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Schicksals-TV
Schicksals-TV
„Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe von Schicksal- TV!“, ruft ein kleiner, glatzköpfiger Mann. Er trägt einen schwarzen, scheinbar maßgeschneiderten Anzug, darunter ein rotes Satinhemd. An seinen Finger glitzern und funkeln mehrere Ringe. Sein Gesichtsausdruck ist seltsam, irgendwie bösartig, hinterhältig.
„Bevor wir anfangen, möchte ich mich noch einmal für Ihr großes und dauerhaft anhaltendes Interesse bedanken!“
Jubel brandet auf, die unzähligen Personen, die sich um die viereckig abgrenzte und leicht erhöhte Fläche versammelt haben, strecken die Arme in Luft und drängen nach vorne. Sie wollen einen möglichst guten Platz haben, um die Reaktion der Kandidaten genau beobachten zu können.
Diejenigen, die in der ersten Reihe stehen, werden beinahe platt gedrückt, aber sie kämpfen um ihren Platz, verteidigen ihn gegen die sensationsgeile Meute deren Teil sie sind.
„Danke, danke, es freut mich, dass es Ihnen so gut gefällt“, versucht der Mann die Masse zu beschwichtigen, aber erneut ertönt Applaus und Jubel und es dauert, bis die Lautstärke soweit zurückgegangen ist, dass der kleine Mann mit seinem Programm fortfahren kann.
„Nun gut, kommen wir zu unserem ersten Kandidaten: Ein Mann von fünfundvierzig Jahren! Begrüßen Sie mit mir Jacob Seller!“
Wieder ein ohrenbetäubender Lärm, die Zuschauer schreien und stampfen voller Vorfreude mit den Füßen auf den Boden, während ein Mann in alten, dreckigen Klamotten auf das Podest gezerrt wird.
Er wirkt niedergeschlagen.
„Hallo Jakob!“, begrüßte ihn der Kleine.
„Wie fühlst du dich dabei, endlich hier oben zu stehen? Ist es nicht ein herrliches Gefühl, wenn alle einem zujubeln?“
Seine Stimme klingt fröhlich und voller Vorfreude. Der Mann antwortet nicht, er schaut zu Boden.
„Nun denn, machen wir weiter, lasst uns herausfinden, wie es mit ihm weitergeht, was ihm die Zukunft bringen wird! Lasst die Schicksalstrommeln herunter!“, schreit er in sein kleines Mikrophon und wieder brandet der Geschrei auf, während an goldenen Seilen eine durchsichtige Lostrommel hinuntergelassen wird.
Begeisterung bei den Zuschauern.
Die Trommel kommt immer näher, schließlich bleibt sie vor dem Mann hängen, der sie ängstlich betrachtet.
„Zieh, zieh, zieh…!“, schreien die Gaffer und der kleine Moderator hüpft vor und öffnet eine kleine Klappe an der Lostrommel.
„Zieh dein Schicksal, Jakob!“, ruft er und die Menge feuert ihn an. Ängstlich und bloß gestellt steckt er seine rechte Hand in die Trommeln, packt eines der darin enthaltenen Lose. Kaum hat er seine Hand wieder herausgezogen, reißt der der kleine Mann das Papierstück an sich und hält es hoch. Die Zuschauer toben, als er das Kärtchen schließlich langsam öffnet und dann verkündet:
„Dein Schicksal, Jakob Seller, ist es…“ Spannungsmoment, dann: „noch zwei Jahre in Armut zu leben, dann wirst du einen Job finden. Keinen sehr guten, aber du wirst wieder ein Dach über dem Kopf haben.“
Der Mann, um dessen Schicksal es geht, atmet erleichtert aus.
Die Menge buht.
Ein positiv Schicksal, eines was das Leben des Kandidaten verbessert, ist nicht gerne gesehen. Es ist nicht spektakulär genug. Der Kandidat verlässt die Bühne und der Moderator ruft einen neuen auf.
Ein Mann in einem teueren Anzug, gepflegt, offensichtlich reich. Die Zuschauer schreien, sie wollen Blut sehen. Im übertragenen Sinne. Sie wollen Tränen, verzweifelte Schreie, so etwas trieb die Quoten nach oben. In der letzten Sendung hatten sie eine junge Frau als Kandidatin gehabt, die schwanger gewesen war und die hatte das Schicksal gezogen, dass all ihre Kinder tot geboren würden.
Sie war eine Musterkandidatin gewesen, hatte sich auf den Boden geworfen, geschrieen, sich geweigert ihr tragisches Schicksal entgegen zu nehmen. Zum Schluss hatte sie sogar den Moderator attackiert, ihm ein blaues Auge verpasst und war schließlich von den Sicherheitsleuten abgeführt worden.
Das war genau das gewesen, was die Zuschauer wollen. Der Moderator verachtet sie alle, wie sie sich an ihren vorgeführten Mitmenschen ergötzen. Aber es macht ihm auch Spaß ihnen dabei zuzusehen, wie sie ihre eigene Rasse ausbuhen.
Die Dummheit anderer war doch ein wenig amüsant.
Der fein gekleidete Mann lässt sich nicht lange aufhalten, tritt vor und zieht ein Los. Wieder nimmt der kleine Moderator es an sich und verkündet, dass der Betreffende in nicht allzu ferner Zukunft von einem Laster überrollt werden würde.
Das war schon besser.
Der Zusatz, dass danach die Hölle auf ihn wartete, verbessert die Stimmung der Gaffer noch einmal, auch wenn die Tatsache, dass der Mann sein Schicksal mit Würde trägt und hoch erhobenen Hauptes die Bühne verlässt, sie wieder etwas dämpft.
„Und nun, meine Damen und Herren, nun kommen wir zu unserem letzten Kandidaten, besser gesagt ein Kandidatin, unser Höhepunkt. Begrüßen Sie mit mir: Sandy.“
Der Applaus wird lauter.
Leidende Kinder vermarkten sich besonders gut.
Ein Mädchen, lange schwarze Haare, wird auf die Bühne geschupst. Zehn Jahre alt.
„Hallo Sandy“, ruft der Moderator in sein Mikrophon.
„Wir freuen uns, dass du heute bei uns bist. Tu uns einen Gefallen und zieh dein Schicksal!“ Noch ohne, dass sie ein Kärtchen in der Hand hält, zittern die Hände des kleinen Mädchens. Die Zuschauer grölen.
Es dauert eine Ewigkeit, bis sie schließlich ihre Hand aus der Trommel zieht und ohne, dass der Moderator vorgelesen hatte, fängt sie an zu weinen.
Jubel.
Weder die Zuschauer, noch der seltsame Moderator haben Mitleid. Letzterer klappt das Kärtchen auf, strahlt über das ganze Gesicht und ruft:
„Herzlichen Glückwunsch! Du hast den Hauptgewinn gezogen! Dir steht ein langer Leidensweg mit Leukämie bevor! Und als Zusatz packen wir noch ein Kamerateam obendrauf, das dich in all den schmerzhaften Phasen begleiten wird!“
Das Mädchen schlägt die Hände vors Gesicht, sein ganzer Körper schüttelt sich. Die Menge rast vor Begeisterung. Sie schreit und jubelt ohrenbetäubend.
„Das war’s für heute mit ihrem Schicksal- TV! Ich hoffe es hat Ihnen gefallen. Das nächste Mal haben wir wieder neue Schicksale in unserer Trommeln, also beehren Sie uns auch dann wieder!“
Er verbeugt sich.
Geschrei.
Applaus.
Das Licht erlischt.