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Schlaflied
Sanft wiegte er das rosafarbene Baby auf seinem Arm hin und her. Wie sehr hatte er es sich gewünscht. Als sie zu ihm kam und ihm mitteilte, sie trüge ein Kind in sich, nahm er sie in den Arm. Er fühlte es, das Baby, das neue Leben in ihr. Auch sein Leben, sein Blut, seine Liebe, seine Chance, geboren aus seinem Sperma, dass sich in ihr ergossen hatte. Pulsierende Wärme erstrahlte sich über ihren Bauch, der sich fest an sie schmiegte, über seine Lenden direkt in sein Herz. Ab diesem Moment hatte er begonnen, dass Kind zu lieben.
Viele Wochen vergingen, er wollte geduldig sein, was ihm nicht immer gelang. Auf den vollkommensten Menschen zu warten, den man jemals lieben durfte, solange Zeit. Auf winzige Bilder starren zu müssen, die wie Tintenkleckse anmuteten, wenn das Leben doch so nah war. Die Leibesfülle der Frau sah er wie einen Schutz um das ungeborene Wesen, nichts konnte ihm Schaden. Im Krankenhaus war er so aufgeregt, dass er einer Ohnmacht nah war: Heute würde es kommen. So klein war es, so zart. Winzige Nägelchen zierten winzige Finger. Auf dem Kopf war kein Haar, außer ein winziges Strichlein über den neugierigen kleinen Augen. Sie sahen in die Welt und waren bereit für das Abenteuer Leben. Jetzt war es zu Hause. Er wog und wog es, es durfte Stunden dauern. Wenn es weinte bekam es seine Milch oder einen Tee, wenn es sich in die Windeln entleerte eine Frische. Zudem streichelte er zart die kleinen Füße, tastete sich am Beinchen hinauf, kraulte das Bäuchlein, klopfte den Rücken, berührte die Wangen und ertastete zärtlich das Köpflein. Es weinte noch immer. Aber er sagte ihm, dass alles gut sei. Das er es liebte. Das seine Eltern es liebten. Es sei in einem warmen Nest in einer kalten Welt und würde das Fliegen lernen. Es weinte, er wiegte es ein wenig stärker, dynamischer, beruhigender. Und küsste die Tränen weg von seinem Körper.
Und dann schloss er die Augen und schwebte mit dem geliebten Krümelchen in seinem Arm davon. Er tanzte mit ihm in der Luft, drehte sich im Kreis und sang laut, was auch seine Mutter gesungen hatte. Er sang lauter und lauter und das Baby schrie nicht mehr, sondern lachte und lachte, bis ihm die Tränen kamen. Sie lachten und weinten vor Freude und drehten sich und drehten sich und tanzten.
An einem Morgen im Winter kam eine Frau zur Polizei. Sie vermisste ihr zehn Tage zuvor neugeborenes Mädchen. Sie habe nur den Schlüssel im Einkaufskorb am Boden gesucht, als sie hinter sich ein Geräusch hörte und jemand mit dem Kinderwagen um die Ecke in den Flur des Mehrfamilienhauses verschwand. Man solle ihren Nachbarn befragen, der sich immer rührend um das Kind und sie gekümmert habe, er hätte kurz vor der Entführung noch mit ihr gesprochen. Sie hätte ihn aber nicht antreffen können.
Sie atmete schwer und war sichtlich in Panik.
Die Polizisten fuhren mit der Frau nach kurzen obligatorischen Formalitäten sofort zu dem Haus. Aus des Nachbars Wohnung kam laute Musik. Dieser öffnete aber auch bei lautem Klopfen nicht. Die Polizisten schellten mehrfach und beschlossen dann, die Tür gewaltsam zu öffnen.
Die Musik unterbrach. Der Tanz war vorbei. Das Kind in seinem Arm weinte wieder. Fremde Leute wollten es ihm wegnehmen, wo war des Kindes Mutter? Sie müsse ihnen sagen, dass es sein Leben war. Sein Baby. Sein Halt. Ganz fest nahm er es in den Arm, er ginge jetzt sofort zur Mutter. Niemand dürfe dem Kind etwas tun.
Die Polizei sah den Nachbarn wie er mit geröteten Wangen das Kind durch die Luft wirbelte, dann augenblicklich still hielt, sich auf den Boden fallen ließ und das Kind in seinem Schoß verbarg. Er ließ nicht ab von dem Mädchen, von dem kein Laut zu vernehmen war. Er saß gebeugt über ihm und küsste seine Stirn.
Die Polizisten überwältigten den Mann.
Vater, aber Vater, siehst du denn nicht. Das Kind lachte nicht mehr, es sang auch nicht. Es flehte ihn an. Böse Männer entrissen ihm das Kind. Er entschuldigte sich bei ihm, er könne nicht mehr aufpassen. Es wär vorbei. Er liebe es. Er schrie als sie über ihn herfielen. Das wird er sich nie verzeihen, er sollte doch aufpassen....
In seinen Armen, das Kind war tot.