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Veröffentlicht in der Anthologie:
6. Bubenreuther Literaturwettbewerb
Schein
Elvira zupfte an meiner Krawatte und wischte eine imaginäre Fluse vom Jackett.
„Ich habe dir Brote mit Schinken und Gürkchen gemacht“, sagte sie, reichte mir die Aktentasche und küsste mich auf die Wange. „Schönen Tag, Schatz.“
„Danke, dir auch“, antwortete ich lächelnd und trat durch die Tür, die Elvira mir aufhielt.
Draußen schaute ich zum Fenster, winkte meiner Frau zu und ging weiter Richtung Bushaltestelle. Als ich außer Sichtweite war, verharrte ich und atmete aus.
Zu dieser Stunde war in der SB-Bäckerei nicht viel los. Der Kaffee war heiß und günstig – es gab sogar einen Keks dazu –, und das WLAN kostenlos. Ich nippte an der Tasse, während das Notebook hochfuhr. Die Internetseiten hatte ich als Favoriten angelegt. Ich scrollte mich durch, machte mir Notizen und trank zwei weitere Kaffees.
Am Kiosk verlangte ich die Börsen-Zeitung, die Frankfurter und das Handelsblatt und steckte sie so in das Seitenfach der Aktentasche, dass die Titel herauslugten. Ich nahm den Bus, biss einmal ins Brot, stieg am Hauptbahnhof aus und warf die Brote in den Mülleimer.
Mehrmals schaute ich mich um, bevor ich das Pfandhaus betrat. Eintausendfünfhundert Euro gab mir der Mann hinter der Scheibe. Mehr wäre für die goldene Uhr meines Großvaters nicht drin. Reichen würde es für Elviras neuen Nerz zum Geburtstag nicht und viele Erbstücke besaß ich nicht mehr.
Das südliche Westend erreichte ich zu Fuß. Ich blickte auf die Hochhäuser. Weiter hinten befand sich der Glaskasten. Drei Monate war es her. Näher als hierhin hatte ich es seitdem nicht mehr geschafft.
Auf einer freien Bank nahm ich Platz, studierte die Zeitungen und machte mir wieder Notizen.
Der Eintopf in der frei zugänglichen Kantine des Bankhauses schmeckte mir nicht. Aber ich schnappte ein paar interessante Gesprächsfetzen an den Nebentischen auf. Unterhaltungen über Geld und ähnliches zu sanfter Musik aus den Lautsprechern und dem Geruch von Gemüse, Fett und verschwitzten Oberhemden.
Das Dessert holte ich mir später, damit ich am anderen Tisch wichtigen Leuten lauschen konnte.
Egal, ob satt oder nicht, wiederholte ich das Ganze in einer anderen Kantine und an zwei Würstchenbuden, von denen ich wusste, dass die Anzugträger sie aufsuchten.
Den Rest des Tages fuhr ich die Aufzüge rauf und runter, gesellte mich zu den Leuten in den Raucherbereichen vor den Gebäuden, hörte da zu, lauschte dorthin, hielt Augen und Ohren offen, saugte alles in mich auf, verarbeitete es, nahm an den Debatten der Anzugträger teil, indem ich zustimmend nickte oder bloß ein paar gescheite Worte an passenden Stellen beitrug, las die Ticker in den Foyers der Finanzinstitute und auf meinem Handy, führte Smalltalk mit Leuten, die irgendwie dazugehörten.
Es war gegen siebzehn Uhr, als ich heimkam.
„Na, wie war es heute? Harter Tag?“, fragte Elvira.
Ich nickte und wusste nicht, ob sie mich bemitleiden oder ohrfeigen würde.
Sie nahm mir Aktentasche und Jackett ab und ging ins Wohnzimmer vor, wo mich mein Cousin Josef auf der Chaiselongue sitzend erwartete.
Josef hatte sich angekündigt. Er wollte sein Gespartes investieren, einen mittleren fünfstelligen Betrag. Aktien, Optionen oder Neue Märkte, was jetzt halt so angeboten würde.
Er gierte nach den Tipps eines Profis, dem er vertrauen konnte, der seit dreißig Jahren tagtäglich weltweit Abermillionen bewegte, Geld vermehrte, Bescheid wusste, dazugehörte.