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Schlaflose Nächte
Vergangene Nacht war es wieder soweit, sie sind wieder da. Gut, diesmal war es nur ein Einzelkämpfer, den ich schnell ermorden konnte, nachdem er mein Blut getankt hatte, aber die Invasion ist nur noch eine Frage der Zeit. Ich meine die Invasion der Gelsen.
Letzte Nacht, um genau 04.39 erwachte ich aus einem Traum und spürte ein klitzekleines Pieksen in meinem rechten Ellbogen. Auch einige leise Schlürfgeräusche waren zu vernehmen - in etwa so, als ob man mit einem Strohhalm die letzten Reste aus einem Glas saugen würde. Bestens geübt von den in den vergangenen Jahren ausgeführten Insektenjagden holte ich instinktiv zu einem kräftigen Schlag aus und ließ ihn auf besagtem Ellbogen niedergehen. Mit Erfolg, die Gelse mußte ihre Trinktätigkeit augenblicklich einstellen und zog mit einem wütenden 'sssssss' ab.
Sofort rannte ich zum Lichtschalter meines Zimmers und betätigte ihn, worauf ich mich wegen der blendenden Wirkung auf meine noch an die Dunkelheit gewöhnten Augen mit der Stirn auf den Türstock abwenden mußte. Nach intensivem Reiben des Kopfes wurde es mir auch wieder möglich, meine Sehinstrumente ohne Blendschmerz zu öffnen; nötig, um das lästige Insekt auszumachen. Nachdem ich die weißen Wände nach einem schwarzen Punkt abgesucht hatte (die Wände waren von meiner Lieblingsmutter frisch gestrichen worden, um all die kleinen Blutflecken an der Wand zu verstecken) und keinen gefunden hatte, deaktivierte ich das Licht und spielte erneut das ahnungslose Opfer, scheinbar schlafend im Bett liegend. Die Gelse war wegen ihres jungen Alters noch sehr unerfahren und ging schon wenige Minuten darauf in meine Falle. Allerdings bemerkte ich dies nicht, weil ich eingeschlafen war.
Ein erneuter kleiner Stich weckte mich wieder, und der Hieb in Richtung des vermuteten Sitzplatzes der hungrigen Mücke entlarvte sie erneut. Ihr aufgeschrecktes 'sssssssss' verriet mir sofort ganz genau ihre ungefähre Position. Mit einem Satz sprang ich zum Lichtschalter und drückte ihn erneut. Diesmal klappte es, trotz geblendeter Augen konnte ich sie in der Luft kreisend sehen, nahm eine Zeitung zur Hand, faltete diese geruhsam einmal in der Mitte und wartete auf eine Ruhepause des Insektes. Die Ruhepause kam, und die Gelse ging.
Ins Jenseits.
Leider ist es mir bewußt, daß das nur der Anfang war, von nun an wird es täglich schlimmer. Ich habe gehört, daß es in Afrika Stechmückenarten gibt, die die Schlafkrankheit verbreiten, bei uns in Europa dagegen rauben sie uns die Nachruhe. Glückliches Afrika.
Sicherlich habe ich schon meine Methoden entwickelt, um der Gelsenplage zu entgehen, aber ein geschlossenes Fenster in einer heißen Sommernacht ist auch nicht gerade förderlich für einen erholsamen Schlummer. Auch die diversen Mittelchen, wie ätherische Öle, gewisse Pflanzen und sonstige Bio-Gelsenbekämpfungsratschläge fruchten in Wahrheit nicht. Hingegen arbeiten die Geräte, die laut Werbung nur für die Minivampiere hörbaren Ultraschall abgeben, richtig. Ich höre nichts, die Gelsen aber fragen sich, was da wohl so seltsam klingen mag und kommen neugierig in mein Zimmer geflogen.
Nun ist es ja so, daß man den Gelsen als gläubiger Mensch ruhig ein wenig unseres Blutes geben könnte, denn der kleine Einstich bereitet nun wirklich keine Schmerzen. Wenn da nicht der anschließende Juckreiz wäre. Wenige Stunden nach der Bluttransfusion wird sich an der angezapften Stelle ein kleiner, rötlicher und juckender Fleck bilden, der nur dann verschwindet, wenn man ihn nicht reibt, kratzt oder sonst irgendwie daran herumfummelt.
Wenn doch, dann revanchiert sich der Fleck indem er etwas größer und der begleitende Juckreiz nach kurzer Pause heftiger wird.
Da sitzt man dann also und hält krampfhaft seine Hände zurück, damit sie ja nur nicht an die beißende Stelle gelangen. Ich habe es einmal schon geschafft, diesen Zustand zwei volle Stunden aufrecht zu erhalten, aber dann brach mein Wille endgültig zusammen. "Ahh, jaaa tut das gut, jaaa, ja genau da, jaaaa, jaaaa, jajaaaAAAA!!!"
Das die Erlösung bringende Gefühl ist ungefähr mit einem mittelmäßigen Orgasmus gleichzusetzen oder mit einem schlechten - kommt auf die Mücke an. Verständlich, daß alle Menschen nach einiger Zeit der Rubbelei frönen. Andere sind schließlich für dasselbe Gefühl bereit, ein Jahrzehnte andauerendes Martyrium, ein Kind, in Kauf zu nehmen. Warum darf ich mir dann keinen größeren juckenden Fleck leisten?
Na also. Darum reibe, kratze, beiße und spucke ich so viel, solange es mir die erwünschte Befriedigung und den roten Fleck zum Wachsen bringt.
Allerdings geht man ein gewaltiges Risiko ein, wenn man diesen bösartigen Mücken erlaubt, uns gratis auszubluten, denn man kann an einer unzugänglichen Stelle, etwa zwischen unseren Schulterblättern erwischt werden. Was für einen allein lebenden Menschen ein schwerer Schlag sein kann, denn nun müssen Stühle, Tische, Schrankecken und andere Kanten deren verlängerten Arm spielen. Leider sind diese Möbel bei weitem unsanfter als unsere menschlichen Mitbewohner, die man schon mit wenigen Hinweisen wie "mehr links", "etwas nach oben", "jaaaa, genau da" zur schmerzenden Stelle dirigieren kann. Jene bemitleidenswerten Singels können diesen Luxus wie gesagt nicht genießen, was schon zu manchem aufgeschundenen Rücken geführt haben mag. Ja, ich vermute sogar, daß die vielen Selbstgeißelungen mancher Mönche im Mittelalter nur wegen der ungünstigen Lage ihres Klosters direkt neben einem Sumpfgebiet durchgeführt worden sind.
Am einfachsten wäre es jedoch, wenn man einen Weg finden würde, den heimtückischen Biestern von vornherein zu entgehen. Sicherlich, ein Moskitonetz würde mich vor den Stichen dieser nachtaktiven Viecher schützen, aber das eigentliche Problem ist ja nicht der Juckreiz nach, sondern die Schlaflosigkeit vor der Blutspende. Die Natur war dumm genug, dafür zu sorgen, daß uns ein schneidendes 'sssssss' aus jedem noch so tiefen Schlaf reißen kann. An ein Einschlafen ist dann überhaupt nicht mehr zu denken, selbst dann, wenn man alle Saugrüsselvampiere niedergemetzelt und gleichmäßig auf der Wand verteilt hat. Erstens tauchen immer wieder neue Schlafstörer aus immer neuen Fugen und Ritzen auf, um ihre gefallenen Kameraden zu ersetzen und uns in den Wahnsinn zu treiben, immer dann, wenn wir gerade wieder vom Sandmännchen übermannt wurden. Und zweitens, selbst gesetzt dem unwahrscheinlichen Fall, daß man eine Schlacht gewonnen hat, kann man nicht wieder einschlafen, weil das 'ssssss' die Eigenschaft eines Ohrwurms hat.
Auch wenn der letzte Plagegeist von meiner Zeitung dahingerafft wurde, das 'sssss' hat sich mit Sicherheit bereits tief in meine Seele eingebrannt. Eine Art akustische Halluzination also.
Dutzende Male springe ich daraufhin zum Lichtschalter, nur um nach erfolgter Erhellung des Raumes feststellen zu müssen, daß nicht das geringste tierische Leben in meinem Zimmer haust. Natürlich zwingt man sich von da an, bei jedem vernommenen Summen zu sich zu sagen 'Ach das bilde ich mir nur ein' und still liegen zu bleiben. Ein zartes, beinahe hingehauchtes Stechen von dem Körperteil, wo man glaubte, sich das 'ssss' eingebildet zu haben, bringt uns dann zu der Erkenntnis, daß es auch einzelne Tarnkappenbomber unter den Unmengen von Gelsen geben muß. Vielleicht wurden sie auch nur durch das Licht, das man alle zwei Minuten eingeschaltet hat, angelockt.
Unter all den Tips zur Vernichtung der sicherlich organisierten Beutezüge gibt es auch einige, mit denen ich mein Glück versuchte. Ein weiser Eremit, der inmitten eines mückenverseuchten Sumpfgebietes lebt, gab mir z.B. eine Information, wie er mit der Plage fertig wird. Jeden Tag geht er auf die Jagd und erlegt einen Hirsch, eine Wildsau oder auch nur einfach ein Reh und legt es als Ablenkung für die Stechmücken vor seine Höhle, die somit Insektenleer bleibt. Auch die Fledermäuse in seinem Zuhause nehmen an diesem Festmahl teil. Natürlich habe ich diesen Rat nicht beherzigt, dazu bin ich viel zu tierlieb, aber er brachte mich auf eine gute Idee.
Ich überwand meine mir angeborene Scheu vor Spinnen, ging in den nächstbesten Wald und sammelte einige Dutzend dieser nützlichen Tierchen ein. Spinnen, sagte ich mir, spinnen Netze und fressen Fliegen und auch Mücken, sie sind also der von der Natur gedachte Feind der Sauger meines Blutes. Darum setzte ich sie gleich darauf in meinem Zimmer aus, öffnete mein Fenster provokativ weit und ließ die Spinnen eifrig ihre hoffentlich todbringenden Netze bauen. Dann ging ich beruhigt zu Bett.
Am nächsten Morgen wollte ich mir den Erfolg sofort ansehen, aber ich konnte nicht. Meine Augenlider waren von Einstichen übersät und somit geschwollen, aber warum? Waren es der Gelsen zu viele gewesen, daß sich meine Spinnen alle überfressen hatten, oder waren die Netze einfach zu klein? Vielleicht hatte ich in meiner Unwissenheit auch vegetarische Spinnen eingefangen, die sich von den Pflanzensamen in ihren seidigen Gebilden ernähren. (Ich weiß sehr wohl, daß es solche nicht gibt, aber wenn ich etwas nicht verstehe, dann zweifle ich lieber an den Naturgesetzen als an meinem Verstand.) Jedenfalls wußte ich den Grund für das Versagen der Spinnen nicht, zumindest solange, bis sich die Schwellung linderte, gerade soweit, daß ich meine Augen wieder ein wenig öffnen konnte. Was ich sah, war niederschmetternd.
Alle Spinnen lagen tot am Boden.
Blutleer.
Alle bis auf eine, sie hatte es offenbar vorgezogen, der drückenden Übermacht ihrer revoltierenden Mahlzeiten zu entfliehen und in den Freitod zu gehen.
Einsam hing sie erdrosselt an dem von ihr gesponnenen Faden.
Es ist einfach hoffnungslos. Es gibt kein Mittel gegen sie.
Entweder ich ersticke im meinem, aufgrund des geschlossenen Fensters, heißen Zimmer, oder ich muß mich wohl oder übel ausbeuten lassen. Die einzig wirksame Waffe gegen die im Schatten der Nacht agierenden Insektendraculas ist und bleibt noch immer der Winter.
Und die Zeitung, sie hilft nach wie vor und ist am besten dazu geeignet, unsere Rachegelüste direkt ausleben zu können. Die Zeitung ist wirklich totsicher. Ein vorbeugender Insektenspray bleibt einfach uninterssant, erstens kann man nicht atmen und zweitens will ich den blutgierigen Monstern in dem kurzen Augenblick vor ihrem Tod in die Augen sehen, von Mann zu Frau.
Da wäre auch schon der nächste und für mich nicht gerade überraschende Punkt: die lebenssaftgeilen Insekten sind, wie die meisten Herren schon vermutet haben werden, allesamt Weibchen, ihre zahmen männlichen Artgenossen ernähren sich, wie könnte es auch anders sein, von dem süßen Nektar schöner Blumen und bestäuben sie dabei. Ein friedliches Dasein führen sie im Gegensatz zu ihren amazonenhaften schlechteren Hälfen, die Tag für Tag in den Krieg ziehen und uns Menschen ausbluten lassen.
Aber all das löst meine Probleme nicht, ich habe nach wie vor keine Ahnung, wie ich mich den Gelsen erfolgreich stellen, oder besser gesagt, erfolgreich entziehen könnte.
Wer ein wirksames Rezept parat hat, möge es mir bitte zukommen lassen, ich werde in der Zwischenzeit an meiner Einstellung arbeiten, vielleicht finde ich ja doch einmal einen Weg,um in friedlicher Eintracht mit dieser ganz speziellen Art der Säugetiere zu leben.
Wie sagen wir Österreicher so schön: " 's Glück is a Vogerl.' "
Weil ein Vogerl Gelsen frißt.