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Schicksalskreuzung
Wie der Lauf der Dinge ein Menü zusammenstellt!
Vor uns fährt ein creme brauner Mercedes. Ziemlich langsam, mindestens 30 Km/h unter dem erlaubten Tempolimit. Mein Magen knurrt als passe ihm die Langsamkeit des Vorausfahrenden nicht.
Etwa 14 Stunden vorher wird ein Rind mit einem weißen Fleck am Bauch in einen Transporter geladen und mit 12 andern Rindern zum Schlachthof gebracht.
Das Rind und die 11 anderen Rinder aus der Lieferung werden über Nacht verarbeitet. Die fertig portionierten Steaks, Schnitzel, Zungen und Innereien landen in einer roten Plastikkiste und werden in die Kantinenküche unserer Firma geliefert.
Ungefähr 3 Arbeitsstunden nachdem der Küchenmeister den Lieferschein für das Rindfleisch unterschrieben hat, fährt der langsame Mercedes vor uns in einen Parkplatz. Wir passieren den winkenden Pförtner, während das sechste Rinderhüftsteak in der Kiste, das von dem Rind mit dem weißen Bauchfleck stammt und eine angedeutete Herzform hat, von den Fingern des Koches auf den Grill gelegt wird und zu brutzeln beginnt.
Wir finden einen Parkplatz ganz nah am Kantinengebäude, wie immer haben wir Glück.
Als wir vor der Tafel der Menüauswahl stehen, entscheide ich mich für das Rinderhüftsteak. Das herzförmige Steak von dem Rind mit dem weißen Bauchfleck liegt seit 10 Minuten auf dem Grill, als ich mein Tablett ablege und vor ungeduldig auf die Essenausgabe warte.
Die Dame an den Ausgabebehältern, überreicht mir lächelnd den Teller mit dem mit Soße übergossenem Hüftsteak in Herzform im Nudelnest.
Als ich mir das erste Stück abschneide und in den Mund schiebe, reinigt der Arbeiter im Schlachthof gerade seine elektronischen Schneidegeräte und spült das Blut von der durchgearbeiteten Nacht von den glatten Fliesen.
Ich lege mein Tablett auf das Förderband, der Schlachter im 8 Kilometer entfernten Schlachthof wetzt seine Geräte für die nächste Schlachtung.
Am Waldparkplatz, den der creme Farbene Mercedes mittlerweile Richtung Krankenhaus verlassen hat, da der 64-jährige Fahrer einen Verwandten besuchen wird, ruht ein 40 Tonnen LKW mit einem schlafenden Fahrer. Er wird 3 Minuten bevor wir den Kantinenparkplatz verlassen werden, aufwachen und sich mit seiner schlaffen Hand über den kopf fahren.
Er startet den Motor, wir passieren das Schild mit dem großen P auf blauem Grund und dem Hinweis „500 Meter“.
Wir fahren mindestens 20 Km/h über dem erlaubten Tempolimit. Ich sitze hinten und sehe wie die Leitplanken an der Straßenseite durch die Geschwindigkeit an Schärfe verlieren.
Noch flattert die Breitseite des LKW sachte im Wind, mit ihr werden wir zusammenkrachen da der verschlafene LKW-Lenker aus der Ausfahrt fährt ohne uns zu sehen.
Der Fahrer wird seine Fleischlieferung heute nicht abliefern können. Die Ware ist teilweise auf der Straße verteilt und wird vom Gesundheitsamt zum Vernichtung bestimmt.
Der 34-jährige Notarzt Jens Wolters, hat in diesem Augenblick noch 4 Minuten Pause, raucht eine Zigarette, bis der Einsatz reinkommt.
Als der Notarzt mich auf dem Bett des Krankenwagens untersucht, erkenne ich in ihm etwas verschwommen, einen alten Schulkameraden, mit dem ich früher öfters Pläne zur Befreiung der Tiere im Schlachthof geschmiedet hatte.