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Schicksalsschlacht
Die Morgensonne stieg hinter den Bergen empor und tauchte den Himmel in rotes Licht. Erste Sonnenstrahlen wanderten über die Zelte. Kaum etwas regte sich. Die Soldaten vollzogen die morgendliche Wachablöse ohne zu sprechen. Es gab keine Neuigkeiten, zumindest keine die sie hören wollten.
Ein Mädchen in schlichtem Gewand stand am Rande der Zeltstadt. Ihr Blick war auf die nahen Hügel gerichtet, hinter denen die Berge aufragten.
Hinter ihr bahnte sich ein alter Mann schwerfällig den Weg aus seinem Zelt. Eine Weile stand er stumm hinter ihr, bevor er sprach: „Was siehst du?“
„Ich sehe Sturmwolken aufziehen.“ antwortete sie.
„Wie viele sind es?“
„Nicht mehr an der Zahl als sein Heer. Aber sie sind stark und wild.“
Der alte Mann seufzte, es würde eine schwere Schlacht werden.
Plötzlich erschrak das Mädchen und drehte sich um. „Vater, Aris ist tot.“
„Ja.“ murmelte der als Antwort „Sie haben ihn gestern mitgenommen. Der König war ärgerlich. Der Krieg dauert ihm zu lange...“ Er sprach nicht weiter, aber eine Träne rollte über sein faltiges Gesicht, um dann in seinem weißen Bart zu verschwinden.
Das Mädchen ging zu ihm hin. „Der Krieg wird morgen vorbei sein.“ meinte sie, während sie das Schafsfell zurechtrückte, das er sich um die Schultern gelegt hatte, als Schutz vor der morgendlichen Kühle. Der alte Mann nickte stumm zur Bestätigung.
„Er kommt.“ flüsterte sie plötzlich und blickte ängstlich nach hinten in die Reihen der Zelte.
Schon kurz darauf hörte man Schritte. Der König, begleitet von seiner Leibwache, kam die schmale Gasse herauf, die von den Zelten freigelassen wurde. Er hielt nichts von Tradition und Zwängen dieser König, denn er war noch jung als er die Nachfolge seines Vaters angetreten hatte. Unrasiert und ohne Insignien, so war er meistens anzutreffen. Nur ein langer Mantel, verbrämt mit Hermelin, den er offen trug, unterschied sein Gewand von dem seiner Offiziere.
„Wie stehen die Dinge, alter Mann?“, rief er, noch bevor er sie erreicht hatte.
Der Alte deutete in die Richtung der aufgehenden Sonne und antwortete: „Die Oger kommen aus den Bergen um Eurer Streitmacht zu begegnen. Eure Ungeduld wird heute noch befriedigt werden.“
Mittlerweile hatte er die Beiden erreicht und baute sich vor dem Alten auf. „Gut, dann haben sie also doch noch Lust auf einen Krieg bekommen.“ gab er zurück.
„Krieg? Bisher war es nur gezieltes Abschlachten“ murmelte der als Antwort, aber der König beachtete ihn nicht. Stattdessen fragte er: „Was sieht deine Tochter? Wie viele Oger sind auf dem Weg?“
„Alle die noch übrig sind. Die Bergstämme folgen dem Ruf ihrer Alten und sammeln sich, um Euch zu vernichten. Morgen wird der Krieg zu Ende sein“, sagte der Alte mit nicht zu überhörender Genugtuung.
„Noch immer trotzt du mir. Sei vorsichtig, du solltest meinen Zorn nicht schon wieder wecken“, meinte der König daraufhin.
„Die Oger lebten in Frieden mit den Menschen, bevor Ihr diesen Krieg begannt, König. Ich wollte Euch nie helfen, ihn zu führen. Ihr habt mir meine Frau und meinen Sohn genommen. Womit wollt Ihr mir noch drohen? Ich bin alt, der Tod hat für mich seinen Schrecken verloren und meine Tochter nützt Euch mehr, wenn sie am Leben ist“, entgegnete der alte Mann
„Doch könnte ich sie vor deinen Augen foltern lassen“, warnte der König ihn und sein Ton ließ keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte.
„Und riskieren, dass sie ihre Kräfte verliert? Nein, Ihr seid kein Dummkopf, das würdet ihr nicht tun. Eure Drohung geht ins Leere“, konterte der Alte.
Für einen Moment schien es, als würde der König seine Beherrschung verlieren, dann fasste er sich jedoch und sagte: „Nun denn, sie soll für den Moment verschont bleiben. Es ergab sich gestern, dass dein Sohn mir nützlicher werden könnte als deine Tochter es je war.“
Der ernste Blick des Alten wich der Überraschung. „Mein Sohn? Ich dachte Ihr hättet ihn...“ weiter sprach er nicht.
„Oh, das habe ich auch. Er ist tot. Wovon ich spreche geschah, bevor er endgültig starb.“ Er machte eine Pause, um es zu genießen wie das kurze Aufflackern der Hoffnung in den Augen des alten Mannes wieder erstarb, dann fuhr er fort: „Dein Sohn war ein Feigling, das kannst du nicht abstreiten. Er hat gequiekt wie ein Schwein als wir ihn mitnahmen. Trotzdem wehrte er sich und versuchte dem Unvermeidlichen zu entgehen. Er schlug immer heftiger um sich, bis die Männer ihn kaum noch zu bändigen vermochten. Ich ließ ihn in den Käfig mit den gefangenen Ogern werfen und er tötete drei von ihnen mit bloßen Händen, bevor sie ihm schließlich den Rücken brachen und ihn verenden ließen.“ Der alte Mann stand da mit gesenktem Blick. Tränen liefen über das Gesicht des Mädchens.
„Nun sag mir“, fuhr der König kurz darauf fort „was war es das ihm den Mut und die Kraft gab dies zu tun? Denn zuvor besaß er keines von beiden.“
„Hass!“ platzte der Alte hervor „Hass auf Euch und Eure Willkür hat ihn angespornt. In jedem Oger, den er tötete, sah er euch. Schickt Eure Männer in den sicheren Tod und sie werden kämpfen wie mein Sohn. Aber fragt Euch auch, was sie tun werden, wenn sie zurückkehren.“
Der König blickte ihn fragend an. Dann begann er plötzlich zu lachen: „Du versuchst mich zu täuschen alter Mann, aber es wird dir nicht gelingen. Ich weiß, es muss einen andern Grund geben für...“
Plötzlich wurde er unterbrochen: „Oger! Die Oger kommen“, riefen die Wachen und ein Bote kam zu ihm gelaufen um Befehle zu empfangen. Der König blickte hinauf zu den Hügeln, wo sich in der Morgensonne die Silhouetten von drei Gestalten abzeichneten.
„Das sind nur Späher. Noch ist es nicht soweit. Aber sag den Männern sie sollen sich für die Schlacht vorbereiten“, befahl er dem Boten, der sich sogleich auf den Weg machte, den Befehl weiterzugeben.
„Siehst du sie?“ fragte der König und deutete auf die Hügel. „Sie werden kommen und wenn sie mein Heer schlagen, bist auch du und deine Tochter verloren. Doch wie ich es sehe, besteht die Möglichkeit unseren Krieg heute zu gewinnen.“
„Dein Krieg!“ gab der Alte wütend zurück „Ich wollte ihn nie, diesen Krieg.“
„Dann beende ihn!“ fuhr der König ihn an. „Gib mir das Geheimnis das deinen Sohn kämpfen ließ. Die Schlacht ist unvermeidlich. Nur du kannst jetzt noch ihren Ausgang beeinflussen.“
Der alte Mann erwiderte nichts, er schien zu überlegen.
Ein Signal erschallte, das Zeichen dafür, dass die Schlacht bevorstand. Überall begannen sich die Soldaten zu regen. Stimmengemurmel und Waffengeklirr war allenthalben zu hören.
„Woran denkst du, alter Mann?“ fragte der König „Wägst du ab, ob der Tod deiner Tochter die Rache an mir wert ist? Dann frage dich auch was sein wird, wenn ich siegreich bin.“
„Weder dein Sieg noch deine Niederlage werden mir Frau und Sohn zurückbringen“, murmelte der Alte mehr zu sich selbst, denn als Antwort.
„Den Tod deiner Frau hast du dir selbst zuzuschreiben“, meinte der König ärgerlich und an seiner Stimme war zu erkennen, dass er dieses Themas überdrüssig war. „Du hättest nicht ablehnen dürfen, als ich dich um deine Hilfe bat. Du hast meinem Vater treu gedient und ich verlangte nichts weiter als mein Recht als König. Ich hatte immer Respekt vor dir, du hättest mir den deinen nicht verweigern sollen.“
„Respekt? Welch seltsames Wort aus dem Mund eines Mannes der nicht einmal meinen Namen kennt.“
Der König starrte ihn an, ohne etwas zu erwidern.
Erneut kam ein Bote. Diesmal mit Nachricht von den Offizieren. „Nun gut, ich habe eine Schlacht vorzubereiten. Ich gebe dir Zeit um zu überlegen. Wenn ich zurückkehre, verlange ich Antwort auf meine Frage, sonst werde ich deiner Tochter mit eigenen Händen die Kehle aufschlitzen und dich zusehen lassen wie sie stirbt. Egal wie der heutige Tag endet, ihr werdet nutzlos für mich sein. Euer Schicksal bestimmt ihr selbst. Erom wird hier bleiben um euer Leben zu garantieren, bis ich anders entscheide.“ Dann wandte er sich ab und verschwand mit seiner Entourage wieder zwischen den Zelten.
Das Mädchen ging zu ihrem Vater hin und flüsterte ihm zu, damit ihr Bewacher sie nicht hören würde: „Was ist mit Aris passiert?“
„Das grüne Pulver. Ich hätte es ihm niemals geben dürfen. Er war so verzweifelt in letzter Zeit. Er konnte die Situation nicht mehr ertragen. Die ständige Angst und die Drohungen des Königs. Ich gab es ihm um ihm Erleichterung zu verschaffen. In kleinen Mengen wirkt es beruhigend. Aber es ist gefährlich, man will es immer wieder. Als sie ihn holten, muss er aus Angst wohl zuviel davon genommen haben. Aris... der König hätte es niemals sehen dürfen.“ Dann blickte er seiner Tochter in die Augen und sagte: „Maran, ich darf dieses Wissen nicht mit ihm teilen. Er würde zuviel Macht bekommen“
Sie senkte ihren Kopf und nickte. „Ich verstehe, Vater.“
Aus den drei Gestalten auf dem Hügel war mittlerweile eine geschlossene Reihe geworden, doch der Aufmarsch der Oger war noch immer nicht abgeschlossen als der König zurückkehrte.
„Hast du eine Entscheidung getroffen?“ Fragte er, aber der alte Mann antwortete nicht. „Nichts anderes habe ich erwartet“, fuhr er dann fort. „Nun gut, ich sage dir was wir tun werden. Du wirst die viel zu selten genutzte Gabe deiner Tochter, in die Zukunft zu sehen, gebrauchen um den Ausgang der Schlacht vorauszusagen. So wird sich unser aller Schicksal entscheiden.“
„Du weißt, dass es sie töten kann!“ Sagte der Alte, aber er bekam keine Antwort. Er deutete seiner Tochter ihm ins Zelt zu folgen, doch der König hielt ihn zurück. „Nein, diesmal wirst du es hier tun, vor meinen Augen. Ich will sie selbst sprechen hören.“
Der Alte seufzte. Es hatte keinen Zweck sich zu widersetzten. Er griff unter sein Gewand und holte einen dünnen Lederriemen hervor, den er kurz in das Wasserfass neben dem Zelt tauchte. Seine Tochter hatte mittlerweile ihren Schal zurückgeschlagen und man konnte rote Striemen an ihrem Hals erkennen.
Sie kniete vor ihm hin und er wand die lederne Schnur drei mal um ihren Hals und verknotete sie. Dann legte er seine Hand auf ihren Kopf und begann ein an- und abschwellendes Summen. Allmählich legte sich die nasse Lederschlinge immer enger um den Hals des Mädchens. Ihr Gesicht wurde weiß und ihre Lippen liefen blau an.
Der König und seine Begleiter warteten gespannt darauf was passieren würde, als sie plötzlich zusammenbrach und unbeweglich liegen blieb.
„Verräter“, rief einer der Leibwächter und wollte nach vorne stürmen, doch der Arm des Königs versperrte ihm den Weg. Erwartungsvoll starrten alle auf den Alten, der sich auf den Boden kniete und den Oberkörper seiner Tochter aufrichtete und ihren Kopf auf seine Brust legte. Er flüsterte ihr zu. Plötzlich ging ein Schauer durch den Körper des Mädchens. Sie bäumte sich auf und ihre vom Blut geröteten Augen starrten hinaus auf die grüne Ebene vor den Hügeln, wo die Schlacht stattfinden sollte.
„Was siehst du?“ rief der König und kam damit dem alten Mann zuvor. „Sprich!“
„Ich sehe deine Männer kämpfen, wie sie noch nie gekämpft haben“, antwortete sie, mit einer Stimme die nicht ihre eigene war. “Ohne Rast, ohne aufzuhören, ohne Gnade.“ Ihr Gesicht war schmerzverzerrt „Sie kennen weder Angst noch Schmerz. Nichts kann sie aufhalten, nur der Tod.“ Die Augen des Königs glänzten. „Was ist mit den Ogern? Wer siegt? Sag es mir! Rasch!“ Sie stöhnte, wie unter großem Schmerz „Keine Oger... kein einziger... mehr“, stammelte sie und schließlich erschlaffte ihr Körper wieder. Ihr Vater machte sich augenblicklich daran ihr den Lederriemen abzunehmen.
„Hast du gehört alter Mann?“ rief der junge König aufgeregt “Meine Männer werden die Oger dort draußen vernichten. Wir werden siegreich sein und danach werden wir in die Berge gehen und den Rest ihrer Rasse auslöschen. Du kannst dich dem Schicksal nicht verwehren. Gib mir was ich brauche, um es zu erfüllen.“
„Sie ist tot“, antwortete der alte Mann und Tränen liefen über sein Gesicht. „Du wirst nicht siegen. Ich werde dir niemals das Geheimnis verraten. Heute wird deine Herrschaft enden, König.“
„Ach? Ist das so?“ fragte der mit Spott in seiner Stimme, dann rief er: „Erom?“ Der Leibwächter kam aus dem Zelt des Alten. Er hielt einen Beutel in seiner Hand. „Sie haben von einem grünen Pulver gesprochen. Ich habe es gefunden mein König.“
„Gut, verteile es an die Männer. Die Oger sind bereit, wir werden ihnen zu begegnen wissen.“
„Nein!“ Rief der alte Mann. „Das darfst du nicht! Du weißt nicht, was du tust!“ Aber seine Rufe verhallten ungehört. Der König verließ den Platz, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen.
Den Ogern, die sich auf den Hügeln versammelt hatten bot sich kurz darauf ein seltsames Schauspiel. Die Soldaten des Königs begannen zu kämpfen. Die Droge ließ jeden der sie genommen hatte, irrsinnig werden. Sie unterschieden nicht mehr zwischen Freund und Feind. Sie kämpften, ohne Rast, ohne innezuhalten, ohne Gnade. Der König, seine Offiziere und die Leibwache wehrten sich verzweifelt gegen ihre eigenen Untergebenen, aber sie konnten nicht lange standhalten gegen eine Armee von Soldaten die nur der Tod aufhielt.
Die Schlacht der Irrsinnigen gegeneinander ging noch lange weiter. Bis zum letzten Mann kämpften sie. Dann regte sich dort unten nichts mehr, außer den Flammen, die die Zeltstadt verschlangen.
Die Oger aber, kehrten zurück in ihre Berge.