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Scheinwelt

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18.12.2014
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Scheinwelt

Ein allerletzter Strich. Nicht zu viel. Wenn er auch nur einen Millimeter zu hoch oder zu tief wäre, wäre die stundenlange, penible Arbeit zerstört und sie müsste dieses Kunstwerk von neuem beginnen. Routiniert und mit ruhiger Hand setzt sie den Lippenkonturenstift an und umrandet damit den dunkelroten Lippenstift.
„Gloria! Beeil dich! Du bist in 5 Minuten dran!“, rief ihr Chef.
Seit nunmehr drei Jahren unterhält Gloria Starlet, so nennt er sich, das Publikum. In diesem Varieté konnte er ganz sie selbst sein. Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel bestätigte ihr perfektes Make-Up.
Ein kleiner Monitor hinter der Bühne zeigte ein Kamera-Bild des halbdunklen Publikums. Ihre Kollegin schmetterte ein Lied von Tom Jones. „Sexbomb, Sexbomb, you are my Sexbomb“.
Gloria wusste, dass sie knapp dreißig Sekunden nach dem Ende des Beifalls ihren Auftritt haben wird. Sie atmete noch ein-, zweimal tief ein und aus. Ihre Kollegin huschte an ihr vorbei Richtung Garderobe.
„Begrüßen Sie mit einem donnernden Applaus unsere Gloria Starlet!“, kündigte sie ihr Chef an. Mit ausgestrecktem Arm deutete er überschwänglich Richtung Vorhang, der sich zur Seite schob.
Sie reckte ihr Kinn selbstbewusst nach oben und betrat die Bühne. „Danach ist Schluss damit. Mit dem Versteckspiel“, dacht er und sie schritt elegant auf das Publikum zu.
Seine Mutter wusste von diesem Doppelleben. Hier im Varieté war er Gloria Starlet, sonst war er einfach Sebastian Schmidt.
Seine Stimmte zitterte. Das spürte er. Das ist ihm noch nie passiert.
„Nothing compares 2 U“ hatte er sich ausgesucht. Es war das Lieblingslied seiner Mutter und sie hatte ihm zig-mal erzählt, dass sie auf ihrer Hochzeit dazu getanzt haben. Sie sagte ihm auch jedes Mal, dass auch sein Vater dieses Lied mag, er es aber nie zugeben würde – „Männer eben“, sagte sie dann immer.
Seine Eltern saßen irgendwo im Publikum. Diese monochrome Masse Menschen, die er im Halbdunkel nicht erkennen konnte. Seine Mutter hatte ihren Mann irgendwie hierher gelotst. Wie sie das geschafft hatte, wollte sie nicht verraten.
Sebastian alias Gloria Starlet setzte zum großen Finale an. Ungewollt kullerte eine Träne seine Wange herunter und verschmierte das perfekte Mascara. Ungewollt, aber irgendwie passend, wenn man das Lied kennt.
Sie verbeugte sich, bedankte sich ein Dutzend Mal und genoss den Applaus. Erst als Gloria merkte, dass ihr Chef sie abmoderieren wollte, verließ sie die Bühne.
Sein Vater wunderte sich, als ein Kollege von Gloria sie leise erst hinter die Bühne brachte und schließlich in die Garderobe führte.
„Gloria, dein Besuch ist da.“ Er hatte darauf bestanden, dass er mit „Gloria“ angesprochen werden will.
„Nehmen Sie doch Platz. Ich hoffe, Ihnen hat mein Lied und der Rest der Show gefallen“, fing Sebastian an – den Rücken immer noch seinen Eltern zugedreht.
„Es war wundervoll“, jubilierte sein Vater.
„Das freut mich“, antwortete Sebastian. „Ich habe es für Sie gesungen.“
Gloria drehte sich langsam mit dem Stuhl um.
„Für mich? Woher wissen Sie, dass es mein Lieblingslied ist?“
„Weil es mir von dieser reizenden Frau neben ihnen gesagt wurde. Hast du doch, oder Mama?“
Gloria zupfte ihre falschen Wimpern von den Augenlidern und zog sich die Perücke vom Kopf. „Tach, Paps.“ Sebastian grinste.

 

„Gloria! Beeil dich! Du bist in 5 Minuten dran!“, rief ihr Chef.

Sein Chef hat ein richtiges Meisterwerk vollbracht: Er ruft aus der Vergangenheit in eine Szene, die eindeutig in der Gegenwart stattfindet.

Sie atmete noch ein-, zweimal tief ein und aus.

Das kannst du ruhig präziser machen. Sie atmet ein oder zweimal aus. Eins von beiden. Das ist ein absoluter Vorgang, den man nicht relativieren muss.

Jetzt stelle ich fest, dass wir vollständig in die Vergangenheit zurückgereist sind. So schnell kanns gehen.

Ungewollt kullerte eine Träne seine Wange herunter und verschmierte das perfekte Mascara.

Das "ungewollt" klingt deplatziert. Wer wollte es nicht? Die Träne, weil sie nicht das perfekte Mascara ruinieren wollte? Halte ich nicht für sehr wahrscheinlich.

als ein Kollege von Gloria sie leise erst hinter die Bühne brachte

Äh. Schleichen die beiden auf Zehenspitzen von der Bühne oder wie kann ich mir das "leise von der Bühne bringen" vorstellen? Meinst du vielleicht "ohne viel Aufmachens"? "Diskret"?

*****

Mmmmmh. Mir kommt es so vor, als würde die Hälfte, der wirklich interessante Teil, fehlen. Der wirkliche Spannungsbogen beginnt da, wo du aufhörst. Einerseits fand ich die Idee nett, auch der Wechsel zwischen "er" und "sie" hat mir gefallen, das war ein nettes Detail, aber dass du an diesem Punkt ausgestiegen bist, halte ich für einen Fehler.

Die Reaktion des Vaters und der weitere Verlauf der Geschichte hätten mich nämlich interessiert.

Hinzu kommt, dass der Aufbau nicht so besonders berauschend und etwas knapp geraten ist. Damit hättest du viel mehr machen können. Es klingt alles ein wenig skizziert und hastig heruntergeschrieben.

Insgesamt fand ich das kurze Stück gut, allerdings hätte ich mehr gewünscht. Vielleicht lieferst du ja nach oder ich bin der Einzige, der sich fragt, wie es weiter geht.

Angesprochene Textprobleme hab ich dir oben schon zitiert: Der Wechsel von Gegenwart in die Vergangenheit ist strange, denn dadurch bin ich mir nicht sicher, ob es eine Szene ist, an die Gloria sich erinnert, oder ob sie chronologisch in der richtigen Reihenfolge steht.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey betzebub,

und genau da, wo es spannend wird, ist deine Geschichte zu Ende. Was soll ich jetzt groß dazu sagen? Ja, die Einleitung ist hübsch ;). Aber ab dem Ende wird es für den Autor schwierig und für den Leser spannend. Jetzt müssten die Figuren einen Charakter bekommen, der Konflikt zu einem Ende geführt werden, aber Du machst hier einfach einen Punkt und Ende. Finde ich jetzt schade.

Durch die Kürze hast Du eigentlich auch kaum eine Chance den Leser an die Angel zu bekommen. Kaum hat er sich auf den Text, auf die Situation, auf das Setting eingelassen, kommst Du mit einer Pointe daher. Und ganz ehrlich, ich fand die jetzt nicht so doll, als dass sie mich für das Fehlen des restlichen Textes entschädigt hätte. So Kürzestgeschichten, die sind wirklich sau schwer. Ich würde mir die nicht für den Anfang aussuchen, damit geht man immer baden. Das ist wie, ich bin zum ersten mal Schlittschuhlaufen und versuche gleich mal einen dreifachen Rittberger. Wenn es Dir ums Schreiben ernst ist, fang nicht mit den Sprüngen an, fang damit an, Dir über Spannung, Konflikt, Charaktere einen Kopf zu machen und schreib eben so viele Zeilen, wie es braucht.

Aber wie gesagt, wenn dir solche Sachen Freude bringen, schreib halt die. Ich bin ja auch nur ein Leser von vielen und wer weiß, vielleicht gehen andere ja weniger enttäuscht aus dem Text.

Beste Grüße, Fliege

 

Danke für die Kritik und die Verbesserungsvorschläge.

Das Ende - sprich: die Reaktion des Vaters - ist von mir bewusst offen gelassen. Der Leser soll selber entscheiden, wie der Vater darauf reagiert. Ob er geschockt, überrascht, erfreut, wütend, böse, enttäuscht, überrumpelt, etc. ist.

Der Leser soll sich nicht in eine bestimmte Richtung gedrängt fühlen und soll seine eigene Phantasie benutzen und den Ausgang der Geschichte selbst bestimmen.

 

Der Leser soll selber entscheiden, wie der Vater darauf reagiert.

Also, damit machst du's dir etwas zu einfach, würde ich sagen. Das wäre ja so, als würden deine Leser die Geschichte für dich zu Ende schreiben. *g*

 

Hallo betzebub,

Das Ende - sprich: die Reaktion des Vaters - ist von mir bewusst offen gelassen. Der Leser soll selber entscheiden, wie der Vater darauf reagiert. Ob er geschockt, überrascht, erfreut, wütend, böse, enttäuscht, überrumpelt, etc. ist.

Der Leser soll sich nicht in eine bestimmte Richtung gedrängt fühlen und soll seine eigene Phantasie benutzen und den Ausgang der Geschichte selbst bestimmen.


Ich denke, das kann prinzipiell funktionieren. Das Problem ist dann aber, dass Deine Geschichte wenig anderes hat, was sie interessant macht. Dass die Reaktion des Vaters auf Sebastians/Glorias Coming-out der zentrale (sprich: einzige) Konflikt der Story ist, steht wohl außer Frage. Aber wenn Du die nicht explizit darstellst, musst Du etwas anderes damit machen.

Ich könnte mir gut vorstellen, dass man eine lohnende KG daraus machen kann, was sich in Sebastians Kopf abspielt, während er sich auf den "Showdown" vorbereitet. Du bleibst bisher sehr in der äußeren Handlung und gehst nur sehr sparsam auf seine Gedanken und Erinnerungen ein. Genau das könntest Du aber ausbauen. Was glaubt Sebastian, wie sein Vater reagieren könnte? Was weiß er über die Einstellungen seines Vaters? An welche Begebenheiten könnte er sich erinnern, bei denen sein Vater sich zum Thema Schwule, Transen usw. ("LGBT" sagt man wohl) geäußert hat? Hat Sebastian Angst vor der Reaktion? Usw. usf.

Wenn Du diesen Aspekt ausbaust, kann das Ende m.E. bleiben, wie es ist.

Grüße vom Holg ...

 

NWZed schrieb:
Also, damit machst du's dir etwas zu einfach, würde ich sagen. Das wäre ja so, als würden deine Leser die Geschichte für dich zu Ende schreiben. *g*

Genau das wollte ich auch gerade schreiben. Ich will mir doch als Leser die Rest nicht ausdenken. Wenn ich mir was ausdenke, schreibe ich selbst 'ne Geschichte. Deine Geschichte ist bis dato wie einen Krimi bis zum Mord und dann sagst Du: ich will dem Leser offen lassen, wer der Mörder ist. Ich will ihn da in seiner Phantasie nicht einschränken ... merkste was ;).

 

Hallo!

Nachdem du meine - naja, nennen wir es "Geschichte" - gelesen hast, schreibe ich nun meine Anmerkungen unter einen deiner Texte.

Persönlich bin ich von deinem Schreibstil überzeugt, auch wenn ich finde, dass du teilweise etwas mehr Schwebe in die Abhandlungen hättest einbauen können. Dazu gehört finde ich auch, dass manche Sätze zu "abgehackt" gehalten sind. Das soll jetzt nicht blöd rüberkommen oder so - es ist rein meine persönliche Einschätzung!
Als Zweites finde ich, dass du es dir gut gelungen ist, gewisse Übergänge zwischen Informationen, Beschreibungen und Dialogen zu schaffen. Damit meine ich, dass deine Dialoge meistens befreiend zum restlichen Text sind - also quasi neue Spannung aufbauen und gleichzeitig für Entlastung sorgen.

Nachtrag: Auch wenn ich deine Geschichte abgeschlossen als gelungen empfinde, würde ich sie wohl eher nicht kaufen, sollte ich ihren Anfang in eine Buchhandlung lesen.

Liebe Grüße
SCFuchs

 

Nette Idee, netter Anfang - aber dann ist es auch schon auch. Irgendwie lässt das den Leser schon sehr unbefriedigt zurück. Vielleicht könntest du doch noch ein bisschen weiter schreiben und das Ganze nicht zu vorhersehbar für den Leser sein lassen? Überrasch uns! Lass Gloria noch ein bisschen weiter machen!

 

Als heute Abend so um sieben herum dein Text an erster Stelle bei den neuen Beiträgen gestanden ist, betzebub, hab ich ihn kurzerhand angeklickt, ohne auf das Erscheinungsdatum oder die Anzahl der Beiträge zu achten. Tatsächlich dachte ich, das sei eine neue Geschichte, und habe mir dementsprechend schon in den ersten Zeilen ein paar Tempusfehler markiert und mir im Weiteren ein paar Verbesserungsvorschläge aufgeschrieben.

Na ja, und wie ich dann durch bin, sehe ich, dass eh schon Kommentare drunter stehen, und z.B. NWZed dich explizit auf die Tempusfehler hingewiesen hat (im November!), und du die Verbesserungsvorschläge offenbar auch zur Kenntnis genommen hast:

betzebub schrieb:
Danke für die Kritik und die Verbesserungsvorschläge.
… sie darüber hinaus aber schlicht ignoriert hast. Nach wie vor ist dein Text nicht überarbeitet. Und da frage ich mich natürlich schon, warum ich dir jetzt neuerlich eine Liste mit Vorschlägen drunter schreiben soll, wo du doch so augenscheinlich nicht daran interessiert bist, die Geschichte besser zu machen.
Aber es ist natürlich deine Geschichte, und wenn es dir egal ist, dass jeder neue Leser über dieselben Fehler fliegt, kann’s mir erst recht egal sein.
Ich finde, diese Art ist halt nicht unbedingt die schlaueste Strategie, wenn man auch für eventuelle Folgegeschichten Kommentare bekommen will.
Stell ich jetzt einfach mal so in den Raum.

offshore

 

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