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Schlaflied

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28.12.2001
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Schlaflied

Sanft wiegte er das rosafarbene Baby auf seinem Arm hin und her. Wie sehr hatte er es sich gewünscht. Als sie zu ihm kam und ihm mitteilte, sie trüge ein Kind in sich, nahm er sie in den Arm. Er fühlte es, das Baby, das neue Leben in ihr. Auch sein Leben, sein Blut, seine Liebe, seine Chance, geboren aus seinem Sperma, dass sich in ihr ergossen hatte. Pulsierende Wärme erstrahlte sich über ihren Bauch, der sich fest an sie schmiegte, über seine Lenden direkt in sein Herz. Ab diesem Moment hatte er begonnen, dass Kind zu lieben.
Viele Wochen vergingen, er wollte geduldig sein, was ihm nicht immer gelang. Auf den vollkommensten Menschen zu warten, den man jemals lieben durfte, solange Zeit. Auf winzige Bilder starren zu müssen, die wie Tintenkleckse anmuteten, wenn das Leben doch so nah war. Die Leibesfülle der Frau sah er wie einen Schutz um das ungeborene Wesen, nichts konnte ihm Schaden. Im Krankenhaus war er so aufgeregt, dass er einer Ohnmacht nah war: Heute würde es kommen. So klein war es, so zart. Winzige Nägelchen zierten winzige Finger. Auf dem Kopf war kein Haar, außer ein winziges Strichlein über den neugierigen kleinen Augen. Sie sahen in die Welt und waren bereit für das Abenteuer Leben. Jetzt war es zu Hause. Er wog und wog es, es durfte Stunden dauern. Wenn es weinte bekam es seine Milch oder einen Tee, wenn es sich in die Windeln entleerte eine Frische. Zudem streichelte er zart die kleinen Füße, tastete sich am Beinchen hinauf, kraulte das Bäuchlein, klopfte den Rücken, berührte die Wangen und ertastete zärtlich das Köpflein. Es weinte noch immer. Aber er sagte ihm, dass alles gut sei. Das er es liebte. Das seine Eltern es liebten. Es sei in einem warmen Nest in einer kalten Welt und würde das Fliegen lernen. Es weinte, er wiegte es ein wenig stärker, dynamischer, beruhigender. Und küsste die Tränen weg von seinem Körper.
Und dann schloss er die Augen und schwebte mit dem geliebten Krümelchen in seinem Arm davon. Er tanzte mit ihm in der Luft, drehte sich im Kreis und sang laut, was auch seine Mutter gesungen hatte. Er sang lauter und lauter und das Baby schrie nicht mehr, sondern lachte und lachte, bis ihm die Tränen kamen. Sie lachten und weinten vor Freude und drehten sich und drehten sich und tanzten.

An einem Morgen im Winter kam eine Frau zur Polizei. Sie vermisste ihr zehn Tage zuvor neugeborenes Mädchen. Sie habe nur den Schlüssel im Einkaufskorb am Boden gesucht, als sie hinter sich ein Geräusch hörte und jemand mit dem Kinderwagen um die Ecke in den Flur des Mehrfamilienhauses verschwand. Man solle ihren Nachbarn befragen, der sich immer rührend um das Kind und sie gekümmert habe, er hätte kurz vor der Entführung noch mit ihr gesprochen. Sie hätte ihn aber nicht antreffen können.
Sie atmete schwer und war sichtlich in Panik.
Die Polizisten fuhren mit der Frau nach kurzen obligatorischen Formalitäten sofort zu dem Haus. Aus des Nachbars Wohnung kam laute Musik. Dieser öffnete aber auch bei lautem Klopfen nicht. Die Polizisten schellten mehrfach und beschlossen dann, die Tür gewaltsam zu öffnen.

Die Musik unterbrach. Der Tanz war vorbei. Das Kind in seinem Arm weinte wieder. Fremde Leute wollten es ihm wegnehmen, wo war des Kindes Mutter? Sie müsse ihnen sagen, dass es sein Leben war. Sein Baby. Sein Halt. Ganz fest nahm er es in den Arm, er ginge jetzt sofort zur Mutter. Niemand dürfe dem Kind etwas tun.
Die Polizei sah den Nachbarn wie er mit geröteten Wangen das Kind durch die Luft wirbelte, dann augenblicklich still hielt, sich auf den Boden fallen ließ und das Kind in seinem Schoß verbarg. Er ließ nicht ab von dem Mädchen, von dem kein Laut zu vernehmen war. Er saß gebeugt über ihm und küsste seine Stirn.

Die Polizisten überwältigten den Mann.

Vater, aber Vater, siehst du denn nicht. Das Kind lachte nicht mehr, es sang auch nicht. Es flehte ihn an. Böse Männer entrissen ihm das Kind. Er entschuldigte sich bei ihm, er könne nicht mehr aufpassen. Es wär vorbei. Er liebe es. Er schrie als sie über ihn herfielen. Das wird er sich nie verzeihen, er sollte doch aufpassen....
In seinen Armen, das Kind war tot.


 

Hey Meike,
*tiefes Durchatmen*, schwer nach so einer Geschichte was zu sagen.
Das Thema ist sehr intensiv, der Schluss ist überraschend und schockierend, doch er bringt die Geschichte in der nötigen Konsequenz zu einem Ende. Besonders eindringlich machen die Geschichte vor allem auch die Sichtweisen aus denen berichtet und geschildert wird, obwohl ein wenig mehr Klarheit hier sicher auch nicht geschadet hätte.
Es ist manchmal etwas schwer sich Bewußt zu machen aus welcher Sichtweise gerade erzählt wird, unterstützt aber das zum Ausdruck kommen, der mit Sicherheit gewollten Konfusion des Protagonisten.
Sprachlich ist sie ganz in Ordnung, einige Formulierungen lesen sich aber etwas holprig und wirken störend. Da lässt sich mit Sicherheit aber auch noch dran rumschrauben. Falls du Einzelheiten möchtest gebe ich dir gerne ein paar Beispiele, musst nur Bescheid sagen.
Um es aber auf den Punkt zu bringen hier mein allgemeines Fazit: *ernstes Seufzen* Nicht schlecht, wirklich nicht schlecht!
Gruss
Roman

 

Hi Meike

Erst mal prüfen, ob ich den Inhalt verstanden habe: Gehen wir mal vom ersten Absatz aus. Bei dem Nachbarn scheint es sich um den biologischen Vater des Kindes zu handeln. Er hat eine Beziehung zu der Mutter, denn sie teilt ihm mit, dass sie ein Kind bekommt und beide freuen sich.
Dann ist das Kind bei ihm. Wahrscheinlich mehrere Tage lang, da er es stundenlang wiegt und regelmäßig die Windeln wechselt.

Und dann kommt der zweite Absatz mit der Mutter. Dieser lässt nur einen Schluss zu: Der Mann hat sich die ganze Vorgeschichte nur eingebildet und muss deshalb verrückt sein. Denn das Kind kann ja höchstens eine halbe Stunde bei ihm gewesen sein, weil sie sofort die Polizei gerufen hat.

Nicht verstanden habe ich, wie das Kind umgekommen ist - oder war das nur symbolisch gemeint? Könnte ich mir aber auch nichts drunter vorstellen.

Habe ich alles richtig verstanden?

Übrigens scheint mir eine derart kurze Geschichte mit zwei Perspektiven überfrachtet zu sein. Die Angst der Mutter kann ich auch so nachvollziehen. Und über den Nachbarn erfährt man nicht genug um seine Motivation nachvollziehen zu können

 

Hallo Meike!

Eine tolle Geschichte! Im ersten Absatz war der Stil einmalig, gefühlsbetont, überschäumend. Man kann die Liebe zu dem kleinen Wesen direkt spüren.
Ich sehe die Geschichte so, dass der Mann irgenwann in seinem Leben, vor Monaten oder vor Jahren vielleicht, die Geburt seines Kindes erwartet hat.
In der Zwischenzeit ist viel passiert, was ihn dazu gebracht haben muss, ein fremdes Baby zu stehlen. Das Baby, auf das er sich gefreut hätte, gibt es - aus welchem Grund auch immer - nicht für ihn. So ist er gezwungen, sich eines zu holen. Eine Geschichte, die man hauptsächlich von Frauen kennt.

Eine interessante Verknüpfung zum Erlkönig, die du zum Schluss herstellst! Daran habe ich Gefallen gefunden und mir schwant, dem Vater in deiner Geschichte starb das leibliche Kind. Dadurch fühlt er sich gezwungen, andere Babys, fremde nämlich, beschützen zu müssen - bis in den Tod (des Babys).

Aber was auch immer ich hier hineininterpretiere oder herauslese, ob du es so gemeint hast oder doch ganz anders: Die Geschichte ist toll zu lesen und jeder kann sich seinen Sinn daraus machen. Dass du deinen Leser in eine bestimmte Richtung zwingen willst, davon gehe ich nicht aus, sonst wärst du deutlicher geworden.

Ein paar Tippfehler sind noch drinnen, die du sicher selber finden wirst. :D

Liebe Grüße
Barbara

 

@ Prodi.
Klar will ich Einzelheiten. Wär super, wenn Du Dich damit nocheinmal befassen könntest.
Danke fürs Lesen!

 

Hallo Quasimodo.
Dachte mir, das Kind ist einfach umgekommen, weil er es in seinem Tanz zu grob gedreht hat, ohne es zu merken. Dachte mir der Umgang mit dem Kind ist völlig anders, als er es empfindet.
Klar hast Du alles richtig verstanden, Barbara hat recht, wenn sie sagt, jeder soll seinen eigenen Sinn darin schaffen.
Das mit dem Perspektivengetümmel auf zu wenig Platz werde ich mal umändern - guter Tipp. Mich hat da auch was gestört.

 

Hallo Barbara,
danke fürs Lesen. Und für den Tipp mit den Rechtschreibfehlern (peinlich, peinlich und ich hab schon korrigiert)...begebe mich mal auf die Suche.

 

Hallo Meike,
kommen wir also mal auf die Sprache zu sprechen, habe einfach mal so zusammengefasst, was mir so aufgefallen ist. Sei noch vorher zu sagen, dass das wie gesagt meine Vorschläge sind und es völlig in Ordnung ist wenn es dir nicht passt, was ich Vorschlage.

Auf den vollkommensten Menschen zu warten, den man jemals lieben durfte, solange Zeit
Satz ist hier unvollständig und wirkt holprig, außerdem würde ich das "man" durch ein "er" ersetzten, du beziehst dich ja auf ihn, oder?
Dieselbe Kritik am nächsten Satz.

. Er wog und wog es, es durfte Stunden dauern.
Durfte Stunden dauern? hört sich merkwürdig an.

Wenn es weinte
vergleicht damit mal das hier, steht ein paar Zeilen später und stellt offenbar einen Bezug her. Den Unterschied macht das "Wenn" davor.
Es weinte noch immer.
Siehst du was ich meine?

klopfte den Rücken
hmm??? :confused:

Die Musik unterbrach.
hört sich nicht besonders gut an.

das Kind durch die Luft wirbelte, dann augenblicklich still hielt, sich auf den Boden fallen ließ und das Kind in seinem Schoß verbarg
Hier könntest du die Spannung mit Punkten besser zum Ausdruck bringen. Versuche doch irgendwo noch ein einzelnes Wort, wie z.B. "Stille" einzusetzten.

Vater, aber Vater, siehst du denn nicht.
Wirkt überzogen, außerdem wird der Bezug nicht klar.

Das Kind lachte nicht mehr, es sang auch nicht
Das Kind hat aber vorher noch kein einziges mal gesungen,oder?

Er entschuldigte sich bei ihm, er könne nicht mehr aufpassen. Es wär vorbei. Er liebe es.
Sorry, aber hier wird überhaupt nicht klar wer was sagt und was meint. Klarer gestalten.

In seinen Armen, das Kind war tot.
Vielleicht besser so(?): "Das Kind in seinen Armen weinte nicht mehr, lachte nicht mehr. Es war tot."

So, dass zu den Einzelheiten die mir so direkt aufgefallen sind. Vielleicht schaust du dir den Txt auch nochmal selber an. An manchen Stellen wirkt der Text zu distanziert, liest sich fast stoisch. Besonders in der mittleren Passage.

Hoffe ich habe dir etwas geholfen, würde mich freuen zu hören, was du über die Vorschläge denkst.
Gruss
Roman

 

Nein! Nein! Auf keinen Fall den letzten Satz ändern, wenn du den Bezug auf die Ballade herstellen willst!
"Vater, aber Vater, siehst du denn nicht" verliert dann völlig an Bedeutung.
Die Idee ist toll und verleitet dazu, die Rolle des Vaters in der Ballade zu überdenken. Es könnte ja auch anders gewesen sein, als wir es in der Schule lernten?

Liebe Grüße
Barbara

 

@ Prodi

Danke Dir. Ich werde hier zwar nichts mehr ändern, habe es vorhin versucht, aber es ist in mir irgendwie "abgeschlossen". Bin ein fauler Leidenschaftsschreiber...Es bricht aus und ist dann wieder vorbei. Plane nichts und habe deswegen Schwierigkeiten den Stil wieder auf zu nehmen, wenn das Feuer aus ist.

Werde Deine stiltechnischen Verbesserungen aber im nächsten Text aufnehmen und weiß auch ,was Du meinst.
Außer das mit dem Distanzierten, der stoischen Wirkung.
Ich finde so eine Wirkung schafft Raum für erschreckenden Effekte und gibt so ein Gefühl im Bauch (schwer zu sagen).

Aber Danke Dir - es hat mir geholfen!

 

@ Barbara

Ok,ok ich ändere erstmal nichts. Danke für das "Gute-Idee-Kompliment" und Deinen Einsatz :-) .

 

Hi, Meike,

die Geschichte ist ziemlich gut geschrieben und durch ihre sachliche Erzählweise schon wieder emotional (hört sich komisch an, ich weiß ;)). Was mir weniger gefallen hat, ist der verwirrende Handlungsstrang. Mir geht's da wie Quasimodo; ich habe Probleme, alles richtig einzuordnen...

Gruß,
stephy

 

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