich hätte glaube ich lieber etwas Umschreibendes gehabt, dass einen nicht gleich voll mit der Nase draufstösst. Ist aber nur meine persönliche Meinung, andere mögen da anders denken.

LG
Blanca :)

 

Hallo Leser!
Vielen Dank fürs den Konsum und die Kritik meines Textes. Habe mich sehr über einzelne Reaktionen gefreut.
Lathyria, freut mich, dass du die Gefühle des Prot nachvollziehen konntest, hat mir in gewissem Sinne auch Spaß gemacht, sie zu beschreiben.

Häferl, das war mir ja eine große Freude, dich hier begrüßen zu dürfen. Deine Verbesserungsvorschläge werde ich gleich einarbeiten, du hast wohl Recht. Zermürbend war im Übrigen ein Adjektiv, das ich die ganze Zeit im Unterbewusstsein hatte, es jedoch nicht an die Oberfläche zu zerren vermochte.

Arche, alter Freund, das ist ja schön, dass du auch vorbeischaust. Scheint so, als hätte der alte Mann dir nicht sonderlich gefallen, übe Nachsicht mit mir, er stammt aus einer Zeit, da ich noch nicht gnadenlos kontrolliert, kommentiert und kritisiert wurde. Natürlich bin ich in der Lage auf andere Art zu schreiben, allerdings besteht bei diesem, leicht überdrehtem Stil stets die Gefahr, dass man überkippt und sich der Lächerlichkeit preisgibt.
Ich arbeite aber an mir.;)

Blanca, schön, dass du die zweite Person ansprichst, es ist mir nicht leichtgefallen, mich dazu durchzuringen, so zu schreiben, aber hinterher schien es mir die einzig mögliche Art.

Hallo skunk, altes Stinktier:D
Ein geschwätziger, polemisierender Österreicher? Und wir reden hier nicht von Rainer:cool:
Die Polemik hast du ja schon von deinem Idol übernommen. Du kannst keinen Sinn in dem Text sehen? Ich denke, es gibt Stücke, die sich nicht ausschließlich über den Inhalt definieren.
Und somit, mein junger vorlauter Freund, werde ich mir auch weiterhin die Freiheit nehmen, kleine Episoden aus dem Menschsein zu nehmen und zu beschreiben, und die Gedanken und Gefühle der Protagonisten auf die mir angemessene Weise darzustellen, auch wenn es letztlich nur dazu dient, mein eigenes Geschick zu verbessern.

Mahlzeit!

 

hi hanni,

im wesentlichen kann ich mich bloß meinen vorrednern (rednern?) anschließen. wie du das thema wortgewaltig aufbereitest ist allererste sahne. faszinierend, wie es möglich ist, jeden noch so kleinen mikrokosmos mit worten zu sezieren und zu beleuchten.

ich habe schon selbst mal mit dem gedanken gespielt "schlaflosigkeit" in einer geschichte aufzubereiten - tja, das kann ich mir wohl jetzt schenken. :D

lg p.

 

Hi journey, hallo Blackwood!

Siehst du, eine gut, eine schlecht!:D Wobei ich die schlechte nicht als schlecht ansehe, hat doch das, worauf es mir ankam, gepasst.

journey, freut mich deinen Nerv getroffen zu haben, hoffe aber sehr für dich, dass der Inhalt nur exotischer Natur ist für dich. Offensichtlich hast du den Text nicht als Geschichte verstanden, sondern so wie er gedacht war, als Text.

Wobei wir übergangslos bei Blackwood sind. Ich bin mir bewußt, dass dieses Stück in keinster Weise als KG durchgeht, das allerdings trifft auf mindestens 25 Prozent der Texte hier zu. Nimm es einfach als - Skizze - so wie ein Maler eine Studie macht, um sich seinem Objekt zu nähern, weiß nicht ob das so verständlich ist.

Das, worauf es mir ankommt, hast du hervorgehoben:

Gewohnt schöner Stil mit teilweise starken Bildern,

Einen Denkfehler deinerseits muss ich korrigieren:

Heißt übersetzt so viel wie: Seit ich die Geschichte geschrieben habe, schlafe ich besser?

Hmmh, wäre cool, ist aber nicht so, obwohl ich teilweise meine Katharsis vorantreibe durch das Schreiben meiner billigen Geschichtchten. Ich meinte eher, dass ich das Geschick verbessere, Erzählungen zu verfassen.
Vielleicht kann man den Text auch eine Fingerübung nennen.

Viele Grüße von hier aus!

 

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