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Schimpansen

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27.10.2003
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Schimpansen

Der Wecker klingelt. 06:00 Uhr. Verflucht. Die Nächte vergehen einfach zu schnell. Früher, als ich noch mit den Jungs um die Häuser zog, reichten mir zwei Stunden Schlaf vollkommen aus. War ich besoffen, so waren drei angebracht. Und jetzt? Jetzt kommt mir nur schon die Möglichkeit des Augenöffnens als ein völliges Unding vor. Was solls. Aufstehen muss ich ohnehin irgendwann, also warum nicht jetzt? An einem Montagmorgen - November, wenn mich nicht alles täuscht. Ein kurzer, aber zärtlicher Blick zu meiner Freundin, die immer noch seelenruhig neben mir im Bett liegt.
„Guten Morgen, mein Schatz.“ Keine Reaktion. Sie scheint fest zu schlafen.
Also bewege ich mal meinen, über die Jahre fett gewordenen Arsch ins Badezimmer. An der Toilette angekommen muss ich schmunzelnd daran denken, was M. mir immer und immer wieder predigt seit wir zusammengezogen sind: Setz dich gefälligst hin beim Pissen!
Sie bezeichnet das Ritual des sitzenden Urinierens als unabdingbar für einen funktionierenden Haushalt. Na ja, es ist frühmorgens, somit bequemer, und tut meinem Stolz keinen Abbruch. Spülen nicht vergessen. Sonst funktioniert der Haushalt nicht. Wenn ich mich so im Spiegel betrachte muss ich meiner Freundin recht geben: Ich sehe schlimm aus. Eingefallenes Gesicht, unrasiert, nicht mal der Ansatz einer Frisur, und ich stinke. Aber irgendetwas hat sich verändert. Es sind die Augen. Seit zwei Jahren bin ich Träger eines Blickes, der Resignation und Indolenz auf eine unerschöpfliche Art und Weise vereinte. Die Knopfaugen eines Steiff-Tieres hatten mehr Ausdruckskraft. Aber jetzt ist er anders; dieser Blick. Ich strahle tatsächlich Ruhe und Ausgeglichenheit aus. Mein Gegenüber scheint fast glücklich zu sein.
Etwas irritiert laufe ich zum Kleiderschrank, um mir einen der vielen vorhandenen Arbeitsanzüge auszusuchen, ihn auf das Bett zu legen, damit er dann schliesslich nach meinem obligaten Morgenkaffee und noch viel unentbehrlicheren Morgenzigarette von mir angezogen werden darf.
„Schatz? Willst du auch einen Kaffee?“ Schweigen. Soll sie doch schlafen.

Es regnet. Es ist kalt. Und ich inmitten der meteorologischen Umstände auf die Strassenbahn wartend. Meinen bisherigen Recherchen nach zu urteilen ist diese, meine Haltestelle die einzig nicht überdachte in der Stadt. Na toll. Ein Schirm wäre sicherlich die offensichtlichste und einfachste Lösung, aber dafür sollte man auch einen besitzen. Mein Anzug ist jeden Moment ruiniert – wie bis jetzt der Tag. Was meine Arbeitskleidung betrifft so sollte ich vielleicht noch erwähnen, dass ich als Supporter bei einer Computer-Firma tätig bin, und somit meinen Arbeitsalltag vor dem Telefon und den besagten Computern verbringe, wo ich den Kunden mit meinem überteuerten Anzug optisch nur schwerlich zugänglich bin. Aber mein Chef besteht darauf. Soll er doch. Ich hasse ihn nicht nur deswegen.
Ah, da ist sie ja. Meine Strassenbahn. Am Bahnhof muss ich umsteigen, und diese Gelegenheit wird immer dazu genutzt mir einen weiteren Kaffee zu besorgen. Halb so gut, wie der zu Hause, aber immerhin ein Gebräu, das sich Kaffee schimpfen lässt. Eine weitere Zigarette ist auch keine schlechte Idee.

Betrete ich mein Büro, so fühle ich mich gleich verloren und fehl am Platz. Schlagartig wird mir bewusst, dass mein Leben genau zu dem geworden ist, was ich stets vermeiden wollte: Zu einem Trott. Sogar die Wochenenden wurden schon zu einer Gewohnheit. Sie lassen sich gar nicht mehr auskosten. Es ist als ob wir uns, gleich der Erde, im Kreise drehen. All die Ziele, die wir anstreben, rücken, je älter wir werden, in noch grössere Ferne. Unerreichbar. Unantastbar. Unnahbar.
Ich meide meine Arbeitskollegen, und diese Haltung brachte mir natürlich sehr viel Missgunst ein. Damit kann ich leben. Aber schauen sie mich heute doch alle sehr verwundert an, anstatt sich wie üblich mit einem gelangweilten „Guten Morgen“ von mir abzuwenden. Das liegt sicher an meinem „neuen“ Blick. Und tatsächlich: Sogar die verklemmte, und meines Erachtens sexuell frustrierte Sekretärin meines Chefs schenkt mir ein für ihre Verhältnisse nettes Lächeln. Es lässt mich zwar kalt, aber amüsant ist es schon. Sieh her, Welt, ein neuer Mensch ist geboren. Ich brauche einen dritten Kaffee.
Während ich am Schreibtisch sitze und zwischendurch stumpf und halbherzig freundlich Telefonate von alten Menschen mit neuen Computern und noch älteren Fragen zu eben diesen beantworte, denke ich an meine Freundin. Ich mag sie. Wirklich. Vor allem seit unserer kleinen Auseinandersetzung. Wir konnten so viel bereinigen, so viel aus der Welt schaffen, und endlich an einen Punkt gelangen, an dem nun alles so viel einfacher wird. Ich liebe es, wenn sie schläft. Ich liebe es noch vielmehr ihr dabei zuzusehen. Ihr Atem wird langsamer, kaum noch hörbar, und ihrem Gesicht nach zu urteilen schwebt sie dann auf einer Wolke durch einen Raum vollkommener Glückseligkeit. Wenn ich mich recht erinnere lernte ich sie sogar in schlafendem Zustand kennen. „Kennen lernen“ ist vielleicht der falsche Begriff für unser Aufeinandertreffen, da sie ja eben schlief, aber ich „sah“ sie zumindest zum ersten Mal. Es war an einer privaten Party vor ungefähr drei Jahren, und den Gastgeber kannte ich nicht einmal. Angetrunken und mit meinem damals besten Freund O. lief ich plan- und rastlos durch das riesige Haus, bis wir schliesslich auf die Idee kamen in den Schlafzimmern herumzustöbern. Das erste Schlafzimmer erwies sich als langweilig, im zweiten aber verliebte ich mich. Sie lag im Bett, schlief und glich einem Engel. Wäre mein Freund nicht dabei gewesen, hätte ich den Rest der Nacht damit zugebracht ihr einfach beim Träumen zuzuschauen. Ihre Telefonnummer ausfindig zu machen war kein Problem, da sie bei allen bekannt und scheinbar beliebt war. Tags darauf rief ich sie an. Einen Monat später waren wir ein Paar. Wir fühlten uns unsterblich.
Mittag. Mittagessen. Wie immer mit meinem Freund R. Wir beide lieben chinesisches Essen.
„Und wie läuft es bei der Arbeit?“ will er, das Gespräch eröffnend, wissen.
„Na ja, du kennst das ja. Immer der gleiche Mist. Und bei dir?“
„Ich hab vor zu kündigen. Dieser beknackte Beruf hängt mir zum Hals raus. Ich hänge das Baugewerbe an den Nagel. Man hat täglich nur mit Dilettanten zu tun.“
„Das kann ich mir vorstellen. Wie geht es deiner Frau?“ frage ich.
„Seit sie schwanger ist spinnt sie nur noch. Völlig durchgedreht die Frau. Aber die Ärzte haben ja diese Gefühlsschwankungen prognostiziert. Da muss ich wohl durch. Was ist mit deiner Freundin? Habt ihr immer noch Krach?“
„Nein“ erwiderte ich „wir konnten den Streit beilegen. Und jetzt ist alles in bester Ordnung. Ich bin wieder so verliebt, wie bei unserer ersten Begegnung.“
„Gut zu hören.“ Dies sagt er fast beiläufig und ohne sichtliche Teilnahme.
Das Gespräch plätschert so dahin, bis wir uns trennen und für morgen wieder verabreden
Es hat aufgehört zu regnen. 17:12 Uhr. Ein weiterer Arbeitstag hinter mir. Ach ja, ich muss unbedingt meine Freundin anrufen. Sie braucht nichts zu kochen. Ich habe Lust auf Pizza. Wieso müssen die Telefonzellen in einer Stadt immer nach Urin stinken? Schrecklich. Sie nimmt nicht ab. Egal.
Daheim. Ich mag unsere Wohnung. Ihr Duft gibt mir das Gefühl von Sicherheit und Wärme.
„Schatz? Bist du da?“ Stille. Vielleicht ist sie ja oben. Ich laufe die Treppe hoch direkt ins Schlafzimmer. Ja, da liegt sie. Wie schön. Sie schläft schon wieder. Ich setze mich aufs Bett und greife zum Telefonhörer.
„Willst du auch eine Pizza?“ Am anderen Ende der Leitung spricht schon jemand.
„Ja, hallo. Hier ist D. Ich hätte gerne eine Pizza Salami piccante und eine Pizza quattro stagioni… genau… und noch drei Flaschen Bier… Heineken… Danke und auf Wiederhören.“ Ich lege auf und schalte den Fernseher ein.
Ich mag diesen Fernseher. Wir haben ihn uns zusammen gekauft. Er war teuer, aber bis jetzt hat sich der Kauf in Anbetracht der unzähligen Stunden in trauter Zweisamkeit gelohnt. Meine Freundin besitzt die Eigenart einen Film nie zu Ende schauen zu können. Präzise, wie eine Schweizer Uhr, schläft sie eine viertel Stunde vor Ende des Films in meinen Armen ein.
Der Pizza-Lieferant ist da. Ich drücke ihm fünfzig Franken in die Hand, und verabschiede mich freundlich und gut gelaunt von ihm. Tolle Institution so ein Pizza-Service. Ab ins Schlafzimmer und vor den Fernseher. Ich esse und schaue eine Dokumentation über Schimpansen. Zwischendurch werfe ich einen Blick auf meine Freundin. Wie sie so da liegt. Einfach schön. Ihr weisser Bademantel, den sie immer zum schlafen trägt, steht ihr wunderbar. Das Blut, das schon eingetrocknet ist und sich dunkelrot verfärbte, passt ganz vorzüglich dazu. Blut steht jeder hellen Wäsche. Auch heller Bettwäsche, muss ich überrascht feststellen. Der Kerzenständer aus Bronze ist, wie der Rest des Inventars in ihrer unmittelbaren Nähe, blutgetränkter, stummer Zeuge. Wohl eher ein Mittäter, wird mir bewusst. Aber er eignete sich so hervorragend zum zertrümmern ihres Schädels. Ich sehe sogar Teile des Gehirns an ihm kleben. Ich kann jetzt deine Gedanken lesen. Das ist lustig und listig von mir zugleich.
„Schatz, du hast dein linkes Auge verloren.“ Bemerke ich zynisch. Ich muss lachen. Das erregt mich. Ich lege die Pizza beiseite und fange an mir einen runterzuholen. Ejakuliert wird auf ihren Bademantel.
„Was hast du nur wieder für eine Sauerei gemacht?“ Würde sie sicherlich fragen.
„Ich hab nur geschaut, dass der Haushalt auch wirklich funktioniert.“ Wäre meine Antwort. „Ich musste den Kerzenständer nehmen und auf dich eindreschen bis sich dein Schädel spaltet, damit ich dein Gehirn sehen und dich verstehen kann.“ Würde ich fortfahren.
Ich wende den Blick von ihr ab, um mein Interesse den Schimpansen zu widmen. Wie sich herausstellt ist der Schimpanse – bekanntlich der uns ähnlichste aller Menschenaffen- das einzige Säugetier, bei dem es den willkürlichen und kaltblütigen Totschlag eines Artgenossen gibt. Kein Revierverhalten, kein Streit um Nahrung oder Paarung. Einfache Willkür.
Ich zünde mir eine Zigarette an, nehme einen Schluck Bier und betrachte sie wieder. Kein Atem.
Schlaf gut.

 

Hallo Olm,

aus Zeitgründen nur eine Kurzkritik: Bis zu der entscheidenden Stelle, wo klar wird, dass die Frau tot ist, finde ich die Geschichte langweilig. Klar: Du stellst Alltagstrott dar, und das sprachlich nichtmal schlecht. Irgendwie muss auch noch was anderes kommen, daher liest man weiter. Naja, dann stellt sich halt heraus, dass er seiner Frau denKopf eingeschlagen hat. Okay, nicht schlecht. Aber mehr sehe ich nicht. Immerhin, gut zu lesen, wenngleich in der Mitte etwas zu langatmig.

ciao

Uwe

 

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