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Schlaf gut!
Malcolm.
Jetzt stehe ich schon wieder, wie jedes Jahr hier und muss mich fertig machen, nur um wie jedes Jahr zu hören wie jämmerlich mein scheiß’ Leben doch ist.
Dieser gottverdammte Drecksack!
Mit seinem ach so tollen Job.
Mit seiner ach so tollen Frau und ihrem ach so tollen Haus und nicht zu vergessen seine zwei scheißtollen Kinder!
»Schatz, bist du soweit? Wir müssen los«
»Ja, ich komme gleich!«, rief er seiner Frau zu, die bereits mit den Kindern zusammen unten an der Haustür auf ihn wartete.
Kannst es wohl kaum abwarten den Wichser wieder zu sehen! Standest ja in der Highschool schon immer auf ihn.
Jedes Weihnachten die gleiche Scheiße…
»Hier bin ich doch schon! Wir können los…«, sagte Malcolm während er die Treppen runterging.
»Wir kommen noch zu spät! Los jetzt!«
»O nein! Dann schnell los! Bevor wir unsere Gastgeber noch warten lassen!«, kotzte er seiner Frau förmlich entgegen.
»Malcolm! Dein Bruder und Susie freuen sich jedes Jahr darauf, dass wir zusammen Weihnachten feiern! Sei nicht immer so griesgrämig, Herrgott«
»Aber Baby, ich freue mich doch auch darauf meinen lieben Bruder wiederzusehen!«, entgegnete er ihr mit einer Art Grinsen auf dem Gesicht.
Die 45-minütige Fahrt kam ihm vor, wie ein Sekundenschlag. Schade, dass er nicht in einem anderen Bundesstaat oder besser in einem anderen Land wohnt.
Sie fuhren die Auffahrt zu seinem Anwesen hoch und er sah den strahlenden und bewundernden Blick im Gesicht seiner Frau.
Wenn sie jetzt auch nur ein Wort gesagt hätte wäre er durch die Decke des Fords gegangen.
Vor der doppelflügligen Eingangstür seines Hauses stand sein nagelneuer Porsche.
Als hätte er keinen Platz in der Garage für dieses Ding! Aber nein, er muss mir ja bereits am Anfang zeigen, was für ein toller und erfolgreicher Hecht er ist.
»Wow, er hat schon wieder einen Neuen! Was so einer wohl kostet?«, wagte sich Judy zu sagen.
»Keine Ahnung, Schatz. Aber bestimmt so viel wie ich in sechs Jahren verdiene!«
»Malcolm!«, stieß Judy aus und gab ihrem Ehemann somit zu verstehen, dass er besser nichts mehr sagen sollte, wenn es nur aus Selbstmitleid bestünde.
Judy drückte die Türklingel und der Glockenschlag von Türklingel hallte durch dieses Schloss von Haus und es hörte sich an, als würde in einer Kirche ein Handy anfangen zu klingeln. Kurze Zeit später, also so viel Zeit, wie es benötigt um durch die langen Korridore des Hauses zu eilen, um die Tür zu öffnen, öffnete sich die eine Hälfte der Flügeltür und Susie, Malcolms Schwägerin stand vor ihnen.
»Brian, dein Bruder und Judy sind hier!«, sang die Frau meines Bruder förmlich durch die Eingangshalle.
Das ehemalige Model umarmte meine Frau so herzlich und gleichzeitig verachtend wie es nur möglich war.
Ja, du Schlampe siehst aus wie ein Model - alle wissen es!
»Hey, Susie! Wie schön dich wieder zu sehen!«
Und dann endlich… Eure königliche Hoheit höchst selbst stolzierte wie in einem schlechten Film die Treppen der Eingangshalle herab.
Gott beschütze den König - meinen Bruder.
»Malcolm, schön dich wieder zu sehen!«, kam er auf ihn zugestürmt und umarmte ihn! Malcolm hätte ihm über seinen Rücken kotzen können!
Nach der herzlichen Begrüßung saßen sie wenige Augenblicke später an einer langen, herrlich gedeckten Tafel, die voll war mit Gerichten, die ein extra für diesen Abend bestellter Koch in der riesige Küche für sie kochte.
Was kostet wohl ein Privatkoch, der an Heiligabend nicht bei seiner Familie ist, weil er hier für uns kochen muss.
Hier sieht man mal wieder schön was für ein egoistischer Dreckskerl mein Bruder ist, der einen Koch ausgerechnet an Weihnachten mietet. JA! Vielleicht will der arme Kerl auch gar nicht bei seiner Frau und seinen Kindern sein!
»Ich hole uns noch eine Flasche Wein! Malcolm du hast heute einen gesunden Durst was, Brüderchen«, gluckste Brian und stand auf und verließ den Speisesaal in Richtung seines Weinkellers.
»Ich gehe mal lieber mit ihm und schaue was er da für einen Fusel raus sucht«, sagt Malcolm zu dem Rest und quetschte ein kleines Lachen heraus.
In der Küche huschte der Koch umher, der gerade mit der Zubereitung der Nachspeise beschäftigt war und bemerkte ihn gar nicht, wie er durch die Tür schlupfte und die Kellerstufen hinab stieg.
Da stand der gute Brian nun und musterte den Flaschenrücken irgend eines französischen Fusels und bemerkt ihn gar nicht, als er sich ihm von hinten näherte. Seine Hand glitt in die Innentasche meines Sakkos und tastete nach der Kuppe der Spritze, die sich in ihr verbarg. Er griff nach der Spritze und zog sie langsam aus der Tasche hervor. Brian bemerkte ihn immer noch nicht, also löste ich langsam die Schutzkappe von der Nadel und näherte sich ihm mit großen, leisen Schritten.
Er packte seinen Kopf von hinten und drückte ihn gegen seine Brust, als drauf rammte er ihm die Nadel der Spritze hinter dem Ohrläppchen in den Kopf direkt in sein Hirn.
Ohne einen Mucks brach er in seinen Armen zusammen und sank zu Boden.
Er lies seinen Bruder los und er knallte mit einem dumpfen Geräusch auf den steinernen Boden des Kellers.
»HILFE! SCHNELL! RUFT EINEN KRANKENWAGEN!«, rief er panisch die Treppe hinauf. Doch er wusste, dass bereits alles passiert war.
Er hatte das Nervengift von einem Typ aus Italien gekauft, den er übers Internet kennenlernte. Er hat ihm alles genau erklärt und gesagt, wo er es injizieren muss und was genau passieren wird.
Über ihm sprangen die beiden Frauen inklusive der Kinder hektisch auf und rannten Richtung Keller. »All die Jahre, war ich immer nur die Nummer zwei! Du warst immer die große goldene Nummer eins! Mum und Dad liebten dich schon immer mehr als mich! Du bekamst alles was du wolltest. Sogar den Kredit für deine Firma haben sie dir gegeben. Und was war mit mir? Ich habe nie irgendetwas von ihnen bekommen! »Wir müssen alle hart für unser Geld Arbeiten«, bekam ich zu hören, als ich 400$ für die Reparatur meiner alten Karre brauchte.
Du hast immer alles geschenkt bekommen in deinem Leben!
Ja, sogar meine Frau hat mehr Interesse an dir, als an mir. Oder denkst du ich hätte eure kleine Liaison in der Highschool nicht mitbekommen? Mich hat sie doch dann nur als Trostpflaster bekommen!
Aber damit ist jetzt endlich Schluss! Jetzt werde ich dich endgültig beerdigen, Bruderherz!«
Als das Getrappel die Kellertreppe runter kam war es um meinen Bruder nun endgültig geschehen.
Es war ein schnellwirkendes Gift, das binnen Sekunden das Rückenmark zerfraß und meinen Bruder völlig lähmte. Sein Herzschlag wurde zunächst in eine Art Koma versetzt, so dass ein Arzt den Tod diagnostizieren würde, doch er war nicht Tod. Brians Körper war tot, aber er lebte in ihm weiter. Seine Hirntätigkeit ist nämlich noch voll funktionsfähig - er hörte alles was um ihn rum geschah.
Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis die beiden Frauen plötzlich im Keller standen und lauthals anfingen zu schreien.
Judy wandte sich direkt um und hielt die Kinder von der Leiche ihres Vaters und ihres Onkels fern. Sie führte sie direkt wieder die Treppen hinauf.
Susie zerbrach am Boden und schrie den halben Keller zusammen.
Sie rannte zu ihm rüber und warf sich neben ihn auf den Boden. Sie tastete hektisch nach seinem Hals, um irgendeinen nicht vorhandenen Puls zu erfühlen - doch sie würde keinen mehr finden.
Malcolm rannte nach oben, um den Notarzt zu rufen. Irgendjemand müsste ihm schließlich den Tod dieses Mistkerls bestätigen.
Keine zehn Minuten später war die Einfahrt der Villa erfüllt mit Blaulicht und Sirene. Die Sanitäter stürmten den Weinkeller und fingen an Brian zu reanimieren.
Susie fand sich nun wieder und begann erneut an zu bibbern und zu weinen. Sie wuselte wie ein Hund um die Sanitäter herum.
Du dummes Stück würdest sie besser ihre Arbeit machen lassen. Aber es wäre auch egal, weil ihm nicht mehr zu helfen war.
Eine weitere Ewigkeit später unterbrachen die Sanitäter ihre Reanimationsversuche und wandten sich der frischen Witwe zu. Sie brach in den Armen des einen Sanitäters zusammen, der ihr gerade mitteilte, dass ihr geliebter Mann das zeitliche gesegnet hatte.
Ich wäre am liebsten direkt nach Hause gefahren, aber meine liebe Frau bestand darauf, dass wir bei Susie und den Kindern bleiben. Jetzt musste ich sogar noch in seinem beschissenen Haus schlafen.
Aber ich konnte mich damit abfinden, weil es nun endlich vorbei war. Der Wichser war tot und sobald die Beerdigung über den Tisch gelaufen ist, bin ich ihn endlich los und kann mein eigenes Leben leben, ohne in seinem Schatten zu stehen.
Er musste sich zurück halten mit seiner guten Laune und in den nächsten Tagen so tun als würde er über seinen Bruder trauern.
Brian.
»Ich gehe mal lieber mit ihm und schaue was er da für einen Fusel raus sucht«, hörte er Malcolm hinter sich zu der restlichen Familie sagen.
Ja, er ist nicht unbedingt derjenige, der seine Gefühle offen in die Welt schreit, aber ich kenne meinen Bruder und weiß, dass er in seinem Inneren einen weichen Kern hat.
Der Wein macht ihn mittlerweile auch schon gesprächiger, als er am Anfang war. Nüchtern ist er verschlossener, aber der Wein lockerte seine Zunge - wie damals auf dem College.
Hier unten muss sich irgendwo noch eine Flasche von dem guten Franzosen verstecken. Wer räumt diese Flaschen eigentlich immer in das unterste Regal und den ganzen billigen Fusel nach oben.
Brian ging in die Hocke, um eine Flasche französischen Rotwein aus dem unteren Regal zu holen, als ihn plötzlich sein Todesengel von hinten überfiel. Noch ehe er sich umdrehen konnte, durchbohrte ihn ein stechender Schmerz, der gleich hinter seinem Ohr einschlug.
Es fühlte sich an, als würde sich ein heißer Speer bis in sein Gehirn bohren. Er wollte seine Hand instinktiv zu der schmerzenden Stelle an seinem Kopf strecken, jedoch spürt er bereits die warme Flüssigkeit, die sich in seinem Schädel ausbreitete und seine Muskeln erschlaffen ließ. Er klappte zusammen und wurde nur von den Händen seines Angreifers getragen. Ihm wurde schwarz vor Augen und er fühlte seinen restlichen Körper nicht mehr…
Momente vor der Ankunft.
»Wann haben sie gesagt wollten sie hier sein?«
»Um sechs Uhr, Schatz«, sagte Susi während sie Brian über die Schulter strich.
Brian saß an seinem Schreibtisch und war immer noch nicht fertig mit den Unterlagen, die noch vor Jahresabschluss fertig sein mussten. Aus diesem Grund konnte er auch nicht am Heiligenmorgen eine Pause einlegen.
»Wirst du bis dahin fertig?«
»Ich beeile mich, Susie. Ich freue mich die vier wieder zu sehen«
»Ich weiß Brian«, sagte Susie wandte sich dem Fenster neben dem Schreibtisch zu und blickte in den verschneiten Garten, »nur wird deine Freude nicht ganz geteilt.«
»Schatz, bitte nicht schon wieder!«, sagte Brian und blickte von seinen Unterlagen zu ihr hoch.
»Doch, Brian! Du redest es dir immer schön und versuchst ihn zu schützen, dabei weißt du ganz genau, dass er so gut wie nichts von dir hält und eifersüchtig auf dich ist!«
»Susie«, sagte Brian leise, »Du weißt das Malcolm ein wenig seltsam ist, aber er ist mein Bruder und ich bin der Seine! Ich liebe ihn und auch wenn er es nicht immer ausdrücken kann fühlt er das Gleiche!«
Susie rollte mit den Augen und atmete schwer aus, während sie das Arbeitszimmer verlies. »Ja, du kennst ihn am besten.«
Brian wusste, dass Susie es nur gut meinte und manchmal einfach etwas übertreibt - wie alle Frauen es manchmal tun. Er schenkte ihr beim herausgehen ein liebevolles Lächeln und machte sich danach weiter an seine Unterlagen.
»Brian sie sind da!«, rief Susie freudig die Treppe hinauf.
Brian klappte sofort sein Laptop zu und ging voller Vorfreude in die Eingangshalle seiner Villa, in der sein Bruder und dessen Familie gerade die große Eingangstür durchquerten.
»Da seid ihr ja endlich! Mein Bruder und seine wunderbare Familie! Lasst euch umarmen!«
Brian drückte Malcolm an sich und umarmte ihn fest. Danach umarmte er Judy und seine Nichte und Neffen.
»Los, rein mit euch! Wir fangen gleich mit der Vorspeise an!«
Die beiden Familien saßen gemeinsam an der großen reichlich gedeckten Tafel im Speisezimmer des Anwesens. Es wirkte von Außen recht harmonisch, wie die vier Kinder miteinander lachten, während sie sich mit dem für manche Kindermünder zu großen Besteck die Delikatessen des Chefkochs in ihre kleinen Münder beförderten oder wie die beiden Frauen zusammen lachte und Brian immer wieder irgendwelche Stichpunkte einwarf, welche zu noch größerem Gelächter führten. Es schien so als hätten alle Beteiligten Spaß an der lustigen Versammlung zu Tisch - alle außer einer - Malcolm. Malcolm starrte sich jeden Bissen angewidert an, bevor er ihn förmlich von der Gabel abnagte. Er schien völlig unbeteiligt an den Gesprächen mitzuwirken. Er saß einfach nur mit am Tisch, passte aber nicht so richtig in das Gesamtbild der fröhlichen Familienfeier.
»Wir sollten nächsten Sommer wieder alle zusammen wegfahren! Wisst ihr noch? Wie der Sommer `90 in dem Haus. Ihr wisst schon: das Haus direkt am See! Nur dieses Mal sollten wir dann einige Aktionen auslassen, wenn die Kinder dabei sind«, sagte Brian und zwinkerte den drei Erwachsenen am Tisch zu, während er so tat als würde er einen imaginären Rauch auspusten.
»Brian! Das ist eine hervorragende Idee!«, stimmte Judy lachend zu, »Und ja, vielleicht sollten wir uns dann wirklich etwas erwachsener verhalten!«, fügte sie hinzu und stieß Malcolm mit der Absicht an, dass er sich dazu nun endlich äußern solle.
»Ja, aber unbedingt müssen wir das tun! Wie im Sommer `90 nur ohne den Schweinskram und die Drogen«
Ein kurzes Schweigen am Tisch trat ein. Judy blickte unter sich und Susie rollte erneut mit ihren Augen, wie in Brians Arbeitszimmer.
»Ja, ich finde wir sollten uns ein paar gemeinsame Tage gönnen. Den Kindern würde das bestimmt auch gut gefallen, nicht wahr?«, sagte Brian, um die Stille zu brechen und blickte lächelnd zu den Kindern, die kurz darauf in lautes Gejubel ausbrachen.
Der Hauptgang wurde serviert und Brian unterhielt weiterhin mit seinen Monologen über den gemeinsamen Urlaub die Gesellschaft am Tisch.
»Oh, na jetzt ist schon wieder die Flache leer! Malcolm du scheinst heute besonders durstig zu sein, was Brüderchen«, sagte Brian, während er sich vom Tisch abdrückte, um Richtung Weinkeller zu gehen.
An das, was ab diesem Zeitpunkt geschah konnte er sich nur noch verschwommen und verwaschen erinnern. Er ging schon etwas schwankend die Kellertreppe hinunter und stand vor den großen Weinregalen. Er bemerkte Malcolm gar nicht, wie er die Treppe hinunterkam und sich ihm näherte. Er war sich keiner Gefahr bewusst, als ihn plötzlich von hinten jemand überrumpelte und ihm eine glühende Speerspitze in den Kopf rammte.
»HILFE! SCHNELL! RUFT EINEN KRANKENWAGEN! BRIAN!«
Liegend - schwarz.
Sein Umfeld nahm er nur noch benommen wahr und die Stimmen um ihn herum erschienen verschwommen und abgehackt.
Er spürte seinen Körper nicht mehr und fühlte nichts, außer seine Gedanken, die in seinem Kopf umher prallten.
Das Geschrei um ihn herum verstummte und er vernahm die Stimmen zweier Männer:
»Zeitpunkt des Todes: 20:34 Uhr«
»Und das an Heiligabend… Na frohe Weihnachten für die Witwe und ihre Kinder.«
»Lass dir den Abtransport von einen der Angehörigen unterschreiben. Alan und ich bringen ihn zum Wagen.«
Der Mann mit der schwarzen Jacke stand neben seinem Kollegen auf und ging von ihm und der Leiche, von der er gerade den Totenschein ausgestellt hatte, weg. Er ging auf die Angehörigen des Toten zu, um sich den Abtransport in die örtliche Leichenhalle abzeichnen zu lassen. Er stand vor Susie, die in Judys Armen hing und bitterlich und lauthals weinte. Hinter den Erwachsenen stand die Gruppe aus vier Kindern, die von einem Rettungssanitäter zusammengehalten wurde. Der Rettungssanitäter versuchte den Kindern möglichst die Sicht auf die Leiche ihres Vaters beziehungsweise des Onkels zu versperren. Die Kinder weinten und versuchten immer wieder zu ihrem toten Vater zu gelangen, doch der Rettungssanitäter hielt sie fest beisammen. Als zwei weitere Männer mit einem Kunstoffsarg die Treppen hinunterkamen stieß die frische Witwe einen erneuten ohrenbetäubenden Schrei aus und wandte sich in Judys Armen hin und her.
»NEIN! Ich will zu meinem Mann«, schrie sie und riss sich los,»Brian! Wieso? Lass uns hier nicht zurück. Ich brauche dich! Deine Kinder brauchen dich. Ich liebe dich! Bitte komm zu mir zurück!«.
Susie kniete neben ihrem toten Ehemann und schlug ihm klagend gegen die Brust. Ihr Gesicht war rot und mit Tränen überzogen, die aus ihren geschwollenen Augen rausquollen. Judy und ein Mann vom Bestattungsinstitut versuchten sie sanft von dem abkühlenden Leichnam weg zuziehen, doch sie klammerte sich fest an ihn. »Lasst mich bei ihm! Ich kann ihn nicht gehen lassen!«
Fernab von dem Geschehen stand Malcolm, der angestrengt versuchte nicht zu lachen.
Judy blickte zu ihm und forderte ihn mit ihren Blicken auf ihr zu helfen, seine Schwägerin von seinem toten Bruder zu lösen. Doch Malcolm dachte nicht auch nur eine Sekunde daran hier irgendwem zu helfen. Er nahm das Klemmbrett eines Mitarbeiters des Bestattungsinstitutes, um den Abtransport zu unterschreiben. »Sie wollen also ein Autogramm von mir?«, sagte Malcolm beabsichtigt übertrieben arrogant zu dem Bestatter und lächelte ihm zu. Der Bestatter war sichtlich irritiert von Malcolms Witz und blickte ihn vorwurfsvoll an, wie er es denn wagen könnte auch nur ansatzweise zu lächeln. »Wie bitte?«, brachte er schließlich immer noch irritiert hervor. Malcolm blickte tiefatmend zur Decke und wandte sich dann schließlich wieder dem Bestatter zu. »Wo soll ich unterschreiben?«, blaffte er den Bestatter schroff an, der darauf kurz zusammen zuckte.
Der Bestatter wies auf das Unterschriftenfeld am Fuß des Dokuments und Malcolm unterschrieb es ohne weitere große Worte oder Witze.
Zwischenzeitlich ist es auch dem Bestatter und Judy gelungen Susie von Brian wegzubekommen. Susie hing auf wackligen Beinen zwischen Judy und dem Bestatter. Die beiden anderen Kollegen hievten Brian würdevoll in den mitgebrachten Sarg und verschlossen diesen darauf. Augenblicke später war Brian im Sarg in die Luft gehoben und wurde endgültig und für immer aus seinem Haus getragen.
Im verschlossenen Sarg kam er gedanklich erneut zu sich und fing an zu realisieren was in den letzten Minuten um ihn herum passierte. Er konnte sich nicht bewegen und er spürte auch weder seine Beine, seine Arme oder sonst etwas von seinem restlichen Körper. Ihm wurde relativ schnell klar, dass ihm außer seiner Gedanken nichts mehr geblieben ist und dass er in seinem Körper gefangen war. Er versuchte sich irgendwie bemerkbar zu machen. Er versuchte aufzustehen; sich zu drehen und zu wenden; zu schreien, doch der Leichnam im Inneren des Sarges, der sich nun bereits in Richtung Leichenhalle befand bewegte sich keinen Millimeter. Er war kalt und leblos. Brian realisiert nun immer mehr, dass es kein böser Traum war, sondern, dass alles um ihn herum wirklich geschah. Es war wirklich passiert.
Er starb vor nicht ganz einer Stunde in seinem Weinkeller und alles was nun noch von ihm übrig war waren seine Gedanken. Ob es so wäre, wenn man stirbt? Ob es sich so anfühlt im Jenseits zu sein? Es war nicht mal ansatzweise so, wie man es ihm immer erzählte. Hier gab es kein Himmel. Keine Engel oder gar irgendwelche anderen Seelen.
Hier war einfach nichts. Leere. Schwarz.
Er vernahm die Gespräche des Fahrers und des Beifahrers des Leichenwagens, die sich hinter ihm über die noch kommenden Festtage unterhielten. Von dem anfänglichen Schock über den plötzlichen und tragischen Tod des Familienvaters war nun nichts mehr zu hören. Es ging um das Essen und die Geschenke, die beiden ihren Lieben schenken werden.
Was würde jetzt mit ihm geschehen? Wie lange würde er wohl jetzt in seinem fleischigen Gefängnis feststecken? Würde ihm jemals Erlösung ereilen und sei er verdammt auf ewig in seiner menschlichen und verwesenden Hülle zu schmoren. Und um was auf dieser Welt hätte er dies verdient…
Nach der etwa zwanzig minütigen Fahrt zur Leichenhalle wurde der nun endgültig verhärtet Körper des Familienvaters in eine Kühltruhe geschoben. Die Bestatter hatten ihm kurz nach ihrem Ankommen die Augen geschlossen, so dass er nichts mehr sehen konnte außer das Schwarz in seinem Kopf. Seine Gedanken kamen zurück zu seiner Familie. Was würde Susie nun tun, jetzt wo er ihr so plötzlich genommen wurde. Wie würde es George und Bill nun jetzt ergehen? Er würde sie nie zu Männern aufwachsen sehen. Er würde nie die Abschlussfeiern seiner beiden Söhne besuchen können. Er würde sie nie wieder lachen hören und er könnte sie nie wieder ermahnen im Haus nicht mit ihrem Fußball zu spielen. Er fing bei diesen Gedanken an zu weinen. Er spürte wie dicke Tränen über seine Wange hinunter rinnen und sich weiter an seinem Hals vorbei zogen. Aber es war alles bloß in seinem Kopf.
Dem Brian, der nun am 24. Dezember in einem Kühlfach in der Leichenhalle lag würde nie wieder irgendetwas über die Wangen rinnen. Sein Körper war tot und er würde in wenigen Tagen anfangen in einem Erdloch zu verwesen und sein Geist seine gute Seele möge wohl dazu verdammt sein für alle Ewigkeit in seinem verwesenden Körper eingesperrt zu sein. Er schrie. Doch vergebens, niemand konnte ihn hören! Er besaß keine Gewalt mehr über seine Stimmbänder oder sonst irgendetwas. Alles was ihm bleibt sind seine Gedanken.
Er würde nie wieder von der Arbeit heimkommen können und sich von seiner Frau mit einem liebevollen Kuss begrüßen lassen. Seine High-School-Liebe, die nach sechs Jahren Beziehung seinem Heiratsantrag unter Tränen annahm würde nun ohne ihn weiterleben müssen. Sie war bei ihm, als er noch am Anfang seiner Karriere stand. Als sie noch kein großes Haus hatten, in welchem man sich verlaufen könnte. Sie hielt weiterhin zu ihm, auch als sie die Hochzeit ein zweites Mal verschieben mussten, weil es gerade in seiner jungen Firma drunter und drüber ging und er alles versuchte die Lage zu stabilisieren. Sie musste, wenn er es sich genau überlegte immer zurückstecken und auf einiges verzichten, nur damit er Karriere machen konnte. Aber sie müsste sich dafür bis zum heutigen Tage auch nur ein einziges Mal für irgend ein abgesagtes Abendessen oder Konzertbesuch beschweren. Sie war das Beste, was ihm je passieren konnte. Wenn er nur noch einmal ihre Stimme hören und ihre Lippen küssen könnte…
In den kommenden drei Tagen durchlebte Brian sein gesamtes Leben erneut durch seine Erinnerungen - von seiner Kindheit über die Pubertät bis auf den Abend, als er seine Familie das letzte Mal sah und mit dem Gedanken verließ eine neue Flasche Rotwein zu holen.
»Nun gut, kommt! Stellt euch alle um den Tisch herum. Seht ihr alle auf den Tisch? Mr. Davis kommen Sie doch bitte etwas näher, damit sie auch alles sehen!«, sagte Dr. Kensington, der seine Studenten um den Präparationstisch in der Leichenhalle versammelte.
»Nun gut! Wer hat die Akte gelesen und kann uns etwas über den Leichnam erzählen? Ja, Mr. Lewis!«
»Männlich, weiß, 43 Jahre alt, starb an Heiligabend, keine Vorerkrankungen.«
»Sehr gut, dann schauen wir ihn uns mal an«, sagt Dr. Kensington und deckte das Leichentuch über Brian auf und offenbarte der versammelten Studentenschaft seinen nackten Leichnam.
»Die Familie des Verstorbenen hat diese Obduktion angeordnet weil er wohl auf tragische Art und Weise urplötzlich und ohne Vorzeichen in den Armen seines Bruders am heiligen Abend starb. Zunächst betrachten wir die äußere Oberfläche des Körpers und sehen was?«
»Nichts, Doktor!«
»Richtig! Äußere Einwirkungen können wir demnach vorerst ausschließen«
Brian verließ seine Gedanken und lauschte den Stimmen der Studenten und des Rechtsmediziners um ihn herum, die hoffentlich das Geheimnis um seinen Tod bald lüften würden.
»Ich habe ihn natürlich zuvor bereits gründlich von Kopf bis Fuß untersucht und ebenfalls keine äußeren Verletzungen gefunden. Wir werden nun einen Schnitt vom Sternum bis zum Schambein ansetzten, um den Torso des Herren zu öffnen, um zu sehen, ob sich in seinem Inneren etwas offenbart, was auf seinen Tod zurückzuführen ist.«
Brian bis innerlich die Zähne aufeinander, da er sich vor dem Schnitt fürchtete, welcher ihn jeden Moment aufschneiden würde. Er wartete und wartete und vergaß dabei, dass der Körper welcher vor drei Tagen noch sein eigener war nun nicht mehr ihm zur Verfügung stand, sondern nur noch als sein eisiger Kerker diente. Er löste seine Verkrampfung als er die Stimme des Rechtsmediziners hörte, der gerade darüber sprach, dass er sein Herz wohl in den Händen hielt, um es genauer zu untersuchen. Er hatte ihm sein Herz aus der Brust geschnitten. Die Vorstellung an diesen Anblick, brachte ihn förmlich um den Verstand. Was würden sie als nächstes aus ihm herausnehmen und wann würde endlich jemand sagen, was ihn dahingerafft hatte.
Nach einer Stunde Obduktion verkündete der Rechtsmediziner nun endgültig das Resultat für die Todesursache des armen Mannes, der in den Armen seines Bruder an Heiligabend verstarb.
»Nun gut, wir müssen wohl jetzt schließlich sagen, dass der arme Mann hier an einem einfachen plötzlichen Herzversagen gestorben ist. So etwas ist sehr tragisch vor allem in solchen Fällen, wenn der Verstorbene Familie hinterlässt und dann auch noch an solch einem sonst friedlich und liebevollen Tag…«
Das war es also. Sein Herz hörte einfach so auf zu schlagen. Was wäre wohl passiert, wenn er nicht so schnell seinen Wein getrunken hätte, um eine neue Flasche holen zu können. Wäre er dann wohl möglich vor seiner gesamten Familie in seine Teller gefallen und wäre einfach tot gewesen. Vielleicht war es so dann doch besser. So hat es wenigstens niemand direkt mitbekommen und seine Kinder müssten nicht in vielen Therapiestunden den Anblick verdauen, wie ihr Vater an Weihnachten in seine Vorspeise gefallen ist und plötzlich tot war.
Es vergingen weitere drei Tage, in denen Brian in dem Tiefkühlfach der Leichenhalle über sein Leben nachdachte und darüber wie seine Kinder ohne ihren Vater aufwachsen werden und, ob seine geliebte Frau eines Tages eine neue Liebe finden würde.
Ruhe in Frieden.
Am Morgen des 30. Dezember wurde der Leichnam von Brian vom Bestattungsinstitut abgeholt und für seine Bestattung am Mittag vorbereitet. Der Schnitt wurde fest zugenäht und er wurde in einen schwarzen Anzug gekleidet und von der Bestatterin für die Aufbahrung hergerichtet.
Auch in Brains ehemaligen Anwesen richtete sich die Trauergemeinschaft für die Bestattung her. Um 13 Uhr fuhr eine Limousine vor, die sie alle zum Friedhof brachte. Die beiden Schwägerinnen standen in schwarzen Kleidern vor der Kapelle, in welcher Brians Leichnam aufgebahrt war.
»Ich kann das einfach nicht, Judy! Ich versteh es nicht und ich will es auch nicht verstehen! Man geht doch nicht einfach in den Keller und fällt tot um…«
»Susie… Der Schock sitzt in uns allen immer noch genau so tief wie in dir. Keiner von uns hat die letzte Woche durchgeschlafen«, sagte Judy während sie ihr die Schulter sanft streichelte.
»Ich kann das alles nicht! Ich kann mich nicht von ihm verabschieden! Ich bin noch nicht bereit dazu.« Susie brach nun zum sechsten Mal für heute in Tränen aus und sackte in den Armen ihrer Schwägerin zusammen.
Malcolm klopfte ihr unbeholfen auf die Schulter und öffnete die Tür zur Trauerhalle, in welcher sich der Sarg mit Brians Leichnam befand. Susie erhaschte einen Blick in das Innere der Trauerhalle und blickte geradewegs auf den halboffen Sarg mit Brian. Sie stieß einen schrillen Schrei aus und sank noch tiefer in Judys Arme.
»Ich gehe mich von meinem Bruder verabschieden. Ich brauche eine Augenblick mit ihm alleine«
»Malcolm? MALCOLM!« Er hörte seinen Bruder. Es war Malcolm! Seine Stimme drang bis zu ihm im Sarg vor und er erkannte klar seinen Bruder. Der Schrei seiner Frau blieb ebenfalls nicht ungehört. Ihr lautes Heulen durchströmte die Halle und ließ Brian einen Schauer durch seinen kalten steifen Körper treiben. Die Tür schloss sich hinter Malcolm und das Weinen seiner geliebten Ehefrau wurde flacher und leiser.
Sechs Tage nach seinem tragischen Tod im Keller war es endlich soweit und er stand in einer wunderschönen geschmückten Trauerhalle vor dem Sarg seines Bruders. Es war ein großer schwerer Sarg aus Teakholz. Das wäre sein »Lieblingsholz« gewesen. Was ein Schwachsinn! Wer hat denn bitte eine Lieblingsholzsorte. Aber das war mal wieder typisch für seinen Bruder, dachte sich Malcolm und verdrehte dabei unter einem lauten Schnauben die Augen. Hauptsache er hatte etwas, was sich sonst niemand leisten konnte. Der scheiß Sarg hat wohl so viel gekostet, wie er selbst in einem halben Jahr verdiene, aber natürlich nur das Beste für den lieben Brian.
Der Sarg war aufgebahrt und er lag darin, gebettet auf rotem Samt. Brian sah so aus als würde er friedlich schlummern, dass er innerlich schrie bekam niemand mit.
»Na, Briani? Wie geht es dir heute? Hörst du mich noch? Ich hoffe, dass du mich noch hörst!«
»Ich höre dich, Bruder! Ich vermisse euch alle so sehr! Wie geht es Susie und den Kindern? Ich vermisse sie so sehr«, schrie Brian unter Tränen seinem Bruder entgegen.
»Ich würde ja gerne sagen, dass es mir leid tut und dass es nicht soweit hätte kommen müssen«, sagte Malcolm, der die Schreie seines Bruders nicht wahrnahm, »aber das wäre eine dreckige Lüge! Ich freue mich so sehr dich nun endlich nicht mehr ertragen zu müssen!«
Brian stockte der Atem und er verlor schlagartig seine Stimme. Wie konnte er so etwas bloß sagen oder gar denken. Sein eigener Bruder freute sich über seinen Tod? Er verstand nicht, was gerade um ihn herum passierte. Ja, er wusste dass sein Bruder schwierig war und dass wenn er ehrlich zu sich wäre wüsste er auch, dass Malcolm schon immer ein bisschen sauer oder eher eifersüchtig auf ihn war. Aber dass er froh sei, dass sein einziger Bruder gestorben ist… Das hätte er niemals gedacht. Er dachte er würde seinen Bruder kennen… Ihn wirklich kennen und wüsste, dass er hinter seiner harten Schale butterweich wäre, aber allmählich schien er zu begreifen, wie sein Bruder wirklich war.
»Ich habe dich gehasst! Du hattest immer alles und warst immer der Liebling aller. Ja, sogar meiner Frau hast du von Beginn an den Kopf verdreht! Denk ja nicht ich wüsste das nicht, was auf dem College zwischen euch lief oder auf der High School. Ich war doch nur ihre zweite Wahl, weil sie dich nicht haben konnte. Und das spüre ich jedes Mal, wenn es darum geht, dass wir »meinen lieben Bruder« wieder besuchen müssen.«
»Malcolm…«, setzte Brian an, doch wurde gleich durch Malcolms Monolog unterbrochen.
»Ich konnte es nicht mehr hören. Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen. Ich konnte es nicht mehr ertragen dich zu sehen oder von dir zu hören. Ich hab deinen Tod so sehr herbeigesehnt, aber du hartnäckiger Wichser wolltest einfach nicht von selbst gehen. Also tat ich das einzig Richtige, was man tut, wenn Ungeziefer nicht gehen will - man kauft sich Insektenvernichter!«
Brian verstand sofort was Malcolm damit sagen wollte.
»Ich hab es genossen, als du in meinen Armen leblos zusammengebrochen bist. Es war wie eine Erlösung für mich, wie ein schweres Laster, was von meinen Schultern in meine Arme fiel, so dass ich es endlich wegwerfen konnte.«
»Du hast mich getötet. Du hast mich einfach so getötet.« In Brian stieg eine ihm unbekannte Wut auf. Die ganze Zeit dachte er, dass ein Herzversagen dafür sorgte, dass er seiner Familie genommen wurde und jetzt wurde ihm an seinem Grabe gesagt, dass sein eigener Bruder ihn einfach so getötet hatte. Er würde seine Frau und seine Kinder nie wieder sehen und so wie es aussah die Ewigkeit in einem Sarg verbringen und das alles nur weil sein kleiner Bruder eifersüchtig auf ihn war. »Du gottverdammter Scheißkerl!«, brach es aus Brian hinaus und er versuchte förmlich in die Richtung, aus der die Stimme seines Bruders kam, zu schreien und nach ihm zu greifen. Er schlug und tritt in seinem Kopf um sich und versuchte alles, um an seinen Bruder zu kommen.
»Aber weißt du, es hat mir nicht gereicht dich einfach nur zu töten - nein. Ich wollte, dass du leidest, aber es musste natürlich aussehen wie ein Unfall. Ich habe meine angsterfüllten Schreie wochenlang geübt.«
»Wieso, Malcolm? Wieso hast du mir das angetan. Wieso hast du das meiner Familie angetan…«
»Hilfe, Hilfe! Schnell ruft einen Krankenwagen«, rief Malcolm und riss dabei panisch seine Arme in die Luft. Er fing an zu lachen und blickte in Richtung Tür um nachzusehen, ob jemand seine schauspielerische Lage gehört hatte. »Ich wollte, dass du dafür bezahlst! Dafür dass du immer der Bessere warst und ich immer nur die Nummer zwei war. Ich besorgte mir aus dem Internet eine besondere Droge. So ein verrückter Spinner aus Italien hat sie mir verkauft, wenn du mich fragst war er schwul und nutzte das ganze aus um mich anzubaggern. Er fragte mich die ganze Zeit, ob ich ihn besuchen würde. Er hätte ein großes Haus in der Nähe des Meeres. Aber wie dem auch sei, er besorgte mir diese Droge, die den Körper lähmt, aber die Gedanken weiter laufen lässt. Der Körper stirbt und wird zur toten Hülle des noch lebenden Geistes. Ja, du solltest von meiner Bildfläche verschwinden, aber du solltest alles mitbekommen. Ich wollte, dass du leidest. So leidest wie ich immer litt, wenn es um meinen ach so tollen Bruder ging. Und so wie ich das sehe hat es auch funktioniert. Auch wenn du mich jetzt vielleicht nicht hörst, bist du wenigstens aus dem Weg.«
»Ich höre dich ganz genau, Arschloch! Aber ich schwöre dir so wahr ich hier liege, dass ich meinen Tod rächen werde.«
»Ich muss mich nun endgültig verabschieden, Briani. Deine liebe Ehefrau möchte noch ein bisschen um dich trauern. Aber quatsch ihr kein Ohr ab, ich habe heute Abend noch was vor und bin froh, wenn diese Trauerparty endlich vorbei ist«, sagte Malcolm und ging zur Tür. »Hoffentlich sehen wir uns auch auf der anderen Seite nie wieder! Schlaf gut.«
Die Tür schloss sich hinter Malcolm und es fühlte sich an wie eine Ewigkeit bis sich die Tür erneut langsam öffnete und sich jemand dem Sarg näherte. Brian spürte es sofort. Es war Susie, die langsam dem halboffenen Sarg entgegen kam. Sie schluchzte und trocknete mit einem Taschentuch ihre Tränen auf den Wangen. Er spürte ihre Nähe und konnte es fast fühlen, als sie sanft seine Wangen berührte, als sie vor dem Sarg stand.
»Wieso hast du mich hier zurückgelassen, Brian?«, sagte Susie währenddessen ihr erneut eine Träne die Wange hinab rann.
»Susie… Du bist die Liebe meines Lebens! Ich würde dich niemals alleine lassen. Meine gesamten Gedanken werden für alle Ewigkeit bei dir und unseren Kindern bleiben.«
»Ich weiß einfach nicht, wie wir es ohne dich schaffen sollen. Ich weiß nicht, wie ich es ohne dich schaffen soll! Seit dem Tag an dem wir geheiratet haben war ich mir sicher, dass wir viele Jahre zusammen hätten und dass wir uns noch bis ins hohe Alter hätten. Dass wir irgendwann in unserem Garten sitzen und mit unseren Enkelkinder spielen und ihnen erzählen wie erfüllt unser Leben war. Ich werde dich nie vergessen, Brian!«, sagte sie und strich ihm über die Wange und verließ die Halle.
»Susie warte! Bitte warte! Ich wollte dich nie verlassen. Ich werde euch nie verlassen!«
Ende.
Nun kam auch der Rest der Trauergemeinde in den Saal, in welchem Brians Sarg aufgebahrt auf einem Meer aus weißen Rosen thronte. Die Kapelle füllte sich allmählich mit schwarzen Anzügen und Kleidern, sowie einer drückenden Trauerstimmung. Ein Trauerredner hielt eine bewegende Trauerrede, die mit vielen Tränen aus dem Kreis der Trauernden belohnt wurde.
Die Trauergemeinde fand sich kurze Zeit später auf einer Lichtung des Friedhofs wieder und Brians Sarg wurde endgültig in die Tiefe gelassen. Brians Ehefrau brach erneut in den Armen ihrer Schwägerin zusammen und sein ältester Sohn musste von einem der Grabträger daran gehindert werden dem Sarg hinterher, in die Tiefe, zu springen. Abseits der Trauernden stand sein Bruder, der sich genussvoll den letzten Akt seines Plans ansah und anschließend triumphierend in sein Auto stieg, mit dem sicheren Wissen, dass er das Grab seines Bruders nie wieder sehen werde.
Was Malcolm jedoch nie erfahren würde war, dass die vermeintliche Droge, die er seinem Bruder ins Hirn spritzte und ihn somit zu einem denkenden Untoten machen sollte, ein einfaches Gift war, welches Brian auf der Stelle tötete, als es seinen Blutkreislauf erreichte.
Die Seele eines Menschen ist unsterblich und löst sich von ihrer sterblichen Hülle, sobald es für sie an der Zeit ist zu gehen und sobald sie ihr Werk auf Erden verrichtet hat.
Es war für Brian nicht an der Zeit zu gehen und sein Werk hier war noch nicht vollendet. Seine Seele konnte sich noch nicht von seinem toten Körper abspalten.
Brians Situation kann mit einer Kerze verglichen werden, bei der der Docht abgeschnitten worden ist. Die Kerze kann nicht mehr erneut angezündet werden, der Docht ist jedoch in der Kerze gefangen, dazu verdammt nie wieder zu brennen, obwohl er es immer noch könnte - so wie Brian noch immer Denken kann.
Brians Körper wurde ab dem Moment, als das Gift seinen Herzschlag lähmte zu seinem kalten Gefängnis für die Ewigkeit.
Eine Kerze, die nie wieder brennen wird.