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Scherbenwelten

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06.09.2012
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Scherbenwelten

So richtig begreifen, was passierte, konnte ich erst, als wir im Rettungswagen des Roten Halbmondes durch die Nacht rasten.
Ich blickte aus dem Rückfenster des Wagens, während sich zwei Sanitäter an meiner Großmutter zu schaffen machten. Infusionen, Blutdruckmessung. Es war kritisch, das wusste ich. Ich hatte den Blick des Hotelarztes gesehen, nachdem die Worte Diabète, diabète! doch noch Gott sei Dank aus mir heraus explodiert waren.

Natürlich hatten wir den Urlaub ganz anders geplant. Zwei Wochen Sonne, Strand und Meer zur Feier meines bestandenen Abiturs. Dass ich anstatt mit Freunden mit Tante Elke und meiner Großmutter fahren würde, hatte mich nicht gestört.
Als wir auf Djerba landeten, war das erste, was uns überraschte, die unglaublich trockene Hitze, die sich in unsere Lungen fraß. Eine Hitze, die mich zwang, so wenig Kleidung wie möglich zu tragen, was mir hier, in einem muslimischen Land, unangenehm war. Aber man befand sich im geschlossenen Umfeld der Hotelanlage; das Einzige, was ich mit meinem Auftreten provozierte, war der eine oder andere Blick männlicher Hotelangestellter. Nicht anders als Zuhause. Ich hatte beschlossen, damit leben zu können.

Am Morgen des besagten Tages unternahmen wir den ersten Ausflug. Er sollte der letzte bleiben. Auf einen Markt wurden wir kutschiert, ein Basar wie aus dem Werbeprospekt. Farben, Gerüche, verschleierte Frauen, Lärm, Kinder. Bettelnde Kinder. Damit hatte ich nicht gerechnet.
Während Tante Elke einen der Souvenirhändler auf den wahrscheinlich dreifachen Preis des tatsächlichen Wertes zweier Gewürzdosen herunterhandelte und mir dabei einen Blick zuwarf, der genauso triumphierend wie peinlich war, wurde ich von einer kleinen Gruppe Kinder umringt, die mir ihre kleinen, dunklen Hände entgegen streckten. Ich tat das, was ein überforderter Tourist dann tut. Ich gab. Kleine Münzen. Ich erinnere mich nicht an den Wert, aber an das Lächeln eines kleinen, erstaunlich dunkelhäutigen Mädchens, als es auf die Münze schaute. Und mich am Arm zu sich runter zog und mir einen Kuss gab. Und daran, dass ich mich schämte in diesem Augenblick. Eigenartig. Manchmal frage ich mich, was aus ihr geworden ist. Wie es ihr geht. Ob sie sich an mich erinnert, wie ich mich an sie. Ob sie noch lebt.
Als wir ins Hotel zurückkehrten, fragte ich mich, wo sie denn war, die Kultur, das Geheimnisvolle, die Menschen, das, was ich immer mit dem Orient verbunden hatte, denn auf diesem Markt hatte ich nichts gefunden. Noch nicht einmal einen Muezzin hatte ich rufen hören, nichts.
Ein Land hinter Glas.

Dann kam der Abend. Wir hatten die ganze Zeit versucht, darauf zu achten, dass Großmutter genug trank und aß. Doch die Hitze und das orientalische Essen hatten ihren Preis. Der abendliche Couscous im Bedouinenzelt war wohl ursprünglich als eines der Highlights geplant. Doch es kam anders. Großmutter war mit all dem überfordert, und wir merkten es nicht. Erst ein leichtes Unwohlsein, dann der Durchfall. Als sie dann apathisch in ihrem Bett lag und sich halb bewusstlos übergab, riefen wir den Arzt.

Und nun saß ich hier, an ihrem Krankenbett. Sie war bewusstlos. Vielleicht schlief sie auch nur, das wusste ich nicht. Der Arzt war den ganzen Tag nicht da gewesen. Aber sie atmete, und das war ein gutes Zeichen.
Ich hatte die Aufgabe, einfach im Zimmer zu bleiben, bis Tante Elke mit dem nötigen Geld aus dem Hotel zurückkommen würde. Meinen Stuhl hatte ich an die gegenüberliegende Wand geschoben, von wo ich sowohl einen Blick auf Großmutter als auch in das Zimmer auf der anderen Seite des Flures werfen konnte. Es war schon früher Nachmittag, und der Betrieb auf den Gängen des flachen Gebäudes hatte zugenommen.
Ich sang leise vor mich hin. Amazing Grace. Ich weiß, aber es war das einzige Lied, das mir einfallen wollte. Ich redete mir ein, es für meine Großmutter zu tun, damit sie eine vertraute Stimme im Ohr hatte. In Wirklichkeit jedoch sang ich für mich. Verrückt.
Die vergangenen Stunden kamen mir fast surreal vor. Dabei zusehen zu müssen, wie die eigene Großmutter langsam ins Koma fällt, selbst nichts tun zu können. Diese Hilflosigkeit, das Danebenstehen, das verzweifelte Ringen nach französischen Begriffen. Der große, schwarzhaarige Arzt, dessen dunkelbraune Augen plötzlich diesen Ausdruck bekommen, als er versteht, was los ist. Dann sein ruhiges, bestimmtes Handeln, seine arabischen Anweisungen an Sanitäter, die plötzlich im Raum stehen und die Großmutter auf die Liege befördern. Ich liebe die arabische Sprache, habe ich das schon erwähnt? Der Wagen des Roten Halbmondes, die Fahrt durch die Nacht, diese Ruhe in Allem, was diese Menschen tun. Der Pfleger, der regelmäßig das Zimmer betritt, Blutzucker und Blutdruck misst und mir danach jedes Mal zunickt und lächelt.
Nun lag sie hier in diesem Bett, atmete ruhig vor sich hin, und die Infusion tropfte langsam Leben in ihren Körper zurück, während die Sonne die Schatten langsam durch den Raum wandern ließ.

Ich beschloss, dem Arzt und den Menschen, die in diesem Krankenhaus arbeiteten, einen Dankesbrief zu schreiben. Später, wenn alles vorbei sein würde. Wenn wir wieder Zuhause wären, ich wieder würde denken können. Ich würde mein Französisch-Wörterbuch brauchen.
Ja, ein Brief. Das wäre das Mindeste. Ich würde mir den Namen des Arztes und des Krankenhauses merken.

Dann erschien sie, die Frau, im Türrahmen. Von Kopf bis Fuß in blaues Tuch gehüllt, das Gesicht verschleiert, nur die Augen sichtbar. Ich hatte sie vorher im gegenüberliegenden Zimmer gesehen, sie besuchte den jungen Mann, der dort lag, hatte ihm Essen gebracht.
Sie stand nur da, starrte mich an. Unendliche Sekunden. Mir blieb mein Lied im Halse stecken. So fühlte es sich also an, wenn die Glasscheibe, die zwischen mir und diesen Menschen existierte, zersprang. Ich saß in diesem Scherbenhaufen und hatte ein wenig Angst; noch nie hatte man mich so angesehen. Mir wurde meine spärliche Bekleidung bewusst, und ich rutschte auf dem Stuhl hin und her. Und doch starrte ich zurück. Irgendwie muss man sich ja verteidigen, und sei es nur mit Blicken.
Sie löste ihren Blick und schaute nach rechts, zu meiner Großmutter, die von all dem nichts mitbekam. Wieder vergingen Sekunden, bis die Frau schließlich ganz in unser Zimmer trat. Ich hielt die Luft an.
Sie machte ein paar Schritte zu Großmutters Bett. Ich stand auf, jedoch nur, um festzustellen, dass sie einen kleinen Teller mit grünen Bohnen und Tomaten abstellte und über die Hand meiner Großmutter strich.
Und dann begann sie zu sprechen.
Was sie sagte, werde ich nie erfahren. Aber ich denke, darum geht es nicht. Ihre Worte erfüllten den Raum, ihre Stimme wurde lauter. Dann hielt sie kurz inne, schaute mich an, kam auf mich zu. Sie begann zu gestikulieren und sprach direkt zu mir. Griff meine Hände, umfing sie mit ihren. Diese dunklen Augen vor mir, der blaue Schleier, ihr Inshallah!, das mit tausend anderen Worten im Raum schwebte.
Das Essen auf dem Tischchen.
Ich hatte den ganzen Tag nichts gegessen.
Da verstand ich.

Shukran. Das war alles, was ich sagen konnte. Danke. Mehr Arabisch konnte ich damals nicht. Shukran. Shukran. Ich weiß nicht, wie oft ich es sagte. Ich klammerte mich an dieses Wort wie an einen rettenden Strohhalm. Ansonsten weiß ich nicht mehr viel. Alles, woran ich mich erinnere, ist, dass diese Frau irgendwann ging. Und ich die Bohnen aß.

Ja, so war das. Fünfzehn Jahre ist das nun her. Ich habe meiner Großmutter nie erzählt, was an jenem Tag geschehen ist. Ich weiß nicht, warum. Es hat sich nie ergeben. Seitdem ist sie um einen Bypass reicher, und vor ein paar Monaten ist sie auf offener Straße zusammengebrochen, ein paar Straßen von ihrer Wohnung entfernt, auf dem Weg zum Supermarkt. Das Herz, wissen Sie. Als ich später auf meinem Stuhl in ihrem Wohnzimmer saß und sie betrachtete, wie sie da lag auf ihrem Sofa, und sich erholte von dem Schreck, da hätte ich ihr beinahe von dieser Frau im blauen Schleier erzählt. Beinahe. Aber sie hat geschlafen.

Den Brief habe ich nie geschrieben.

 
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Hallo pss,
eine schöne Geschichte. Hab sie gern gelesen. Stimmungsvolle, die junge Frau in ihrer Nachdenklichkeit. Das hat mir alles sehr gefallen. Du bringst das sehr sensibel rüber, auch das erste Unverständnis, als die Frau dann ins Zimmer kommt, dass da fast ein kleines bisschen Angst aufscheint, das alles wird wunderschön eingefangen. Wenn du die vielen "gehabt" streichst, wirds noch besser, da kommt man sich immer vor, als schnappt einer kräftig nach einem Butterbrot oder nach Luft.
Ansonsten wird man echt eingesponnen in die Atmosphäre.

Aber bitte, da Ende, das ist für mich ein echter Abturner. Das ist zu doll der Wink mit der Moralkeule. So nach dem Motto, schaut her, wie ich aus der Begegnung gelernt habe. Von mir aus hättest du nach "Da verstand ich" aufhören können. Man ist als Leser ja nicht komplett begriffsgestört und man kann sich schon denken, dass diese Begegnung das Leben der Protagonistin verändern wird. Wenn du das alles so auspinselst, was für eine Multikultibombe da aus der Protagonistin geworden ist, da bewertest und leitest du den Leser aus meiner Sicht viel zu sehr.

Ich mach dir heute später noch eine Liste mit so ein paar Anmerkungen, die "gehabts" z. B., jetzt wird grad die Zeit knapp. Ich editiere das dann hier ein.
Bis aufs Ende fand ich es echt schön.
Viele Grüße Novak

Nachträgliches Edit
Also das Ende jetzt ist schon mal viel besser.
Finds immer wieder klasse, wie schnell du in der Lage bist, da umzustellen. Ich tu mich da immer viel schwerer.
Aber jetzt noch mal zu den "GEHABT"s.
Schwups hat zum Glück schon die Beispiele aufgeführt.

Das war mir schon vorher aufgefallen gewesen;
Man benutzt das Plusquamperfekt, um Vorzeitigkeit für eine Handlung auszudrücken, die im Präteritum geschrieben ist. Das hier ist aber kein richtiges Plusquamperfekt. Es ist Umgangssprache, eine sprachliche Angewohnheit, die oft in Südhessen gebraucht wird. Hessen haben oft solche Probleme mit der Verwendung der Zeiten, dass sie es dann ganz genau machen wollen, und da kommt dann so was raus. Man nennt es glaub auch Superplusquamperfekt. Das Gleiche gibts auch für das Perfekt. Es ist aber Umgangssprache und noch dazu keine schöne.
Also so gehts richtig:
Es war mir schon vorher aufgefallen.

Das gleiche dann bei den anderen Beispielen, die Schwups aufgezählt hat.
Und wenn du Vorzeitigkeit hast, dann genügt einer oder auch zwei Sätze im Plusquamperfekt, dann kannst du zurück ins Präteritum wechseln. Der Leser braucht nur den kleinen Hinweis, damit er sich zeitlich verorten kann.
Viele Grüße noch mal von
Novak

 

Hallo Novak,

ich musste so lachen, als ich deinen Kommentar gerade las. War mir schon ein wenig unsicher, ob das am Ende nicht ein bisschen zu viel des Guten ist. Jetzt stell dir vor: da war ursprünglich sogar noch ein Absatz mit dabei, der mir aber schon so auf die Nerven ging, dass ich ihn rausgeschnitten hab. Deswegen erschien mir diese Version hier schon deutlich entschärfter. Haha. Allerdings werde ich jetzt fix die Schere rausholen, und zumindest den Friede-Freude-Hackfleischkuchen-Absatz löschen.
Mist. :)

Und zu den "gehabts": Das ist halt die Vorzeitigkeit, die ich hier ausdrücken muss. Da hilft doch nur das Plusquamperfekt ... oder nicht? Mich nerven die vielen "gehabts" auch, aber was soll ich tun, der Leser soll ja immer wissen wo er sich gerade zeitlich befindet. :confused:

Also ich danke dir für deinen Augenöffner-Kommentar, Novak! :)

Liebe Grüße,
PSS

 

Hallo PSS (ist jetzt dein offizielles Kürzel geworden, was? :)

Ich habe deine Geschichte gestern gelesen, zweimal sogar, und habe lange überlegt, wie ich mich dazu sinnvoll äußern kann. Ist ein schwieriges und wichtiges Thema, was (meiner Meinung nach) leider immer unter diesem geheuchelten, krampfigen Multi-Kulti Gedöns untergeht: Respekt vor anderen Kulturen.

Ich habe festgestellt, dass der gemeine Westeuropäer absolut euro-zentriert ist, alles was irgendwo im "nahen Osten" oder sonst wo passiert, spielt erstmal keine Rolle, oder aber ist ein "barbarischer Akt". Das ist auch so ein Teil der modernen Demokratur der westlichen Welt, dass sie eben denkt, jeder braucht diesen way of life, und sei es mit Waffengewalt. Kultur bedeutet für mich eine Differenz, die ich nicht zwingend nachvollziehen können muss. Ich werte auch Kultur nicht. Deine Geschichte zeigt ja, wie deine Protagonistin sozusagen erwacht, wie sie mitbekommt, okay, hier ist jetzt auch für mich persönliche eine Grenze, das hat etwas mit Scham zu tun, mit dem Eingestehen, dass man sich in einen Wertekanon einfügen kann, ohne sein Gesicht zu verlieren, einfach eben aus Respekt.

Die Geschichte ist gut geschrieben. Ich hätte mir von deiner Prot aber noch etwas mehr innerlichen Konflikt gewünscht - was geht da genau in ihr vor, als sie in dem Scherbenhaufen sitzt, was ist das, dieser Scherbenhaufen? Ich würde mir wünschen, dass man hier die Prämisse konsequenter zeigen könnte, ich kann das auch nicht besser beschreiben, weil es ja eine individuell-emotionale Sache ist, die du erläuterst. Wie gesagt, ein heikles Thema.

Beim Ende muss ich Novak zustimmten, sie hat da alles gesagt. Das wirkt auch gleich überambitioniert, du nimmst da dem Leser die Katharsis etwas weg, das eigene Nachsinnen, wie ich finde. Ich würde einfach nach dieser Situation rausgehen, sie stehen lassen, das regt viel eher zu eigenen Gedanken an.

Sehr gerne gelesen.

Gruss, Jimmy.

 

Hi Jimmy,

ja, irgendwie schon interessant, wie manche Nicks hier akronymisiert werden und andere nicht. Da scheint's 'ne stille Regel zu geben. Is' aber egal, mir passt das schon sehr. So werden manche hoffentlich davon abgehalten, mich nochmal 'Sternenstäubchen'(!) oder so zu nennen. :D

Deine Anmerkungen kann ich nur unterschreiben.
Vor vielen Jahren habe ich zwei Bücher quasi zeitgleich gelesen: Huntingtons Clash of Civilizations und Veiled Sentiments von Abu-Lughod. Die stehen seitdem in meinem Regal nebeneinander. Ich denke, Huntington kennt jeder. Veiled Sentiments beschreibt ein Nomadenvölkchen, das - von außen betrachtet - jedes Klischée beratungsresistenter Islamisten erfüllt. Liest man es, dann ergibt sich ein vollkommen anderes Bild. Also ich hatte da schon einen Kulturschock, als ich das las. Ich hatte vorher immer die klassische Meinung vertreten: Schleier=Unterdrückung etc. Und ich kam mir entlarvt vor, als ich das Buch am Ende schloss.
Also unser eurozentristischer Blick ist in vielerlei Hinsicht biased. Es gibt Dinge, die man immer einfach irgendwie erklärt und damit auch bewertet. So ganz selbstverständlich, ohne auch nur mal eine Sekunde auf die Idee zu kommen, dass es da einen kulturellen Werteunterbau gibt, der sich von dem unseren zwar noch nicht mal so sehr unterscheidet - nur erwachsen daraus eben andersartige soziale Konventionen, die sich auf den ersten und zweiten Blick einer angenehmen Erklärung entziehen.
Und da wir meist zu bequem sind, auch mal anstrengende Denkexperimente zu unternehmen, bleibt uns nur die pauschale Verurteilung.

Also ich hab das Ende jetzt komplett geändert. Und ich ärgere mich darüber, wie blind ich war, echt. Da tropfte der Schmalz zwischen den Zeilen raus, und ich habs nicht gemerkt. Uaah.

Ich danke dir für deinen Kommentar!

PSS

 
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Hallo PSS

Ja, ist wirklich eine schöne Geschichte, so unaufgeregt und leichtfüssig erzählt, ohne jedoch dahinzuplätschern. Ich kannte bereits die erste Version, die Schere hat da wirklich gutes geleistet!

Anfangs dachte ich, deine Prota sei männlich.

- Ich war Außenseiter gewesen, ...
- An den Partybesäufnissen meiner Altersgenossen ...
Erst die Blicke der Hotelangestellten machten mich stutzig. :D

Der letzte Satz zeigt schön die menschliche Eigenschaft der Ferienheimkehrer auf. Erst einmal zu Hause, wird es schwierig, die Gefühle, die man in der Fremde hegte wiederzugeben, geschweige denn die richtigen Worte für einen Brief zu finden. Und wie hiess der Arzt noch mal? ;) Da lässt man es dann halt absacken ...

. Dabei zusehen zu müssen, wie die eigene Großmutter langsam in ein Koma fällt
ins Koma

Irgendwie muss man sich ja verteidigen[, und sei es nur mit Blicken].
Der erste Teil des Satzes ist schon stark genug, da darf der erklärende Nebensatz ruhig raus.

Gern gelesen,
Gruss dot

 

Hallo PSS

So richtig begreifen, was passierte, konnte ich erst, als wir im Rettungswagen des Roten Halbmodes durch die Nacht rasten.

Halbmondes

Das war mir schon vorher aufgefallen gewesen;

Das ist eine seltsame Zeitform, die du hier wählst: war … aufgefallen gewesen. Wie nennt man das grammatikalisch? war … aufgefallen ist ja schon Plusquamperfekt, mit einem zusätzlichen „gewesen“ wirkt es wie eine Vor-Vorvergangenheit. Ich glaube, diesen Konstrukt verwendet man eher umgangssprachlich, und das auch nicht überall in Deutschland. Da es in diesem Text sehr oft auftaucht, kann es natürlich sein, dass du es als absichtliches „Stilmittel“ einsetzt, um deiner Figur eine bestimmte Stimme zu geben. Persönlich gefällt es mir nicht, es klingt einfach falsch, finde ich.


Natürlich hatten wir den Urlaub ganz anders geplant gehabt.

Ja, hier schon wieder: Natürlich hatten wir den Urlaub ganz anders geplant. Reicht doch, oder?


Eine Hitze, die mich dazu zwang, so wenig Kleidung wie möglich zu tragen, was mir hier, in einem muslimischen Land, unangenehm war.

Es sind Kleinigkeiten, aber in letzter Zeit achte ich mehr auf solche Dinge: Könnte hier das Wort „dazu“ nicht entfallen? Klingt es dann nicht besser, prägnanter? Denn: Die Funktion des „dazu“ liegt ja nur darin, dieses „so wenig Kleidung wie möglich zu tragen“ zu beschreiben, und damit ist das doppelt erwähnt.


war der ein oder andere Blick männlicher Hotelangestellter

der eine oder andere Blick


Ich hatte beschlossen, damit leben zu können.

Besser: Ich hatte beschlossen, damit zu leben. Denn man beschliesst, etwas zu tun, nicht etwas tun zu können, sonst macht es den Eindruck, der Beschluss bezieht sich auf die Fähigkeit (die man entweder hat oder nicht hat, aber nicht beschliessen kann).

Am Morgen des besagten Tages hatten wir den ersten Ausflug unternommen.

Spätestens hier würde ich jetzt ins Imperfekt wechseln. Zwar ist es immer noch Vorvergangenheit, aber grammatikalisch ist es erlaubt, die Zeit dann irgendwann zu wechseln. Es klingt dann einfach weniger umständlich, die ganzen „hatte“ und „gewesen“ fallen dann nämlich weg.

Soviel mal zum Stil. Inhaltlich wirkt mir die Prot. eine Spur zu naiv:


Als wir ins Hotel zurückgekehrt waren, da fragte ich mich, wo all die Kultur war, die Menschen, das Land überhaupt, denn auf diesem Markt hatte ich sie nicht gefunden. Auch nicht in der Teppichmanufaktur, zu welcher uns unser Guide zielsicher gelotst hatte. Und schon gar nicht im Hotel. Kein Kontakt zur Innenwelt.

Natürlich nicht, aber mit welcher Erwartung geht sie denn an die Sache ran? Was genau meint sie denn hier mit „Kultur“? Ich werde da nicht so recht schlau draus, weil ich nicht genau weiss, was die Prot. überhaupt sucht. Vielleicht könntest du das noch feiner herausarbeiten, denn für den Leser werden diese enttäuschten Erwartungen erst klar, wenn er die Erwartungen selbst kennt.

Auch wenn du das Ende „entschärft“ hast (ich hab das Original nicht gelesen) finde ich es immer noch ziemlich schmalzig. Die Begegnung mit der verschleierten Frau, die etwas von ihrem Essen abgibt, ist für meinen Geschmack zu sehr auf heile Welt gemacht, aber das ist subjektiv.

Gut gefallen hat mir dann der letzte Satz, das ist ja oft so, dass man in einer Notsituation an ganz bestimmte Dinge denkt, die dann – wenn die Situation überstanden ist – keine Rolle mehr spielen. Ich weiss auch nicht, wie oft Ärzte, die jemandem das Leben retten, später den persönlichen Dank dieser Person bekommen. Vermutlich zu selten.

Oder möchtest du mit dem Satz andeuten, dass die Grossmutter doch gestorben ist? Ich bin nicht ganz sicher, denn über deren Schicksal schweigst du ja.

Bis auf die Anmerkungen zum Stil finde ich es schön geschrieben, und kurzweilig ist die Geschichte allemal.

Viele Grüsse,
Schwups

 
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Ja, es ist ein Jammer, dass man sich Dinge vornimmt, die später – wenn schon nicht vergessen – einfach verdrängt werden, wie eine freundliche Danksagung oder ein Brief. Gleichwohl mag ich Deine Aufgeschlossenheit gegenüber Fremdem wie gar Freundlichkeit gegenüber Fremden immer wieder zu entdecken,

Purersternenstaub.

Ist Deine Muttersprache frz.?, -mais je n’ écrire pas francais, mais je parle un peu ..., denn

… Couscous im Bedouinenzelt …
folgt einem Mix dt.-frz. Schreibweise, mit Schwerpunkt auf dem Laut , im frz. „ou“, im dt. einfach „u“, üblich wäre also hierzulande „Kuskus“ und Beduine…, wiewohl der frz. Hauch mir gefallen will ... Aber es gibt in dieser ruhig und unaufgeregt erzählten Geschichte eine Tendenz, die mir auffällig erscheint gegenüber den Vorgängern: ein Hauch von Partzipienreiterei.

Das Sein west - sagt sinngemäß Heidegger im ihm eigenen Jargon der Eigentlichkeit, und vieles ist hier "gewesen" oder wird "gehabt". Die Zeitenfolge, die – wenngleich keineswegs falsch ist – klingt mir gestelzt:

Natürlich hatten wir den Urlaub ganz anders geplant gehabt.
eleganter und ausreichend, wie ich finde, wäre
Natürlich hatten wir den Urlaub ganz anders geplant […].
und auch ein Beispiel des wesenden Seins:
Ich war Außenseiter gewesen, solange ich denken konnte, …
eleganter und ausreichend, wie ich finde, wäre
Ich war Außenseiter […], solange ich denken [kann], …
um nur zwei Beispiele aufzuführen.

Und am Anfang war schon ein Hauch von Flüchtigkeit aufgetreten (warum muss ich "eigentlich" dergleichen entdecken?, kurzsichtig und halbtaub??)

Rettungswagen des Roten Halbmodes durch …
Da ist leicht ironisch sein, aber mir passeirt dergelichen (d. i. mhd., ha!) auch, und wenn nicht, dann doch so ähnlich …

Zum Abschluss noch

... anstatt …
- nix Schlimmes und noch weniger falsch, aber es hätte ein „statt“ statt des „anstatt“ genügt.

So viel oder wenig für heute vom

Friedel

 

So, ihr Lieben,
das Superplusquamperfekt-Festival ist nun beendet. :)
Hab alles ausgemerzt, was unnötig war.

**

Liebe Novak,

danke für deinen Nachtrag. An einer Stelle musste ich allerdings schlucken.
HESSEN??!! :pah:
:lol:
Meine arme, arme Mainzer Seele!
Aber Scherz beiseite. Es war mir überhaupt nicht bewusst, dass das im Reich der Dialekte verortet ist. Sachen gibt's!
Ich danke dir dafür, den Fehler werde ich in Zukunft zu vermeiden in der Lage sein. Hoff' ich zumindest!

Lieber dot,
die Omi fällt jetzt ins Koma. Liest sich besser, ja. Die Blickdefensive lass' ich aber so stehen. Mir gefällt der Leserhythmus so besser.
Und sagt man nicht geschlechtsunabhängig Außenseiter? Und Altersgenossinnen geht gar nicht. Das klingt nach: Die Jungs betrinken sich in 'nem getrennten Raum. :lol: Also ich bin ja jemand, dessen Seelchen sich jedesmal zusammenkrampft, wenn Ohr oder Auge zwanghaften Genderspeak kreuzt. Ganz schrecklich find ich das.
Ich danke dir!

Lieber Schwups,
vielen Dank für das Aufdröseln meiner Gehabtheit. In der nächsten pan-zeitigen Geschichte werde ich früh ins Imperfekt wechseln. Das erspart ja auch mir unnötige Hirnverschwurbelungen!
Auch das dazu hab ich entfernt, du hast Recht, es war redundant. Manchmal hab' ich das Gefühl, dass mir ein verlässlicher Füllwort-/Redundanz-Sensor fehlt. Hm.
Jimmy hat auch schon geschrieben, dass ihm die Prota zu unklar ist, also dass da Tiefe fehlt in Bezug auf die von ihr erwartete Kultur. Mal sehen, was ich da mache ...
Und du hast die Geschichte schon richtig verstanden. Die Großmutter hat das überlebt, nur das anfangs so klare Vorhaben, diesen Dankesbrief zu schreiben, der ist wohl auf Djerba geblieben.
Vielen Dank für deine Mühe und das genaue Hinschauen!

Lieber Friedel,
ich bin zwar frankophil und mütterlicherseits Hugenottenabkömmling, muttersprachlich allerdings in Deutschland verortet. Ich finde einfach, dass die Wörter so schöner aussehen und auch ganz anders gesprochen bzw. gedacht werden. Sie bekommen so einen Geschmack beim Lesen. Und eine kleine gedankliche Verbeugung vor anderen Sprachen kann niemals falsch sein. :)
Meine Über-Zeitlichkeit ist nun auch behoben, der Lesefluss hat es unmittelbar gedankt. Und: Der Mond ist jetzt ein Mond. :)
Merci!

 

Coucou Purersternenstaub

Mich aus der Gefangenschaft des Kannibalen kurz befreiend, habe ich mal durch die Rubriken geblättert. Scherbenwelten - sprang mir da entgegen. Einen ähnlichen Ausdruck, als Haufen, brauchte ich gerade letzthin. Dies machte mich neugierig, welche Trümmer sich da anhäufen mögen.

Der Einstieg kam mir beinah überzeichnend entgegen, Dramatisches ankündigend. Dem stand mir etwas entgegen, dass bei einer Unter- oder Überzuckerung nicht gleich um das Leben gerungen werden muss, wenn medizinische Hilfe schnell zugegen ist. Doch natürlich ist es für die Angehörigen nicht einfach klar, ist dies oder jenes zu tun, Insulin zu spritzen oder Traubenzucker zuführen.

Das Bild in der Geschichte änderte sich dann schnell, die Augen der Touristin, welches ein anderes Tunesien wahrnahm, als sie an sich erwartete. Das Fremde war ja durchaus vorhanden, das bunte Treiben, bettelnde Kinder, wenn auch manches mehr abschreckend wirken mag, da es nicht eigenem Standard entspricht.

Doch dann wieder im Spital, diese überall gleich steril wirkende Anonymität, durchbrochen durch die Aktivität von Schwestern und Ärzten. Hier gleitest du auf den Höhepunkt zu, das Bedrohliche in einer verschleierten Frau personifizierend, allein ihre schwarzen Augen als Gefahr ortend. Doch der Bruch kommt, die mitfühlende Geste der Fremden, sie ist ja die Eingeborene, eine Verkörperung ihrer Kultur. Da wird es sehr feinfühlig, sentimental, und für meinen Geschmack wunderbar erzählt. ;)

Was sich mir im Stoff eigentlich mehr als Anhängsel zeigte, war die Begründung, warum sie mit der Tante und der Grossmutter in den Urlaub ging. Ihre Abschottung gegenüber den Alterskollegen, gegen Besäufnisse nach bestandenem Abitur. Es war mir etwas exotisch, beinah konstruiert, doch nicht so, dass es mir die Geschichte entfremdete.

Ein sehr schöner Beitrag, den ich gerne las.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Purersternenstaub,

Zitat: Das war mir schon vorher aufgefallen gewesen;

Das liest sich komisch und falsch.

Deine kleine Geschichte hat mir gefallen, weil sie es schafft, diese spezielle Atomsphäre zu erzeugen, in einem fremden Land eine Notsituation bewältigen zu müssen.

In deutlich extremerer Form hab ich das mal in dem Film "Babel" empfunden.

Du schreibst sehr schnörkellos und weisst, wo du mit der Story hinwillst. Die gesellschaftliche Relevanz stellt sich erst zum Ende ein, als zwei fremde Welten aufeinander prallen, und der Hauptcharakter ist eher alltäglich. Dass du die Situation nicht überdramatisierst, beschert ein angenehmes Leseerlebnis.

Am Schluss geht die Oma ein wenig unter. Ihre Erkrankung ist eigentlich der dramatische Motor in der KG, aber du lässt uns über ihr Schicksal im ungewissen, um statt dessen die Begegnung mit der fremden Kultur zu schildern, die das Bild abschließt, ohne es abzurunden.

Der nicht geschriebene Brief ist ein finaler Satz, der wohl in den meisten von uns ein zustimmendes Nicken erzeugt und die Erkenntnis, dass in vielen Leben viele solcher ungeschriebenen Briefe zu finden sind. Man nimmt es sich in solchen Augenblick felsenfest vor, hat den Brief eigentlich zu 90% schon geschrieben im Kopf, und dann kehrt man in seinen Alltag zurück, hat keine Zeit, keine Lust, keine Inspiration, findet keinen Anfang aber mindestens tausend Ausflüchte, diesen Brief zu verschieben und zu verschieben und zu verschieben ...

Tja, die Story gibt einem was mit auf den Weg ;-)

Rick

 

Lieber Anakreon,

ich freue mich, dass dir die Geschichte gefällt.
Du hast Recht, Unterzuckerung ist nicht das Ende. Ich stelle es mir so vor, dass die beiden vielleicht ein wenig zu lang gewartet haben, bis sie den Arzt riefen, und der wiederum eine dehydrierte, ältere Frau vorfand, die aus unerfindlichen Gründen bewusstlos wurde. Da stelle ich mir vor, dass die Diabetes-Information der ganzen Sache ein Quentchen mehr Dringlichkeit verpasst.
Schon in meiner ersten Geschichte hast du mich darauf hingewiesen, dass Barbiturate seit vielen Jahren nicht mehr zugänglich sind. Das sind so Kleinigkeiten, in deren Recherche ich nachlässig bin. Ich danke dir für deinen aufmerksamen Blick!

Lieber Rick,

cool, dass du was aus der Geschichte mitnimmst.
Ja, die Oma geht ein bisschen unter. Zwar schreibe ich zwischendrin, dass die Prota der Oma bis heute von der ganzen Sache nichts erzählt hat, aber das scheint total unterzugehen. Ich denke, das werde ich heute Mittag ändern.
Und ich hatte tatsächlich noch ein gewesen übersehen! Du hättest die Geschichte vor zwei, drei Tagen lesen sollen ... Novak, Schwups und Friedel haben mir ordentlich den Kopf gewaschen! :D

Danke euch beiden!
PSS

 

Hey PPS,

hat mir gefallen. Ich mag Texte, in denen mit Menschen begegnen. Wie auch immer sie ticken, Hauptsache sie sind keine Schaufensterpuppen, sondern haben auch Falten oder z.B. Vorurteile.

So richtig begreifen, was passierte, konnte ich erst, als wir im Rettungswagen des Roten Halbmondes durch die Nacht rasten. Die Sirene war nicht nötig. Es war ein Uhr morgens, und die Straßen Richtung Houmt Souk waren dunkel und menschenleer. Das war mir schon vorher aufgefallen; sobald man die Touristentempel verließ, traf man kaum eine Menschenseele auf den vor Hitze flirrenden, staubtrockenen Straßen an.
Ich blickte aus dem Rückfenster des Wagens, ...

Diesen Einschub finde ich nicht clever. Du fängst an, dass es der Großmutter schlecht geht, dass die Prot. gerade etwas begreift und dann machst Du erst mal Stadtführung um irgendwie wieder auf die Situation zurückzukommen, von der Du eigentlich erzählen wolltest.

So richtig begreifen, was passierte, konnte ich erst, als wir im Rettungswagen des Roten Halbmondes in Richtung Houmt Souk durch die Nacht rasten. Ich blickte aus dem Rückfenster des Wagens, ...
Das wäre jetzt ohne Schörkel :).

Dass ich anstatt mit Freunden mit Tante Elke und meiner Großmutter fahren würde, hatte mich nicht gestört. Ich war Außenseiter gewesen, solange ich denken konnte, und außerdem liebte ich die beiden sehr. An den Partybesäufnissen meiner Altersgenossen nach den Prüfungen hatte ich nie teilgenommen. Und das nicht nur, weil ich nie eingeladen wurde. Alkohol ist mir einfach unheimlich.

Charakter zeichnen war wohl der Punkt, warum Du das geschrieben hast. Und ich frag Dich jetzt, was davon brauch ich, um das Mädel im Rest der Geschichte zu verstehen. Ist ja nicht mal wichtig, warum sie da mit Tante und Oma hinfährt, ist ja nicht das Thema. Also, ich finde die Stelle hier ganz schwierig im Kontext.

Als wir auf Djerba landeten, war das erste, was uns überraschte, die unglaublich trockene Hitze, die sich in unsere Lungen fraß. Eine Hitze, die mich zwang, so wenig Kleidung wie möglich zu tragen, was mir hier, in einem muslimischen Land, unangenehm war. Aber man befand sich im geschlossenen Umfeld der Hotelanlage; das Einzige, was ich mit meinem Auftreten provozierte, war der eine oder andere Blick männlicher Hotelangestellter. Nicht anders als Zuhause. Ich hatte beschlossen, damit leben zu können.

Das gefällt mir dagegen sehr gut. Hier hast Du Person und Umfeld gut im Griff und auch schön gezeichnet. Bis auf den letzten Satz. Der macht sie für mich unsymphatisch. weiß nicht warum, wirkt aber künstlich auf mich.

Am Morgen des besagten Tages unternahmen wir den ersten Ausflug. Er sollte der letzte bleiben. Auf einen Markt wurden wir kutschiert, ein Basar wie aus dem Werbeprospekt. Farben, Gerüche, verschleierte Frauen, Lärm, Kinder. Diese vielen Kinder, die uns ihre Hände entgegen streckten. Bettelnde Kinder. Damit hatte ich nicht gerechnet.
Als wir ins Hotel zurückkehrten, fragte ich mich, wo all die Kultur war, die Menschen, das Land überhaupt, denn auf diesem Markt hatte ich sie nicht gefunden. Auch nicht in der Teppichmanufaktur, zu welcher uns unser Guide zielsicher gelotst hatte.

Wonach riecht es, was haben die Kinder an? Wollen sie Geld? Verkaufen sie irgendeinen Müll? Wie sieht das genau aus, Dreck auf dem Boden? Und ist das dann nicht doch schon Kultur, auf die sie trifft. Und dagegen dann die Ordnung im Hotel, die Touris da, der Swimmingpool. Nicht behaupten, zeigen ;). Lass mich den Widerspruch als Leser genauso fühlen, wie die Prot, ihn fühlt.
Der abendliche Couscous im Bedouinenzelt war wohl ursprünglich als eines der Highlights geplant. Doch es kam anders. Großmutter war mit all dem überfordert, ...

Dramaturgischer Fehler ;). Wenn Du mir vorher sagst, was mich jetzt erwartet, was wird dann aus der Spannung? Kann auch gut weg, der Satz.

Ich sang leise vor mich hin. Amazing Grace. Ich weiß, aber es war das einzige Lied, das mir einfallen wollte. Ich redete mir ein, es für meine Großmutter zu tun, damit sie eine vertraute Stimme im Ohr hatte. In Wirklichkeit jedoch sang ich für mich. Verrückt.
Die vergangenen Stunden kamen mir fast surreal vor. Dabei zusehen zu müssen, wie die eigene Großmutter langsam ins Koma fällt, selbst nichts tun zu können. Diese Hilflosigkeit, das Danebenstehen, das verzweifelte Ringen nach französischen Begriffen. Der große, schwarzhaarige Arzt, dessen dunkelbraune Augen plötzlich diesen Ausdruck bekommen, als er versteht, was los ist. Dann sein ruhiges, bestimmtes Handeln, seine arabischen Anweisungen an Sanitäter, die plötzlich im Raum stehen und die Großmutter auf die Liege befördern.

Das fand ich wieder sehr gut.
Ich liebe die arabische Sprache, habe ich das schon erwähnt?

Und da endlich auch mal was Gutes. Warum ist ihr die Sprache auf dem Markt nicht schon aufgefallen? Ich finde immer so nur schwarz, oder nur weiß schwierig.
Der Wagen des Roten Halbmonds, die Fahrt durch die Nacht, diese Ruhe in Allem, was diese Menschen tun. Der Pfleger, der regelmäßig das Zimmer betritt, Blutzucker und Blutdruck misst und mir danach jedes Mal zunickt und lächelt.

Auch ein schöner Gegensatz zum Markt. War es da laut? War es eng und beklemmend? Wenn ich sowas dann für mich allein im Text entdecke, ohne das Autor mir sagt, was ich jetzt empfinden soll, das hat schon was.

Dann erschien sie, die Gestalt im Türrahmen. Eine Frau, von Kopf bis Fuß in blaues Tuch gehüllt, das Gesicht verschleiert, nur die Augen sichtbar.

Gestalt klingt jetzt nicht nach liebevollem Autor. Dann stand eine Frau im Türrahmen. Von Kopf bis Fuß ...

Mal ehrlich, wer denkt denn, da steht eine Gestalt in der Tür, man denkt doch da steht ein Mann/eine Frau/ein Kind in der Tür.

Die Begegnung zwischen den beiden ist natürlich schön. Das mit dem Essen und so. Hat mir gut gefallen. Und der Brief, ja, zurück zu Hause dann eben. So ist das im Leben und eigentlich auch schade.

So viel von mir und meinen Empfindungen.
Beste Grüße Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Rick nochmal,

die Oma ist jetzt abgerundet. :)
Danke nochmal.


Hallo Fliege,

ich dank dir für die Mühe, die du dir mit deinem Kommentar gemacht hast. Hat mich überzeugt, habe versucht, Einiges umzusetzen.
Der erste Absatz ist nun gerafft. Viiiel besser so. Weiß auch nicht, weshalb mir die menschenleeren Straßen so wichtig waren. Frag ich mich echt jetzt. Auch die Partybesäufnisse gehören der Vergangenheit an.

Ich hatte beschlossen, damit leben zu können.
muss aber drin bleiben. Das Mädel hadert mit ihrem Auftreten in Bezug auf das islamische Umfeld. Das damit leben können bezieht sich eben auch auf das unangenehme Gefühl, gegen bestimmte Werte zu verstoßen. Also das Aushaltenkönnen des Unwohlseins.

Es haben auch andere schon geschrieben, ich solle mehr auf die Prota eingehen, sie irgendwo mehr zeichnen, besonders, was die Marktszene angeht. Das hab ich jetzt ein wenig deutlicher gemacht.

Der abendliche Couscous im Bedouinenzelt war wohl ursprünglich als eines der Highlights geplant. Doch es kam anders.
Also wenn ich das Doch es kam anders weglassen soll, weil es die Spannung nimmt, dann müsste ich den Satz vorher auch komplett anders schreiben, denn der kündigt das Doch es kam anders mit dem Vorschlaghammer an. Also bildlich gesprochen jetzt. :)
Das
... war wohl ursprünglich als ...
sagt ja schon ganz klar, dass es eben nicht so kam. Damit wäre der beanstandete Satz einfach überflüssig, aber nicht spannungszerstörend. Ich hab auch drüber nachgedacht, wie die Geschichte erzählt ist. Da berichtet jemand zwar schon recht - wie soll man sagen - literarisch aufbereitet, aber an der ein oder anderen Stelle kommt dann doch diese direkte Berichtsituation durch, finde ich. Z.B. hier:
Das Herz, wissen Sie.
oder
Ich weiß, aber es war das einzige Lied, das mir einfallen wollte.
Da passt dieses redundante Doch es kam anders gut rein.

Ach ja, die Gestalt ist nun auch zur Frau geworden. :)

Ich dank dir sehr, liebe Fliege, du hast wie immer sehr geholfen!

Ganz liebe Grüße,
PSS


Nachtrag
Hab gerade gemerkt, dass meine Änderungen irgendwie im Nirvana der Bearbeitung verpufft sind. Geschichte steht ja unverändert da! Ärgerlich.
Also ich werds jetzt nochmal versuchen.

 

Eigenartig, gerade hab ich bei Georg Simmel gelesen „[w]enn deshalb von den arabischen Beduinen berichtet wird, dass bei ihnen Betteln, Schenken und Plündern Wechselbegriffe und notwendig zusammenhängende Handlungen sind, so beweist dies, insbesondere in Anbetracht des stark individualistischen Charakters jener Stämme, wie alle diese verschiedenen Aktionen mit dem Besitz doch nur, mit verschiedenen Vorzeichen und nach verschiedenen Richtungen hin, einen und denselben Sinn und Grundwert aller Besitzobjekte aussprechen: dass die Persönlichkeit sich in ihnen auslebt, ausprägt, ausbreitet.“ [Georg Simmel, Philosophie des Geldes, S. 269] – dass ich gar nicht um Deine kleine Geschichte ein weiteres Mal herumkomme,

liebe PSS,

und das ist gut so! Fangen wir mit dem gar nicht einmal so harmlosen an, wie es zu sein scheint, wenn Du letzten an mich schriebst

ich bin zwar frankophil und mütterlicherseits Hugenottenabkömmling, muttersprachlich allerdings in Deutschland verortet. Ich finde einfach, dass die Wörter so schöner aussehen und auch ganz anders gesprochen bzw. gedacht werden. Sie bekommen so einen Geschmack beim Lesen. Und eine kleine gedankliche Verbeugung vor anderen Sprachen kann niemals falsch sein,
was für sich (dieses Pronomen gab den Ausschlag, mich noch mal zu melden und so ist denn ein mittlerer Aufsatz daraus geworden) genommen in Ordnung wäre – wäre da nicht die koloniale Vergangenheit Frankreichs (das die Besetzung Tunesiens als „Schutzherrschaft“ verniedlicht). Ja klar, ist frz. eine schöne Sprache, aber schwingt nicht in jeder Lingua franca so etwas wie Imperialismus mit, mag der Kolonialherr noch so liebenswürdig sein? Alle Sprachen haben ihre Besonderheiten, sind „schön“, selbst wenn sie Pidgin oder Kreolisch daherkommen, aber „Beduine“ ist eben vor allem ein arabisches Wort (egal, was man da hineinliest und abwertend auf Obdachlose hierzulande überträgt). Und sagstu nicht selbst
Ich liebe die arabische Sprache, habe ich das schon erwähnt?

Kurios, was einem so widerfährt. Aber hier hätt’ ich eh noch mal kommen müssen:
Ich erinnere mich nicht an den Wert, aber an das Lächeln eines kleinen, erstaunlich dunkelhäutigen Mädchens, als es auf die Münze schaute. Und mich am Arm zu ihr runter zog und mir einen Kuss gab.

Das grammatische Geschlecht zu wechseln, erscheint mir hier riskant beim Reflexivpronomen.
Warum?
Das Reflexivpronomen kennt nur eine einzige EINDEUTIGE Form im dt. und ausgerechnet in der 3. Person Einzahl, gleich welchen grammatischen Geschlechts: eben das „sich". Er [Der Mensch] / sie [Die Frau] / es [das Mädchen] zieht mich zu SICH runter!

Der darauf folgende Block des sich-Fragens wäre vllt beser im Konjunktiv formuliert, also statt

Und daran, dass ich mich schämte in diesem Augenblick. Eigenartig. Manchmal frage ich mich, was aus ihr geworden ist. Wie es ihr geht. Ob sie sich an mich erinnert, wie ich mich an sie. Ob sie noch lebt
vllt. besser
Und […] Augenblick. Eigenartig. Manchmal frage ich mich, was aus ihr geworden [sei]t. Wie es ihr geh[e]. Ob sie sich an mich erinner[e], wie ich mich an sie. Ob sie noch leb[e],
denn Fragen sind immer offen, sonst sind sie entbehrlich, wenn auch in der Rhetorik ein feines Stilelement.

Aber jetzt ist genug der Besserwisserei, meint der

Friedel,
der übrigens auch Hugenottenabkömmling (mütterlicherseits und dank Preißens Gnade) ist.

 

Lieber Friedel,

nein, ich sage nicht, dass ich die arabische Sprache liebe, sondern meine Prota.
Schmeiß' das bitte nicht zusammen.

Und ja, Beduine ist ein arabisches Wort, das über den Umweg der Weltgeschichte als "französisches" Lehnwort Eingang in unsere Sprache gefunden hat und seitdem eben in der eingedeutschten Form existiert. Und das auch noch alles mit fälschlich drangehängtem Pluralsuffix. Tja. Und jetzt?

Das Zusatz-o kann man bemängeln, wenn man will. Es ist ganz einfach falsch geschrieben. Mehr aber auch nicht. Es wird sofort verstanden, und das ist es, was zählt.
Betrachte mich einfach als Schreibschriftler. Das ist ein gutes Wort. Wenn sich mir eine Schreibweise bietet, die sich mit der Hand schöner schreiben lässt, dann wähle ich diese Variante.
Political correctness ist gut. Allerdings ist Französisch auch einfach - Französisch.
Sei mir nicht böse, aber ich finde solche Diskussionen etwas müßig, wenn ich ehrlich bin.

Zum grammatischen Geschlecht.
1:0 für dich!
Geändert.

Und das feine Stilelement des Konjunktivs im Block des sich-Fragens klingt zu gestelzt für die Prota, findest du nicht auch? Also ich würde ihr das nicht abnehmen. Da würde sich der Leser doch fragen: Huch, was'n jetzt los?

Lieber Friedel, auch wenn unsere Ansichten in manchen Dingen verschieden sind, danke ich dir für deinen erneuten Kommentar!

Liebe Grüße und - wie wir Mainzer sagen - Merci auch,
PSS

 

Ja, Marktszene ist jetzt viel "echter". Nur hast Du jetzt ein Problem :)

Als wir ins Hotel zurückkehrten, fragte ich mich, wo sie denn war, die Kultur, das Geheimnisvolle, die Menschen, das, was ich immer mit dem Orient verbunden hatte, denn auf diesem Markt hatte ich nichts gefunden, (außer Armut, Diskriminierung und Profitdenken.) Noch nicht einmal einen Muezzin hatte ich rufen hören, nichts. Auch nicht in der Teppichmanufaktur, zu welcher uns der Guide zielsicher gelotst hatte. Und schon gar nicht im Hotel. Alles war bunt und roch wunderbar und alle lächelten, aber das wahre Leben, das zeigte man uns nicht. Kein Kontakt zur Innenwelt.
Ein Land hinter Glas.

Das Dicke würde ich rausnehmen, erfährt man ja vorher schon szenisch und das ist immer viel schöner, als es wie durch einen Lehrer an die Tafel geschrieben zu bekommen.

... aber das wahre Leben, das zeigte man uns nicht. Kein Kontakt zur Innenwelt.

Naja, auf dem Markt hat sie es ja gespürt, gesehen, gerochen. Die arabische Märchenwelt war es ja nicht. Die gaukeln sie einem wohl eher im Hotel vor.
Und jetzt frag ich mich. welche wirkliche Welt sie denn überhaupt sehen will? Den Kontrast Hotel - Markt, den kauf ich ja mit Land hinter Glas. Aber kein Kontakt zur Innenwelt verstehe ich nicht.

Soviel nochmal von mir. Vielleicht steh ich auch einfach nur mächtig auf dem Schlauch, dass kommt schon mal vor :).

Beste Grüße Fliege

 

Hallo Fliege,

danke, dass du noch einmal bei meiner Geschichte vorbeigeschaut hast. :)

Also das von dir fett Geschriebene ist jetzt raus.
Und zusätzlich hab ich noch

Auch nicht in der Teppichmanufaktur, zu welcher uns der Guide zielsicher gelotst hatte. Und schon gar nicht im Hotel. Alles war bunt und roch wunderbar und alle lächelten, aber das wahre Leben, das zeigte man uns nicht. Kein Kontakt zur Innenwelt.
rausgenommen. Egal wie ich es auch verändert hätte - damit hätt ich mir keinen Gefallen getan.
:shy:

Dank dir nochmal!

PSS

 

nein, ich sage nicht, dass ich die arabische Sprache liebe, sondern meine Prota.
Schmeiß' das bitte nicht zusammen,
bittestu vorgestern unter # 16

liebe PSS,

was ich zu entschuldigen bitte -
aber das passiert mir schon mal, dass ich Prot und Schöpfer in Personalunion sehe und nicht einmal versprechen kann, dass es nicht wieder vorkommen kann. Manchmal bin ich ganz schön schizothymlich …

Aber Scherz beiseite, ich vermag schon ohne große Anstrengung einiges zu unterscheiden, aber warum solltestu „die arabische Sprache“ nicht mögen („lieben“ wäre eh ein hartes Wort, man kann einfach nicht alles lieben, weil’s dann nix mehr zu lieben gäbe). Aber wie schrieben wir denn das Ringelrein zB um al-barquq (arab) -, wie der Iberer, zu dem sie mit den Mauren hinkam als albaricoque und übers gallo-lateinische abricot ins kaaskoppje zur abrikoos zu uns übern Rhein als Aprikose kam, die aber schon von den Arabern über Latein und Griechisch entlehnt waren. Ich sag ja, Ringelreihen.

Und jetzt?,
ja, wat nu’, wie s’et hier sagen:

man ʃraipt ’ebn nɪçt, vi: man ʃprɪçt,

find ich und auch, dass es gut sei, wenn Schreibschriftler ihren eigenen Kopf haben (4:0 für Dich!) und nicht gedankenlos dem folgen, was andere gerne hätten oder doch zumindest gerne sähen. Wie zur Belohnung sei noch aus Karl Kraus’ Sprachlehre zitiert

»fe:lt nu:ɐ nɔx di: fo’ne:tɪʃə ɔrto’gra’fi:.«

Gruß vom

Lautschriftler,

der eigentlich ein ganz leiser ist,
sich aber trotzdem fragt, warum indirekte Rede und Konjunktiv I "gestelzt" wären ...

 

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